European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0040OB00151.15G.0922.000
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Der Beklagte war vom 20. 10. 2006 bis 30. 1. 2008 Geschäftsführer der I***** GmbH (im Folgenden: I*****). Der über das Vermögen dieser Gesellschaft vom Handelsgericht Wien am 18. 2. 2008 eröffnete Konkurs wurde mit Beschluss dieses Gerichts vom 9. 4. 2013 mangels Kostendeckung aufgehoben. Die I***** war zumindest seit Juli 2007 zahlungsunfähig, was dem Beklagten spätestens ab Juli 2007 bekannt war. Die Gesellschaft zahlte zumindest im Dezember 2007 keine Gehälter an ihre Mitarbeiter aus, obwohl sie zur Zahlung dieser Gehälter verpflichtet gewesen wäre.
Infolge des Konkurses der I***** wurden von der IAF-Service GmbH (nunmehr IEF‑Service GmbH) an diverse Arbeitnehmer dieser Gesellschaft Insolvenz-Entgelte beziehungsweise Insolvenz-Ausfallsgelder bezahlt. Ein Teil der von Arbeitnehmern der I***** geltend gemachten Bezüge sind Bezüge, die während der Zeit, während der der Beklagte Geschäftsführer der I***** war, durch diese Gesellschaft als Arbeitgeberin zu bezahlen gewesen wären, ein Teil der Forderungen, die letztlich von der klagenden Partei bezahlt wurden, entfällt auf die Phase, in der der Beklagte nicht mehr Geschäftsführer war. Insgesamt wurde durch die klagende Partei ein Gesamtbetrag von 139.504 EUR ausbezahlt.
Mit rechtskräftigem Urteil des Erstgerichts zu 34 Hv 41/10m vom 24. 5. 2011 wurde der Beklagte des Verbrechens des schweren Betrugs nach den §§ 146, 147 Abs 3 StGB schuldig gesprochen. Nach dem Urteilsspruch hat er als Geschäftsführer der I***** von Juli 2007 bis Dezember 2007 mit dem Vorsatz, durch das Verhalten des Getäuschten sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, Verfügungsberechtigte der C***** GmbH & Co KG durch Täuschung über die Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit der I***** zur Überlassung von Arbeitskräften verleitet, wodurch die C***** GmbH & Co KG im Ausmaß von 95.184,74 EUR am Vermögen geschädigt wurde. Mit gleichem Urteil wurde der Angeklagte vom weiters gegen ihn erhobenen Vorwurf des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 161 Abs 1, § 156 Abs 1 StGB freigesprochen.
Die klagende Partei machte die Klagsforderung mit der Begründung geltend, dass die nach dem IESG befriedigten Forderungen der Arbeitnehmer gegen die I***** wegen § 11 Abs 1 IESG auf die klagende Partei übergegangen seien. Der Beklagte sei wegen des Verbrechens des schweren Betrugs nach den §§ 146, 147 Abs 3 StGB rechtskräftig verurteilt worden. Seine im Zusammenhang mit der Insolvenz stehende Straftat habe letztlich zu einer Konkursverschleppung geführt, zumal er den Geschäftsbetrieb trotz offensichtlicher Überschuldung aufrecht erhalten habe. Durch diese Tat sei die Fortführung des Unternehmens bewusst ermöglicht worden. Dem Beklagten sei die Zahlungsunfähigkeit spätestens ab dem 11. 6. 2007 bekannt gewesen. Ab dem 1. 8. 2007 seien laufende Entgelte nicht mehr ausbezahlt worden, darüber hinaus seien nach Wissen um die Zahlungsunfähigkeit ab dem 11. 6. 2007 sogar weitere Arbeitnehmer durch den Beklagten angestellt worden. Durch den Beklagten habe letztlich eine Konkursverschleppung stattgefunden, die Finanzierung des Fortbetriebs sei in sittenwidriger Weise auf die klagende Partei verlagert worden, weshalb auch der Tatbestand der sittenwidrigen Schädigung im Sinn des § 1295 Abs 2 ABGB erfüllt sei.
