European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0090OB00042.23A.1123.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Rekurs der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 834,86 EUR (darin 139,14 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Kläger erwarb im August 2016 von einem österreichischen Autohändler einen von der Beklagten produzierten Pkw Audi A6 3.0 TDI Avant, Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) *, als Gebrauchtwagen (Kilometerstand ca 170.000) um 19.600 EUR. In diesem Fahrzeug ist ein 3.0 l‑TDI‑Dieselmotor (Euro 5) mit 150 kW/204 PS verbaut. Das– unstrittig im November 2012 erstmals zugelassene – Fahrzeug ist mit einem Motor ausgestattet, bei dem nur im Temperaturbereich zwischen 17 Grad und 33 Grad Celsius eine volle Abgasrückführung erfolgt (sog „Thermofenster“).
[2] Das Fahrzeug mit aufrechter Typengenehmigung befindet sich nach wie vor im Besitz des Klägers. Er beabsichtigt auch nicht, es zu veräußern. Motorbezogene Probleme traten bislang nicht auf. Der vom Kläger bezahlte Kaufpreis entsprach den Marktgegebenheiten. Aufgrund der momentanen Lieferschwierigkeiten in der Automobilindustrie werden gebrauchte Fahrzeuge heute bereits um einen höheren Betrag verkauft, als Neufahrzeuge vor zwei Jahren.
[3] Der Kläger begehrt die Zahlung von 5.880 EUR und die Feststellung der Haftung der Beklagten für jeden Schaden, der ihm aus dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung im verbauten Motor des Typs EA897 entsteht. Im erworbenen Fahrzeug sei eine unzulässige temperaturabhängige Abschalteinrichtung („Thermofenster“) verbaut. Die Beklagte und sämtliche an dieser Vorgehensweise beteiligten Repräsentanten und Organe hätten rechtswidrig und schuldhaft und darüber hinaus absichtlich, arglistig, sittenwidrig und im Wissen um die Schädigung der zukünftigen Fahrzeugkäufer gehandelt. Die Beklagte hafte für den überteuerten Kaufpreis (den zu viel bezahlten Minderwert). Hätte der Kläger bereits zum Zeitpunkt des Ankaufs gewusst, dass das Fahrzeug von der Beklagten manipuliert worden und dem Zustand nach nicht typengenehmigungsfähig sei, hätte er das Fahrzeug nicht um den oben angeführten Kaufpreis, sondern nur um einen 30 % geringeren Kaufpreis erworben. Dies entspreche auch dem Verkehrswert bei Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtung und dem damit verbundenen Risiko eines möglichen Verlusts der Typengenehmigung. Die Beklagte hafte auch für Spät‑ und Dauerfolgen, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass ohne Verbesserung des Mangels aufgrund des nicht typengenehmigungsfähigen Zustands die Zulassung entzogen werde. Nach einer allfälligen Verbesserung habe der Kläger zumindest mit einer Mehrbelastung des gesamten Abgasstrangs (Abgasrückführung, Dieselpartikelfilter) zu rechnen. Jedenfalls hafte die Beklagte auch für sämtliche aus Verbesserungsversuchen resultierende Schäden.
[4] Der Kläger stütze seine Ansprüche primär auf listige Irreführung und absichtliche vorsätzliche Schädigung gemäß § 874 und § 1295 Abs 2 iVm § 1323 ABGB, weiters auf das UWG, § 37c KartG und die von der Beklagten abgegebene Garantieerklärung sowie Bereicherung.
