OGH 7Ob151/06s

OGH7Ob151/06s30.8.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Edyta D*****, vertreten durch Dr. Helmut Berger-Kriegler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Helmut D*****, vertreten durch Dr. Peter Paul Wolf, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalt, über die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 16. Februar 2006, GZ 43 R 54/06v-50, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Meidling vom 18. November 2005, GZ 26 C 51/05p-43, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung einschließlich des unangefochtenen und des bestätigten Teiles zu lauten hat:

„1.) Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin monatlichen Unterhalt von EUR 110,-- für die Zeit von 1. Jänner 2003 bis 31. Dezember 2003 und von EUR 200,-- für die Zeit von 1. Jänner 2004 bis 2. November 2004 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

2.) Das Mehrbegehren auf monatliche Unterhaltszahlungen von EUR 200,-- für die Zeit von 1. Mai 2002 bis 31. Dezember 2002 und von weiteren EUR 90,-- für die Zeit von 1. Jänner 2003 bis 31. Dezember 2003 wird abgewiesen.

3.) Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin EUR 560,61 (darin enthalten EUR 93,23 an USt und EUR 1,20 an Barauslagen) an Kosten des Verfahrens erster, zweiter und dritter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.

4.) Der Beklagte ist zum Ersatz der in § 64 Abs 1 Z 1 lit a - f ZPO genannten Beträge, von deren Bestreitung die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren einstweilen befreit war, zu einem Prozentsatz von 55 Prozentpunkten verpflichtet (§ 70 Abs 2 ZPO).

Text

Entscheidungsgründe:

Die Ehe der Streitteile, der ein am 30. 4. 1998 geborener Sohn entstammt, ist seit 2. 11. 2004 aus dem beiderseitigen gleichteiligen Verschulden rechtskräftig geschieden.

Der Beklagte, der mit einstweiliger Verfügung vom 18. 9. 2001 aus der Ehewohnung weggewiesen worden war, hatte der Klägerin seit Mai 2002 keinen Unterhalt mehr geleistet. Ihrem Begehren auf monatliche Unterhaltszahlungen während aufrechter Ehe von EUR 200,-- ab 1. 5. 2002 gab das Erstgericht teilweise statt: Es verpflichtete den Beklagten zu monatlichen Unterhaltszahlungen von EUR 170,-- für die Zeit von 1. 5. 2002 bis 31. 12. 2002, von EUR 110,-- von 1. 1. 2003 bis 31. 12. 2003 und von EUR 200,-- von 1. 1. 2004 bis 2. 11. 2004 (Rechtskraft des Ausspruches über die Ehescheidung). Eine ausdrückliche Abweisung des Mehrbegehrens ist - von beiden Parteien ungerügt - offenbar versehentlich unterblieben.

