European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0030OB00054.22W.0428.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 1.032,91 EUR (darin enthalten 172,15 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Kläger begehrte, die Beklagten schuldig zu erkennen, es zu unterlassen, von ihrem (näher bezeichneten) Grundstück ausgehende Geräusche zu verursachen, die in seiner Wohnung ungebührlichen, schlafbehindernden oder störenden und in jedem Fall das ortsübliche Ausmaß überschreitenden Lärm, insbesondere Geräusche durch das Krähen und Kämpfen von Hähnen, verursachen.
[2] Die Beklagten entgegneten, die Hühnerhaltung sei ortsüblich. Das Krähen vor sieben Uhr früh sei nicht der Regelfall, ein Krähen im Stall sei nicht lauter als der Umgebungslärm. Der Kläger habe die Hühnerhaltung zwischen 2012 und 2015 unbeanstandet geduldet, weshalb allfällige Ansprüche auch verschwiegen oder verfristet seien.
[3] Das Erstgericht erkannte die Beklagten schuldig, die Verursachung von – von ihrer Liegenschaft ausgehenden – Hühnergeräuschen durch das Krähen von Hähnen, die in der Wohnung des Klägers ungebührlichen, schlafbehindernden oder störenden und das ortsübliche Ausmaß überschreitenden Lärm verursachen, zu unterlassen.
[4] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Kläger habe im Urteilsantrag nicht eine generelle Unterlassung, sondern die Unterlassung von Lärm, insbesondere Geräusche durch das Krähen und Kämpfen von Hähnen, begehrt. Das Klagebegehren habe daher nicht eingeschränkt und teilweise kostenpflichtig abgewiesen werden müssen.
[5] Über Antrag der Beklagten nach § 508 ZPO sprach das Berufungsgericht nachträglich aus, dass die ordentliche Revision doch zulässig sei, weil zu der von den Beklagten aufgeworfenen Frage, ob eine auf Unterlassung von Lärm gerichtete Unterlassungsverpflichtung auch ein „Minus“ umfasse, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.
[6] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten, die auf die Abweisung des Klagebegehrens abzielt.
[7] Mit seiner Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
[8] Trotz Zulässigerklärung der Revision durch das Berufungsgericht muss der Rechtsmittelwerber eine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen. Macht er hingegen nur solche Gründe geltend, deren Erledigung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt, so ist das Rechtsmittel ungeachtet des Zulässigkeitsausspruchs zurückzuweisen.
Dies ist hier der Fall.
[9] 1.1 Die Zulassungsfrage bezieht sich auf die von den Beklagten vertretene Ansicht, dass eine auf Unterlassung von Lärm gerichtete Verpflichtung nicht ein „Minus“, nämlich nicht auch das Krähen nur eines Hahnes, umfassen könne. Das Klagebegehren habe sich überdies nicht nur auf Lärm durch das Krähen von Hähnen, sondern auf die generelle Unterlassung von Lärm bezogen, weshalb die Voraussetzungen für eine amtswegige Präzisierung nicht gegeben gewesen seien. Es handle sich in Wirklichkeit um eine unzulässige Einschränkung.
[10] 1.2 Damit sind die Beklagten nicht im Recht:
[11] Nach der Rechtsprechung ist das Gericht zur Modifikation und Neufassung eines (Unterlassungs‑)Begehrens berechtigt, sofern es dem Begehren nur eine klarere und deutlichere, dem tatsächlichen Begehren des Klägers entsprechende Fassung gibt (vgl RS0039357; RS0041254 [T2, T4, T12 und T13]; vgl auch RS0039010 [T3]). Maßgebend ist das erkennbare Rechtsschutzziel unter Zugrundelegung des klägerischen Vorbringens (vgl 4 Ob 237/18h). Eine diesen Anforderungen genügende Neufassung des Urteilsspruchs kann auch von Amts wegen erfolgen (RS0039357 [T6]). Bei der Neufassung des Spruchs hat sich das Gericht aber im Rahmen des vom Kläger erkennbar Gewollten und damit innerhalb der von § 405 ZPO gezogenen Grenzen zu halten. Diese Grenze wird dann nicht überschritten, wenn der Spruch nur verdeutlicht, was nach dem Vorbringen ohnedies begehrt ist (4 Ob 13/13k; 4 Ob 237/18h). Ein Begehren ist demnach so zu verstehen, wie es im Zusammenhalt mit dem Vorbringen tatsächlicher Art von der Partei gemeint war (RS0041254 [T20]). Ob mit einer Neuformulierung des Spruchs dem Rechtsschutzziel inhaltlich entsprochen wird, hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab, weshalb regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage vorliegt (RS0041192).