[5] Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klagebegehren. Sie sei am Kaufvertragsabschluss nicht beteiligt gewesen noch habe sie Kenntnis davon gehabt. Dem Kläger sei kein Schaden entstanden. Die EG‑Typengenehmigung sei nach wie vor wirksam und auch ein Entzug der Zulassung sei nicht zu befürchten. Der Kläger habe das Fahrzeug seit dem Erwerb ohne Einschränkungen nutzen können. Auch deute die vom Kläger getroffene Fahrzeugtypwahl (ein Fahrzeug mit 204 PS und einem Hubraum von 2.967 cm³) darauf hin, dass das überdurchschnittliche Leistungsprofil des Fahrzeugs und nicht etwa dessen vermeintliche Umweltfreundlichkeit (Emissionsverhalten) für den Abschluss des Kaufvertrags ausschlaggebend gewesen sei. Im Fahrzeug sei ein Motor des Typs EA896Gen2 verbaut. Darin kämen keine unzulässigen Abschalteinrichtungen zum Einsatz. Beim Thermofenster, also der temperaturabhängigen Regulierung der Abgasrückführung, handle es sich nicht um eine iSd Art 5 VO (EG) 715/2007 unzulässige Einrichtung. Dabei werde außerhalb bestimmter Temperaturbedingungen eine Korrektur der Abgasrückführungsrate vorgenommen. Diese Korrektur diene dem Schutz bestimmter Bauteile von Motor und Abgasanlage unter- und oberhalb festgelegter Temperaturen. Thermofenster dienten dazu, plötzliche und unvorhersehbare Motorschäden zu vermeiden, die sich durch regelmäßige Wartungsmaßnahmen gerade nicht verhindern ließen. Die genaue Bedeutung des Thermofensters sei dem deutschen Kraftfahrt‑Bundesamt (KBA) offengelegt und von diesem als zulässig erachtet worden, sodass der Beklagten kein Verschulden an einem allfälligen Verstoß gegen unionsrechtliche Bestimmungen zum Vorwurf gemacht werden könne.
[6] Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Da das Fahrzeug nicht vom Abgasskandal bzw einer damit in Verbindung stehenden Rückrufaktion betroffen sei, könne nicht von einer vorsätzlichen oder sittenwidrigen Manipulation durch die Beklagte ausgegangen werden. Es sei auch keine Programmierung vorhanden, mit welcher die Abgasrückführungsrate angepasst werde bzw Betriebszustände verändert würden. Dem Kläger sei durch den Kauf des Fahrzeugs auch kein – wie auch immer gearteter – Schaden entstanden. Der für das gebrauchte Fahrzeug bezahlte Preis habe den damaligen Marktgegebenheiten entsprochen. Mangels Vorliegens eines Schadens und im Hinblick auf den Ausschluss kausaler zukünftiger Schäden fehle es auch am erforderlichen Feststellungsinteresse. Es bestehe keine Gefahr, dass die Typengenehmigung entzogen werden könne bzw andere Maßnahmen erforderlich seien.
[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Im Fahrzeug des Klägers sei ein Motor mit einem „Thermofenster“ verbaut, welches die Abgasrückführung so steuere, dass außerhalb eines Temperaturbereichs zwischen 17 Grad und 33 Grad Celsius die Abgasrückführungsrate zurückgenommen werde. Da in Österreich klimatische Bedingungen herrschten, die in einem Großteil des Jahres zu außerhalb des Bereichs zwischen 17 Grad und 33 Grad Celsius liegenden Temperaturen führten (Erfahrungstatsache), sei die Abgasrückführung beim Auto des Klägers großteils nicht voll aktiv. Das im Fahrzeug des Klägers vorhandene „Thermofenster“ sei nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs und des Obersten Gerichtshofs als Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG zu qualifizieren, die nicht nach dem Ausnahmetatbestand des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG zulässig sei und zu einem Schadenersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte führen könne. Es könne aber noch nicht abschließend beurteilt werden, ob dem Kläger ein ersatzfähiger Schaden entstanden sei, weil Feststellungen dazu fehlten, ob das den objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Klägers entsprochen habe. Mit dem Vorbringen des Klägers, er hätte bei Kenntnis des wahren Sachverhalts für das Fahrzeug um 30 % weniger gezahlt, habe sich das Erstgericht nicht auseinandergesetzt. Gegebenenfalls werde auch auf die Frage möglicher zukünftiger Schäden näher einzugehen sein, zu welcher dann konkrete Feststellungen getroffen werden müssten.
