OGH 7Ob191/23y

OGH7Ob191/23y22.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei W* AG *, vertreten durch Themmer, Toth & Partner, Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 5. August 2023, GZ 60 R 17/23i‑11, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 21. Dezember 2022, GZ 14 C 391/22k‑6bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00191.23Y.1122.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden abgeändert, dass das Urteil – unter Einschluss des bereits rechtskräftig entschiedenen Teils – insgesamt lautet:

„1. Das Klagebegehren, es möge festgestellt werden, dass die beklagte Partei der klagenden Partei aufgrund und im Umfang des zwischen der klagenden Partei und der beklagten Partei geschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrages, Versicherungspolizze PN 65‑U725.365‑5, für die klageweise Geltendmachung von Ansprüchen im Zusammenhang mit dem Kauf des Mercedes GLC 220d um EUR 52.000,00 vom 24.04.2019 bei der S* GmbH, *, gegen die M* AG, *, Deutschland, und der S* GmbH, *, Deckung zu gewähren hat, wird abgewiesen.

2. Das Klagebegehren, es möge festgestellt werden, dass die beklagte Partei der klagenden Partei aufgrund und im Umfang des zwischen der klagenden Partei und der beklagten Partei geschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrages, Versicherungspolizze PN 65‑U725.365‑5, für die klageweise Geltendmachung von 30 % Minderwert (gerechnet vom Kaufpreis) sowie einer Haftung für Spät – und Dauerfolgen im Zusammenhang mit dem Kauf des Mercedes GLC 220d um EUR 52.00,00 vom 24. 4. 2019 bei der S* GmbH, * gegen die S* GmbH, *, Deckung zu gewähren hat, wird abgewiesen.

3. Die klagende Partei ist schuldig der beklagten Partei deren mit EUR 839,84 (darin 139,18 EUR USt und 4,80 EUR Barauslagen) bestimmte Kosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei deren mit 3.035,33 EUR (darin 277,39 EUR USt und 1.371 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Dem Rechtsschutzversicherungsvertrag zwischen der Klägerin als Versicherungsnehmerin und der Beklagten liegen deren Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2011) zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:

 

Artikel 9

Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen? […]

[…]

2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Rechts‑ und Beweislage zum Ergebnis,

[...]

2.2 dass diese Aussicht auf Erfolg nicht hinreichend, d. h. ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen, ist er berechtigt, die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten abzulehnen;

2.3 dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen.“

Artikel 17

Schadenersatz-, Straf- und Führerschein-Rechtsschutz für Fahrzeuge (Fahrzeug-Rechtsschutz) je nach Vereinbarung mit oder ohne Fahrzeug-Vertrags- Rechtsschutz

[...]

2. Was ist versichert?

Der Versicherungsschutz umfasst

[...]

2.4. Fahrzeug-Vertrags-Rechtsschutz

Wenn vereinbart, umfasst der Versicherungsschutz auch die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen, die versicherte Fahrzeuge und Anhänger einschließlich Ersatzteile und Zubehör betreffen. Als Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen gilt auch die Geltendmachung oder Abwehr von Schadenersatzansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung gesetzlicher oder vertraglicher Pflichten zwischen Vertragspartnern oder aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen.

In Verbindung mit Fahrzeug-Rechtsschutz gem. Pkt. 1.1. und 1.2. erstreckt sich dieser Versicherungsschutz auch auf die Wahrnehmung rechtlicher Interessen

[...]

2.4.2. aus Verträgen über die Anschaffung weiterer Motorfahrzeuge zu Lande sowie Anhänger und von Folgefahrzeugen, wenn diese Fahrzeuge für die gem. Pkt. 1. jeweils vereinbarte Nutzung vorgesehen sind.“

[2] Die Klägerin begehrte – soweit vom Revisionsverfahren umfasst – die Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten für einen Schadenersatzanspruch gegen die Händlerin in Höhe von 30 % des Minderwerts eines von ihr erworbenen Fahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeliefert worden sei, sowie die Feststellung der Haftung für künftige Schäden. Sie stützte diesen Anspruch auf § 874 und § 1295 ABGB.

