OGH 7Ob164/24d

OGH7Ob164/24d20.11.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* F*, geboren am * 1970, *, vertreten durch die LIKAR Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei B* GmbH, *, vertreten durch Strasser Haindl Meyer Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 20.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. Juni 2024, GZ 5 R 57/24z‑35, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 19. Dezember 2023, GZ 54 Cg 47/23p‑29, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00164.24D.1120.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.599,90 EUR (darin enthalten 266,65 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin veranlagte im Juli 2018 im Weg eines qualifizierten Nachrangdarlehens bei einer GmbH. Die emittierende GmbH ließ im November 2015 den Kapitalmarktprospekt über das öffentliche Angebot von qualifizierten Nachrangdarlehen erstellen. Die beklagte Steuerberatungs‑ und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft erteilte im gleichen Monat den Kontrollvermerk als Prospektkontrollor nach § 8 Abs 2 KMG (BGBl 1991/625) in der damals geltenden Fassung (im Folgenden: KMG 1991). Über das Vermögen der emittierenden Gesellschaft wurde am 8. 7. 2022 das Insolvenzverfahren eröffnet.

[2] Der Anlageberater der Klägerin erklärte ihr das Geschäftsmodell der Emittentin, nämlich das nachrangige Pfanddarlehensgeschäft. Er wies auf das Totalverlustrisiko hin. Der Inhalt des Kapitalmarktprospekts hatte keinen Einfluss auf die Entscheidung der Klägerin, diese Anlageform zu wählen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die Revision der Klägerin ist ungeachtet des Ausspruchs des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

[4] 1. Unstrittig ist, dass sich eine allfällige Haftung der Beklagten wegen des im November 2015 erteilten Kontrollvermerks bzw des im Juli 2018 erfolgten Investments der Klägerin nach dem KMG 1991 richtet (RS0008715).

[5] 2.1 Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestehen Prospekthaftungsansprüche, wenn ein Anleger durch falsche, unvollständige oder irreführende Prospektangaben zur Zeichnung einer Kapitalanlage bewogen wird. Es handelt sich dabei um eine typisierte Vertrauenshaftung aus Verschulden bei Vertragsabschluss. Der Prospekt bildet im Regelfall die Grundlage für den wirtschaftlich bedeutsamen und mit Risiken verbundenen Beteiligungsentschluss. Aus diesem Grund muss sich der potentielle Kapitalanleger grundsätzlich auf die sachliche Richtigkeit und Vollständigkeit der im Prospekt enthaltenen Angaben verlassen dürfen (RS0107352). An diesem Zweck orientieren sich auch Inhalt und Umfang der in § 8 Abs 2 KMG (in der maßgeblichen Fassung BGBl I 2013/184) geregelten Prüfpflicht. Der Prospektkontrollor haftet gemäß § 11 KMG (in der hier maßgeblichen Fassung BGBl I 2012/83) nicht für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Prospekts, sondern nur für dessen unrichtige oder unvollständige Kontrolle (RS0107352 [T5, T15]; 10 Ob 35/24f [Rz 10] mwN).

[6] 2.2 Die für eine solche Haftung notwendige Kausalität wird von der Rechtsprechung nur dann bejaht, wenn sich die Anleger im Vertrauen auf den ihnen bekannten Prospekt zum Kauf entschließen, wenn also unrichtige, unvollständige oder irreführende Prospektangaben tatsächlich zur Grundlage einer schadensauslösenden Disposition gemacht wurden; maßgeblicher Zeitpunkt für diesen Ursachenzusammenhang ist der des Vertragsabschlusses in Ansehung der konkreten Anlageentscheidung (RS0108626).

[7] 2.3 Diesen Kausalitätszusammenhang hat nach allgemeinen schadenersatzrechtlichen Grundsätzen der Geschädigte zu beweisen (RS0108626 [T4, T7]). Ein Rückgriff auf die Grundsätze des Anscheinsbeweises in der Frage des Kausalitätszusammenhangs zwischen mangelhaften Prospektangaben und dem Anlageentschluss eines Anlegers wird von der Rechtsprechung abgelehnt (RS0108627), was umso mehr für die unrichtige bzw unvollständige Kontrolle des Prospekts gelten muss (4 Ob 119/24i [Rz 18]).

[8] 2.4 Nach dem festgestellten Sachverhalt hatte der Inhalt des von der Beklagten als Prospektkontrollor unterfertigten Kapitalmarktprospekts keinerlei Einfluss auf die Entscheidung der Klägerin, die Anlageform zu wählen. Es steht auch nicht fest, dass sie die Vertragsform deshalb wählte, weil das Prospekt über den Kontrollvermerk verfügte. Sie hat damit nicht dargelegt, dass sie die behauptetermaßen unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekt-angaben samt Kontrollvermerk zur Grundlage ihrer schadensauslösenden Disposition gemacht hat.

[9] 3.1 Wie der Prospektkontrollor kann auch der sorgfaltswidrige Abschlussprüfer einem Dritten gegenüber haften. Letzteres ist dann der Fall, wenn dieser im Vertrauen auf die Verlässlichkeit des Bestätigungsvermerks des Abschlussprüfers disponiert und dadurch einen Schaden erleidet (RS0116077).