[8] Das Berufungsgericht erklärte den Rekurs gegen seinen Aufhebungsbeschluss für zulässig, weil – soweit für das Berufungsgericht überblickbar – eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob (auch) das streitgegenständliche „Thermofenster“ als gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren sei, derzeit noch fehle.
[9] Dagegen richtet sich derRekursder Beklagten mit dem Antrag auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen klageabweisenden Urteils; hilfsweise wirdein Aufhebungsantrag gestellt.
[10] Der Kläger beantragt in seiner Rekursbeantwortung, den Rekurs der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[11] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 526 Abs 2 ZPO) – Zulassungsausspruch ist der Rekurs der Beklagten nicht zulässig. Die darin aufgeworfenen erheblichen Rechtsfragen wurden vom Obersten Gerichtshof in der Zwischenzeit in anderen Verfahren bereits beantwortet (vgl RS0112921 [T5]). Die Zurückweisung des Rekurses kann sich auf die Anführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 528a iVm § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO; RS0043691).
[12] 1.1. Vorauszuschicken ist, dass die Rekurswerberin die Beurteilung des Berufungsgerichts nicht in Zweifel zieht, dass auf den gegenständlichen Motor die Verordnung (EG) Nr 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur‑ und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (VO 715/2007/EG ) anwendbar ist. Sie bezweifelt auch nicht, dass das in dem vom Kläger gekauften Fahrzeug implementierte „Thermofenster“ eine volle Abgasrückführung nur bei Außentemperaturen zwischen 17 Grad und 33 Grad Celsius zulässt.
[13] 1.2. Nach der – nunmehr ständigen – Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (10 Ob 2/23x vom 21. 2. 2023; 3 Ob 140/22t; 6 Ob 150/22k) ist eine derartige Abschalteinrichtung (Thermofenster) als unzulässige Abschalteinrichtung gemäß Art 5 Abs 2 Satz 2 VO 715/2007/EG zu qualifizieren. Dieser Beurteilung wurden die Außentemperaturen in Österreich (10 Ob 2/23x vom 21. 2. 2023 ua) bzw im deutschsprachigen Raum (6 Ob 150/22k Rz 26 ua) zugrunde gelegt.
[14] 1.3. Dieser Rechtsauffassung hält die Rekurswerberin entgegen, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 76 ua) und des Bundesgerichtshofs (BGH vom 26. 6. 2023, VIA ZR 335/21 Rz 50) auf Fahrbedingungen abzustellen ist, wie sie im gesamten Unionsgebiet üblich sind. Abgesehen davon, dass die Rekurswerberin weder vorgebracht hat, welche Temperaturen im Unionsgebiet herrschen noch, dass die im Fahrzeug des Klägers installierte Abgasrückführung unter Zugrundelegung der im Unionsgebiet herrschenden klimatischen Verhältnisse nicht nur in vier bis fünf Monaten voll wirksam ist, gehören zu den Temperaturbedingungen, die bei normalem Betrieb eines Fahrzeugs mit einer EG‑Typengenehmigung vernünftigerweise zu erwarten sind, jedenfalls (auch) die in Österreich vorherrschenden Umgebungstemperaturen (vgl 3 Ob 121/23z Rz 14).