[3] Die Beklagte wendete dazu ein, das Klagebegehren gegen die Händlerin sei unschlüssig, weil die Klägerin nicht zur Darstellung bringe, worauf sich ein Anspruch gegen die Händlerin stützen solle und worauf sich ein Verhaltensvorwurf gegen die Händlerin gründe.

[4] Das Erstgericht wies das auf Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten für einen Schadenersatzanspruch gegen die Herstellerin gerichtete Begehren ab, weil der geltend gemachte Rechtsschutzanspruch weder von Art 17.2.1. noch von Art 17.2.4. ARB 2011 des Fahrzeug-Vertrags-Rechtsschutzes umfasst sei. Dem Klagebegehren auf Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten für einen Schadenersatzanspruch gegen die Händlerin gab es statt und erachtete das Klagebegehren als ausreichend schlüssig; Obliegenheitsverletzungen würden der Klägerin nicht zur Last liegen.

[5] Das Berufungsgerichtbestätigte die nur von der Beklagten in Bezug auf die Klagsstattgebung hinsichtlich des Deckungsanspruchs gegen die Händlerin bekämpfte Entscheidung. Den Schadenersatzanspruch in Höhe eines Minderwerts von 30 % aus dem Erwerb einer mangelhaften Sache, gestützt insbesondere auf § 874 und § 1295 ABGB habe der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach im Zusammenhang mit dem Hersteller als ausreichend bestimmt gewertet. Auch gegen den Händler scheine die Sachlage in Ansehung des notwendigen Vorbringens vergleichbar.

[6] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision wegen fehlender höchstgerichtlicher Judikatur zur Frage der Schlüssigkeitsanforderung bei Klagen gegen den Händler zu.

[7] Dagegen richtet sich die Revisionder Beklagten, mit dem Antrag auf Abänderung der Entscheidung im klagsabweisenden Sinn.

[8] Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist zulässig, weil den Vorinstanzen hinsichtlich der Beurteilung der Schlüssigkeit des Klagsvorbringens eine Fehlbeurteilung unterlaufen ist.

[10] 1. Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass die Verfolgung von vertraglichen Ansprüchen gegen die Händlerin – anders als die Verfolgung deliktischer Ansprüche gegen die Herstellerin – vom Rechtsschutzbaustein Art 17.2.4. ARB 2011 umfasst ist und in den Schutzbereich des Rechtsschutzversicherungsvertrags der Klägerin fällt.

[11] 2. Zu beurteilen ist hier, ob das beabsichtigte Klagebegehren gegen die Händlerin im Sinne des Art 9.2. ARB 2011 ausreichende Aussicht auf Erfolg hat. Im Deckungsprozess ist grundsätzlich aufgrund der Klagserzählung und des Versicherungsvertrags zu klären, ob Versicherungsschutz zu gewähren ist (7 Ob 65/22t mwN).

[12] 2.1. In der Rechtsschutzversicherung ist bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen (RS0081929). Die vorzunehmende Beurteilung, ob „keine oder nicht hinreichende Aussicht auf Erfolg“ besteht, hat sich am Begriff „nicht als offenbar aussichtslos“ des die Bewilligung der Verfahrenshilfe regelnden § 63 ZPO zu orientieren. „Offenbar aussichtslos“ ist eine Prozessführung, die schon ohne nähere Prüfung der Angriffs- oder Verteidigungsmittel als erfolglos erkannt werden kann, insbesondere bei Unschlüssigkeit aber auch bei unbehebbarem Beweisnotstand (RS0116448; RS0117144). Ist der Sachverhaltsvortrag des Versicherungsnehmers von vornherein unschlüssig oder offensichtlich unrichtig, so kann der Versicherer den Versicherungsschutz ablehnen (RS0082253).

