European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0060OB00149.16D.0927.001
Spruch:
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden in Punkt 1. und 2. des erstgerichtlichen Beschlusses aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Begründung:
Die ***** geborene C***** ist das Kind von B***** G***** und Dr. K***** F*****, deren Ehe nach wie vor aufrecht ist; zu AZ ***** des Erstgerichts behängt jedoch seit Anfang des Jahres 2014 ein Scheidungsverfahren. Ende 2014 zog die Mutter aus der Ehewohnung aus, in der der Vater weiterhin wohnt. Der Vater ist in einer Rechtsanwaltskanzlei teilzeitbeschäftigt, die Mutter ist Rechtsanwältin.
C***** verbringt seitdem jeweils Montag und Mittwoch nach der Schule beziehungsweise dem Hort bis zum nächsten Schul- beziehungsweise Hortbeginn beim Vater, jeweils Dienstag und Donnerstag nach der Schule beziehungsweise dem Hort bis zum nächsten Schul- beziehungsweise Hortbeginn bei der Mutter. Die Wochenenden verbringt C***** abwechselnd bei Vater und Mutter, und zwar jeweils von Freitag nach der Schule beziehungsweise dem Hort bis zum Schul- beziehungsweise Hortbeginn am Montag.
Mit dieser Betreuungssituation kommt C***** gut zurecht. Auch in der Schule und im Hort werden keine Unterschiede im Verhalten von C*****, ihrer Kleidung oder Vorbereitung an den Tagen, welche sie bei der Mutter verbringt zu jenen, welche sie beim Vater verbringt, bemerkt. C***** wird von beiden Elternteilen adäquat versorgt, beide kommen ihrer elterlichen Verantwortung nach. Beide Haushalte sind für die Kinderbetreuung geeignet. Die Kommunikationsfähigkeit der Eltern miteinander ist eingeschränkt; sie scheinen nicht in der Lage zu sein, sich gegenseitig zuzuhören, Wünsche zu äußern oder sich in ihren Vorstellungen anzunähern. Ein Mindestmaß an Kooperation und Kommunikation ist jedoch gegeben; die Eltern haben es bisher geschafft, ohne Involvierung des Gerichts die Kontakte sowohl im Alltag als auch in den Ferien untereinander zu regeln.
C***** ist etwa 1,40 m groß und wiegt derzeit 42 kg. Das Normalgewicht für achtjährige Mädchen mit einer derartigen Größe liegt zwischen 27 kg und 38 kg. C***** wiegt somit für ihre Größe rund 4 kg zu viel; sie hat aber jedenfalls kein stark übergewichtiges Erscheinungsbild. Der Vater wiegt C***** regelmäßig, mindestens einmal pro Woche, und weiß detailliert über ihre Gewichtsentwicklung Bescheid. Ernährung, Bewegung und Gewicht sind ihm ein großes Anliegen. Er kauft Biolebensmittel, kocht selbst und treibt selbst gerne Sport. An den Tagen, die C***** bei ihm verbringt, geht er regelmäßig mit ihr im Prater laufen. Im Gespräch mit der Familiengerichtshilfe gab C***** an, dass sie an den Nachmittagen, die sie bei der Mutter verbringt, häufig Freundinnen trifft, was beim Vater nicht möglich sei, weil dieser mit ihr laufen gehe. Die Tage bei der Mutter empfinde sie als Pause vom Laufen und ein Stück weit als Erholung. Bei der Mutter dürfe sie alles essen, beim Vater gebe es „Laufjoker“; sie könne sich etwa die Nachspeise dadurch verdienen, dass sie laufen gehe.