Nach den (unbekämpften) Feststellungen des Erstgerichtes war die 1974 geborene Klägerin vor und nach der Geburt des ehelichen Sohnes bis Oktober 2002 in einem Drogeriemarkt teilzeitbeschäftigt und danach arbeitslos. Von 15. 5. 2004 bis 16. 12. 2004 war sie im Rahmen eines Langzeitarbeitslosenprogramms als Kindergartenhelferin beschäftigt. Sie bezog ein Arbeitslosenentgelt, das höher war als ihr Einkommen aus Erwerbstätigkeit. Im Monatsdurchschnitt erzielte die Klägerin im Jahre 2002 ein Einkommen von ca EUR 493,--, 2003 von ca EUR 356,-- und 2004 (inklusive Krankengeld) von ca EUR 599,--. Zusätzlich erhielt sie folgende Zahlungen der Sozialhilfe: Am 18. 10. 2002 bezahlte ihr die Fachstelle für Wohnungssicherung (FAWOS) im Auftrag des Magistrats der Stadt Wien EUR 2.985,36 zur Abdeckung eines seit Mai 2005 aufgelaufenen Mietzinsrückstandes für die Ehewohnung, über die der Beklagte verfügungsberechtigt war. Am 18. 12. 2003 bezog die Klägerin vom Magistrat der Stadt Wien EUR 660,50 und am 9. 2. 2004 EUR 718,10 als „Differenz Lebensbedarf, Mieten für den Zeitraum Dezember 2003 bis einschließlich April 2004. Am 12. 8. 2004 erhielt sie vom Magistrat der Stadt Wien EUR 211,30 für „Sonderbedarf". Der Beklagte erzielte als selbständiger Tischlermeister 2002 ein monatliches Einkommen von EUR 1.360,--. Obwohl sein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen in den Jahren 2003 und 2004 lediglich EUR 652,-- bzw EUR 1.147,-- betrug, beliefen sich seine - zum Teil auch durch Aushilfen seiner Mutter finanzierten - „Privatentnahmen" in diesen Jahren auf EUR 958,-- und EUR 1.659,-- monatlich. Für den Sohn leistete der Beklagte der Klägerin, die die Familienbeihilfe für das Kind bezieht, monatliche Unterhaltszahlungen von zunächst EUR 109,-- und ab 2004 EUR 220,--.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht im Wesentlichen aus, die Klägerin habe gemäß § 94 Abs 2 ABGB unter Berücksichtigung der Sorgepflicht des Beklagten für den ehelichen Sohn Anspruch auf 36 % des Familieneinkommens. Die von ihr nach dem Wiener Sozialhilfegesetz (WSHG) bezogenen Leistungen seien ihr nicht als den Unterhaltsanspruch minderndes Einkommen anzurechnen. Da der Unterhaltspflichtige seinen Ehepartner an seinem „Lebenszuschnitt" angemessen teilhaben lassen müsse, seien hinsichtlich des Einkommens des Beklagten auch dessen Privatentnahmen zu berücksichtigen. Das Familieneinkommen der Streitteile sei daher 2002 mit rund EUR 1.843,--, 2003 mit rund EUR 1.303,92 und 2004 mit rund EUR 2.248,45 anzunehmen, womit sich die auf die Klägerin monatlich entfallenden Anteile 2002 mit EUR 663,48, 2003 mit EUR 469,42 und 2004 mit EUR 809,45 errechneten. Unter Berücksichtigung der tatsächlich erzielten Einkünfte der - nicht auf ein höheres fiktives Einkommen anzuspannenden - Klägerin ergäben sich deren monatliche Unterhaltsansprüche in der zugesprochenen Höhe.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz. Der Einwand des Beklagten, die Klägerin wäre auf ein fiktives monatliches Einkommen von EUR 700,-- anzuspannen, sei unberechtigt. Dass sie ihr Dienstverhältnis einvernehmlich aufgelöst habe, sei ihr nicht vorzuwerfen, weil ihr Arbeitslosenbezug höher gewesen sei als ihr Einkommen aus Erwerbstätigkeit. Auch habe sie sich während ihrer Arbeitslosigkeit durch Kurse weitergebildet. Es sei auch auf die prekäre Lage für Arbeitslose mit niedrigerer Qualifikation am Arbeitsmarkt zu verweisen.

Der Beklagte sei über die Ehewohnung verfügungsberechtigt und habe sich im Scheidungsvergleich dazu verpflichtet, darüber in keiner Weise rechtsgeschäftlich zu verfügen und die Wohnung insbesondere nicht aufzukündigen. Die Überweisung des Mietzinsrückstandes durch FAWOS sei im WSHG begründet. Es handle sich um eine „Hilfe in besonderen Lebenslagen" nach dem dritten Abschnitt des Gesetzes. Für diese Leistung sei eine Rückersatzverpflichtung gesetzlich nicht normiert. In diesem Zusammenhang habe aber die Klägerin zutreffend auf § 97 ABGB verwiesen, wonach der wohnungsbedürftige Ehegatte gegen den anderen auch Anspruch auf positives Handeln habe, wozu auch die Zahlung des Mietzinses zähle, um Wohnungsverlust zu vermeiden. Da die Klägerin also auch einen Anspruch aus § 97 ABGB ableiten könne, sei die ihr von FAWOS überwiesene Mietzinszahlung nicht als unterhaltsmindernd anzuerkennen. Insgesamt habe das Erstgericht die Unterhaltsbemessung zutreffend nach den nach § 94 ABGB maßgeblichen Kriterien vorgenommen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Der Qualifikation des § 502 Abs 1 ZPO entsprechende Rechtsfragen lägen hier insofern vor, als die Beurteilung der Drittzuwendung (von EUR 2.985,36) in Frage stehe.