Der Beklagte bestritt eine Haftung nach § 11 Abs 3 IESG. Seine Verurteilung beziehe sich ausschließlich auf die Täuschung und Schädigung einer dritten Gesellschaft. Im Strafurteil seien keinerlei Feststellungen getroffen worden, wonach er Arbeitnehmer der I***** geschädigt hätte. Auch die Schadensbeträge im Strafverfahren sowie im Insolvenzentgeltverfahren stünden nicht miteinander im Einklang, zudem habe seine Geschäftsführertätigkeit für die I***** am 30. 1. 2008 geendet. Für Schäden, die nach diesem Zeitpunkt entstanden seien, hafte er daher jedenfalls nicht. Zudem werde die Höhe der von den Arbeitnehmern reklamierten Forderungen bestritten.
Das Erstgericht sprach mit seinem Zwischenurteil aus, dass das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe. Ausgehend von den eingangs zusammengefassten Feststellungen ging es davon aus, dass die klagende Partei nach § 11 Abs 3 Satz 3 IESG berechtigt sei, zur Hereinbringung der auf sie übergegangenen und nicht hereingebrachten Forderungen auch auf das Vermögen des Organs des Arbeitgebers zu greifen, wenn das Organ im Zusammenhang mit der Insolvenz nach § 1 IESG wegen schweren Betrugs nach § 147 StGB verurteilt worden sei.
Nach dem Strafurteil habe der Beklagte ab Juli 2007 Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der I***** gehabt, wobei ohne diese Kenntnis ein Freispruch zu fällen gewesen wäre. Der Zivilrichter dürfe keine vom Strafurteil abweichenden Feststellungen über den Nachweis der strafbaren Handlung, ihre Zurechnung und den Kausalzusammenhang zwischen der strafbaren Handlung und ihre Folgen treffen. Es bestehe jedenfalls insoweit Bindung an das strafgerichtliche Erkenntnis, als davon auszugehen sei, dass die im Strafurteil festgestellte Tat tatsächlich vom Verurteilten begangen wurde und dessen tatsächliche Handlungen für den Schadenserfolg kausal waren. Schon aus der Bindungswirkung an die strafgerichtliche Verurteilung ergebe sich, dass der Beklagte zumindest ab Juli 2007 von der Zahlungsunfähigkeit der I***** Kenntnis hatte und diese zumindest zu diesem Zeitpunkt auch schon bestanden habe.
Ungeachtet des Umstands, dass die I***** selbst beziehungsweise deren Arbeitnehmer nicht „Opfer des Strafverfahrens“ gewesen seien, stünden die strafrechtswidrigen Handlungen des Beklagten „im Zusammenhang mit der Insolvenz“. Diese Handlungen seien dazu geeignet gewesen, eine Konkursverschleppung herbeizuführen. Durch den Einsatz von Arbeitskräften, welche die Gesellschaft erst verzögert bezahlen müsse, könne der Geschäftsbetrieb aufrecht erhalten werden.
§ 11 Abs 3 letzter Satz IESG knüpfe weder an ein Verschulden des Organs an der Insolvenz noch daran an, dass das verurteilende Erkenntnis die Arbeitnehmer oder die arbeitgebende Gesellschaft selbst als Geschädigte anführen müsse. Hätte der Gesetzgeber nur jene Verurteilungen erfassen wollen, die die Verursachung der Insolvenz selbst beträfen, so hätte er beispielsweise nur die §§ 156, 157, 158 StGB als Bestandteil dieser Bestimmung und nicht auch § 147 StGB sowie § 148 StGB vorgesehen, sodass es auch nicht verwundert, dass die eher weite Formulierung „in Zusammenhang mit der Insolvenz“ gewählt worden sei.
Der Anwendungsbereich des § 11 Abs 3 letzter Satz IESG werde somit durch die strafgerichtliche Verurteilung des Beklagten grundsätzlich eröffnet. Ihm sei aufgrund des Nichtstellens eines Insolvenzantrags nach § 69 Abs 2 IO ein Vorwurf zu machen, der schon nach allgemeinen schadenersatzrechtlichen Erwägungen eine Haftung auslöse, wobei der Beklagte auch für die vorhersehbaren Entgelte hafte, die nach der Beendigung seiner Geschäftsführertätigkeit entstanden seien.
Im weiteren Verfahren sei nur noch der Einwand des Beklagten über die Rechtmäßigkeit der Arbeitnehmeransprüche zu klären.
Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf, trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf und sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof mangels Rechtsprechung zu § 11 Abs 3 IESG zulässig sei.
