European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00159.23W.1121.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Exekutionsrecht, Gewerblicher Rechtsschutz
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die einstweilige Verfügung des Erstgerichts (Punkte 1 und 2), mit Ausnahme der Kostenentscheidung (Punkt 4), mit der Maßgabe wiederhergestellt wird, dass es statt „Homepages“ „Webseiten“ zu lauten hat.
Die klagende Partei hat ihre Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen vorläufig, die beklagte Partei hat ihre diesbezüglichen Kosten endgültig selbst zu tragen.
Begründung:
[1] Die Klägerin stellt einen Dämmstoff her, den sie unter anderen über die in Belgien ansässige Beklagte aufgrund eines Generalvertretungsvertrags für Benelux‑Staaten vertrieb.
[2] Die Klägerin begehrt im Haupt‑ und inhaltsgleich im – hier gegenständlichen – Provisorialverfahren, gestützt auf § 2 UWG, § 381 EO und „die Bestimmungen [des] ABGB“, der Beklagten jegliche Werbemaßnahmen in Bezug auf die Produkte der Klägerin, insbesondere „durch Präsentation auf [den] Internetseiten (Homepages)“ der Beklagten, zu verbieten. Sie brachte vorerst vor, sie habe das Vertragsverhältnis mit Schreiben vom 31. 5. 2022 mit sofortiger Wirkung aufgekündigt, weil die Beklagte die in den Verträgen übernommenen Vertragspflichten gröblichst verletzt und Betriebs‑ und Geschäftsgeheimnisse offenbart habe. Trotzdem bewerbe die Beklagte die Produkte der Klägerin weiterhin. Dadurch werde im Geschäftsverkehr der unrichtige Eindruck erweckt, dass die Beklagte weiterhin Vertriebspartnerin der Klägerin in Belgien und den Niederlanden sei. Da die Klägerin sie aber nicht mehr mit ihren Produkten beliefere, könne die Beklagte Abnehmer nicht mehr beliefern, was bei diesen den Eindruck erzeuge, die Klägerin hätte Lieferprobleme, wodurch ihr Ruf beeinträchtigt und nachhaltig geschädigt und auch die Vertriebstätigkeit der Klägerin massiv beeinträchtigt werde; es drohten Vertriebspartner abzuspringen und es könnten nur schwer weitere Vertriebspartner gewonnen werden. Daraus drohe der Klägerin unmittelbar unwiederbringlicher massiver wirtschaftlicher Schaden. Sie habe daher gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Unterlassung der weiteren Bewerbung ihrer Produkte. Das Werbeverhalten der Beklagten sei eine irreführende Geschäftspraktik im Sinne des § 2 UWG, zumal mit unrichtigen Tatsachenbehauptungen geworben werde.
[3] Das Erstgericht erließ vorerst die einstweilige Verfügung wie beantragt und ohne Anhörung der Beklagten, wobei es unter anderem folgenden Sachverhalt als bescheinigt zugrundelegte:
„Mit Schreiben der Klagevertretung vom 31. Mai 2022 kündigte die klagende Partei mit sofortiger Wirkung sämtliche Verträge. Als Kündigungsgrund angeführt wurde eine Verletzung der Vertragspflicht gemäß Punkt 8. sowie die Offenbarung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen an unmittelbare Mitbewerber (insbesondere *). Unter Einem forderte die klagende Partei die beklagte Partei auf, es zu unterlassen, unter anderem das Produkt * zu bewerben oder sich sonst in irgendeiner Weise damit in Verbindung bringen zu lassen.
Tatsächlich wirbt die beklagte Partei nach wie vor mit *‑Produkten auf deren Homepages.“
[4] Dagegen erhob die Beklagte Widerspruch (und ausdrücklich nur für den Fall dessen Nichtstattgebung Rekurs wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung). Sie führte unter anderem ins Treffen, dass die Klägerin kein Vorbringen erstattet habe, warum die fristlose Kündigung berechtigt sein und wann welcher Grund vorliegen solle, der ihr die Fortsetzung des Dauerschuldverhältnisses unzumutbar machen würde. Überdies habe die Beklagte bereits zuvor das Vorliegen wichtiger Auflösungsgründe bestritten und dies auch in einer in Lüttich, Belgien, gegen die nunmehrige Klägerin erhobenen Klage ausgeführt.