[10] 3.2 Auch in diesem Bereich hat der geschädigte Anleger grundsätzlich zu behaupten und zu beweisen, dass er seine Anlageentscheidung im Vertrauen auf den erteilten Bestätigungsvermerk getroffen und diesen zur Grundlage seiner schadensauslösenden Disposition gemacht hat (RS0129123, 4 Ob 119/24i [Rz 22]).

[11] 3.3 Soweit die Klägerin nunmehr auf dem Standpunkt steht, dass eine durch den Berater vermittelte (mittelbare bzw indirekte) Kenntnis ausreiche, mag dies für den Abschlussprüfer zutreffen (vgl 4 Ob 145/21h). Ob dies auch für den Prospektkontrollor gilt, muss nicht beantwortet werden, weil die Klägerin einen solchen Sachverhalt in erster Instanz nicht behauptet hat.

[12] 3.4 Sie unterstellt der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Haftung des Abschlussprüfers weiters, dass bei fehlerhafter Überprüfung durch den Abschlussprüfer bereits die objektive Erteilung eines Bestätigungsvermerks kausal für den Schaden des Anlegers und somit haftungsbegründend sei. Daraus folgert sie, dass auch im Rahmen der Prospekthaftung die Behauptung (und der Nachweis) einer nicht ordnungsgemäßen Prüfung des Prospekts ausreiche.

[13] 3.4.1 Schon die der Rechtsprechung zur Haftung des Abschlussprüfers unterstellte Prämisse trifft allerdings nicht zu. Auch nach den in der Revision genannten Entscheidungen hat der Geschädigte den Kausalzusammenhang zwischen Sorgfaltsverletzung und Schaden zu behaupten und zu beweisen (10 Ob 35/24f [Rz 18] mzwN).

[14] 3.4.2 Nach diesen Entscheidungen muss das Vertrauen auf den erteilten Bestätigungsvermerk zwar nicht durch die Kenntnis des konkreten Bestätigungsvermerks geschaffen werden, sondern wäre es auch denkbar, dass die auf die Anlageentscheidung positiv einwirkende Beratung von den erteilten Bestätigungsvermerken beeinflusst war, was aber voraussetzt, dass der Berater die Bestätigungsvermerke gekannt oder sonst von deren Erteilung erfahren hat (RS0108627 [T2]). Dass ein konkreter von der Beklagten geprüfter Prospektinhalt die Beratung in diesem Sinn positiv beeinflusst hätte, wurde von der Klägerin im erstgerichtlichen Verfahren ebenfalls nicht behauptet und daher auch nicht festgestellt.

[15] 3.5 Die Beantwortung der Frage, ob der Vertrag zwischen Emittentin und Prospektkontrollor – wie jener zwischen Emittentin und Abschlussprüfer (RS0116076) – einen Vertrag zu Gunsten der Anleger darstellt, kann dahingestellt bleiben. Wenn einem Vertragspartner als vertragliche Nebenpflicht eine Schutzpflicht dritten Personen gegenüber, die der Vertragsleistung nahe stehen, obliegt, wird dritten Personen die Geltendmachung eines eigenen Schadens aus dem fremden Vertrag zuerkannt (RS0037785). Aber auch bei einer Haftung aus Vertrag hat der Geschädigte den Kausalzusammenhang zu behaupten und zu beweisen (vgl RS0022686).

[16] 4. Die Klägerin stützt sich weiters auf Beweiserleichterungen infolge einer Schadenszufügung durch Unterlassung.

[17] 4.1 Nach ständiger Rechtsprechung kommt die Beweisführung bezüglich der Kausalität einer Unterlassung in der Regel nur unter Bedachtnahme auf die Wahrscheinlichkeit des Tatsachenzusammenhangs in Betracht und der Geschädigte ist dafür beweispflichtig, dass überwiegende Gründe dafür vorliegen, der Schaden sei durch das Verhalten des Beklagten herbeigeführt worden (RS0022900). Dem Schädiger obliegt dann der Nachweis, einen anderen Tatsachenzusammenhang noch wahrscheinlicher zu machen (RS0022900 [T1]). Wenn auch im Fall der Schädigung durch Unterlassung der Geschädigte grundsätzlich den Kausalzusammenhang zu beweisen hat, ist auch anerkannt, dass an den Beweis des bloß hypothetischen Kausalverlaufs nicht so strenge Anforderungen gestellt werden können, wie bei einer Schadenszufügung durch positives Tun, weil sich die Frage, wie sich die Geschehnisse entwickelt hätten, hätte der Schädiger pflichtgemäß gehandelt, naturgemäß nie mit letzter Sicherheit beantworten lässt, weil dieses Geschehen eben nicht stattgefunden hat (RS0022900 [T14]).

