OGH 5Ob83/24b

OGH5Ob83/24b4.7.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V* AG, *, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 7.626,04 EUR sA und Feststellung, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Ried im Innkreis vom 11. Dezember 2023, GZ 18 R 38/23b‑37, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Schärding vom 17. August 2023, GZ 2 C 334/20f‑29 teilweise aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0050OB00083.24B.0704.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der Kläger kaufte am 18. August 2011 bei einer Händlerin einen fabriksneuen Pkw VW Tiguan um 25.420,14 EUR. Im Fahrzeug war ein Dieselmotor des Typs EA189 verbaut. Die Beklagte ist Herstellerin des Fahrzeugs. Im Fahrzeug war eine Prüfstandserkennungssoftware („Schummelsoftware“) verbaut, die durch ein Software‑Update Ende August/Anfang September 2016 entfernt wurde. Danach war ein „Thermofenster“ vorhanden, das bewirkt, dass die Abgasreinigung nur in einem Temperaturbereich zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius Umgebungstemperatur bis zu einer geodätischen Höhe von maximal 1.000 Metern voll wirksam ist. Damit hält das Fahrzeug die Stickoxidgrenzwerte beim NEFZ‑Test ein, nicht jedoch im realen Fahrbetrieb. Dass das „Thermofenster“ notwendig ist, um unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung, Unfall oder Brand zu vermeiden, steht nicht fest. Der Kläger kann sein Fahrzeug uneingeschränkt weiter nutzen. Sein Verkehrswert hat sich weder durch die ursprünglich installierte „Schummelsoftware“ verringert noch würde er durch das implementierte „Thermofenster“ reduziert. Wären rein fiktiv am Tag des Kaufs bei der Verkäuferin zwei absolut gleiche Fahrzeuge gestanden, von denen eines mit der unzulässigen „Schummelsoftware“ ausgestattet gewesen wäre, dies mit der Zusage eines verordnungskonformen Software‑Updates, wäre der Verkehrswert dieses Fahrzeugs 10 % geringer gewesen. Hätte rein fiktiv das in Aussicht gestellte Software‑Update wiederum eine gesetzlich unzulässige Abschalteinrichtung enthalten, wäre der Verkehrswert dieses Fahrzeugs um 20 % geringer gewesen. Wenn es in Zukunft (auch und wegen der Rechtsprechung des EuGH) kein neuerliches Software‑Update geben sollte und ein solches auch nicht in Aussicht gestellt wird, wäre der Verkehrswert dieses Fahrzeugs 20 % geringer gewesen. Dass es kein neuerliches Software‑Update geben wird, ist nicht feststellbar. Dass es in Zukunft zur Aufhebung der Gültigkeit der EU‑Typengenehmigung und damit der Gültigkeit der Übereinstimmungsbescheinigung kommen wird, ist nicht auszuschließen.

[2] Der Kläger begehrt die Zahlung von 7.626,04 EUR und die Feststellung der Haftung der Beklagten für jeden Schaden, der ihm aus dem Kauf des gegenständlichen Fahrzeugs und dem darin verbauten Dieselmotor EA189 künftig entsteht. Soweit für das Rekursverfahren wesentlich brachte er vor, das Fahrzeug sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form einer Umschaltlogik versehen gewesen. Die Beklagte habe durch bewusste und gewollte Täuschung des Kraftfahrtbundesamts (idF: KBA) systematisch langjährig Fahrzeuge mit dem Dieselmotor EA189 in Verkehr gebracht, deren Motorsteuerungssoftware so programmiert gewesen sei, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels unzulässiger Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Das angebotene und auch durchgeführte Software‑Update sei keine Mängelbehebung, weil dadurch kein gesetzeskonformer Zustand hergestellt worden sei, zumal die Abgasrückführung nur in einem Temperaturfenster zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius Außentemperatur voll funktioniere. Der Kläger habe davon ausgehen dürfen, dass das erworbene Fahrzeug den gesetzlichen Bestimmungen (Abgasnorm Euro 5) entspreche. Die Beklagte hafte wegen listiger Irreführung nach § 874 ABGB und vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 1295 Abs 2 ABGB. Überdies schütze Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG reine Vermögensinteressen des Klägers. Die Beklagte sei nach europarechtlichen Vorgaben verpflichtet, eine Übereinstimmungsbescheinigung auszustellen. Diese sei objektiv unrichtig gewesen. Zum Kaufzeitpunkt sei das Fahrzeug 30 % weniger wert gewesen.

