European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00074.20F.0520.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Hintergrund des vorliegenden Verfahrens ist eine Strafanzeige („Sachverhaltsdarstellung“) an die Wirtschafts‑ und Korruptionsstaatsanwaltschaft im Zusammenhang mit der „S***** Affäre“. Aufgrund dieser Anzeige erfolgten am 12. 8. 2019 Hausdurchsuchungen unter anderem bei S*****, G***** und S*****. Am 17. 8. 2019 berichtete o*****, dass „zumindest zwei hochrangige Insider der Wiener Szene [...] sich sicher [sind], dass die anonyme Anzeige von Ex ‑ *****‑Vorstand D***** stammt“. Im Rahmen der Sommergespräche am 19. 8. 2019 äußerte der Beklagte:
„Was mich dabei gestört hat, ist die Grundlage für diese Hausdurchsuchungen: Es war eine anonyme Anzeige. Jetzt haben wir gehört offenbar von einem Manager – S *****‑nahe – der offenbar enttäuscht war, dass er den Job, den er gerne weiter hätte ausführen wollen, nicht mehr ausführen konnte.“
Der Kläger ist ehemaliger Politiker und war bis zum 1. 5. 2019 Vorstand der C***** AG. Seit seinem Ausscheiden aus dem Vorstand ist er weiterhin als angestellter Berater für die C***** AG tätig. Er war im Zeitraum von 1999 bis 2002 Bundesrat und im Zeitraum zwischen 2002 und 2006 Nationalrat für die S*****. Der Kläger ist auch Mitglied der S*****.
Der Beklagte war bis zum Ende der ÖVP‑FPÖ‑Koalition im Mai 2019 Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie. Nunmehr ist er Abgeordneter zum österreichischen Nationalrat und Bundesparteiobmann der F*****.
Der Kläger begehrt, den Beklagten zur Unterlassung der Behauptung zu verpflichten, der Kläger habe die anonyme Strafanzeige gegen den ehemaligen F***** Bundesparteiobmann ***** S***** verfasst, veranlasst oder auf sonstige Weise unterstützt, sowie den Widerruf dieser Behauptung. Zur Sicherung des Unterlassungsanspruchs beantragte er die Erlassung einer inhaltsgleichen einstweiligen Verfügung.
Am 18. August 2019 hätten die Medien „Ö*****“ und „o*****“ fälschlicherweise berichtet, dass sich zwei hochrangige Insider der Wiener Szene sicher seien, dass die anonyme Strafanzeige vom Kläger stamme. Dieser habe als einer der wenigen ein Gutachten des Personalberaters über P***** S***** gekannt, aus dem in der Strafanzeige ausführlich zitiert worden sei. Einer der beiden nicht namentlich genannten Insider habe sogar behauptet, er wisse definitiv, dass der Kläger seine anonyme Anzeige mit Hilfe einer prominenten S*****‑nahen Wiener Anwaltskanzlei erstellt habe.
Diese Ausführungen der beiden Medien seien unrichtig. Der Kläger habe die anonyme Strafanzeige wegen angeblicher Malversationen im Zusammenhang mit der Bestellung des Vorstands der C***** AG weder verfasst noch veranlasst und auch Dritte bei einer solchen Anzeigeerstattung nicht unterstützt.
Die Äußerungen des Beklagten am 19. 8. 2019 im Rahmen der Sommergespräche bezögen sich unzweifelhaft auf den Kläger; zumindest sei dieser identifizierbar. Der Kläger sei der einzige S*****‑nahe Manager der C***** AG, der sich in den letzten Jahren erfolglos um eine Wiederbestellung als Vorstand bemüht habe.
Der Kläger werde durch die inkriminierte Äußerung nicht nur dem falschen Verdacht ausgesetzt, für eine anonyme Strafanzeige verantwortlich zu sein, mit der er nichts zu tun habe. Darüber hinaus werde er verdächtigt, die anonyme Strafanzeige aus unredlichen Motiven veranlasst zu haben und/oder mit einer solchen Strafanzeige zumindest in Verbindung zu stehen. Diese unrichtige Behauptung sei geeignet, das Fortkommen und den Kredit des Klägers abstrakt zu gefährden.
Der Beklagte beantragte die Abweisung des Sicherungsantrags. Der inkriminierten Äußerung fehle jeder konkrete Bezug zum Kläger. Eine politische Wertung, die nicht den Vorwurf eines persönlich unehrenhaften Verhaltens des politischen Gegners enthalte, sei nicht tatbildlich iSd § 1330 Abs 1 und 2 ABGB.
Das Erstgericht erließ im zweiten Rechtsgang neuerlich die einstweilige Verfügung antragsgemäß. Dabei nahm es ausdrücklich als nicht bescheinigt an, dass die anonyme Strafanzeige vom Kläger verfasst, veranlasst und/oder unterstützt wurde.
Bei der inkriminierten Äußerung des Beklagten handle es sich um eine reine Tatsachenbehauptung, für deren Unwahrheit der Kläger beweispflichtig sei. Dieser Beweis sei dem Kläger gelungen. Für die Aktivlegitimation zur Geltendmachung von Ansprüchen nach § 1330 ABGB reiche ein hinreichender Bezug des Äußerungsinhalts zu einer bestimmten Person; die Namensnennung sei nicht erforderlich.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Gehe der Arbeitgeber des Klägers durch die Äußerung des Beklagten davon aus, der Kläger habe die Anzeige verfasst, ohne vorher zumutbare Schritte durch Information des Arbeitgebers zu unternehmen, so bestehe kein Zweifel, dass dieser Umstand den Erwerb und das Fortkommen beeinträchtigen könne.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig, weil Rechtsfragen der in § 528 Abs 1 ZPO genannten Qualität und von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung nicht zu lösen gewesen seien.
