OGH 5Ob61/24t

OGH5Ob61/24t6.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch Poduschka Partner AnwaltsGmbH in Linz, gegen die beklagte Partei V* AG, *, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 4.770 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 17. Jänner 2024, GZ 22 R 209/23a‑30, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Vöcklabruck vom 31. Mai 2023, GZ 35 C 866/20w‑25, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0050OB00061.24T.0606.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig der klagenden Partei die mit 602,54 EUR (darin 100,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger erwarb am 13. März 2015 einen mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestatteten VW Touran um 15.900 EUR. Der Kläger hätte das Fahrzeug nicht gekauft, wenn er von einer darin vorhandenen unzulässigen Abschalteinrichtung Kenntnis gehabt hätte. Im Jahr 2016/2017 ließ der Kläger ein Software-Update durchführen und seither ist das sogenannte Thermofenster so programmiert, dass zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius Umgebungs- oder Ansauglufttemperatur „eine volle Abgasrückführung gefahren wird“. Im Jahr 2020 erfuhr der Kläger, dass mit dem Motor „noch immer nicht alles in Ordnung“ war. Der Kaufpreis von 15.900 EUR war im März 2015 angemessen und branchenüblich. Das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung hätte sich „fiktiv in Form einer höheren fiktiven merkantilen Wertminderung bezogen auf den Ankaufszeitpunkt ausgewirkt“, und zwar in einem Bereich von „mindestens 20 %“ und höchstens 30 %.

[2] Der Kläger begehrte von der Beklagten Zahlung von 4.770 EUR sA, berechnet als Minderwert in Höhe von 30 % des Kaufpreises, sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden.

[3] Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, der Kläger habe bereits seit Oktober 2015 Kenntnis von Schaden und Schädiger gehabt, weshalb seine Ansprüche verjährt seien. Außerdem sei das Fahrzeug für den Kläger nach wie vor uneingeschränkt nutzbar und die Beklagte habe keine bewusst unrichtigen Angaben zu wesentlichen Eigenschaften des Fahrzeugs gemacht. Das Thermofenster habe dem Stand der Technik entsprochen; ein Entzug der Typengenehmigung drohe nicht.

[4] Das Erstgericht gab dem Leistungsbegehren mit 3.975 EUR sA sowie dem Feststellungsbegehren statt und wies das Mehrbegehren ab.

[5] Der Kläger habe erst 2020 davon erfahren, dass auch nach dem Software-Update noch Mängel vorhanden gewesen seien, weshalb der Verjährungseinwand nicht berechtigt sei. Der Kläger habe nach der Rechtsprechung Anspruch auf die wegen der unzulässigen Abschalteinrichtung des Fahrzeugs gegebene Wertminderung nach einer objektiv-abstrakten Berechnung. Bezogen auf den Ankaufszeitpunkt stünden dem Kläger daher 25 % des Kaufpreises zu. Da ein Entzug der Typengenehmigung nicht ausgeschlossen werden könne, bestehe auch das Feststellungsbegehren zu Recht.

[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge, wies das Feststellungsbegehren ab und bestätigte die Entscheidung zum Zahlungsbegehren.

[7] Nach dem Sachverhalt bestehe der Minderwert des vom Kläger erworbenen Fahrzeugs bei Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung hier zwischen 20 % und 30 %. Daher sei der Zuspruch in Höhe von 25 % des Kaufpreises richtig. Der allenfalls drohende Zulassungsentzug sei aber nach der Rechtsprechung bereits durch den Ersatz des Minderwerts abgegolten, weshalb das Feststellungsbegehren abzuweisen sei.

[8] Die Revision sei zuzulassen, weil in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung noch nicht geklärt sei, ob eine Abschalteinrichtung bereits dann unzulässig sei, wenn sie in zumindest einem Mitgliedstaat der Europäischen Union die überwiegende Zeit funktioniere, und weil noch nicht beurteilt werden könne, ob bei der Prüfung einer allfälligen Notwendigkeit einer Abschalteinrichtung auf das Thermofenster an sich oder auf den konkreten Temperaturbereich abzustellen sei.

[9] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts wendet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidung dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die Zurückweisung einer unzulässigen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

[12] 1.1 Seit der Entscheidung zu 10 Ob 2/23a vom 21. Februar 2023 entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass ein sogenanntes Thermofenster, das eine volle Abgasrückführung nur bei Außentemperaturen zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius gewährleistet, jedenfalls eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG ist, weil die Abgasrückführung aufgrund der in Österreich herrschenden klimatischen Verhältnisse nur in vier oder fünf Monaten im Jahr voll aktiv ist (10 Ob 36/23 mwN). Eine solche Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, fällt nach dieser Rechtsprechung nicht unter die von der Beklagten in Anspruch genommene Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG (10 Ob 36/23a mwN; 5 Ob 151/23a; 3 Ob 121/23z; 9 Ob 42/23a).

[13] 1.2 Auch zur Frage der Relevanz der Temperaturverhältnisse in diesem Zusammenhang hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrmals Stellung genommen und entschieden, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung bereits dann vorliegt, wenn sie infolge der in Österreich vorherrschenden Temperaturen im überwiegenden Teil des Jahres die Abgasrückführung reduziert (3 Ob 201/23i mwN).

[14] 1.3 Die Beklagte befasst sich im Übrigen mit den vom Berufungsgericht in seiner Zulassungsbegründung genannten Fragen nicht, sondern meint lediglich, es sei mit dem Ziel einer einheitlichen Interpretation der Unionsrechtsnormen nicht vereinbar, dass das Fahrzeug in ganz Europa über eine legale Emissionsstrategie verfüge, nur nicht in Österreich. Damit wird in diesem Zusammenhang keine erhebliche Rechtsfrage aufgeworfen.

[15] 2.1 Zur Höhe des Schadenersatzanspruchs betreffend den Minderwert des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs judiziert der Oberste Gerichtshof seit der Entscheidung 10 Ob 27/23b, dass der zu ersetzende Betrag grundsätzlich iSd § 273 Abs 1 ZPO nach freier Überzeugung – selbst mit Übergehung eines von der Partei angebotenen (etwa: Sachverständigen-)Beweises – innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % des Kaufpreises festzusetzen ist (RS0134498). Ebenso wurde aber auch bereits mehrmals entschieden, dass dies nicht ausschließt, dass die Wertminderung exakt festgestellt werden und der Käufer den Ersatz derselben verlangen kann (8 Ob 109/23x = RS0134498 [T6]; 8 Ob 70/23m; 5 Ob 33/24z).

[16] 2.2 Im vorliegenden Fall steht fest, dass sich die im Fahrzeug verbaute unzulässige Abschalteinrichtung im Ankaufszeitpunkt mit einer Wertminderung zwischen 20 % und 30 % ausgewirkt hätte. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, das den Zuspruch des Erstgerichts in dieser Höhe auf der Grundlage der konkreten Feststellung bestätigte, ist daher – entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten – nicht korrekturbedürftig.

[17] 2.3 Soweit die Beklagte auf einzelne Entscheidungen hinweist, in denen ausgesprochen worden sei, dass in Fällen, in denen kein merkantiler Minderwert des Fahrzeugs feststehe, der von der Herstellerin zu leistende Betrag „im unteren Bereich der Bandbreite“ festzusetzen sei, sind diese für den hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht einschlägig, denn dort war jeweils der Minderwert des Fahrzeugs gerade nicht konkret festgestellt. Mit dem Argument, ein Zuspruch von 25 % liege „keinesfalls im unteren Bereich der Bandbreite, sondern deutlich außerhalb derselben“, vermag die Beklagte daher ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen.

[18] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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