Es warf die Frage auf, auf welcher Grundlage die Haftung des Organs nach § 11 Abs 3 IESG beruhe. Es sollte dadurch kein von allgemeinen bürgerlichen Rechtsgrundsätzen losgelöster Regressanspruch sui generis geschaffen werden, unabhängig davon, dass dem verurteilten Organ keine Arbeitgebereigenschaft zugekommen sei. Die klagende Partei könne daher auf ein Organ des insolventen Arbeitgebers wegen Entgeltszahlungen nach dem IESG nur bei Bestehen eines Schadenersatzanspruchs gegen das Organ unter der weiteren Voraussetzung greifen, dass dieses gemäß § 11 Abs 3 Satz 3 IESG „im Zusammenhang mit der Insolvenz“ wegen eines der in dieser Bestimmung genannten Delikte verurteilt worden sei. § 11 Abs 3 Satz 3 IESG berühre nicht die Qualität der dem Regress unterliegenden Ansprüche. Die klagende Partei könne nur so weit erfolgreich sein, als sie die Voraussetzungen einer schadenersatzrechtlichen Haftung des Beklagten unter Beweis stelle. Als Anspruchsgrundlage komme ein Verstoß gegen § 69 IO in Betracht, wobei die strafgerichtliche Verurteilung Bindungswirkung entfalte. Zum Kausalzusammenhang zwischen einer Pflichtwidrigkeit nach § 69 IO und dem behaupteten Schaden liege kein Vorbringen vor. Es könne ohne Erörterung auch nicht gesagt werden, dass die Arbeitsverhältnisse im Fall pflichtgemäßer Konkursantragstellung früher aufgelöst worden wären. Zudem fehle ausreichendes Tatsachensubstrat für die Beurteilung, ob der Klagsbetrag ausschließlich die nach dem IESG gesicherten Ansprüche betrifft. Die offenen Fragen seien im weiteren Verfahren zu erörtern.
In ihrem Rekurs führte die klagende Partei aus, diese Bestimmung ordne für die auf sie übergegangenen Entgeltansprüche eine Haftung der Organe ihr gegenüber an. Darüber hinaus bestehe eine Haftung des Beklagten auch nach allgemeinem Schadenersatzrecht.
Der Beklagte beantragte, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund und auch deshalb zulässig, weil die zur Aufhebung des Ersturteils herangezogene Begründung des Berufungsgerichts zum Teil einer Korrektur bedarf. Der Rekurs ist im Ergebnis jedoch nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Der Aufhebung liegt im Wesentlichen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts zugrunde, dass § 11 Abs 3 Satz 3 IESG keinen unabhängigen Regressanspruch normiere und die Voraussetzungen weiterer Anspruchsgründe (allgemeiner Schadenersatzanspruch) noch zu prüfen seien. Der erkennende Senat schließt sich der vom Berufungsgericht zu § 11 IESG vertretenen Rechtsansicht nicht an, wenngleich der Aufhebungsbeschluss im Ergebnis keinen Bedenken begegnet.
2. Das IESG sieht in seiner Stammfassung BGBl 1977/324 in dessen § 11 noch keine Haftung des Organs des Arbeitgebers für an den Fonds übergegangene Ansprüche vor. Erst das IRÄG 1994 BGBl 1994/153 führte den hier zu prüfenden § 11 Abs 3 Satz 3 IESG ein, wobei der Katalog der dort angeführten strafrechtlichen Delikte in weiteren Novellen ausgedehnt wurde.
§ 11 IESG idgF lautet:
Übergang der Ansprüche
§ 11. (1) Die diesem Bundesgesetz unterliegenden gesicherten Ansprüche gegen den Arbeitgeber (gegen die Insolvenzmasse) gehen, soweit sie nicht bestritten sind, auf den Insolvenz-Entgelt-Fonds mit der Antragstellung (§ 6 Abs. 1), sind die gesicherten Ansprüche nach § 1 Abs. 5 anzumelden, mit dieser Anmeldung über. Bestrittene Ansprüche gehen mit der Zahlung zuerkannten Insolvenz-Entgeltes auf den Insolvenz-Entgelt-Fonds über. Mit dem Forderungsübergang gehen auch sämtliche vertragliche Rechte des Anspruchsberechtigten gegenüber Dritten hinsichtlich der gesicherten Ansprüche unter Bedachtnahme auf Abs. 3 über, soweit für sie Insolvenz-Entgelt gewährt wurde. Mit dem Übergang ist unbeschadet § 47 Abs. 2 IO keine Änderung des Rechtsgrundes, des Ranges oder der Bevorrechtung der Forderung verbunden. Die gleichen Rechtsfolgen treten mit der Zustellung des rechtskräftigen Urteils (§ 10) ein.