Rechtliche Beurteilung
Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Der Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
1. Wie schon das Rekursgericht zutreffend ausführte (§ 510 Abs 3 ZPO) ist für die persönliche Betroffenheit des Einzelnen die Namensnennung nicht erforderlich (6 Ob 110/11m). Entscheidend ist lediglich, wie das Publikum – zumindest aber ein nicht unbeträchtlicher Teil davon – die Äußerung auffasst und mit wem es den darin enthaltenen Vorwurf in Verbindung bringt (RS0031757; RS0067196).
2. Ob eine Identifikation des Verbreiters mit der veröffentlichten Meinung des Zitierten stattfand, richtet sich danach, wie die Aussagen von einem zumindest nicht unerheblichen Teil der angesprochenen Leser bei ungezwungener Auslegung verstanden werden. Dieses Verständnis des unbefangenen Durchschnittslesers ist stets eine Frage des Einzelfalls, der keine darüber hinausgehende Bedeutung zukommt (6 Ob 114/01k; 6 Ob 164/19i).
3. Auch bloße Verdächtigungen fallen nach ständiger Rechtsprechung unter § 1330 Abs 2 ABGB, weil diese Bestimmung bei anderer Auslegung gegen geschickte Formulierungen wirkungslos wäre (RS0031816).
4. Das Recht auf freie Meinungsäußerung kann eine Herabsetzung durch unwahre Tatsachenbehauptungen nicht rechtfertigen (4 Ob 1001/95; RS0032201).
5.1. Nach ständiger Rechtsprechung reicht für die Erfüllung des § 1330 Abs 2 ABGB eine Kreditschädigungseignung (6 Ob 283/01p), also auch eine Gefährdung, die nur mittelbar wirtschaftliche Nachteile zur Folge haben kann (6 Ob 184/03g; 6 Ob 246/04a; Kissich in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON § 1330 Rz 38).
5.2. Daher spielt es im vorliegenden Fall für die Beurteilung der Tatbestandsmäßigkeit der inkriminierten Äußerung nach § 1330 Abs 2 ABGB keine Rolle, dass die gegenständliche Strafanzeige einen Fall betraf, der ganz massiv das öffentliche Interesse betrifft. Entscheidend ist vielmehr, dass nach einem Verständnis eines maßgeblichen Teils des von der Äußerung angesprochenen Publikums, wobei dieser Teil keineswegs mehr als 50 % ausmachen muss, davon auszugehen ist, dass das Verfassen der anonymen Anzeige auch negativ verstanden wird (vgl 6 Ob 11/95; 6 Ob 211/05f zur Homosexualität).
5.3. Whistleblowing bedeutet, dass ein ehemaliges oder noch aktives Mitglied bzw Arbeitnehmer von Missständen in seiner Organisation erfährt und diese Informationen anschließend publik macht ( Soyer/Pollak in Kert/Kodek , Handbuch Wirtschaftsstrafrecht [2016] Rz 28.68).
5.4. In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass Whistleblower sich der Tatsache bewusst sein sollten, dass ihre Meldung im Unternehmen als Angriff interpretiert werden und somit zu Antipathien seitens des Arbeitgebers führen könne. Aufgrund dessen sollten persönliche Konsequenzen mit Vertrauenspersonen besprochen werden, um festzustellen, ob diese zumutbar sind. Außerdem müsse man abwägen, wie hoch das Risiko einer Entlassung im Falle einer Meldung sei und wie dadurch der berufliche Werdegang langfristig beeinflusst werden könnte ( Teichmann/Falker , Die Förderung von Whistleblowing aus der Perspektive des Aufsichtsrats, Aufsichtsrataktuell 2019, H 6, 16). Auch ein Gang an die Medien könne Konsequenzen für die berufliche Zukunft haben ( Teichmann/Falker aaO). In der Praxis bewahrheiteten sich die Befürchtungen, dass Whistleblowing den Job kosten könne, immer wieder ( Teichmann/Falker aaO).
5.5. Auch nach Geiblinger (Whistleblower zeigen Zivilcourage! Reden ist Silber – ist Schweigen Gold? CFOaktuell 2015, 118) wird nicht nur hinter vorgehaltener Hand im Bezug auf Whistleblower oft von „Denunziantentum“ gemunkelt. Wer Fehler in den eigenen Reihen aufzeige, werde als „Nestbeschmutzer“ oder gar „Verräter“ gebrandmarkt und riskiere alles: Job, Reputation, im schlimmsten Fall sogar Familie‑ und Freundeskreis.
5.6. Aufgrund der dem Kläger durch seine Verbindung mit der gegenständlichen Strafanzeige drohenden Nachteile haben somit die Vorinstanzen im Ergebnis zutreffend die Tatbestandsmäßigkeit der inkriminierten Äußerung gemäß § 1330 Abs 2 ABGB bejaht.
6. Zusammenfassend gelingt es dem Revisionsrekurs somit nicht, Rechtsfragen der von § 528 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung aufzuzeigen, sodass er spruchgemäß zurückzuweisen war.
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