C***** wünscht sich, auch mit der Mutter Sport zu treiben und auch beim Vater Freundinnen zu treffen. Ansonsten zeichnet sie ein sehr ausgewogenes Bild ihrer Eltern. Sie hat zu beiden eine gute Beziehung und reagiert sehr sensibel auf die Bedürfnisse ihrer Eltern, was dazu führt, dass sie ihr Verhalten an die Stimmung entweder der Mutter oder des Vaters anpasst. So sorgt C***** dafür, dass die Mutter nicht traurig ist oder es zwischen ihr und dem Vater zu keinem Streit kommt. Entgegen ihrem sonst unbefangenem Verhalten wirkt C***** allerdings bei den Themen Ernährung, Bewegung und Gewicht belastet und gezwungen. C***** beschäftigt sich für ihr Alter unangemessen intensiv mit Fragen zu Gewicht und Körperbild.
Die Vorinstanzen legten den hauptsächlichen Aufenthalt C*****s bei der Mutter fest und regelten das Kontaktrecht des Vaters in dem Sinn, wie es tatsächlich bereits von den Eltern und C***** praktiziert wurde. Sie hielten es für maßgeblich, dass bei Festsetzung des Hauptaufenthalts beim Vater zu befürchten wäre, dass sich der Druck auf C***** hinsichtlich sportlicher Betätigung und gesunder Ernährung noch erhöhen würde. Das Rekursgericht verwies unter Hinweis auf die Entscheidung 1 Ob 94/14a darauf, dass sich das Gericht bei der Bestimmung jenes Elternteils, in dessen Haushalt das Kind hauptsächlich betreut werden soll, ausschließlich am Kindeswohl zu orientieren habe. Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig; er ist auch berechtigt.
1. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen leben die Eltern von C***** seit Ende 2014 getrennt, weshalb zwar gemäß § 179 Abs 1 ABGB idF KindNamRÄG 2013 zunächst die Obsorge beider aufrecht blieb, gemäß § 179 Abs 2 ABGB idF KindNamRÄG 2013 die Eltern aber vor Gericht eine Vereinbarung darüber zu schließen gehabt hätten, in wessen Haushalt das Kind hauptsächlich betreut wird. Mangels einer solchen Vereinbarung war gemäß § 180 Abs 2 ABGB idF KindNamRÄG 2013 (über Antrag beider Elternteile) vom Pflegschaftsgericht über die Obsorge- sowie Kontaktregelung und die Frage des so genannten Domizilelternteils (vgl etwa G. Hopf in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB4 [2014] § 179 Rz 2) zu entscheiden. Im Revisionsrekursverfahren ist nur mehr die letztgenannte Frage strittig.
2. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 1 Ob 94/14a (EF‑Z 2015/9 [Beck]) ausgeführt, dass es bereits nach der Rechtslage vor dem KindNamRÄG 2013 in den Fällen, in denen die Obsorge beider Eltern weiter bestehen blieb, erforderlich war, eine Regelung über den hauptsächlichen Aufenthalt des Kindes zu treffen (vgl § 177 Abs 2 ABGB aF). Das KindNamRÄG 2013 habe den Begriff des hauptsächlichen Aufenthalts des Kindes durch den des Haushalts der hauptsächlichen Betreuung ersetzt und für alle Fälle der gemeinsamen Obsorge übernommen; nach den Materialien (ErläutRV 2004 BlgNR 24. GP 26) sollte diese terminologische Anpassung die Aufgaben und Leistungen des Elternteils, bei dem das Kind in erster Linie lebt, besser zum Ausdruck bringen als der bisherige Wortlaut des Gesetzes, ohne dass mit dieser Anpassung eine Änderung der Rechtsfolgen verbunden wäre.
