OGH 3Ob201/23i

OGH3Ob201/23i31.1.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V* AG, *, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 35.250 EUR sA, über die Rekurse beider Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 14. August 2023, GZ 4 R 87/23a‑48, womit das Urteil des Landesgerichts Steyr vom 23. Mai 2023, GZ 2 Cg 24/20b‑43, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0030OB00201.23I.0131.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Den Rekursen wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der Kläger erwarb am 7. Juli 2014 von einem Autohändler einen von der Beklagten hergestellten Neuwagen der Marke VW Tiguan mit einem Dieselmotor des Typs EA 189.

[2] Das Erstgericht gab dem auf Ersatz des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs gerichteten Klagebegehren unter Berücksichtigung der von der Beklagten aus dem Titel des Benützungsentgelts erhobenen Gegenforderung statt.

[3] Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Das Erstgericht habe seine Feststellung, dass der Kläger (erst) im Dezember 2018 von der Abgasproblematik bei Dieselfahrzeugen der Beklagten Kenntnis erlangt habe, mangelhaft begründet, weil es sich insbesondere nicht mit den im Widerspruch zur entsprechenden Aussage des Klägers stehenden Beweisergebnissen auseinandergesetzt habe. Soweit das Erstgericht davon ausgegangen sei, dass ohnehin die 30‑jährige Verjährungsfrist gemäß § 1489 Satz 2 Fall 2 ABGB zur Anwendung komme, reiche der festgestellte Sachverhalt nicht aus, weshalb ein rechtlicher Feststellungsmangel vorliege. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts sei bezüglich der Unzulässigkeit des „Thermofensters“ auch nicht auf die in Österreich bestehende Durchschnittstemperatur von 8 Grad Celsius abzustellen; wenngleich eine grob schematische Durchschnittsbetrachtung durchaus angezeigt erscheine, sei nämlich die Jahresdurchschnittstemperatur in Österreich nicht hinreichend aussagekräftig.

[4] Das Berufungsgericht ließ den Rekurs zur Klarstellung zu, ob es statt auf die im deutschsprachigen Raum vorherrschenden Verhältnisse (so 10 Ob 2/23a) auf jene im gesamten Unionsgebiet ankomme, um beurteilen zu können, ob das „Thermofenster“ unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet sei.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die Rekurse sind zulässig, aber nicht berechtigt.

[6] Aus systematischen Gründen werden die Rekurse im Folgenden gemeinsam behandelt.

1. Zur Verjährung:

[7] 1.1. Dem Kläger ist grundsätzlich dahin zuzustimmen dass es auf die vom Berufungsgericht als mangelhaft begründet angesehene Feststellung des Erstgerichts nicht ankäme, wenn ohnehin die 30‑jährige Verjährungsfrist anzuwenden wäre, und dass umgekehrt das Fehlen von Feststellungen zur langen Verjährungsfrist irrelevant wäre, wenn auch die dreijährige Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen wäre. Soweit der Kläger daraus ableiten will, dass die Aufhebung des Ersturteils deswegen verfehlt sei, übersieht erjedoch, dass das Berufungsgericht auf Basis der getroffenen Feststellungen weder die Einhaltung der kurzen noch das Vorliegen der Voraussetzungen für die lange Verjährungsfrist abschließend beurteilen konnte.

[8] 1.2. Wenn das Berufungsgericht der Ansicht ist, dass der Sachverhalt in der von ihm dargestellten Richtung noch nicht genügend geklärt ist, dann kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, dem nicht entgegentreten (RS0042179). Ebenso wenig hat der Oberste Gerichtshof auf das Vorbringen der Beklagten inhaltlich einzugehen, wonach der Kläger – entgegen der vom Erstgericht getroffenen Feststellung – allerspätestens im August 2016 Kenntnis davon erlangt habe, dass der in seinem Fahrzeug verbaute Motor vom Abgasskandal betroffen sei.