[3] Die Beklagte bestritt das Vorliegen von unzulässigen Abschalteinrichtungen. Das Thermofenster erfülle den Ausnahmetatbestand des Art 5 Abs 2 lit a der VO 715/2007/EG und sei zulässig. Am Vertragsschluss sei die Beklagte nicht beteiligt gewesen, sie habe keine unrichtigen Angaben gemacht und nichts verschwiegen. Selbst wenn das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung wäre, läge ein entschuldbarer Rechtsirrtum der Organe der Beklagten vor. Das Fahrzeug verfüge über eine aufrechte EG‑Typengenehmigung und eine Zulassung, sei betriebssicher und werde vom Kläger durchgehend genutzt. Ein Schaden oder eine Wertminderung des Fahrzeugs liege nicht vor. Selbst ausgehend von einem etwaigen ursprünglichen Minderwert aufgrund drohenden Typengenehmigungsentzugs, sei im Weg des Vorteilsausgleichs der Umstand der jahrelangen Nutzung durch den Kläger schadensmindernd zu berücksichtigen. Angesichts der uneingeschränkten Nutzung über zwölf Jahre und des aktuell erzielbaren Weiterverkaufserlöses verbleibe jedenfalls kein Schaden mehr.

[4] Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 5.084,03 EUR sA und gab dem Feststellungsbegehren statt. Das Mehrbegehren auf Zahlung von 2.542,01 EUR wies es ab. Es ging von der Unzulässigkeit der ursprünglichen Umschaltlogik und des nach wie vor vorhandenen Thermofensters aus, sodass dem Kläger wegen Verletzung des Schutzgesetzes nach Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG dem Grunde nach Schadenersatz zustehe. Schon bei Misslingen des ersten Verbesserungsversuchs („Software‑Update“) könne der Kläger den sekundären Rechtsbehelf der Preisminderung in Anspruch nehmen. Nach den Feststellungen sei dieser Preisminderungsanspruch mit 20 % des Kaufpreises, somit 5.084,03 EUR, auszumitteln, das Mehrbegehren hingegen abzuweisen. Da in Zukunft Maßnahmen des KBA, die zu einer Aberkennung der Gültigkeit der EG‑Typengenehmigung und daran anschließend der Gültigkeit der Übereinstimmungsbescheinigung führen könnten, nicht auszuschließen seien, sei das Feststellungsbegehren berechtigt.

[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers gegen den abweisenden Teil nicht Folge, der Berufung der Beklagten hingegen insoweit teilweise Folge, dass es neben der Bestätigung der Abweisung des Mehrbegehrens von 2.542,01 EUR sA auch das Feststellungsbegehren mit Teilurteil abwies. Im Übrigen hob es die angefochtene Entscheidung auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück.

[6] Das Berufungsgericht teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichts, sowohl die ursprünglich verbaute „Umschaltlogik“ als auch das verbliebene Thermofenster seien unzulässige Abschalteinrichtungen, wobei der individuelle Käufer eines Kraftfahrzeugs gegen den Hersteller Anspruch darauf habe, dass dieses Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG ausgestattet sei. Diese Bestimmungen schützten neben den allgemeinen Rechtsgütern auch die Einzelinteressen des individuellen Käufers, sodass der Beklagten als Herstellerin eine objektive Schutzgesetzverletzung zur Last liege. Der EuGH habe in der Rechtssache C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, den Eintritt eines objektiv‑abstrakt zu ermittelnden Schadens allein aufgrund des Kaufvertrags bejaht, dem sei der Oberste Gerichtshof zu 10 Ob 27/23b gefolgt. Da das Fahrzeug bei Erwerb durch den Kläger aufgrund der damals vorhandenen Umschaltlogik latent mit einer Unsicherheit hinsichtlich der rechtlichen Nutzungsmöglichkeit behaftet gewesen sei, sei ein Schaden zu bejahen.

[7] Ein Schadenseintritt wäre aber dann zu verneinen, wenn das den objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug konkret dem Willen des Käufers entsprochen hätte. Während der Kläger behaupte, das Fahrzeug hätte er bei Kenntnis des Verfahrenssachverhalts nur um einen um 30 % reduzierten Preis gekauft, wende die Beklagte ein, dass es keinen Anlass für die Annahme gebe, der Kläger hätte das Fahrzeug nicht erworben, hätte er von der Funktionsweise der Software gewusst. Da das Erstgericht dazu keine Feststellungen getroffen habe, liege insoweit ein sekundärer Feststellungsmangel vor, der zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Anfang des Zuspruchs zu führen habe.