[...]
(3) Ist jedoch der Anspruch nach Abs. 1 auf den Insolvenz-Entgelt-Fonds übergegangen, so ist ein Zugriff auf künftiges Vermögen, das der Arbeitgeber nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens erworben hat, insoweit ausgeschlossen. Das gleiche gilt sinngemäß in den im § 1 Abs. 1 Z 1 bis 6 angeführten Fällen, jedoch nicht, wenn die nach dem Sanierungsplan, Zahlungsplan oder Abschöpfungsverfahren dem Insolvenz-Entgelt-Fonds zustehenden Zahlungen (Quotenzahlungen, Abschöpfungserträge), einschließlich solcher allenfalls noch aushaftender Masseforderungen, noch nicht erfolgt sind. Wird der Arbeitgeber bzw. dessen Organ im Zusammenhang mit der Insolvenz nach § 1 allerdings wegen schweren Betruges (§ 147 StGB), wegen gewerbsmäßigen Betruges (§ 148 StGB), wegen Vorenthaltens von Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung (§ 153c StGB), wegen betrügerischen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen und Zuschlägen nach dem Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz (§ 153d StGB), wegen organisierter Schwarzarbeit (§ 153e StGB), wegen Sachwuchers (§ 155 StGB), wegen betrügerischer Krida (§ 156 StGB), wegen Schädigung fremder Gläubiger (§ 157 StGB) oder wegen Begünstigung eines Gläubigers (§ 158 StGB) verurteilt, so ist der Insolvenz-Entgelt-Fonds berechtigt, zur Hereinbringung der auf ihn übergegangenen und nicht hereingebrachten Forderungen auf das Vermögen des Verurteilten zu greifen.
3. Die Anknüpfung des Rückgriffsanspruchs an die strafgerichtliche Verurteilung nach § 11 Abs 3 IESG entfaltet Tatbestandswirkung.
3.1 Von einer solchen Tatbestandswirkung spricht man dann, wenn ein rechtskräftiges Urteil als juristische Tatsache die Grundlage für den geltend gemachten Anspruch bildet, sei es für die Bildung neuer Privatrechtsansprüche, sei es für deren Änderung oder deren Erlöschen (RIS‑Justiz RS0041431; RS0041401; zuletzt zB 2 Ob 71/15b). Es handelt sich bei dieser Wirkung des Urteils (in Abgrenzung zu den anderen Urteilswirkungen) gleichsam um eine Nebenwirkung (auch Reflexwirkung) der Entscheidung ( Fasching/Klicka in Fasching/Konecny 2 § 411 ZPO Rz 169). Eine Tatbestandswirkung tritt nur insoweit ein, als sie durch das materielle Recht statuiert wird (RIS-Justiz RS0041374). Die Tatbestandswirkung zählt wie die Gestaltungswirkung deshalb zu den materiell‑rechtlichen Urteilswirkungen, weil mit der Existenz des Urteils eine Änderung der Rechtslage verbunden ist (konstitutive Wirkung; Fasching/Klicka aaO Rz 158 und 169). Auch einem verurteilenden Straferkenntnis kann Tatbestandswirkung zukommen (7 Ob 310/99k; Fasching/Klicka aaO Rz 36).
3.2 Insoweit § 11 Abs 3 IESG einen Rückgriffsanspruch des Insolvenz-Entgelt-Fonds gegenüber dem Organ von der Existenz eines gegen das Organ im Zusammenhang mit der Insolvenz ergangenen Strafurteils abhängig macht (und etwa nicht bloß von einer strafbaren Handlung), ordnet diese Bestimmung daher eine Tatbestandswirkung des Strafurteils an. Aus dieser ergibt sich eine unmittelbar auf Gesetz beruhende Haftung des Organs für die übergegangenen Entgeltansprüche dem Fonds gegenüber ( Holzer/Reissner , Neuerungen im Insolvenzrecht aus arbeitsrechtlicher Sicht, DRdA 1994, 468; idS auch Holzer/Reissner/Schwarz , Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz, 349).