[5] Daraufhin äußerte sich die Klägerin schriftlich zum Widerspruch und erstattete in der mündlichen Verhandlung über diesen Vorbringen zu den Gründen für die vorzeitige Auflösung zusammengefasst dahin, dass ein Franchise‑Unternehmen der Beklagten seit 2021 auch Konkurrenzprodukte eines der größten Mitbewerber der Klägerin verkaufe, womit gegen den Vertriebsvertrag verstoßen werde; dass die Beklagte als Händlerin eines anderen unmittelbaren Mitbewerbers gelistet sei und damit vertragswidrig mit dem Hersteller eines Konkurrenzprodukts kooperiere; dass die Beklagte trotz extremen Herstellungskostendrucks die vertragskonform vorgesehene Preiserhöhung der Klägerin nicht akzeptiert und für den Fall der Preiserhöhung gedroht habe, eine Eigenmarke von einem Hauptmitbewerber in Belgien produzieren zu lassen; und dass sich die Beklagte mit dem größten Mitbewerber der Klägerin über deren Preise und Preiserhöhungen austausche und unmittelbare interne Infos zu Preisen direkt an einen Mitbewerber weitergebe, womit sie gegen die vertragliche Geheimhaltungsverpflichtung verstoße. Selbst wenn ein Franchisenehmer der Beklagten mit anderer Rechtspersönlichkeit involviert wäre, was ausdrücklich bestritten werde, wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, jenem die Pflichten aus dem Vertrag zwischen den Parteien zu überbinden, andernfalls läge eine rechts‑ und sittenwidrige Umgehung des Vertrags vor. Die Vertragsauflösung sei nach Nachforschungen unverzüglich erfolgt. Einer Mahnung oder Nachfristsetzung habe es nicht bedurft; zudem sei die Korrespondenz zwischen den Parteien aus dem Jahr vor Vertragsauflösung unmissverständlich dahin, dass die Klägerin nicht mit der Vorgehensweise der Beklagten einverstanden sei. Vorbringen und Begehren der Beklagten im belgischen Verfahren würden außerdem voraussetzen, dass sie die Vertragsauflösung ohnehin akzeptiert habe.
[6] Die Beklagte erwiderte darauf, Handlungen eines ihrer Franchisenehmer, mit dem die Klägerin auch keinen Vertrag habe, seien ihr nicht zurechenbar. Die Klägerin hätte die Beklagte vor Vertragsauflösung mahnen und eine „letzte Frist“ setzen müssen, um sie an ihr vertragsgemäßes Handeln zu erinnern und ihr auch eine Möglichkeit zu geben, allfälliges vertragswidriges Handeln abzustellen. Im Übrigen habe es die Klägerin „nicht einmal der Mühe wert gefunden, die erst heute konkret vorgeworfenen Vertragsverletzungen näher darzulegen und schon gar nicht entsprechende Urkunden oder Nachweise kundzutun“. Die Vertragsauflösung sei verfristet, weil der Klägerin die vermeintliche Vertragsverletzung mehr als sieben Wochen zuvor bereits bekannt gewesen sei. Die Klägerin suche nur Gründe für eine rechtswidrige vorzeitige Vertragsauflösung; es liege kein bescheinigter Anspruchsgrund vor, aufgrund dessen der Unterlassungsanspruch zu sichern wäre, der mangels Anspruchsgrundlage nicht gegeben sei.
[7] Das Erstgericht fasste daraufhin einen Beschluss, mit dem es den Widerspruch der Beklagten abwies und die Entscheidung über die Kosten der Entscheidung in der Hauptsache nach § 393 Abs 1 EO vorbehielt. Es legte dieser Entscheidung folgenden Sachverhalt als bescheinigt zugrunde:
„Die klagende Partei räumte der beklagten Partei die Alleinvertriebsrechte der *‑Produkte (*‑Einblasdämmstoff, *‑Fußboden-schüttung und *‑Dämmpellets) zunächst mit Vertrag vom 5. Februar 2004 für die Vertragsgebiete Belgien und Luxemburg ein und verpflichtete sich, für * angemessene Werbung zu betreiben, wofür auch ein Marketing‑Budget zur Verfügung gestellt wurde. Die beklagte Partei verpflichtete sich, Geschäfts‑ und Betriebsgeheimnisse der klagenden Partei ohne vorherige Zustimmung der klagenden Partei weder zu verwerten noch dritten Personen mitzuteilen, dies auch für die Zeit nach Beendigung des Vertragsverhältnisses.