Sowohl der Gesetzgeber als auch der Oberste Gerichtshof verstanden somit für den Regelfall den Begriff „hauptsächliche Betreuung“ wörtlich, nämlich dahin, dass ein Elternteil das Kind zeitlich mehr betreut als der andere. Dies entsprach auch der von der Literatur einhellig vertretenen Auffassung (vgl etwa Beck, Obsorgezuweisung neu, in Gitschthaler, KindNamRÄG 2013 [2013] 175; dies, EF‑Z 2015, 24 [Entscheidungsanmerkung]; Barth/Jelinek, Das neue Obsorgerecht, in Barth/Deixler-Hübner/Jelinek, Handbuch des neuen Kindschafts- und Namensrechts [2013] 109; Beclin, Neuerungen im Obsorge- und Kontaktrecht durch das KindNamRÄG 2013, in Deixler-Hübner/Ulrich, Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetz [2013] 61 [67]; Weitzenböck in Schwimann/Kodek, ABGB4 ErgBd 1a [2013] § 179 Rz 4; grundsätzlich Kathrein, Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetz 2013, ÖJZ 2013, 197 [204]; Seeber-Grimm, Die Obsorge nach Trennung oder Scheidung der Eltern, in Ferrari/Hinteregger/Kathrein, Reform des Kindschafts- und Namensrechts [2014] 39; G. Hopf aaO § 177 Rz 11).
Da somit die Frage des Domizilelternteils mit der Frage des Ausmaßes der tatsächlichen Betreuung des Kindes zwingend verknüpft war, war für die Beurteilung beider Fragen das Wohl des konkreten Kindes von ausschlaggebender Bedeutung, was sich nicht zuletzt auch aus der vom Rekursgericht zitierten Entscheidung 1 Ob 94/14a ausdrücklich ergibt. Dem außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters ist jedoch insoweit zuzugestehen, dass die Frage des Ausmaßes der tatsächlichen Betreuung von C***** durch ihre Eltern (die Vorinstanzen sprechen vom „Kontaktrecht des Vaters“) zwischen den Eltern nicht strittig ist.
3. Mit Erkenntnis vom 9. 10. 2015 (G 152/2015 EF-Z 2016/8 [Khakzadeh-Leiler]) lehnte es der Verfassungsgerichtshof zwar ab, § 177 Abs 4 Satz 1, § 179 Abs 2 und § 180 Abs 2 letzter Satz ABGB als verfassungswidrig aufzuheben. Der Gerichtshof führte jedoch inhaltlich unter anderem aus:
2.4.5. Die genannten Bestimmungen sind verfassungskonform, wenn sie nicht nur ein legitimes Ziel verfolgen, sondern in der Abwägung zwischen den nachteiligen Folgen der Regelung für Betroffene und dem Gewicht der vom Gesetzgeber verfolgten Ziele verhältnismäßig sind.
2.4.5.1. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte räumt den Staaten bei Regelungen über die Ausübung der Obsorge einen großen Ermessenspielraum ein und billigt weitergehende Gestaltungsmöglichkeiten als etwa bei Kontaktregelungen (EGMR 8. 7. 2003, Fall Sahin, Appl. 30943/96, Z 65). Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, dass der Gesetzgeber auch von Verfassungs wegen über einen erheblichen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum bei der Regelung des Ausgleichs kollidierender Interessen im Familienrecht verfügt (vgl. VfSlg 12.103/1989, 14.301/1995), ein Regelungsbereich, der häufig durch konfliktbeladene Entscheidungssituationen, ein besonderes Schutzbedürfnis beteiligter Minderjähriger und komplexe wissenschaftliche Einschätzungen auf dem Gebiet der (Kinder‑)Psychologie geprägt ist.
2.4.5.2. Vor diesem Hintergrund erweisen sich die angefochtenen Bestimmungen vom Grundsatz her als verhältnismäßige Beschränkung des Rechts auf Achtung des Familienlebens (Art 8 EMRK). Allerdings würde die zwingende Festlegung einer hauptsächlichen Betreuung eines Kindes unter Ausschluss einer zeitlich gleichteiligen Betreuung in jenen Fällen nicht mehr vom legitimen Ziel der Wahrung des Kindeswohls getragen werden, in denen das Kind bis zur Auflösung der Ehe oder der häuslichen Gemeinschaft tatsächlich zu annähernd gleichen Teilen von beiden Elternteilen betreut wurde und eine fortgesetzte zeitlich gleichteilige Betreuung dem Kindeswohl am besten entsprechen würde.