[13] 2.2. Für die Schlüssigkeit einer Klage genügt, wenn das Sachbegehren des Klägers materiell‑rechtlich aus dem zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden kann (RS0037516). Es müssen also die Behauptungen aufgestellt werden, die es zulassen, dass der vom Kläger begehrte Anspruch als sich daraus herleitende Rechtsfolge gegebenenfalls auch im Wege eines Versäumungsurteils ergehen könnte (RS0001252 [insb T4]).

[14] 2.3. In ihrer Deckungsklage brachte die Klägerin vor, sie begehre Deckung für die Geltendmachung eines deliktischen Schadenersatzanspruchs in Höhe der 30%igen Wertminderung des gekauften Wagens aus dem Erwerb einer mangelhaften Sache aufgrund einer Täuschungshandlung durch den Hersteller. Trotz ausdrücklichen Einwands der Unschlüssigkeit der von der Klägerin beabsichtigten Klagsführung gegen die Händlerin durch die Beklagte im erstgerichtlichen Verfahren und ihrem konkreten Hinweis auf das Fehlen eines schlüssigen Vorbringens, worauf sich ein Verhaltensvorwurf gegen die Händlerin stützen solle, beschränkte sich die Klägerin auf das Vorbringen, sich auf listige und sittenwidrige Schädigung sowie auf die Verletzung europarechtlicher Abgas-Vorschriften zu stützen. In der Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung vom 21. 10. 2022 brachte die Klägerin lediglich ergänzend vor, beim Klagsfahrzeug liege eine unzulässige Abschalteinrichtung vor, es handle sich daher um einen Rechtsmangel.

[15] 3. Damit gelingt es der Klägerin allerdings nicht, einen vertraglichen Anspruch gegen die Händlerin schlüssig zur Darstellung zu bringen:

[16] 3.1. Warum der Händlerin eine listige Täuschungshandlung oder die Verletzung europarechtlicher Abgas‑Vorschriften zur Last liegen sollte, zeigt die Klägerin nicht auf.

[17] 3.2. Das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung begründet einen Mangel im Sinne des § 922 ABGB. Da es sich dabei um einen Mangel der Substanz des Fahrzeugs handelt, ist er als Sachmangel zu qualifizieren (vgl 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023). Nach § 932 ABGB kann der Übernehmer zunächst nur die Verbesserung oder den Austausch der Sache verlangen, es sei denn, sowohl Verbesserung als auch Austausch sind unmöglich, für den Übergeber mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden (§ 932 Abs 4 Satz 1 ABGB); dasselbe gilt, wenn der Übergeber die Verbesserung oder den Austausch verweigert oder nicht in angemessener Frist vornimmt, wenn diese Abhilfen für den Übernehmer mit erheblichen Unannehmlichkeiten verbunden wären oder wenn sie ihm aus triftigen, in der Person des Übergebers liegenden Gründen unzumutbar sind (§ 932 Abs 4 Satz 2 ABGB). Nach ständiger Rechtsprechung kann der Übernehmer schon bei Misslingen des ersten Verbesserungsversuchs den Sekundärbehelf (Wandlung oder Preisminderung) in Anspruch nehmen (RS0018722 [T2]; RS0018702 [T9]).

[18] 3.3. Dass die Klägerin die Händlerin wegen eines Sachmangels in Anspruch nehmen möchte, dessen Verbesserung die Händlerin verweigert hätte oder für die Klägerin unzumutbar wäre und sie deshalb einen – nach der relativen Berechnungsmethode zu berechnenden (RS0018764) – gewährleistungsrechtlichen Preisminderungsanspruch gegen die Händlerin erheben möchte, lässt sich weder dem dargestellten Klagsvorbringen zu den Voraussetzungen eines deliktischen Schadenersatzanspruchs entnehmen, noch ergibt sich ein solches Begehren durch den Hinweis darauf, eine unzulässige Abschalteinrichtung stelle einen Rechtsmangel dar (vgl dazu im übrigen 3 Ob 40/23p Pkt 3.3.).

[19] 4. Der Revision war damit Folge zu geben und die Deckungsklage abzuweisen.

[20] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 ZPO, im Rechtsmittelverfahren iVm § 50 Abs 1 ZPO.

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