In Punkt 9. des Vertrages wurde unter der Überschrift 'Wettbewerbsverbot und Markenschutz' vereinbart:
'Nach Beendigung des Vertrages ist es dem Alleinvertreter nicht gestattet, die Marke des Herstellers weiterhin zu gebrauchen.'
Es wurde der Vertrag auf eine Mindestdauer von drei Jahren geschlossen und nach Ablauf von drei Jahren die Überführung in ein unbefristetes Vertragsverhältnis vereinbart.
Nach Punkt 12.2. des Vertrages kann der Vertrag von beiden Parteien jeweils zum Jahresultimo unter Einhaltung einer ordentlichen Kündigungsfrist von sechs Monaten schriftlich aufgekündigt werden, sofern die jährliche Mindestabnahmemenge deutlich unter 150 Tonnen liegt.
In Punkt 14. 'Anwendbares Recht, Gerichtsstand' wurde vereinbart:
'14.1. Der vorliegende Vertrag unterliegt dem internationalen Kaufvertragsrecht, wobei das Wiener Kaufvertragsrecht zur Anwendung gelangt.'
In Punkt 14.2. wurde vereinbart: 'Gerichtsstand für etwaige Streitigkeiten im Zusammenhang mit diesem Vertrag oder den in seiner Abwicklung geschlossenen Einzelgeschäften, ist der Sitz der Lieferantin (Gerichtsstand [...]).'
Mit Schreiben der Klagevertretung vom 31. Mai 2022 kündigte die klagende Partei mit sofortiger Wirkung sämtliche Verträge. Als Kündigungsgrund angeführt wurde eine Verletzung der Vertragspflicht gemäß Punkt 8. sowie die Offenbarung von Betriebs‑ und Geschäftsgeheimnissen an unmittelbare Mitbewerber (insbesondere *). Unter einem forderte die klagende Partei die beklagte Partei auf, es zu unterlassen, unter anderem das Produkt * zu bewerben oder sich sonst in irgendeiner Weise damit in Verbindung bringen zu lassen.
Tatsächlich wirbt die beklagte Partei nach wie vor mit *‑Produkten auf diversen Homepages.
Die beklagte Partei handelte mehrfach vertragswidrig und forderte die klagende Partei schon im April 2021 auf, Preiserhöhungen zurückzunehmen und stellte offen einen Vertragsbruch einer lange bestehenden Geschäftspartnerschaft zur Diskussion. Der klagenden Partei war jedoch zunächst daran gelegen, die Geschäftsbeziehung, die bereits seit dem Jahr 2004 dauerte und der klagenden Partei auch entsprechende Umsatzerlöse einbrachte, aufrecht zu erhalten und nicht gleich bei erster Gelegenheit zu kündigen, weshalb sie durch den Bereichsleiter für *‑Produkte, Mag. H*, die beklagte Partei immer wieder bis April 2022 aufforderte, sich vertragsgemäß zu verhalten, dies auch, als die klagende Partei erfuhr, dass die beklagte Partei in * in Belgien einen Franchise‑Nehmer‑Shop betreibt, der entgegen der exklusiven Alleinvertriebsvereinbarung Produkte des Mitbewerbers vertreibt. Diesbezüglich korrespondierte Mag. H* mit dem Vertriebsleiter der beklagten Partei T* noch im August 2021 und forderte ihn auf, dieses vertragswidrige Verhalten einzustellen. Als die klagende Partei im April 2022 neuerliche Preiserhöhungen mit [der Beklagten] unter dem Siegel der Verschwiegenheit und Geheimhaltung besprach – die beabsichtigten Preiserhöhungen waren dem Markt noch nicht bekannt – wurde der klagenden Partei offenbar, dass die beklagte Partei entgegen über mehrere Monate hinweg erfolgten Abmahnungen und diesbezüglicher Korrespondenz mit dem Mitbewerber * über am Markt noch nicht offen gelegte beabsichtigte Preiserhöhungen der klagenden Partei korrespondierte.