2.4.5.3. Für die Frage, ob das Gesetz eine solche unbedingte Anordnung enthält und ob es angesichts dessen eine unverhältnismäßige Beschränkung des Grundrechts bildet, ist vor allem entscheidend, ob und inwieweit die Rechtsvorschriften Vereinbarungen oder Festlegungen auch in jenen Fällen entgegenstehen, in denen die gleichteilige Betreuung eines Kindes im Fall gemeinsamer Obsorge beider Eltern dem Kindeswohl entspricht.
2.4.5.4. Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage der hauptsächlichen Betreuung nach den angefochtenen Vorschriften liegt nicht vor. Wohl aber hat der Oberste Gerichtshof wiederholt über Anträge betreffend die Höhe der Unterhaltspflicht eines Elternteils in Fällen einer völlig gleichteiligen Aufteilung der Betreuungszeiten bzw einer Betreuung abwechselnd zu zeitlich (völlig) gleichen Anteilen entschieden und dabei diese Betreuungssituation seiner Entscheidung zugrunde gelegt (OGH 25. 5. 2005 7 Ob 145/04f; OGH 19. 3. 2013 4 Ob 16/13a; 4 Ob 206/15w; vgl jüngst auch OGH 17. 9. 2015 1 Ob 158/15i).
2.4.5.5. In der Literatur wird davon ausgegangen, dass eine annähernd gleichteilige Ausübung der Betreuung (nach Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft) vom Gesetz nicht kategorisch ausgeschlossen sei. Zu denken sei hier an die durchaus praktischen Ausnahmefälle, in denen beide Elternteile schon vor der Auflösung der Ehe oder Trennung der Gemeinschaft die Aufgaben und Lasten der Betreuung gemeinsam getragen hätten, ihre Lebens- und Vermögensverhältnisse so beschaffen seien, dass keine Auswirkungen auf die finanzielle Sicherung des Kindes zu befürchten seien, und die Eltern trotz der Trennung immer noch ausreichend miteinander kommunizieren könnten. In derartigen nicht den Regelfall bildenden Fällen wird es im Interesse des Kindeswohls als zulässig angesehen, dass die hauptsächliche Betreuung des Kindes in einem Haushalt von den Eltern als bloß „nominelle“ Verpflichtung gehandhabt werde (vgl Kathrein,Kindschafts- und Namenrechts-Änderungsgesetz 2013, ÖJZ 2013, 197 [204]).
2.4.5.6. Vor diesem Hintergrund sieht sich der Verfassungsgerichtshof veranlasst, § 180 Abs 2 letzter Satz ABGB ebenso wie die mitangefochtenen Bestimmungen im Einklang mit Art 8 EMRK im eben beschriebenen Sinne und damit so auszulegen, dass sie der elterlichen Vereinbarung einer zeitlich gleichteiligen Betreuung oder einer entsprechenden gerichtlichen Festlegung in jenen Fällen, in denen dies aus der Sicht des Gerichtes dem Kindeswohl am besten entspricht, nicht entgegenstehen. Die Bestimmung, die ihrem Wortlaut nach eine Festlegung einer „hauptsächlichen Betreuung“ anordnet, lässt eine Auslegung zu, der zufolge die Festlegung für diese Fälle insbesondere als Anknüpfungspunkt für andere Rechtsfolgen dient, wie etwa für die Bestimmung eines Hauptwohnsitzes iSv Art 6 Abs 3 B‑VG. Bei diesem Verständnis erweisen sich die angefochtenen Bestimmungen als verhältnismäßige Beschränkungen der Rechte des Art 8 EMRK und Art 1 BVG über die Rechte von Kindern.