[15] 2. In der Entscheidung 10 Ob 27/23b vom 28. 9. 2023 (RS0134498), hat der Oberste Gerichtshof einen vergleichbaren Schadenersatzanspruch eines Gebrauchtwagenkäufers aufgrund des objektiven Minderwerts des Fahrzeugs wegen des Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung dem Grunde nach bejaht und dies wie folgt begründet:
„ 2.1. Dazu ist zunächst zu bemerken, dass der Oberste Gerichtshof im Endurteil vom 25. April 2023 zu 10 Ob 2/23a aussprach, dass der Geldersatz in Form der Zug‑um‑Zug‑Abwicklung gegenüber dem Hersteller eines mit unzulässiger Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs – jedenfalls in dem Fall, dass eine (geeignete) Beseitigung der unzulässigen Abschalteinrichtung durch Reparatur des Fahrzeugs nicht angeboten wird – verlangt werden kann (Rz 35; ebenso 6 Ob 150/22k Rz 45; 10 Ob 17/23g Rz 30). Ein solcher Anspruch folgt dem Zweck der übertretenen Normen, (auch) das Vertrauen eines Käufers auf die Richtigkeit der vom Hersteller ausgestellten Übereinstimmungsbescheinigung davor zu schützen, dass die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs eingeschränkt ist und sich das Vermögen des Erwerbers des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs infolge unrichtiger Übereinstimmungsbescheinigung nicht entsprechend den objektiv berechtigten Verkehrserwartungen oder einem von diesen Verkehrserwartungen abweichenden Willen des Erwerbers zusammensetzt (Endurteil vom 25. April 2023 zu 10 Ob 2/23a Rz 29; 10 Ob 17/23g Rz 25).
2.2. Dies schließt allerdings die Geltendmachung eines Minderwerts des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs nicht aus. Die Regelungen zur Übereinstimmungsbescheinigung stellen nach dem EuGH eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Hersteller und dem individuellen Erwerber des Fahrzeugs her, woraus sich nach dem EuGH der Schutzgesetzcharakter der übertretenen Normen ergibt (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, Rn 82). Daraus ist aber nicht abzuleiten, dass sich das rechtswidrige Handeln des Herstellers in einer Aufklärungspflichtverletzung erschöpft, weil eine gültige Übereinstimmungsbescheinigung den Inhalt haben muss, dass das Fahrzeug zum Zeitpunkt seiner Herstellung den einschlägigen unionsrechtlichen Normen entspricht (Art 3 Z 36 Rahmen‑RL RL 2007/46/EG ) und Zulassung, Verkauf und Inbetriebnahme von Fahrzeugen nur mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung (dieses Inhalts) zulässig wäre (Art 26 Rahmen‑RL RL 2007/46/EG ). Selbst eine wahrheitsgemäße Aufklärung durch den Hersteller könnte an der objektiven Rechtswidrigkeit des Inverkehrbringens des dem Art 5 VO 715/2007/EG widersprechenden Fahrzeug nichts ändern, weil der Erwerber gegen den Hersteller einen Anspruch darauf hat, dass dieses Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG ausgestattet ist (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, Rn 89).
2.3. Der Kläger brachte im vorliegenden Verfahren vor, dass er für das Fahrzeug 30 % weniger als den (tatsächlich gezahlten) Kaufpreis gezahlt hätte, um das 'manipulierte' Fahrzeug zu erwerben; dies entspreche auch dem objektiven Minderwert, der – bei Offenlegung der Manipulation – für das Fahrzeug zum Ankaufszeitpunkt gezahlt worden wäre.
2.4. Da es in diesem Fall nicht um eine Rückgängigmachung der Vermögensverfügung bloß aufgrund einer Aufklärungspflichtverletzung geht, sondern unionsrechtlich vorgegeben ist, dass der Schaden bereits in der Unsicherheit hinsichtlich der Möglichkeit liegen kann, das Fahrzeug anzumelden, zu verkaufen oder in Betrieb zu nehmen (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, Rn 84), steht die im vorliegenden Verfahren getroffene Feststellung, dass der Kläger das Fahrzeug bei entsprechender Aufklärung (nicht nur nicht um den gezahlten Preis, sondern gar) nicht erworben hätte, dem geltend gemachten Anspruch nicht entgegen.