Gegen die Entscheidung der zweiten Instanz richtet sich die Revision des Beklagten, der unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache geltend macht und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, dem Rechtsmittel ihres Prozessgegners keine Folge zu geben. Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und teilweise auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Keine Berechtigung kommt dem vom Beklagten in der Revision aufrechterhaltenen Einwand zu, die Klägerin sei auf ein das Arbeitslosengeld übersteigendes Einkommen anzuspannen. Der Grundsatz der Anspannung geht von der aus § 94 Abs 1 ABGB abgeleiteten Obliegenheit der Ehegatten aus, bei einem für den angemessenen Unterhalt nicht ausreichenden Einkommen eine ihren Fähigkeiten entsprechende und zumutbare Erwerbstätigkeit auszuüben, sofern nur diese nach der Wirtschaftslage ein deutlich höheres Einkommen verspricht. Als eine Art Missbrauchsvorbehalt wird der Anspannungsgrund nur in Fällen angewendet, in denen der betreffende Ehegatte schuldhaft (vorsätzlich oder fahrlässig) die zumutbare Erzielung deutlich höherer Einkünfte verabsäumt. Die Fahrlässigkeit ist an der Sorgfalt eines ordentlichen familien- und pflichtbewussten Ehepartners zu messen. Dieser muss sich in einem solchen Fall das nach den Verhältnissen erzielbare potentiell höhere Einkommen anrechnen lassen, wobei dieses potentielle Einkommen nach einer den subjektiven Fähigkeiten und der objektiven Arbeitsmarktlage entsprechenden und zumutbaren Erwerbstätigkeit gemessen wird (vgl 4 Ob 181/98s mwN).

Ausgehend von diesen Grundsätzen käme eine Anspannung der Klägerin nur in Betracht, wenn diese es rechtsmissbräuchlich unterlassen hätte, durch eine nach den gegebenen Verhältnissen (die Klägerin hatte im fraglichen Zeitraum ein sich noch im Vorschulalter befindliches Kind zu betreuen) zumutbare Tätigkeit ein das Arbeitslosengeld übersteigendes Einkommen zu erzielen. Dies kann nach den festgestellten Umständen nicht angenommen werden. Die Behauptung des Revisionswerbers, die Klägerin hätte nach der Geburt des ehelichen Sohnes von November 2002 bis Mai 2004 durch eine Teilzeitbeschäftigung im Ausmaß von 20 Stunden in der Woche zumindest ein monatliches Nettoeinkommen von EUR 700,-- erzielen können, findet in den erstgerichtlichen Sachverhaltsfeststellungen keine Deckung. Die gegenteiligen Ausführungen des Berufungsgerichtes, das insbesondere auf die prekäre Lage am Arbeitsmarkt für weniger qualifizierte Personen verwiesen hat, erscheinen stichhältig. Gemäß § 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO reicht es daher aus, auf die Richtigkeit dieser Ausführungen zu verweisen, die keiner weiteren Ergänzung bedürfen.

Zu Recht widerspricht der Revisionswerber hingegen der Ansicht der Vorinstanzen, (auch) die der Klägerin zur Deckung des Mietzinsrückstandes geleistete Zahlung von EUR 2.985,36 sei nicht als in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehender Einkommensbestandteil der Klägerin zu behandeln. Da die betreffende Zahlung der Klägerin als „Hilfe in besonderen Lebenslagen" im Sinne des dritten Abschnittes des WSHG geleistet wurde, sind sich alle Beteiligten zu Recht darüber einig, dass sie - anders als Leistungen nach dem 2. Abschnitt des WSHG „Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes" - nicht nach den Bestimmungen des 6. Abschnittes des WSHG (§§ 25 ff) von der Klägerin zurückgezahlt werden muss. Die betreffende Sozialhilfeleistung, die der Deckung eines unzumutbaren Wohnungsaufwandes, somit eines typischen Unterhaltsbedarfs (1 Ob 200/05a, RIS-Justiz RS0080404 [T 3]) diente, ist damit einer Wohn- oder Mietzinsbeihilfe ganz vergleichbar, die nach ständiger Rechtsprechung als in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehende Einkommensbestandteile zu behandeln sind (1 Ob 570/95, SZ 68/157; 1 Ob 65/05y; 1 Ob 200/05a; vgl auch RIS-Justiz RS0016227).