4.1 § 11 Abs 3 IESG macht hinsichtlich der von der Straftat umfassten Handlungen (vgl unten Punkt 10) den vom Berufungsgericht als notwendig erachteten Rückgriff auf schadenersatzrechtliche Anspruchsvoraussetzungen somit entbehrlich. Im Anwendungsbereich des § 11 Abs 3 IESG ist vielmehr für die Haftung dem Grunde nach nur darauf abzustellen, ob gegen das Organ wegen der Begehung der dort angeführten Delikte eine strafgerichtliche Verurteilung „im Zusammenhang mit der Insolvenz“ vorliegt.
4.2 Macht man hingegen die Haftung des Organs (ausschließlich) von allgemeinen schadenersatzrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen abhängig, käme im Sinne der zutreffenden Ausführungen des Erstgerichts der Bestimmung des § 11 Abs 3 Satz 3 IESG keine eigenständige Bedeutung zu, zumal eine derartige auf Schadenersatzrecht basierende Haftung auch ohne Rückgriff auf diese Norm möglich ist. So hafteten Organe der Gesellschaft beziehungsweise deren Gläubigern bereits vor dem IRÄG 1994 für den durch ihre strafbaren Handlungen ausgelösten Schaden (nur, aber immerhin) nach allgemeinen schadenersatzrechtlichen Grundsätzen, weil ein strafrechtlich verpönter Angriff gegen Rechte eines anderen zwischen dem Täter und dem Verletzten unmittelbare Rechtsbeziehungen schafft, auch wenn der Täter für einen Dritten tätig war ( Holzer/Reissner , DRdA 1994, 468; vgl zB 6 Ob 159/69 SZ 42/104 = JBl 1972, 141 [ Ostheim ]; 5 Ob 522/94; RIS‑Justiz RS0023677; RS0023866; RS0023753).
5. Weder die Systematik noch der Zweck der Bestimmung sprechen gegen einen selbständigen Rückgriffsanspruch.
5.1 Während § 11 Abs 1 Satz 1 IESG den Rückgriffsanspruch des Insolvenz-Entgelt-Fonds auf das nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens verbliebene „Altvermögen“ als Äquivalent (ErläutRV 1384 BlgNR XVIII. GP 13: „Gegenleistung“) für die allein von Arbeitgeberseite zu entrichtenden Beitragsleistungen beschränkt, erweitert Satz 3 leg cit demgegenüber (arg „allerdings“) den Rückgriffsanspruch bei bestimmten strafgerichtlichen Verurteilungen auf das gesamte Vermögen des Arbeitgebers und auch auf das Vermögen des Organs. Damit wurde einerseits der Zugriff auf das „Neuvermögen“ des Arbeitgebers gestattet und andererseits auch eine besondere Organhaftung normiert (idS auch 13 Os 59/98 [„ergänzend statuiert“] mwN). Der Begründung des Berufungsgerichts, das Strafurteil habe nur zur Konsequenz, dass der Regressausschluss nach § 11 Abs 3 erster Satz IESG nicht zum Tragen komme, wird nicht beigetreten, weil die genannte Einschränkung im ersten Satz ausschließlich den (beitragszahlenden) Arbeitgeber, nicht aber das Organ betrifft.
5.2 Dementsprechend wird in den Materialien zum IRÄG 1994 die Regelung dahin erklärt, dass die Möglichkeit geschaffen werden soll, zur Abdeckung der auf den Fonds übergegangenen und nicht hereingebrachten Forderungen auf das Vermögen des Organs zu greifen, wenn dieses wegen bestimmter Straftaten verurteilt wurde (ErläutRV 1384 BlgNR XVIII. GP 13). Die Eigenständigkeit dieses gesetzlichen Anspruchs ergibt sich auch aus dem Umstand, dass allfällige auf den Fonds übergegangene vertragliche Erfüllungsansprüche gegen das Organ an der fehlenden Arbeitgeberstellung des Organs scheitern müssten (vgl Liebig , IESG 3 § 11 Rz 67).