…
4.2. Die Beklagte verneint überdies das Vorliegen eines Schadens, weil eine aufrechte Typengenehmigung vorliege, sodass sich ein Schaden noch nicht realisiert habe.
Als nachteilige Folge – vor der ein Fahrzeugkäufer durch das Unionsrecht geschützt werden soll – sieht der EuGH allerdings an, dass durch die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung die Gültigkeit der EG‑Typengenehmigung und daran anschließend die der Übereinstimmungsbescheinigung in Frage gestellt werden, was wiederum (unter anderem) zu einer Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit (Anmeldung, Verkauf oder Inbetriebnahme des Fahrzeugs) und 'letztlich' zu einem Schaden führen kann (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, Rn 84). Der EuGH bejaht damit abschließend den Eintritt eines objektiv-abstrakt zu ermittelnden Schadens allein aufgrund des Kaufvertrags (Maderbacher, Angemessener Schadenersatz in Abgasfällen, VbR 2023/63, 77). Im Fall des Erwerbs eines mit einer im Sinn des Art 5 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs liegt das – den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechend einen Schaden im Sinn des § 1293 ABGB bildende – geringere rechtliche Interesse in der (objektiv) eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit (Endurteil vom 25. April 2023 zu 10 Ob 2/23a Rz 22).
Dass ein Schadenseintritt im vorliegenden Fall zu verneinen wäre, weil das objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Klägers entsprochen hätte, behauptet die Beklagte – nach den getroffenen Feststellungen zutreffend – nicht.
4.3. Soweit die Beklagte auf dem Standpunkt steht, dass die übertretenen Normen des Unionsrechts keine Schutzgesetze darstellen würden, die den einzelnen Erwerber eines Fahrzeugs schützten, übergeht dies die gegenteilige Rechtsprechung des EuGH (C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG). Ihre – auf Kletečka (Abschalteinrichtungen in Dieselfahrzeugen vor und nach EuGH C‑100/21 , ÖJZ 2023/64, 388) zurückgehende – Argumentation, dass sich aus der zitierten Entscheidung des EuGH ergebe, dass dieser nur bestimmte, im vorliegenden Fall nicht geltend gemachte Schäden im Blick habe, ist nicht zutreffend, weil der EuGH für die 'Modalitäten' des Schadenersatzanspruchs auf das nationale Recht verweist (EuGH C 100/21, QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, Rn 92). Dementsprechend nimmt der Oberste Gerichtshof – wie auch der Bundesgerichtshof (BGH 26. Juni 2023, VIa ZR 335/21 Rn 28, 41) – an, dass dem Erwerber eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs bereits mit dem Erwerb ein ersatzfähiger Schaden entstanden sein kann (Endurteil vom 25. April 2023 zu 10 Ob 2/23a Rn 22 ff).
Die Unsicherheit hinsichtlich der Nutzbarkeit des Fahrzeugs liegt auch im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit den übertretenen Normen (Endurteil vom 25. April 2023 zu 10 Ob 2/23a Rz 28). Die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist überholt; auch der Bundesgerichtshof nimmt nun aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben an, dass dem Erwerber eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs bereits mit dem Erwerb ein ersatzfähiger Schaden entstanden sein kann (BGH 26. Juni 2023, VIa ZR 335/21 Rn 28 ff), der in dem Betrag liegt, um den der Käufer den Kaufgegenstand mit Rücksicht auf die mit der unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Risiken zu teuer erworben hat (BGH 26. Juni 2023, VIa ZR 335/21 Rn 40).
…
6.1.1. Eine Haftung wegen einer Schutzgesetzverletzung setzt ein 'Verschulden' im Sinn (zumindest) einer vorzuwerfenden Sorgfaltswidrigkeit voraus (RS0026351), es kommt aber zu einer Beweislastumkehr (RS0026351 [T7]): Der Schädiger hat nachzuweisen, dass ihn an der Übertretung kein Verschulden trifft (RS0112234 [T1]; RS0026351 [T1]). Allfällige Negativfeststellungen gehen daher zu Lasten der Beklagten.
