European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0010OB00046.16W.0428.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
Mit dem angefochtenen Beschluss bestätigte das Rekursgericht die vom Erstgericht festgelegte gemeinsame Obsorge beider Elternteile für die drei Kinder unter Festsetzung des hauptsächlichen Aufenthalts bei der Mutter (wie faktisch bisher) und die Regelung des Kontaktrechts des Vaters. Zuvor war letzteres entsprechend eines (noch vor der Scheidung geschlossenen und später modifizierten) gerichtlichen Vergleichs ausgeübt worden. Festgesetzt waren zuletzt (mit der Ausnahme von Ferienzeiten) vierzehntägig zwei ganze Tage am Wochenende beginnend Freitag Abend (bei den jüngeren Zwillingen) bzw drei Tage (bei der älteren S*****) sowie zusätzlich zwei (Zwillinge) bzw drei (S*****) Nachmittage jede Woche. Nunmehr legte das Erstgericht das Kontaktrecht zu den Ende 2006 geborenen Zwillingen von jedem Mittwoch nach der Schule bis darauffolgenden Donnerstag 18.00 Uhr und vierzehntägig von Samstag 10.00 Uhr bis darauffolgenden Sonntag 18.00 Uhr sowie zur Mitte November 2001 geborenen S***** vierzehntägig von Donnerstag nach der Schule bis darauffolgenden Montag 18.00 Uhr und vierzehntägig von Donnerstag nach der Schule bis Freitag 18.00 Uhr fest. Darüber hinaus verpflichtete das Erstgericht beide Elternteile zur Absolvierung einer geeigneten Familien-, Eltern- oder Erziehungsberatung.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen erhobene Revisionsrekurs des Vaters, der vorrangig die Festlegung des hauptsächlichen Aufenthalts der Kinder in seinem Haushalt, in eventu das Modell der Doppelresidenz, zumindest aber eine Ausweitung des Kontaktrechts anstrebt, ist nicht zulässig:
1. Entscheidungen in Obsorgeangelegenheiten sind ebenso wie die Ausmessung des dem anderen Elternteil einzuräumenden Kontaktrechts typischerweise Entscheidungen nach den Umständen des Einzelfalls, denen keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zukommt, sofern dabei auf das Kindeswohl ausreichend Bedacht genommen wurde (RIS‑Justiz RS0115719; RS0097114; RS0007101).
2. Der Revisionsrekurswerber releviert eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die darin liegen soll, dass ihm das Erstgericht keine Gelegenheit geboten habe, im Verfahren erster Instanz zu einem Brief seiner Tochter S***** Stellung zu nehmen, und das Rekursgericht die dazu von ihm in der Rekursbeantwortung vorgetragene Bemängelung nicht behandelt habe.
Auch eine allfällige Verletzung des rechtlichen Gehörs bewirkt im Verfahren außer Streitsachen keine Nichtigkeit, sondern einen Verfahrensmangel, dessen Relevanz im Rechtsmittel darzulegen ist (RIS-Justiz RS0120213 [T17, T21]).
Vor dem Erstgericht gab die damals ca dreizehneinhalb Jahre alte S***** ‑ befragt zu ihren Wünschen nach Zeit mit den Eltern ‑ an, die Besuchszeitenregelung, so wie sie jetzt sei, sei zwar kompliziert, aber gut. Sie würde sich wünschen, jeden Freitag allein beim Papa sein zu können. Die Schwestern könnten dafür statt jeden zweiten Freitag einen anderen Wochentag beim Papa sein. Sie möge die Besuchszeiten, wie sie seien, wolle aber mehr Freiheiten beim Besuchen. Sie wolle auch spontan sagen können, dass sie zum Beispiel zwei Stunden länger beim Vater oder der Mutter sein wolle oder etwa, wenn sie ihre Ruhe haben wolle, oder einfach so in die Wohnung vom Papa gehen könne, ganz spontan, und sagen könne, sie komme zum Abendessen wieder oder auch umgekehrt. In dem vor Beschlussfassung in erster Instanz eingelangten Brief vom 31. 7. 2015 erläutert sie ‑ nach Zustellung des Protokolls ‑ dem Erstgericht: „Ich möchte nicht längere Zeit bei Papa sein, sondern die Zeit bei Papa anders verbringen, nämlich lieber mehr Zeit allein als mit meinen Schwestern. Das kommt im Protokoll nicht richtig heraus. Kann man das richtig stellen?“ Das Protokoll gab aber schon für sich genommen deutlich wieder, dass sie den Wunsch hegte, mehr nach ihrem Willen und spontan zwischen den Eltern wechseln zu können und (nur) mehr Zeit alleine beim Vater verbringen wollte, nicht aber eine Ausdehnung der Besuchszeiten bei ihm anstrebte.