5.3 Die ratio legis dieser Bestimmung liegt ua in ihrem präventiven Charakter zur Missbrauchsvermeidung. In diesem Sinn betonen die Materialien zu einer der Novellen des IESG, mit der auch der Katalog der Strafdelikte in § 11 Abs 3 Satz 3 IESG ausgedehnt wurde, dass (neben § 1 Abs 3 Z 1a IESG) auch mit der hier zu prüfenden Bestimmung dem Art 10 der Richtlinie 2002/74/EG über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers („Insolvenz-Richtlinie“, nunmehr Art 12 RL 2008/94/EG ) Rechnung getragen wird, wonach diese Richtlinie nicht der Möglichkeit der Mitgliedstaaten entgegenstehe, die „zur Vermeidung von Missbräuchen notwendigen Maßnahmen zu treffen“ (ErläutRV 946 BlgNR XXII. GP 6).
6. Bei den in § 11 Abs 3 IESG angeführten Straftaten geht der Gesetzgeber davon aus, dass die verurteilte Person „durch das strafwürdige Verhalten regelmäßig zur Insolvenz (wesentlich) beigetragen hat“ (ErläutRV 946 BlgNR XXII. GP 6). Auch dieser Umstand stützt die Rechtsansicht, dass § 11 Abs 3 Satz 3 IESG einen selbständigen Rückgriffsanspruch normiert, der unabhängig von den Voraussetzungen für einen (daneben möglichen) allgemeinen Schadenersatzanspruch zu prüfen ist. Bei einer im „Zusammenhang mit der Insolvenz“ (vgl dazu unten Punkt 10) erfolgten Verurteilung wegen der in § 11 Abs 3 IESG genannten Delikte ist der Rückgriffsanspruch des Insolvenz-Entgelt-Fonds daher nicht davon abhängig, ob auch nach allgemeinem Zivilrecht ein Anspruch des Fonds gegen das Organ bestünde.
7. Die Ansicht von Liebig , das IRÄG 1994 habe die Möglichkeit des Fonds sogar eingeschränkt, gegen das Organ (auch) Schadenersatzansprüche geltend zu machen, wenn keine Verurteilung der dort genannten Delikte vorliegt ( Liebig , IESG 3 § 11 Rz 69; ders , Die Änderung der Rechtsstellung der Arbeitnehmer in Insolvenzverfahren und des IESG durch das IRÄG 1994, wbl 1994, 148, ders , Betriebsübergang und Insolvenz-Ausfallgeld, wbl 2002, 12), findet weder im Wortlaut noch in der ratio legis eine Grundlage und wird vom erkennenden Senat daher nicht geteilt. Diese Ansicht würde zum bedenklichen Ergebnis führen, dass ein Organwalter dem Insolvenz-Entgelt-Fonds auch dann nicht haftet, wenn er eines der in § 11 Abs 3 IESG genannten Delikte zwar erfüllt hat, dafür aber (zB bei Diversion) strafrechtlich nicht verurteilt wurde, oder wenn er wegen eines anderen Delikts (zB Diebstahl oder Raub) verurteilt wurde, selbst wenn mit dem strafwürdigen Verhalten die Insolvenz der Gesellschaft schuldhaft verursacht wurde. Zudem geht Liebig an anderer Stelle davon aus, dass mit der von ihm kritisierten Novellierung des IESG durch das IRÄG 1994 „quasi eine zivilrechtliche Erfolgshaftung an die Verurteilung wegen bestimmter Delikte geknüpft wird“ ( Liebig , IESG 3 § 11 Rz 67).
8. Durch die Konstruktion einer Urteilswirkung als Tatbestandswirkung darf allerdings der Grundsatz nicht unterlaufen werden, dass die Rechtskraft, insbesondere die Bindungswirkung des Urteils, nur die Parteien erfasst und jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör hat, soweit es um seine zivilrechtlichen Ansprüche geht ( Fasching/Klicka in Fasching/Konecny 2 § 411 ZPO Rz 169). Eine Tatbestandswirkung kann daher nur soweit eingreifen, als der durch die Tatbestandswirkung Betroffene in dem vorangegangenen Verfahren zur der von der Tatbestandswirkung betroffenen Frage rechtliches Gehör hatte (grundlegend 1 Ob 694/89). Dem Beklagten wurde im Strafprozess als Angeklagter uneingeschränkt rechtliches Gehör gewährt, weshalb die hier zu bejahende Tatbestandswirkung keinen Bedenken aus Sicht des rechtlichen Gehörs begegnet.