6.1.2. Die Beklagte stützte sich in diesem Zusammenhang darauf, dass sie unverschuldet von der Zulässigkeit der Abschalteinrichtung ausgegangen sei, weil sie auf die Richtigkeit der Vorgangsweise des zuständigen deutschen Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) vertrauen habe dürfen; eine spätere gerichtliche Interpretation der einschlägigen Vorschrift durch den EuGH vermöge an der zum Genehmigungszeitpunkt vertretbaren Einschätzung der beklagten Partei nichts zu ändern.
Nach § 2 ABGB kann sich niemand damit entschuldigen, dass ihm ein gehörig kundgemachtes Gesetz nicht bekannt sei. Das Gesetz ist daher ohne Rücksicht auf die Kenntnis der davon Betroffenen anzuwenden. Daraus ist aber nicht zu folgern, dass eine solche Unkenntnis für sich allein schon ein Verschulden bedeuten muss. Die Unkenntnis verwaltungsrechtlicher Vorschriften begründet ein Schadenersatzansprüche auslösendes Verschulden nur dann, wenn die im besonderen Fall gebotene Aufmerksamkeit außer Acht gelassen wurde (RS0008651). Zwar ist jedermann verpflichtet, sich Kenntnis von den ihn nach seinem Lebenskreis betreffenden Gesetzesvorschriften zu verschaffen. Die Verletzung dieser Pflicht führt aber nur dann zu einem Verschuldensvorwurf, wenn mindestens leichte Fahrlässigkeit vorliegt, wenn also bei Anwendung gehöriger Sorgfalt eines Durchschnittsmenschen die Rechtskenntnis in zumutbarer Weise erlangt hätte werden können (RS0013253). Ein Rechtsirrtum ist nach der Rechtsprechung dann nicht vorwerfbar, wenn eine Behörde demselben Rechtsirrtum unterlag und die Beteiligten auf Richtigkeit dieser Entscheidung vertrauen durften (RS0008651 [T9]). Im gegebenen Zusammenhang wäre überdies erforderlich, dass der relevante Sachverhalt (hier: die konkrete Abschalteinrichtung) der Behörde – aus der Sicht der Beklagten – bekannt war (vgl 2 Ob 152/21y Rz 57), und zwar ungeachtet allfälliger Offenlegungspflichten vor ihrer Entscheidung, weil nur dann ein schutzwürdiges Vertrauen auf die Richtigkeit ihrer Entscheidung bestehen kann.
6.1.3. Zur Beurteilung, ob diese Voraussetzungen hier erfüllt sind, bedarf es somit Feststellungen darüber, zu welchem Zeitpunkt (bis zum Inverkehrbringen des gegenständlichen Fahrzeugs) aufgrund welcher konkreten Prüfschritte und/oder Ereignisse welche der Beklagten zurechenbare Person[en] darauf vertrauen durften und auch konkret darauf vertraut haben, dass und warum die verbaute Abschalteinrichtung nach den unionsrechtlichen Normen ausnahmsweise zulässig war.