[8] Da die Beklagte dem Vorbringen des Klägers zur „Umschaltlogik“ nicht substanziell widersprochen und sich ihr Einwand eines Rechtsirrtums auf das „Thermofenster“ beschränkt habe, sei ihr der Beweis mangelnden Verschuldens betreffend Umschaltlogik nicht gelungen. Da auch das nach dem Software‑Update verbliebene „Thermofenster“ eine unzulässige Abschalteinrichtung sei, sei der Versuch der Schadensbeseitigung misslungen.

[9] Zur Schadensberechnung sei dem Bundesgerichtshof dahin zu folgen, dass ein Mindestschadenersatz von 5 % aus Effektivitätsgründen selbst dann zustehe, wenn bei Vertragsabschluss kein Schaden eingetreten sei. Wegen des vom EuGH postulierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sei der Ersatzanspruch aber mit 15 % selbst für den Fall zu begrenzen, dass der tatsächliche Minderwert des Fahrzeugs darüber liege. Im fortgesetzten Verfahren werde das Erstgericht daher den Schadenersatzanspruch nach § 273 Abs 1 ZPO mit mindestens 5 % und höchstens 15 % des gezahlten Kaufpreises festzusetzen haben. Aufgrund eines im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses „festgestellten Minderwerts von 20 %“ komme eine Festsetzung des Betrags im unteren Bereich der Bandbreite nicht in Betracht.

[10] Auch zum eingewendeten Vorteilsausgleich erachtete das Berufungsgericht – der Judikatur des Bundesgerichtshofs zum Vorteilsausgleich beim „kleinen Schadenersatz“ folgend – weitere Feststellungen für erforderlich. Die Gesamtlaufleistung des vom Kläger neu erworbenen Fahrzeugs und die damit bis zum Schluss der Verhandlung zurückgelegten Kilometer seien festzustellen, weil der Gebrauchsnutzen des Käufers in Abhängigkeit von gefahrenen Kilometern im Jahr zu berechnen sei. Als Gebrauchsvorteil seien der vereinbarte Kaufpreis mal der gefahrenen Kilometer durch die erwartete Gesamtlaufleistung zum Kaufzeitpunkt zu dividieren. Festzustellen sei auch der Restwert des Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung. Zu ermitteln sei, ob und inwieweit die Summe aus diesen Beträgen den gezahlten Kaufpreis abzüglich des ermittelten Minderwerts übersteigen. Die darüber hinausgehende Differenz vermindere den zuvor ermittelten Minderwert des Fahrzeugs, sodass dem Kläger nur der verbleibende Betrag zustehe.

[11] Für den Fall arglistiger Täuschung nach § 874 ABGB oder vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 1295 Abs 2 ABGB seien allerdings die unionsrechtlichen Vorgaben zur Schadenshöhe nicht zu berücksichtigen und der Schadenersatzanspruch nicht mit 15 % des Kaufpreises begrenzt. Im Hinblick auf die unterschiedliche Schadenshöhe seien noch Feststellungen erforderlich, die eine Beurteilung des Klagebegehrens auf den Anspruchsgrundlagen des § 874 und § 1295 Abs 2 ABGB zulassen. Insbesondere zur behaupteten Täuschung durch Funktionsträger innerhalb des Unternehmens der Beklagten sei die Sachverhaltsgrundlage zu erweitern. Für die Feststellung eines Minderwerts im Ausmaß von 30 % gebe es allerdings aufgrund der Beweisergebnisse keinen Anlass, sodass die Berufung des Klägers, mit der er die vollinhaltliche Klagestattgebung angestrebt habe, nicht berechtigt sei.

[12] Da nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung das Risiko des Entzugs der Zulassung in die Bemessung des Schadensersatzes für die Wertminderung einfließe und der Käufer dann ohnedies so gestellt werde, als ob ihm die unzulässige Abschalteinrichtung bereits bei Erwerb bekannt gewesen sei, sei das Feststellungsbegehren abzuweisen.