Diese Tatsachen ließen bei der Klägerin das Fass überlaufen und gaben letzten Endes den Ausschlag dafür, die langjährige Vertragsbeziehung aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung mit Schreiben des Klagevertreters vom 31. Mai 2022 aufzulösen.“
[8] Die Klägerin habe sich im Widerspruchsverfahren nicht auf neue Gründe sondern auf bereits für das provisoriale Bescheinigungsverfahren im Rahmen der einstweiligen Verfügung herangezogene Gründe gestützt, dazu weitere Unterlagen vorgelegt und Bescheinigungsmittel beigebracht; damit sei nicht gegen das Neuerungsverbot verstoßen worden. Die Tatsachen, aufgrund derer die Kündigung des Vertrags erfolgt wäre, seien hinreichend bescheinigt. Insbesondere aufgrund der vereinbarten Anwendbarkeit des UN‑Kaufrechts und der dort normierten Möglichkeiten des Verkäufers (Art 64) und des Käufers (Art 49) auf Erklärung der Aufhebung des Vertrags durch einseitige Erklärung wegen wesentlicher Pflichtverletzung, seien die hinreichend bescheinigte Tatsache und der Grund der Vertragsaufhebung und die daraus resultierende wettbewerbswidrige Veröffentlichung durch die Beklagte relevant. Auch die Aufhebung eines dem UN‑Kaufrecht unterliegenden Kaufvertrags sei nämlich grundsätzlich formfrei möglich, also auch mündlich oder fernmündlich, ja selbst konkludent.
[9] Dieser Beschluss über den Widerspruch blieb von der Beklagten unangefochten.
[10] Daraufhin legte das Erstgericht den für den Fall der Abweisung des Widerspruchs erhobenen, mit diesem verbundenen Rekurs zur Entscheidung vor.
[11] Das Rekursgericht gab diesem Rekurs Folge, wies den Provisorialantrag ab, bemaß den Entscheidungsgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu. Es erörterte eingehend, dass sowohl nach CISG als auch nach allenfalls subsidiär anwendbarem nationalem (von beiden Parteien angezogenem und daher unstrittig österreichischem) Recht eine Vertragsaufhebung bzw vorzeitige Vertragsauflösung eine schwerwiegende Vertragsverletzung des anderen Teils bzw wichtige, dem Kündigenden die Vertragsfortsetzung unzumutbar machende Gründe voraussetzen würde, wofür der Kündigende behauptungs‑ und beweispflichtig sei. Die Tatsachenbehauptungen der Klägerin im Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung reichten aber weder aus, eine „Wesentlichkeit“ der Vertragsverletzung nach CISG feststellen zu können, noch für eine abschließende Beurteilung nach subsidiärem nationalem Recht, ob die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses für die Klägerin unzumutbar gewesen und die Kündigung des Dauerschuldverhältnisses deshalb aus wichtigem Grund erfolgt sei. Die Klägerin hätte konkrete Behauptungen aufzustellen gehabt, welche Vertragspflichten die Beklagte ihr gegenüber zu welchem Zeitpunkt gröblichst verletzt und welche Betriebs‑ und Geschäftsgeheimnisse sie wem gegenüber und wann offenbart habe. Das Fehlen entsprechender Behauptungen falle der Klägerin zur Last. Im Sicherungsverfahren komme eine Aufhebung zur Erörterung eines unschlüssigen oder unklaren Vorbringens nicht in Betracht; dem Mangel des unschlüssig behaupteten Anspruchs könne auch nicht durch die Auferlegung einer Sicherheitsleistung nach § 390 EO abgeholfen werden.
[12] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin mit dem Antrag, die einstweilige Verfügung wiederherzustellen; hilfsweise wird Aufhebung beantragt.
[13] Die Beklagte beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
[14] Der Revisionsrekurs ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[15] Die Klägerin führt darin ins Treffen, dass keine Eventualmaxime gelte und sowohl ihr im Widerspruchsverfahren erstattetes Vorbringen als auch die in der Widerspruchsentscheidung getroffenen Feststellungen zu berücksichtigen seien, was das Rekursgericht unbeachtet gelassen habe.
Dem ist zuzustimmen:
[16] 1. Neben einem Widerspruch nach § 397 EO ist gleichzeitig auch ein Rekurs des Gegners der gefährdeten Partei gegen die einstweilige Verfügung zulässig. In diesem Fall empfiehlt es sich, dass zuerst der Rekurs vorgelegt wird und erst nach dessen Erledigung über den Widerspruch entschieden wird, weil durch die Erledigung des Rekurses der Widerspruch häufig bedeutungslos wird (RS0005869 [T1]; RS0005889).
[17] Dem Gegner der gefährdeten Partei steht aber das Recht zu, dahin zu reihen, dass er in erster Linie Widerspruch und nur für den Fall der Erfolglosigkeit dieses Rechtsbehelfs Rekurs erhebt (RS0005869 [T2]; RS0005889 [T2]).