6.1.4. Sollte sich dabei ergeben, dass die Beklagte einem Rechtsirrtum unterlag, der nicht durch ein Vertrauen auf eine behördliche Entscheidung gerechtfertigt war (etwa weil bis zum maßgeblichen Zeitpunkt keine Entscheidung ergangen ist oder der Behörde nicht die konkrete Abschalteinrichtung mit sämtlichen zur Beurteilung erforderlichen Parametern offengelegt worden war), wäre weiters zu prüfen, ob die Beklagte – wie sie außerdem behauptete (ON 21 Seite 5) – die Kenntnis der (richtigen) Rechtslage bei Anwendung gehöriger Sorgfalt überhaupt in zumutbarer Weise erlangen hätte können (vgl RS0013253). Das wäre etwa zu verneinen, wenn sie einem Rechtsirrtum unterlag und dieser auch bei hypothetischer Einholung einer behördlichen Entscheidung unter vollständiger und wahrheitsgemäßer Offenlegung des maßgeblichen Sachverhalts nicht ausgeräumt worden wäre, weil die Behörde die unrichtige Rechtsansicht der Beklagten geteilt hätte.“
[16] 3. Diese Rechtsauffassung wird auch vom erkennenden Senat geteilt. Ob die vom erkennenden Senat in der Entscheidung 9 Ob 33/22a vertretene Rechtsauffassung, dem Fahrzeugkäufer kann mangels Schadens kein Schadenersatzanspruch gegen den Hersteller wegen des Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung zustehen, wenn er das Fahrzeug weiterverkauft hat, ohne dass sich eine darauf zurückzuführende Wertminderung auf den Weiterveräußerungspreis ausgewirkt hätte, aufrechtzuerhalten ist, kann dahingestellt bleiben, weil der Kläger – anders als jener in 9 Ob 33/22a – noch im Besitz des manipulierten Fahrzeugs ist.
[17] 4. Da – wie bereits in der Entscheidung 10 Ob 27/23b Rz 16 dargelegt – die Regelungen zur Übereinstimmungsbescheinigung nach dem EuGH eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Hersteller und dem individuellen Erwerber des Fahrzeugs herstellen, woraus sich nach dem EuGH der Schutzgesetzcharakter der übertretenen Normen ergibt (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, Rn 81, 82, 85), kann sich auch der Kläger, der ein Gebrauchtfahrzeug erworben hat, auf eine Schutzgesetzverletzung der beklagten Fahrzeugherstellerin berufen.
[18] 5. Zur Schadenskausalität brachte der Kläger vor, dass er das Fahrzeug nicht um den oben angeführten Kaufpreis, sondern nur um einen 30 % geringeren Kaufpreis erworben hätte, hätte er bereits zum Zeitpunkt des Ankaufs gewusst, dass das Fahrzeug von der Beklagten manipuliert worden und dem Zustand nach nicht typengenehmigungsfähig sei. Feststellungen dazu wurden bislang nicht getroffen.
[19] 6. Dass ein Schadenseintritt im vorliegenden Fall zu verneinen wäre, weil das objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Klägers entsprochen hätte, behauptet die Beklagte im Verfahren hingegen nicht.
[20] 7. Mangels ausreichender Feststellungen kann das vom Kläger behauptete Verschulden der Beklagten nicht beurteilt werden. Der Kläger wirft der Beklagten einen vorsätzlichen Verstoß gegen unionsrechtliche Vorschriften vor. Die Beklagte steht hingegen auf dem Standpunkt, ihr könne nicht einmal ein fahrlässiger Verstoß gegen die in Rede stehenden unionsrechtlichen Bestimmungen zum Vorwurf gemacht werden, weil sie das Vorhandensein der temperaturabhängigen Abschalteinrichtung dem KBA als Typengenehmigungsbehörde offengelegt und das KBA diese temperaturabhängige Abgasregelung stets für zulässig angesehen habe.
[21] 8. Das vom Kläger erhobene Feststellungsbegehren wird im Rekurs nicht thematisiert. Für das weitere Verfahren wird insofern auf die Entscheidung 10 Ob 17/23g (Rz 26 ff) verwiesen. Andere als die in der Entscheidung behandelten Anspruchsgrundlagen sind nicht Gegenstand des Rekursverfahrens.
[22] 9. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses der Beklagten in seiner Rekursbeantwortung hingewiesen (RS0123222). Über den vom Kläger gewählten niedrigen Ansatz (TP 3B statt TP 3C) kann zufolge § 405 ZPO nicht hinausgegangen werden (8 Ob 151/08a; 10 ObS 87/11h; Obermaier, Kostenhandbuch3Rz 1.54 mwN).
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