[13] Das Berufungsgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend. Die Revision ließ es hinsichtlich des Teilurteils mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu. Das Teilurteil ist mittlerweile in Rechtskraft erwachsen. In Ansehung des Aufhebungsbeschlusses ließ es den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu. Zur Frage, ob es sich bei der Bandbreite der Ersatzleistung von 5 % bis 15 % des Kaufpreises aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben um starre Grenzen handle oder bei einer exakt festgestellten Wertminderung von dieser auszugehen sei, fehle ebenso höchstgerichtliche Rechtsprechung wie zur Frage der Vorteilsanrechnung, wenn der Kläger das Fahrzeug behalte und den Ersatz des Minderwerts begehre. Auch ob bei Ermittlung der Schadenshöhe bei Haftung wegen arglistiger Täuschung nach § 874 ABGB und vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 1295 Abs 2 ABGB die unionsrechtlichen Vorgaben zu beachten seien, sei noch nicht in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung beantwortet worden.

[14] Diesen Aufhebungsbeschluss bekämpft der Kläger in seinem Rekurs mit dem Antrag, die Zurückverweisung zu beheben und „in der Sache selbst“ zu entscheiden (erkennbar: insoweit das Ersturteil wiederherzustellen). Hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

[15] Die Beklagte beantragte mit ihrer Rekursbeantwortung, den Rekurs als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[16] Der Rekurs ist zulässig, weil die vom Berufungsgericht dem Erstgericht überbundene Rechtsauffassung teilweise nicht der – mittlerweile vorliegenden – höchstgerichtlichen Rechtsprechung entspricht. Er ist im Ergebnis aber nicht berechtigt.

[17] 1. Dass die „Umschaltlogik“ eine unzulässige Abschalteinrichtung war, die durch das im Weg des „Software‑Updates“ implementierte „Thermofenster“ nicht beseitigt wurde, weil auch dieses „Thermofenster“ als Abschalteinrichtung zu qualifizieren ist, ist im Rekursverfahren ebenso wenig strittig wie dass die Beklagte als Herstellerin des konkreten Fahrzeugs schadenersatzrechtlich für die Verletzung von emissionsrechtlichen Bestimmungen des Unionsrechts, die Schutzgesetze sind, einzustehen hat. Der Kläger bekämpft die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts nur in Bezug auf die Schadenshöhe unter Hinweis darauf, dass der Oberste Gerichtshof bereits klargestellt habe, dass die Obergrenze bei einem eingeholten Sachverständigengutachten und entsprechender Feststellung sehr wohl überschritten werden könne und auch hinsichtlich des Vorteilsausgleichs, der bei objektiv-abstrakter Schadensberechnung nicht in Betracht komme. Letztlich hält er die Zurückverweisung „wegen hypothetischem Verhalten des Klägers bei voller Kenntnis“ für nicht erforderlich. Dem ist teilweise zu folgen.

[18] 2.1 Bereits zu 10 Ob 16/23k (Rz 39 ff) konkretisierte der 10. Senat die Erfordernisse auf Tatsachenebene, um beurteilen zu können, ob das objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch dem Willen des Käufers entsprach. Demnach bedarf es Feststellungen, aus denen sich ergibt, ob der Kläger das Fahrzeug gekauft hätte, hätte er gewusst, dass es sich bei der vorhandenen Software (Umschaltlogik) um ein verbotenes Konstruktionselement handelt, das der Typengenehmigungsbehörde verschwiegen wurde, sodass nur deshalb die EG‑Typengenehmigung erteilt wurde, und ob der Kläger die Notwendigkeit des Software‑Updates und die vom EuGH angesprochene Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs in Kauf genommen und den gegenständlichen Neuwagen dennoch erworben hätte. Dieser Auffassung hat sich auch der erkennende Senat jüngst (5 Ob 159/23b) ausdrücklich angeschlossen.

[19] 2.2 Die Auffassung des Berufungsgerichts, aus den Feststellungen lasse sich nicht ableiten, ob der Kläger von objektiven Verkehrserwartungen abweichende Umstände konkret in Kauf genommen und sein Fahrzeug dennoch erworben hätte, entspricht dieser Rechtsprechung. Die Frage, ob die vom Berufungsgericht als notwendig erachtete Ergänzung des Verfahrens und der Feststellungen auf der Grundlage seiner zutreffenden oder gar nicht bekämpften Rechtsauffassung tatsächlich notwendig ist, ist der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof entzogen (RS0042179).

[20] 2.3 Damit ist schon die Frage des Vorliegens eines Schadens des Klägers noch nicht abschließend beantwortbar. Aus prozessökonomischen Gründen ist aber auf die weiteren in der Zulassungsbegründung und im Rechtsmittel aufgeworfenen Rechtsfragen einzugehen.