[18] 2.1. Im Widerspruchsverfahren kann unter anderem geltend gemacht werden, dass der behauptete Anspruch nicht bescheinigt und trotzdem die beantragte einstweilige Verfügung erlassen worden sei, oder dass der bescheinigte Anspruch nicht bestehe. In diesem Falle hat der Gegner der gefährdeten Partei den Nichtbestand des Anspruchs glaubhaft zu machen. Ihn trifft die Behauptungspflicht und Bescheinigungspflicht hinsichtlich der Tatsachen, aus denen das Nichtbestehen des bescheinigten Anspruchs abgeleitet wird (vgl RS0005884 [insb T8]).
[19] 2.2. Gegenstand eines Widerspruchsverfahrens ist die Überprüfung der objektiven Richtigkeit der erlassenen einstweiligen Verfügung nach Maßgabe der zur Zeit ihrer Erlassung gegebenen Rechtslage, wogegen spätere Vorfälle ausschließlich im Verfahren über einen Aufhebungsantrag zu prüfen sind (RS0005904). Der Widerspruch ersetzt aber die vor der Erlassung der einstweiligen Verfügung unterbliebene Vernehmung des Gegners der gefährdeten Partei. Mit der Entscheidung über seinen Widerspruch wird primär der Widerspruchswerber so gestellt, wie er gestellt wäre, wenn die einstweilige Verfügung nach Einräumung des rechtlichen Gehörs erlassen worden wäre (vgl 6 Ob 71/21s Rz 30 mwN). Daher gilt im Widerspruchsverfahren kein Neuerungsverbot (König/Weber, Einstweilige Verfügungen im Zivilverfahren6 [2022] Rz 6.103); die Überprüfung erfolgt jedoch aufgrund der Sach- und Rechtslage zur Zeit der Erlassung der einstweiligen Verfügung (vgl 6 Ob 71/21s Rz 26 mwN).
[20] 2.3. Daraus folgt, dass einerseits Tatsachen vorgebracht werden können, die zu diesem Zeitpunkt bereits entstanden waren (König/Weber Rz 6.103), und dass andererseits aber auch der gefährdeten Partei dann, wenn ihr Gegner im Widerspruchsverfahren zufolge des Nichtbestehens der Eventualmaxime solches Vorbringen erstatten darf, nicht verwehrt werden kann, darauf selbst wiederum mit eigenem neuem Tatsachenvorbringen zu reagieren, sofern sich dieses im Rahmen des im Widerspruchsverfahren Zulässigen hält, sich also auf die Sachlage zum Zeitpunkt der Erlassung der einstweiligen Verfügung bezieht (6 Ob 71/21s Rz 30 mwN; G. Kodek in Deixler‑Hübner, EO, §§ 397, 398 [2022] Rz 23; ebenso wohl schon Heller/Berger/Stix, EO4 III [1976] 2879 f; vgl auch 4 Ob 25/22p Rz 9 ff und G. Kodek in Deixler‑Hübner, EO, § 390 [2022] Rz 17 ff [insb Rz 21b], jeweils zur Zweiseitigkeit des Verfahrens vor Erlassung einer einstweiligen Verfügung im Lichte der nach EGMR 15. 10. 2009, Bsw 17056/06, Micallef gegen Malta = RS0127445 [T1] gebotenen Verfahrensgarantien).
[21] 2.4. Das Widerspruchsverfahren kann daher zu einer wesentlichen Änderung der im vorangegangenen einseitigen Verfahren gewonnenen Feststellungen und damit der Entscheidungsgrundlage führen (vgl RS0005884 [T7, T8]) und dementsprechend die einstweilige Verfügung bestätigen, abändern, aufheben oder erstmalig eine Sicherheit anordnen, solange das Verbot der reformatio in peius zu Lasten des Gegners der gefährdeten Partei gewahrt bleibt (vgl G. Kodek in Deixler‑Hübner §§ 397, 398 EO Rz 26). Die Entscheidung über den Widerspruch ist gegenüber der einstweiligen Verfügung somit keine völlig neue und von ihr unabhängige Entscheidung (RS0005884), sondern stellt bei richtigem Verständnis beide Parteien (vgl oben Pkt 2.3) so, wie sie gestellt wären, wenn die einstweilige Verfügung in einem zweiseitigen Verfahren erlassen worden wäre (vgl E. Kodek in Angst/Oberhammer, EO3 [2015] § 398 Rz 4).