9. Im Sinne der zutreffenden Ansicht von Holzer/Reissner/Schwarz (Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz, 349) ist daher davon auszugehen, dass im Fall einer Verurteilung wegen der in § 11 Abs 3 Satz 3 IESG genannten Delikte eine unmittelbar auf Gesetz beruhende Haftung der Organe für die übergegangenen Entgeltansprüche dem Fonds gegenüber angeordnet wird.
10. Die normierten Straftatbestände müssen allerdings im direkten Zusammenhang mit der eingetretenen Insolvenz stehen.
10.1 Ein solcher Zusammenhang liegt hier durch das strafwürdige Verhalten des Beklagten vor. Dieser wurde nämlich deshalb wegen des Verbrechens des schweren Betrugs verurteilt, weil er eine (dritte) Gesellschaft über die Zahlungsfähigkeit der I***** getäuscht hat.
10.2 Die Vorinstanzen haben in diesem Zusammenhang zutreffend eine Bindung an das strafgerichtliche Erkenntnis bejaht (vgl RIS-Justiz RS0113561) und sind vom ‑ dem Strafurteil zugrundeliegenden ‑ Umstand ausgegangen, dass der Beklagte seit Juli 2007 von der Zahlungsunfähigkeit der I***** wusste.
10.3 § 11 Abs 3 Satz 3 IESG verlangt einen Zusammenhang der Verurteilung mit der Insolvenz. Ein solcher liegt jedenfalls dann vor, wenn das zur strafrechtlichen Verurteilung führende Verhalten des Organs abstrakt geeignet war, die Insolvenz herbeizuführen oder den durch die Insolvenz ausgelösten Forderungsausfall des Insolvenz-Entgelt-Fonds zu vergrößern. Das ist hier schon deshalb der Fall, weil die in betrügerischer Absicht durch den Beklagten erfolgte Überlassung von Leiharbeitskräften geeignet war, eine Insolvenzverschleppung herbeizuführen.
Die Materialien zu einer der Novellen zum IESG, wonach durch das Fehlverhalten des Verurteilten auch eine finanzielle Schädigung des insolventen Unternehmens selbst oder der Gläubiger (Arbeitnehmer und sonstige Vertragspartner, aber auch Sozialversicherungsträger oder Bauarbeiter-Urlaubs- & Abfertigungskasse) eintreten muss (ErläutRV 946 BlgNR XXII. GP 6), stehen der Bedachtnahme auf die Eignung des Fehlverhaltens zur Herbeiführung der Insolvenz oder zur Erhöhung des Forderungsausfalls nicht entgegen: Denn eine im Zusammenhang mit der Insolvenz erfolgende Schädigung Dritter führt regelmäßig zu einer Erhöhung der Passiva und damit zumindest in typischen Fällen mittelbar zu einem höheren Forderungsausfall des Fonds. Gerade solche Fälle soll der ‑ nicht am Vorliegen konkreter Kausalität anknüpfende ‑ § 11 Abs 3 Satz 3 IESG erfassen. Der Rückgriffsanspruch des Fonds hängt daher insbesondere nicht davon ab, dass er selbst durch die Straftat unmittelbar geschädigt wurde.
11. Ungeachtet der hier geklärten Anspruchsvoraussetzungen kommt die Fällung eines Zwischenurteils derzeit nicht in Betracht.
Der Beklagte bestritt die Klagsforderung insoweit, als den Arbeitnehmern Leistungen gewährt worden seien, die diesen arbeitsrechtlich nicht zustünden. Das Erstgericht ordnete diesen Einwand der Anspruchshöhe zu und wies ausdrücklich darauf hin, dass dieser Aspekt nicht im Grundverfahren, sondern erst im fortgesetzten Verfahren über die Höhe des Anspruchs zu prüfen sei. Diese Frage betrifft allerdings die Aktivlegitimation der klagenden Partei, zumal es zu keiner Legalzession kommt, wenn einem Arbeitnehmer Leistungen gewährt werden, die ihm arbeitsrechtlich nicht zustehen (8 ObA 59/05t; Holzer/Reissner/Schwarz , Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz, 339). Die Frage der Aktivlegitimation ist stets im Grundverfahren zu klären (2 Ob 268/06k mwN = RIS-Justiz RS0122730; Deixler‑Hübner in Fasching/Konecny 3 § 393 ZPO Rz 6), weshalb ein Zwischenurteil derzeit noch nicht erlassen werden kann.
12. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.
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