[21] 3.1 Das Berufungsgericht ließ den Rekurs zur Frage zu, inwieweit die vom Obersten Gerichtshof auf Basis des Unionsrechts postulierte Spanne des Schadenersatzbetrags von 5 % bis 15 % bei einer festgestellten Wertminderung von über 15 % überschritten werden könne. Dies ist mittlerweile durch höchstgerichtliche Rechtsprechung mehrerer Senate geklärt; die vom Berufungsgericht dem Erstgericht vorgegebene Rechtsansicht daher zu korrigieren.

[22] 3.2 Die zu 10 Ob 27/23b grundsätzlich postulierte Ermittlung des Ersatzanspruchs nach den primär heranzuziehenden unionsrechtlichen Anforderungen der Ersatzleistung in der Höhe von 5 % bis 15 % wurde mehrfach und von verschiedenen Senaten bestätigt (10 Ob 46/23x; 9 Ob 2/23v; 8 Ob 88/22g; 3 Ob 203/23h; 5 Ob 33/24z). Bereits zu 10 Ob 27/23b wies der 10. Senat aber darauf hin, dass bei Feststellbarkeit des Minderwerts des angekauften Fahrzeugs im Ankaufszeitpunkt jener zu ersetzen ist. Nur wenn dies nicht der Fall ist, ist auf die Ausmittlung nach § 273 Abs 1 ZPO in der genannten Bandbreite von 5 % bis 15 % zurückzugreifen. Zu 8 Ob 109/23x hielt der 8. Senat fest, dass der festgestellte Minderwert im Zeitpunkt des Ankaufs des Fahrzeugs (dort 20 %) zu ersetzen ist. Auch der erkennende Senat folgte jüngst (5 Ob 33/24z) dieser Auffassung (selbst wenn die dort getroffene Feststellung nicht als Feststellung eines Minderwerts des konkreten Fahrzeugs zu werten war). Zu 10 Ob 46/23x führte der 10. Senat aus, es bedürfe konkreter Feststellungen zu einer allfälligen Wertdifferenz im Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses und ließ Feststellungen, wie sich „durchschnittliche“ oder „nicht durchschnittliche“ Käufer bei Kenntnis vom Vorliegen einer Abschalteinrichtung verhalten würden, nicht genügen.

[23] 3.3 Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht daher nicht – wie das Berufungsgericht meint – den Schadenersatzanspruch wegen Schutzgesetzverletzung jedenfalls nur im Bereich von 5 % bis 15 % des gezahlten Kaufpreises festzusetzen haben. Allerdings wird zu berücksichtigen sein, dass die Feststellung des Erstgerichts, dass sich der Verkehrswert des konkreten Fahrzeugs weder durch die ursprüngliche Schummelsoftware, noch das Thermofenster reduziert hätten, in gewissem Widerspruch zu den im Anschluss daran getroffenen Feststellungen über rein fiktive Verkehrswerte von absolut gleichen Fahrzeugen mit und ohne Abschaltlogik/Thermofenster/Software‑Update zu stehen scheint, die die Vorinstanzen – offenbar – als Feststellung eines konkreten Minderwerts werteten. Dies wird im fortgesetzten Verfahren – sollte sich herausstellen, dass der Kläger die Notwendigkeit des Software‑Updates und die Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs nicht in Kauf genommen hätte – zu präzisieren sein.

[24] 4.1 Die in der Zulassungsbegründung angesprochene Vorteilsanrechnung wegen der Nutzung des Fahrzeugs durch den Kläger ist mittlerweile ebenfalls durch höchstgerichtliche Rechtsprechung – allerdings nicht im Sinn der Vorgaben des Berufungsgerichts – geklärt. Auch darauf ist bereits jetzt einzugehen.

[25] 4.2 Zu 3 Ob 203/23h hielt der Oberste Gerichtshof in einem vergleichbaren Fall, indem der Fahrzeughalter ebenfalls „kleinen Schadenersatz“ in Höhe von 30 % des Kaufpreises als Minderwert begehrt hatte, dem Einwand der Vorteilsanrechnung die ständige Rechtsprechung entgegen, dass dies voraussetzen würde, dass das schädigende Ereignis nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge auch einen Vorteil im Vermögen des Geschädigten verursacht hat. Es muss sich um einen zeitlich und sachlich kongruenten Vorteil handeln, der durch das pflichtwidrige Handeln entsteht oder wenigstens im selben Tatsachenkomplex wurzelt (so bereits 5 Ob 100/22z). Die Vorteilsanrechnung setzt daher im Regelfall eine subjektiv‑konkrete Schadensberechnung voraus, weil es bei objektiv‑abstrakter Berechnung unerheblich ist, ob der Geschädigte die Sache nach Eintritt des Schadens veräußert und welchen Erlös er dadurch erzielt hat (4 Ob 3/19y mwN). Bei objektiv‑abstrakter Schadensberechnung ist ein Vorteil nur dann anrechenbar, wenn er am beschädigten Gut selbst entstanden ist (5 Ob 100/22z). Dies war in dem zu 3 Ob 203/23h zu beurteilenden gleichgelagerten Fall nicht erfüllt.