3.1. Khakzadeh-Leiler (EF-Z 2016/8 [Entscheidungsanmerkung]) verstand dieses Erkenntnis dahin, dass „zwar festgelegt werden [müsse], wo das Kind hauptsächlich betreut werden soll, diese Verpflichtung aber nicht ausschließt, dass außerdem eine 'zeitlich gleichteilige [...] Betreuung' festgelegt wird. [... Dabei sei] die hauptsächliche Betreuung im Sinn der angefochtenen Bestimmungen nicht wörtlich [zu verstehen], sondern im Sinn eines Anknüpfungspunkts für verschiedene Rechtsfolgen. MaW: Die Festlegung des Betreuungshaushalts sag[e] – nach verfassungsgerichtlichem Verständnis – nicht zwangsläufig etwas über die faktische Betreuungssituation aus, sondern allenfalls – nämlich bei Doppelresidenz – nur etwas über die Festlegung des „Anknüpfungshaushalts“.
3.2. Das Landesgericht Salzburg (EF‑Z 2016/91 [Gitschthaler]) führte aus, es gelte auch nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs, dass bei gemeinsamer Obsorge zwar die Anordnung des Aufenthalts des Kindes zu gleichen Teilen bei beiden Eltern möglich ist, nicht jedoch ein Absehen des Gerichts von einem Ausspruch über die Festlegung, in wessen Haushalt das Kind hauptsächlich betreut wird. Das Gericht habe in einem solchen Fall zu erheben und festzustellen, welcher Elternteil im Interesse des Kindeswohls eher geeignet ist, die Rechte, Ansprüche und Interessen des Kindes etwa in Bezug auf finanzielle Belange wie Unterhalt, Familien- und Wohnbeihilfe und vor Behörden (wie Passamt, Meldeamt, Finanzamt) zu wahren. Dieser Elternteil sei dann als jener zu bestimmen, in dessen Haushalt das Kind „nominell“ hauptsächlich betreut wird.
3.3. Zu dieser zweitinstanzlichen Entscheidung hielt Gitschthaler (EF-Z 2016, 194 [Entscheidungs-anmerkung]) fest, „das LG Salzburg setz[e] mit dieser Vorgehensweise durchaus konsequent das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zur Doppelresidenz von Kindern um und lös[e] den Spagat zwischen den inhaltlichen Aussagen des Verfassungsgerichtshofs und dem – ja weiterhin bestehen gebliebenen – formalen Wortlaut des § 180 Abs 2 ABGB. Lässt das Pflegschaftsgericht im Spruch seiner Entscheidung deutlich erkennen, dass es nur 'nominell' (so das Landesgericht Salzburg) bzw als 'Anknüpfungspunkt für andere Rechtsfolgen' (so der Verfassungsgerichtshof) den Hauptbetreuungshaushalt festlegt, wäre wohl auch die Problematik des Aufenthaltsbestimmungsrechts nach § 162 ABGB (soll Abs 2 [alleiniges Bestimmungsrecht des 'hauptbetreuenden' Elternteils] oder doch Abs 3 gelten?) gelöst: Die Anknüpfung [gelte] nur für verwaltungsrechtliche Agenden, hinsichtlich des Aufenthaltsbestimmungsrechts seien die Eltern aber nach § 162 Abs 3 ABGB auf Einvernehmen oder eine Genehmigung durch das Gericht, und zwar auch im Inland, angewiesen“.
3.4. Der Oberste Gerichtshof musste zur inhaltlichen Umsetzung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs in den Entscheidungen 4 Ob 181/15v und 1 Ob 46/16w nicht konkret Stellung nehmen, weil jeweils die Voraussetzungen für die Anordnung einer Doppelresidenz nicht gegeben waren. In der Entscheidung 10 Ob 53/16s wies er – ohne nähere Auseinandersetzung mit dieser Frage – einen außerordentlichen Revisionsrekurs zurück, wobei die Vorinstanzen beide Eltern mit der Obsorge betraut sowie ausgesprochen hatten, dass das Kind hauptsächlich im Haushalt der Mutter betreut werde, und weiters angeordnet hatten, dass das Kind von beiden Eltern zeitlich gleichteilig betreut werden solle. Die Frage der Umsetzung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs wurde nicht releviert.