2. Der Revisionsrekurswerber meint nun, es wäre ‑ schon von Amts wegen ‑ das Zustandekommen des Briefes zu hinterfragen gewesen, und will mit seiner und der ergänzenden Einvernahme seiner Tochter beweisen, dass das Schreiben „auf Druck der Mutter zu Stande gekommen“ sei. Damit wiederholt er im Wesentlichen sein schon im Verfahren erster Instanz erstattetes Vorbringen zu mangelnder Erziehungsfähigkeit und Bindungstoleranz der Mutter, ohne ein weiteres neues Vorbringen zu erstatten (vgl Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 15 Rz 26). Von Einschränkungen bei der Erziehungsfähigkeit und bei der Mutter auch von eingeschränkter Bindungstoleranz ging das Erstgericht aber ohnehin aus. Wiewohl es die Einschränkungen bei der Erziehungsfähigkeit beim Vater für geringer ausgeprägt hielt, erachtete es dennoch beide Eltern sowohl in wirtschaftlicher als auch in persönlicher Hinsicht als fähig, die mit der Obsorge verbundenen Rechte und Pflichten wahrzunehmen, insbesondere die Kinder zu pflegen und zu erziehen sowie mit dem täglichen Bedarf zu versorgen und legte ‑ im Einklang mit den Wünschen der Kinder und unter Hinweis auf den Grundsatz der Kontinuität der Erziehung (vgl dazu RIS‑Justiz RS0048942; RS0047903 insbes [T2]; RS0047848; RS0047928) ‑ bei gemeinsamer Obsorge den hauptsächlichen Aufenthalt bei der Mutter fest. Damit gelingt es dem Vater nicht, die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels darzulegen (vgl RIS-Justiz RS0120213 [T14, T15]), insbesondere auch nicht, warum die Verletzung des rechtlichen Gehörs Einfluss auf die Richtigkeit der Entscheidung des Rekursgerichts haben konnte (vgl RIS-Justiz RS0120213 [T13, T16, T17, T20]).
3. Eine neuerliche Einvernahme hatte auch nicht deswegen stattzufinden, weil das Mädchen während des Rekursverfahrens das vierzehnte Lebensjahr vollendete. Es trifft zu, dass der Wille des Kindes ein wesentliches Kriterium für die Obsorgeentscheidung ist, der entsprechend seiner Einsichts‑ und Urteilsfähigkeit (§ 146 Abs 3 ABGB) zu berücksichtigen ist. Bereits mehrmals erläuterte der Oberste Gerichtshof, dass ‑ sofern keine schwerwiegenden Gründe dagegen sprechen ‑ schon ab dem 12. Lebensjahr von der Urteilsfähigkeit eines Kindes bezüglich der Obsorgezuteilung auszugehen ist (RIS‑Justiz RS0048820 [T9], zuletzt 8 Ob 81/15t). Das Erstgericht konnte sich von der Urteilsfähigkeit der damals schon Dreizehneinhalbjährigen selbst ein Bild machen und hielt fest, diese habe den Eindruck vermittelt, sie wisse genau, was sie wolle und sei sehr gut in der Lage, sich ihre eigenen Meinungen, Vorstellungen, Wünsche und Bedürfnisse zum Thema Obsorge und Kontaktrecht bilden zu können. Sie habe ungefragt ihre Meinung geäußert und dabei unbefangen und überraschend offen gewirkt.
4. Die Frage der Beweiskraft eines Sachverständigengutachtens zu den Grundlagen der Beurteilung des Kindeswohls gehört in das Gebiet der Beweiswürdigung und ist daher nicht revisibel (vgl RIS-Justiz RS0043163; RS0043371). Angemerkt sei aber, dass die Sachverständige ihre Ausführungen selbst teilweise (bloß) als Zielvorstellungen und Diskussionsgrundlage formulierte und im Ergänzungsgutachten festhielt, dass beide Elternteile einander misstrauten, Anschuldigungen gegen den jeweils anderen vorbrächten und den eigenen Anteil am Konfliktgeschehen verneinten.
5. Der Revisionsrekurswerber ignoriert in seinen Ausführungen zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 9. 10. 2015, G 152/2015, wonach die Festlegung einer Doppelresidenz eine verfassungskonforme Auslegung des § 179 Abs 2 ABGB „darstelle“, dass das Rekursgericht zum Ergebnis gekommen war, eine Doppelresidenz entspreche dem Kindeswohl im vorliegenden Fall nicht am besten, und unter Hervorhebung des Grundsatzes der Kontinuität zu deren Verneinung auf die Begründung des Erstgerichts verwies. Dieses hatte dargelegt, mit der Festlegung des hauptsächlichen Aufenthalts bei der Mutter werde den Wünschen der Kinder auf Beibehaltung der eingespielten Betreuungssituation Rechnung getragen. Das Doppelresidenz ‑ oder Wechselmodell erfordert eine besondere Kooperationsbasis zwischen den Eltern (vgl 4 Ob 181/15v). Dass eine solche zwischen ihm und der Mutter bestünde, behauptet der Revisionsrekurswerber nicht einmal selbst.
Wenn daher das Rekursgericht angesichts der Wünsche der Kinder unter Berücksichtigung des Kontinuitätsprinzips und des Fehlens einer besonderen Kooperationsbasis zwischen den Eltern eine Doppelresidenz ablehnte und den hauptsächlichen Aufenthalt ‑ wie bisher gelebt ‑ bei der Mutter festlegte, liegt darin keine aus Gründen des Kindeswohls aufzugreifende Fehlbeurteilung im Einzelfall.
6. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 letzter Satz AußStrG).
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