[26] 4.3 Daran hielt der 3. Senat zu 3 Ob 219/23m (ebenso betreffend Dieselmotor EA189) mit ausführlicher Begründung fest. Dort wurde der dem Kläger zuzusprechende Schadenersatz im unteren Bereich der „Bandbreite“ ermittelt und dabei auch die in rund elfeinhalb Jahren seit dem Ankauf zurückgelegte Laufleistung berücksichtigt. Zum Vorteilsausgleich verwies der 3. Senat darauf, dass keine subjektiv‑konkrete Schadensberechnung erfolgt sei, weshalb die Voraussetzungen für eine Vorteilsanrechung fehlten.

[27] 4.4 Daran orientierte sich auch der erkennende Senat zu 5 Ob 33/24z und verwies darauf, dass die – vom Berufungsgericht als Grundlage seiner Entscheidung herangezogene – Judikatur des Bundesgerichtshofs (VI ZR 75/20 vom 20. 7. 2021) „großen Schadenersatz“ in Form der Rückabwicklung des Kaufvertrags Zug um Zug betraf und dass sich der Umstand, dass sich in einem solchen Fall die Käuferin den Verkaufserlös als Vorteil anrechnen lassen müsste, mit der Frage nach dem Vorteilsausgleich bei „kleinem Schadenersatz“ nichts zu tun hat. Die dort zitierten Entscheidungen deutscher Gerichte zum Vorteilsausgleich durch ein Software‑Update hielt der Senat für nicht einschlägig, zumal mit dem Update ein etwaiger Schaden nach den Feststellungen nicht vollständig beseitigt wurde.

[28] 4.5.An diesen Rechtsprechungsgrundsätzen ist auch für den hier zu beurteilenden Fall festzuhalten, in dem – nach den bisherigen Verfahrensergebnissen – ebenso eine objektiv-abstrakte Schadensberechnung im Raum steht, sollte es sich im fortgesetzten Verfahren herausstellen, dass der Kläger das Fahrzeug bei Kenntnis der Funktionsweise der Software nicht erworben hätte. Einer Vorteilsanrechnung im Sinn der vom Berufungsgericht hier vorgegebenen „Formel“ wird es daher nicht bedürfen.

[29] 5. Auf die vom Berufungsgericht als erheblich genannte Rechtsfrage der Ermittlung der Schadenshöhe bei Haftung wegen arglistiger Täuschung nach § 874 ABGB und vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 1295 Abs 2 ABGB, die es ohnedies im Sinn des Rekurswerbers gelöst hat, geht der Rekurs nicht ein. Dass die von der Rechtsprechung für Haftung bei Schutzgesetzverletzungen entwickelte und aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben von der innerstaatlichen Systematik abweichende Methodik der Schadensberechnung im Sinn des § 273 Abs 1 ZPO nach freier Überzeugung – selbst mit Übergehung eines von der Partei angebotenen Beweises – innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % des gezahlten und dem Wert des Fahrzeugs angemessenen Kaufpreises dann nicht anzuwenden ist, wenn nicht der Fahrzeughersteller aufgrund von Schutzgesetzverletzung, sondern der Motorenhersteller nach § 874 und § 1295 Abs 2 ABGB in Anspruch genommen wird, entspricht im Übrigen bereits vorliegender Rechtsprechung (vgl 4 Ob 204/23p). Warum dies im hier zu beurteilenden Fall allerdings noch von Relevanz sein sollte (zumal auch die Herstellereigenschaft der Beklagten unstrittig ist), erschließt sich nicht.

[30] 6. Damit konnte dem Rekurs im Ergebnis kein Erfolg beschieden sein.

[31] 7. Gemäß §§ 40, 50 ZPO war die Kostenentscheidung der Endentscheidung vorzubehalten.

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