Zuletzt hielt die Entscheidung 3 Ob 121/16i fest, dass auch bei Zugrundelegung der vom Verfassungsgerichtshof vorgenommenen Auslegung die Festlegung der hauptsächlichen Betreuung durch einen Elternteil, sei diese auch bloß nomineller Natur zur Schaffung eines Anknüpfungspunkts für verschiedene Rechtsnormen, jedenfalls erforderlich sei. Das Rekursgericht hatte bei Obsorge beider Eltern und wöchentlich wechselnder Betreuung des Kindes durch diese außerdem angeordnet „Soweit gesetzliche Bestimmungen an eine 'hauptsächliche Betreuung' des Kindes im Haushalt eines Elternteils anknüpfen, kommt diese der Mutter zu.“ Der Oberste Gerichtshof bestätigte diese Entscheidung, wobei allerdings die konkrete Umschreibung des Haushalts der hauptsächlichen Betreuung im Revisionsrekursverfahren offensichtlich nicht strittig war.
4. Der erkennende Senat hat dazu erwogen:
4.1. Festzuhalten ist zunächst, dass auf die Überlegungen Becks (Doppelresidenz: Der Vorhang zu und alle Fragen offen? iFamZ 2015, 264), die Interpretation der angefochtenen Normen durch den Verfassungsgerichtshof sei mit dem äußersten Wortsinn des Gesetzes und der erklärten Regelungsabsicht des Gesetzgebers nicht in Einklang zu bringen, weshalb die Pflegschaftsgerichte an die vom Verfassungsgerichtshof vorgenommene Interpretation auch nicht gebunden seien, hier nicht weiter eingegangen zu werden braucht. Strittig ist im Revisionsrekursverfahren nicht die Frage, ob für C***** Doppelresidenz angeordnet werden soll – die (völlig) gleichteilige Betreuung von C***** durch ihre beiden Elternteile steht unangefochten fest und liegt auch in C*****s Wohl –, sondern nach welchen Kriterien der Domizilelternteil bei Doppelresidenz zu ermitteln ist und welche Funktion ihm zukommt. Im Übrigen kann in dieser Frage auf die Ausführungen von Khakzadeh-Leiler verwiesen werden, die meint, „der Verfassungsgerichtshof [habe] in einer schwierigen Frage einen ausgewogenen und vertretbaren Standpunkt eingenommen [... und] für die ordentlichen Gerichte Klarheit gebracht; [... es] bleibe[e] den Gerichten überlassen, die dadurch aufgeworfenen Fragen und Problemstellungen zu bewältigen“.