[18] 4.2 Diese – allgemein für Unterlassung des gebotenen Handelns entwickelte – Rechtsprechung wandte der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen 10 Ob 46/13g und 10 Ob 48/13a auch auf den Fall der fehlerhaften Erteilung eines Bestätigungsvermerks durch den Abschlussprüfer an. Der Anleger habe ein Vorbringen zu erstatten, mit dem die Verursachung eines Schadens plausibel gemacht werde (10 Ob 46/13g). Dem folgten die Entscheidungen 4 Ob 210/13f und 6 Ob 187/13p.

[19] 4.3 Auch wenn man im Sinn dieser Entscheidungen und mit der Klägerin annehmen würde, dass der Beklagten eine rechtswidrige Unterlassung (der ordnungsgemäßen Prüfung des Prospekts) zur Last zu legen wäre, wäre dies nach der genannten Rechtsprechung nur für das hinsichtlich der Kausalität heranzuziehende Beweismaß (überwiegende statt hohe Wahrscheinlichkeit) von Bedeutung. Dem erstinstanzlichen Vorbringen der Klägerin zu einem (eigenen) Vertrauen in die Prospektangaben folgte das Erstgericht auf Tatsachenebene gerade nicht, indem es (nach dem Regelbeweismaß) positiv feststellte, dass der Inhalt des Kapitalmarktprospekts keinen Einfluss auf die Anlageentscheidung der Klägerin hatte.

[20] 5. Dass ihr der Anscheinsbeweis für die Kausalität zugute komme, begründet die Klägerin darüber hinaus damit, dass § 8 KMG als Schutzgesetz zu qualifizieren sei, sodass sie lediglich nachzuweisen habe, dass die Beklagte den Prospekt nicht sorgfältig geprüft habe; da sich jener Schaden verwirklicht habe, den § 8 iVm § 11 KMG verhindern wolle, liege ein Beweis des ersten Anscheins betreffend die Kausalität vor.

[21] 5.1 Die – in der Literatur verneinte (Karollus, Funktion und Dogmatik der Haftung als Schutzgesetzverletzung: Zugleich ein Beitrag zum Deliktsystem des ABGB und zur Haftung für casus mixtus [1992] 376; Iro/Riss, Die Haftung des Prospektkontrollors nach allgemeinen Grundsätzen, RdW 2012/478, 447 ff [452 f]; Kalls/Oppitz/Zöllner,Kapitalmarktrecht2 § 12 Rz 54; Zivny/Mock, EU‑ProspektVO/KMG 20193 § 22 KMG Rz 33) – Frage, ob neben einer auf § 8 KMG gestützten Haftung nach § 11 KMG auch eine deliktische Haftung aus Schutzgesetzverletzung in Betracht kommt, ist in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zwar noch nicht ausdrücklich beantwortet worden. Auch darauf kommt es aber nicht entscheidend an.

[22] 5.2 Ein Anscheinsbeweis kommt (auch) dem (durch Verletzung eines Schutzgesetzes) Geschädigten lediglich auf Beweisebene zugute (4 Ob 86/17a) und entbindet nicht davon, Vorbringen zur Kausalität zu erstatten. Der als Schädiger in Anspruch Genommene kann den Anscheinsbeweis dadurch entkräften, dass er die Kausalität der Pflichtwidrigkeit ernstlich zweifelhaft macht (RS0022474 [T5]).

[23] 5.3 Die Behauptungen der Klägerin zur Kausalität haben sich auf Tatsachenebene nicht erwiesen, weil ein vom Vorbringen abweichender Sachverhalt festgestellt wurde. Ein nach der Rechtsansicht der Klägerin diesem Tatsachenvorbringen zugute kommender Anscheinsbeweis wäre daher jedenfalls entkräftet. Weitere Umstände, aus denen die Klägerin allenfalls eine Kausalität nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises ableiten könnte, behauptet sie gar nicht, sodass sich auch die Frage, ob ihr diesbezüglich (auf Beweisebene) der Anscheinsbeweis zugute zu kommen hätte, nicht stellt.

[24] 6. Weiters meint die Klägerin, wäre das Prospekt nicht mit dem Kontrollvermerk der Beklagten versehen worden, hätte die Veranlagung überhaupt nicht vertrieben werden können.

[25] 6.1 Hier übergeht die Klägerin bereits die Ausführungen des Berufungsgerichts, dass diesesVorbringen nicht ausreiche. Diese im Einzelfall vorzunehmende Beurteilung ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin beschränkt sich auf die Behauptung bloß der Folge, sie stellt aber keine Tatsachenbehauptungen zu einem konkreten Geschehensablauf (wie insbesondere zur Reaktion der Emittentin, ihres Anlageberaters, der Finanzmarktaufsicht oder zu ihrem eigenen Verhalten) auf, aus dem überhaupt erst ein Unterbleiben des Vertriebs oder der Nichterwerb durch sie abgeleitet werden könnte.

[26] 6.2 Zudem spricht die Klägerin mit ihrer Argumentation nur die Kausalität (bzw das „Beweismaß der hypothetischen Kausalität“) des behaupteten Fehlverhaltens der Beklagten an, legt aber auch hier nicht dar, aus welchen konkreten Umständen sie nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises eine Kausalität ableiten möchte.

[27] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO; die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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