[22] 2.5. Die Entscheidung über den Widerspruch ist mit Rekurs bekämpfbar (E. Kodek in Angst/Oberhammer § 398 EO Rz 9; König/Weber Rz 6.106). Es bleibt dem Gegner der gefährdeten Partei aber überlassen, ob er es für zweckmäßig hält, gegen die Abweisung seines Widerspruchs Rekurs zu erheben oder, etwa weil das Widerspruchsverfahren keine wesentliche Änderung der Entscheidungsgrundlagen brachte, den schon erhobenen Rekurs aufrecht zu erhalten. Dadurch, dass dem Widerspruch rechtskräftig keine Folge gegeben wurde, ist weder eine neue Entscheidung anstelle der ersten im Rekurs angefochtenen getreten noch ist diese endgültig rechtskräftig geworden, weil ja das neben dem Widerspruch zulässige Rechtsmittel des Rekurses sachlich noch unerledigt blieb; die über den Widerspruch ergangene Entscheidung nicht mit Rekurs zu bekämpfen, ist nicht als Verzicht auf die Erledigung des schon vorher erhobenen Rekurses anzusehen (vgl 4 Ob 319/70). Wird daher – wie hier – zuerst über den Widerspruch im Sinne einer Abweisung dieses Rechtsbehelfs entschieden und diese Entscheidung vom Gegner der gefährdeten Partei nicht bekämpft, dann ist über den Rekurs zu entscheiden (RS0005869).
[23] 3.1. Die Beklagte hat sich hier entschieden, ihren Rekurs gegenüber dem Widerspruch nachrangig behandelt sehen zu wollen. Die die einstweilige Verfügung auch aufgrund verbreiterter Entscheidungsgrundlage bestätigende Widerspruchsentscheidung blieb hier unangefochten, sodass die einstweilige Verfügung nunmehr auf dieser Grundlage besteht und zu prüfen ist.
[24] Daraus erhellt aber, dass die Vorgangsweise des Rekursgerichts, aufgrund des Rekurses die Provisorialmaßnahme erkennbar allein anhand der ursprünglichen, im einseitigen Verfahren ergangenen Entscheidungsgrundlage zu prüfen, im Gesetz keine Deckung findet, weil damit gerade die Ergebnisse des der Wahrung rechtlichen Gehörs beider Parteien gewidmeten Widerspruchsverfahrens ausgeblendet würden. Aufgrund des von der Beklagten erhobenen und aufrecht erhaltenen Rekurses ist die einstweilige Verfügung anhand der durch das Widerspruchsverfahren bestimmten Entscheidungsgrundlage zu beurteilen.
[25] 3.2. Daraus folgt wiederum im Grundsatz, dass im Rekurs geltend gemachte Argumente, die vom Widerspruchsverfahren unberührte bzw unabhängige rechtliche Aspekte betreffen, regelmäßig ihre Gültigkeit und Tragweite behalten werden. Soweit jedoch in einem – entgegen der sich im regelmäßig und im Zweifel anbietenden Reihung (RS0005869 [T1]; RS0005889) – nachrangig zu behandelnden Rekurs (wie hier) bloß Argumente zu Aspekten des Verfahrens und der einstweiligen Verfügung ins Treffen geführt werden, die durch das Verfahren und die Entscheidung über den Widerspruch eine Änderung erfahren haben, sind diese nach dem Gesagten zwar zulässig und zu prüfen, gehen jedoch regelmäßig in dem Umfang als überholt ins Leere, in dem die Entscheidungsgrundlagen der einstweiligen Verfügung durch die Widerspruchsentscheidung nunmehr geändert wurden (vgl E. Kodek in Angst/Oberhammer § 397 EO Rz 7).
[26] 4.1. Die Beklagte hatte in ihrem Rekurs als einzige rechtliche Aspekte für die von ihr beantragte Antragsabweisung ins Treffen geführt, dass die Klägerin keinen wichtigen Grund für die sofortige Vertragsauflösung genannt und das Erstgericht die einstweilige Verfügung ohne ausreichende Bescheinigung erlassen habe; im Übrigen seien zum Zeitpunkt der Erlassung der einstweiligen Verfügung die Verträge noch aufrecht gewesen, da eine ordentliche Kündigung nur zum Jahresultimo möglich gewesen wäre.