[9] 1.3. Die Beklagte gesteht zu, dass die lange Verjährungsfrist des § 1489 Satz 2 Fall 2 ABGB gegenüber einer juristischen Person zur Anwendung kommt, deren Organ einen Dritten durch eine qualifiziert strafbare Handlung iSd § 1489 ABGB geschädigt hat (6 Ob 160/21d mwN; RS0133754); sie wendet sich jedoch gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die lange Verjährungsfrist auch anzuwenden sei, wenn ein solcher Schaden nicht durch ein Organ, sondern einen Repräsentanten der juristischen Person herbeigeführt wurde. Dem ist zu erwidern, dass die lange Verjährungsfrist auf eine juristische Person anwendbar ist, die als Verband iSd § 1 Abs 2 VbVG für eine qualifizierte Straftat gemäß § 3 VbVG strafrechtlich verantwortlich ist (6 Ob 207/22t = RS0133583 [T1]). Ein Verband iSd VbVG ist allerdings seit Inkrafttreten des genannten Gesetzes nicht nur für Straftaten seiner Organe, sondern nach § 3 Abs 2 und 3 VbVG auch seiner Entscheidungsträger (iSd § 2 Abs 1 VbVG) und Mitarbeiter (iSd § 2 Abs 2 VbVG), also eines weiter gefassten Personenkreises verantwortlich, während sich die (nur) auf Organhandeln abstellende frühere Rechtsprechung auf die Anwendung der langen Verjährungsfrist zu Lasten von juristischen Personen auf vor der Anwendbarkeit des VbVG begangene Straftaten bezog (6 Ob 207/22t mwN). Es ist daher nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht in seinem Aufhebungsbeschluss davon ausging, dass es für die Anwendbarkeit der langen Verjährungsfrist auf das Vorliegen einer qualifiziert strafbaren Handlung eines Organs oder Repräsentanten der Beklagten ankomme.

[10] 2. Zu den für die Beurteilung der (Un‑)Zulässigkeit des „Thermofensters“ maßgeblichen Temperaturverhältnissen:

[11] 2.1. Es entspricht mittlerweile ständiger Rechtsprechung, dass ein „Thermofenster“, das eine Abgasrückführung nur bei Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius uneingeschränkt zulässt, wie es auch im Fahrzeug des Klägers installiert ist, eine unzulässige Abschalteinrichtung gemäß Art 5 Abs 2 Satz 2 VO 715/2007/EG darstellt, weil es zur Folge hat, dass die Abgasrückführung jedenfalls (auch) aufgrund der in Österreich vorherrschenden Temperaturen nur in vier oder fünf Monaten des Jahres voll aktiv ist (vgl 10 Ob 2/23x vom 21. Feburar 2023; 3 Ob 140/22t; 6 Ob 150/22k zum Unionsgebiet vgl jüngst 9 Ob 42/23a [Rn 14] und Pkt 2.3.).

[12] 2.2. In diesem Zusammenhang ist dem Berufungsgericht grundsätzlich dahin zuzustimmen, dass es nicht auf die vom Erstgericht allein festgestellte Jahresdurchschnittstemperatur (in Österreich) ankommen kann, weil aus einem solchen Durchschnittswert noch nicht zwingend abgeleitet werden kann, ob die Abgasrückführung im Fahrzeug des Klägers tatsächlich nur in vier oder fünf Monaten des Jahres voll wirksam werden kann. Allerdings hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen, dass die in Österreich vorherrschenden Temperaturen offenkundig sind und diese zur Folge haben, dass die Abgasrückführung bei einem „Thermofenster“ von 15 bis 33 Grad Celsius nur in vier oder fünf Monaten im Jahr voll aktiv ist, weshalb es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt (vgl nur 10 Ob 2/23a; 3 Ob 140/22t). Einer Verbreiterung der Tatsachengrundlage durch das Erstgericht bedarf es in diesem Punkt daher, wie der Kläger zutreffend aufzeigt, nicht.

[13] 2.3. Dem Einwand der Beklagten, wonach es nicht auf die Temperaturverhältnisse in Österreich oder im deutschsprachigen Raum, sondern im gesamten Unionsgebiet ankomme, ist nur insofern zuzustimmen, dass es auf die Bedingungen im Unionsgebiet, also überall innerhalb der Grenzen der EU, ankommt; entgegen der Ansicht der Beklagten macht dieser Umstand allerdings das „Thermofenster“ schon deshalb zu einer unzulässigen Abschalteinrichtung iSd Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG , weil sie, wie bereits dargelegt, aufgrund der vorherrschenden Außentemperaturen jedenfalls in Österreich im überwiegenden Teil des Jahres aktiv ist und die Abgasrückführung reduziert (3 Ob 121/23z; 9 Ob 42/23a; 9 Ob 10/23w).

[14] 3. Auf das weitere Rekursvorbringen der Beklagten, wonach sie an der Implementierung des „Thermofensters“ aufgrund eines durch das deutsche Kraftfahrbundesamt veranlassten Rechtsirrtums kein Verschulden treffe, ist derzeit nicht einzugehen, weil sich das Berufungsgericht aufgrund der von ihm als notwendig erkannten Aufhebung des Ersturteils explizit noch nicht mit den übrigen Argumenten der Beklagten befasst hat. Zu dieser – derzeit mangels abschließender Klärung des Verjährungseinwands rein abstrakten – Rechtsfrage hat daher auch der Oberste Gerichtshof noch nicht Stellung zu nehmen.

[15] 4. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO. Die Rechtsmittel haben zur Klarstellung der Rechtslage beigetragen (vgl RS0036035).

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