Der Einwand des Berufungsgerichts, die betreffende Zahlung könne im Hinblick auf § 97 ABGB nicht unterhaltsmindernd sein, trifft nicht zu. Zwar hat der wohnungsbedürftige Ehegatte nach dieser Gesetzesstelle gegen den anderen, soweit dieser - wie hier der Beklagte - „über die Wohnung verfügungsberechtigt" ist, nicht bloß einen Anspruch auf Unterlassung und bei schuldhafter Pflichtverletzung auf Schadenersatz, sondern auch einen Leistungsanspruch (RIS-Justiz RS0005961). Dies ändert aber nichts daran, dass im Fall der Zahlung des Mietaufwands im Wege der Sozialhilfe kein Anspruch des Unterhaltsberechtigten auf Doppelversorgung besteht (vgl RIS-Justiz RS0080395). Dem Einwand, eine Wohn- oder Mietzinsbeihilfe diene nicht dem Zweck, den Schuldner von seiner Unterhaltsverpflichtung zu entlasten, wurde vom Obersten Gerichtshof (SZ 68/157) bereits entgegnet, dass dieses Argument letztlich auf jedes eigene Einkommen des Unterhaltsberechtigten zuträfe. Es kann daher die Beurteilung, die den Obersten Gerichtshof bisher veranlasste, auch Sozialleistungen als die Unterhaltsbemessungsgrundlage beeinflussendes Einkommen zu behandeln, nicht in Frage stellen (SZ 68/157). Die Ansicht des Revisionswerbers, die Sozialhilfeleistung von EUR 2.985,36 müsse als Eigeneinkommen der Klägerin berücksichtigt werden, ist daher zutreffend. Anders stellt sich die Situation hinsichtlich der der Klägerin im Wege der Sozialhilfe erbrachten weiteren Zahlungen von EUR 660,50 und EUR 718,10 sowie EUR 211,30 dar. Dass die Vorinstanzen diese Sozialhilfeleistungen im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung infolge Bestehens von Legalzessionsnormen bzw weil damit ein „Sonderbedarf" abgedeckt wurde, nicht als Eigeneinkommen der Klägerin gewertet, sondern die entsprechenden Beträge bei der Unterhaltsfestsetzung außer Betracht gelassen haben (RIS-Justiz RS0118565 bzw RS0009552), wird vom Revisionswerber ohnehin nicht gerügt.

Unter Berücksichtigung der ihr zur Abdeckung der Mietzinsrückstände im Jahr 2002 erbrachten Sozialhilfeleistung von EUR 2.985,36 als Eigeneinkommen der Klägerin betrug dieses monatlich EUR 828. Da der Anteil der Klägerin am monatlichen Familieneinkommen von EUR 2.188 demnach 36 % überstieg, ergibt sich für dieses Jahr kein Anspruch auf Unterhaltszahlungen des Beklagten.

In teilweiser Stattgebung der Revision waren die Entscheidungen der Vorinstanzen daher entsprechend abzuändern. Die offensichtlich auf Grund eines Versehens unterbliebene Abweisung eines Mehrbegehrens war im Rahmen einer Berichtigung durch das Revisionsgericht nachzuholen (vgl 9 ObA 144/00t ua).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 43 Abs 1 und 50 Abs 1 ZPO. Die Klägerin hat sich im erstinstanzlichen Verfahren mit 55 % sowie im Verfahren zweiter und dritter Instanz mit je 71 % durchgesetzt und ist mit 45 % bzw 29 % unterlegen. Der Beklagte hat ihr daher 10 % ihrer Verfahrenskosten erster Instanz und 42 % ihrer Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen.

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