[27] 4.2. Mögen diese Aspekte gegenüber der einstweiligen Verfügung in der ursprünglichen, im einseitigen Verfahren erlassenen Fassung Gewicht gehabt haben, so ist ihnen gerade durch das auf Wahl der Beklagten vorrangige Widerspruchsverfahren der Boden entzogen worden:
[28] Die Klägerin hat in – wie schon das Erstgericht zutreffend erkannt hatte – zulässiger Erwiderung auf die im Widerspruch erhobenen Einwände der Beklagten ihr ursprünglich dürres Vorbringen zur Berechtigung ihrer vorzeitigen Vertragsauflösung ergänzt, und das Erstgericht hat diesbezüglich auch den von ihm als bescheinigt angesehenen Sachverhalt gegenüber seiner ursprünglichen Entscheidung erweitert.
[29] 4.3. Entgegen der Ansicht im Rekurs genügen (nunmehr) sowohl das Vorbringen als auch der bescheinigte Sachverhalt den gesetzlichen Anforderungen an eine hinreichende Substanziierung und Konkretisierung. Konkrete Argumente, warum beides nicht der Fall sein sollte, sind dem Rekurs nicht zu entnehmen.
[30] 4.4. Da der Rekurs auch sonst keine weiteren relevanten rechtlichen Argumente gegen die Berechtigung der als Vorfrage des Unterlassungsanspruchs zu beurteilenden Vertragsauflösung enthält, genügt insofern der Hinweis auf die eingehenden Erwägungen des Rekursgerichts, welche Voraussetzungen hierfür jedenfalls erfüllt sein müssen. Dass die festgestellte Weitergabe von Preisinformationen an einen Hauptkonkurrenten diesen Voraussetzungen genügt, ist naheliegend und wird auch vom Rekurs nicht in Frage gestellt. Auch eine erstmals in der Revisionsrekursbeantwortung behauptete Geltung belgischen materiellen Rechts für den Vertriebsvertrag bleibt insofern unschlüssig, als nicht einmal jetzt sich daraus ergebende konkrete abweichende Rechtsfolgen dargelegt werden.
[31] Auf in diesem Zusammenhang noch erörterte Rechtsfolgen für den Fall der unberechtigten Vertragsauflösung kommt es daher nicht mehr an.
[32] 4.5. Keinerlei Darlegungen enthält der Rekurs zudem gegen die Schlussfolgerung des Erstgerichts, aus berechtigter Vertragsauflösung und Weiterbewerben durch die Beklagte folge, dass der Unterlassungsanspruch und dessen Gefährdung im Sinne des behaupteten unwiederbringlichen Schadens zu Recht bestehe. Dieser Unterlassungsanspruch erstreckt sich nicht nur auf den geschäftlichen Verkehr in Österreich, weil die Streitteile eine umfassende Gerichtsstandvereinbarung trafen und bei der vorliegenden Verletzung vertraglicher Ansprüche auch keine Mosaikbetrachtung im Sinne von Art 6 Abs 1 Rom II‑VO (EG) 864/2007 zu erfolgen hat (siehe zudem Art 6 Abs 2 Rom II‑VO; vgl RS0127138 [T11]).
[33] 5.1. Es war daher die einstweilige Verfügung wiederherzustellen, wobei zu berücksichtigen war, dass sich das Erstgericht ganz offensichtlich insofern im Ausdruck vergriff, als die Klägerin deutlich (und von der Beklagten auch nicht in Frage gestellt) auf eine Bewerbung im gesamten Webauftritt der Beklagten abzielt, und nicht nur auf deren „Homepages“ (den Startseiten); dies war mit verdeutlichender (RS0039357) Maßgabe klarzustellen.
[34] 5.2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 393 Abs 1 EO. Klarstellend festzuhalten ist, dass für die Kosten des Widerspruchsverfahrens nichts anderes gelten kann, zumal das Erstgericht in der Begründung seiner Widerspruchsentscheidung ausdrücklich § 393 Abs 1 EO angewandt sehen wollte, sodass aus der undeutlichen Fassung seines Spruchs kein Vorbehalt auch der Kosten der Beklagten im Provisorialverfahren bis zur Entscheidung im Hauptverfahren ableitbar ist, sondern sie diese ebenso wie die sonstigen Kosten des Provisorialverfahrens (G. Kodek in Deixler‑Hübner §§ 397, 398 EO Rz 27) endgültig selbst zu tragen hat.
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