4.2. Da der Verfassungsgerichtshof unter anderem § 180 Abs 2 letzter Satz ABGB nicht aufgehoben hat, hat auch bei gemeinsamer Obsorge und Betreuung des Kindes zu gleichen Teilen ein Ausspruch über die Festlegung, in wessen Haushalt das Kind hauptsächlich betreut wird, zu erfolgen (3 Ob 121/16i; LG Salzburg EF-Z 2016/91 [Gitschthaler]). Dabei ist allerdings auf die Bedeutung dieser Haushaltsfestlegung im Sinn des Verständnisses des Verfassungsgerichtshofs Bedacht zu nehmen (idS auch 3 Ob 121/16i). Dieser Haushalt soll (lediglich) als nomineller Anknüpfungspunkt für andere Rechtsfolgen dienen, deren Grundlage ein bestimmter Aufenthaltsort ist, wie eben für die Bestimmung des Hauptwohnsitzes des Kindes im Sinn des Melderechts (so ausdrücklich der Verfassungsgerichtshof) oder die Geltendmachung von Familien- (vgl § 2 Abs 2 FamLAG) und Wohnbeihilfe. Geht man aber von einer solchen Bedeutung des Hauptbetreuungshaushalts des Kindes aus, ist dem Vater im vorliegenden Fall beizupflichten, dass die Begründung der Vorinstanzen für die Festlegung des Haushalts der Mutter verfehlt ist. Deren Befürchtung, dass sich bei Festsetzung des Hauptaufenthalts beim Vater der Druck auf C***** hinsichtlich sportlicher Betätigung und gesunder Ernährung noch erhöhen würde, kann lediglich bei der Frage, ob und in welchem Ausmaß der Vater in der Lage ist, C***** zu betreuen, eine Rolle spielen. Mit den Berechtigungen und Verpflichtungen, die dem Domizilelternteil nach der vom Verfassungsgerichthof vertretenen Auffassung zukommen, hat dies jedoch nichts zu tun. Damit leiden die Entscheidungen der Vorinstanzen aber an einem wesentlichen Begründungsmangel, weshalb mit deren (teilweiser) Aufhebung vorzugehen war.
4.3. Im fortzusetzenden Verfahren wird das Erstgericht mit den Eltern deshalb insbesondere zu erörtern haben, bei wem C***** hauptwohnsitzgemeldet ist und von welchem Elternteil die genannten Aufgaben bislang wahrgenommen wurden und ob dieser Elternteil dazu auch geeignet erscheint. Gerade in einem Fall wie dem hier zu beurteilenden, in welchem ein Elternteil den bisherigen gemeinsamen Haushalt mit dem Kind und dem anderen Elternteil (aus welchen Gründen auch immer) verlässt, bedürfte es nach Auffassung des erkennenden Senats einer besonderen Begründung, weshalb dieser Elternteil bei nachfolgender gleichteiliger Betreuung des Kindes nunmehr der Domizilelternteil im dargestellten Sinn sein sollte.
Bei der Bestimmung des Domizilelternteils wird das Erstgericht im Sinne der zweitinstanzlichen Rechtsprechung (Landesgericht Salzburg) und der Literatur (Gitschthaler, EF-Z 2016, 194 [Entscheidungsanmerkung]) spruchmäßig zum Ausdruck zu bringen haben, dass es sich bei dessen Haushalt (lediglich) um einen nominellen Anknüpfungshaushalt im Sinn der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs handelt. Es könnte dabei unter Berücksichtigung der Ausführungen des Verfassungsgerichtshofs etwa konkret oder beispielhaft jene Aufgabenbereiche ausdrücklich benennen, die an diesen Haushalt anknüpfen sollen. Die vom Rekursgericht in dem der Entscheidung 3 Ob 121/16i zugrunde liegenden Fall gewählte Formulierung („gesetzliche Bestimmungen“) erscheint dabei jedoch zu weit gefasst, geht diese doch über die vom Verfassungsgerichtshof explizit angeführten wie (etwa die Bestimmung eines Hauptwohnsitzes, das heißt eher verwaltungsbehördliche) Rechtsfolgen hinaus und würde möglicherweise auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht nach § 162 Abs 2 ABGB erfassen (vgl Punkt 3.3.).
4.4. Aufgrund dieser Überlegungen waren die Entscheidungen der Vorinstanzen in Punkt 1. des erstgerichtlichen Beschlusses aufzuheben. Damit in untrennbaren Zusammenhang steht Punkt 2., mit dem die Vorinstanzen ein Kontaktrecht des Vaters festgelegt haben. Da allerdings bei gleichteiliger Betreuung von C***** rein begrifflich ein „Kontaktrecht“ eines Elternteils unsinnig erscheint, wird das Erstgericht die konkreten Modalitäten der „Betreuung“ C*****s durch ihre Eltern festzulegen haben.
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