[12] 1.3 Ist das erkennbar gewollte Klagebegehren nur teilweise berechtigt, so kommt nur ein Minderzuspruch in Betracht. Nach der Rechtsprechung ist auch bei einer Unterlassungsklage ein solcher Minderzuspruch zulässig (RS0037645 [T12]; RS0037485 [T7 und T13]). Die eingeschränkte Stattgebung des Unterlassungsbegehrens im Umfang eines „Minus“ führt zu einer Teilabweisung (vgl 4 Ob 237/18h). Die Ansicht des Berufungsgerichts, wonach mit der Präzisierung des Begehrens durch das Erstgericht keine solche „Einschränkung“ erfolgt sei, ist keine im Einzelfall aufzugreifende Verkennung des Parteivorbringens des Klägers, hat sich dieser doch immer unmissverständlich gerade gegen die Geräuschkulisse und Lärmbeeinträchtigung in seiner Wohnung durch das Krähen von Hähnen auf der Liegenschaft der Beklagten gewandt.
[13] 1.4 Die Beklagten verweisen darauf, dass ihnen nach dem Wortlaut des Urteilsspruchs die Verursachung von Lärm durch das Krähen nur eines Hahnes weiterhin erlaubt sei. Diese Frage betrifft die von den Umständen des Einzelfalls abhängige Auslegung des Exekutionstitels. Das Verständnis des Berufungsgerichts, wonach der Urteilstenor die untersagte Lärmimmission durch das Krähen auch nur eines Hahnes umfasst, ist keine Verkennung der Auslegungsgrundsätze.
[14] 2. Die Beklagten bezweifeln die Bestimmtheit des Urteilsspruchs, weil sie nicht wüssten, welchen Erfolg sie zu unterlassen hätten, sei doch der zulässige Geräuschpegel im Spruch nicht angegeben. Der Angabe von Messeinheiten bedarf es nach der Rechtsprechung allerdings nicht (vgl 9 Ob 48/12t; 4 Ob 196/07p jeweils mwN). Warum der Urteilsspruch sonst zu unbestimmt sein soll, legen die Beklagten nicht schlüssig dar. Im Urteilsspruch sind sowohl die Lärmerregungsquelle als auch das unzulässige Ausmaß und die unzulässigen Auswirkungen angeführt. In diesem Sinn entspricht es der Rechtsprechung, dass bei Lärmimmissionen ein auf Untersagung ortsunüblicher und das zumutbare Maß überschreitender Immissionen gerichtetes Klagebegehren hinreichend bestimmt ist (vgl RS0037178). Das gilt namentlich auch für Verbote, Hühner und einen Hahn oder mehrere Hähne zu halten, wodurch es zu einer übermäßigen Lärm- und Geruchsbelästigung komme (vgl 4 Ob 99/12f). Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der vom Erstgericht gefasste Urteilsspruch ausreichend bestimmt sei, hält sich damit im Rahmen dieser Rechtsprechungsgrundsätze.
[15] 3.1 Zur Ortsüblichkeit iSd § 364 Abs 2 ABGB führen die Beklagten aus, dass die vom Berufungsgericht herangezogene Entscheidung zu 4 Ob 64/20w nicht einschlägig sei. Außerdem fehle jede Beurteilung zur Unzumutbarkeit der Lärmbeeinträchtigungen für den Kläger. Schließlich sei entgegen der Entscheidung zu 2 Ob 12/19g eine Differenzierung zwischen einmaligen Spitzenwerten (wie bei einem Überflug) und Dauerbelastungen durch Lärm (wie Verkehrslärm an einer Hauptverkehrsstraße) unterblieben.
[16] 3.2 Auch damit zeigen die Beklagten keine erhebliche Rechtsfrage auf, sind doch die Vorinstanzen zutreffend von den Rechtsprechungsgrundsätzen zur Beurteilung einer unzulässigen Immission nach § 364 Abs 2 ABGB ausgegangen. Demnach besteht das Unterlassungsrecht nach dieser Bestimmung nur dann, wenn die auf den betroffenen Grund wirkenden Einflüsse – hier durch Lärm – einerseits das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß übersteigen und zugleich die ortsübliche Nutzung dieser Liegenschaft wesentlich beeinträchtigen (RS0010587). Hinsichtlich der „örtlichen Verhältnisse“ ist auf Gebiets- bzw Stadtteile („Viertel“) mit annähernd gleichen Lebens- und Umweltbedingungen abzustellen (RS0117865 [T2]; 4 Ob 64/20w mwN). Für die Beurteilung, ob der von einem Grundstück ausgehende Lärm die ortsübliche Nutzung der Nachbarliegenschaft wesentlich beeinträchtigt, ist nicht nur die objektiv messbare Lautstärke, sondern auch die subjektive Lästigkeit maßgebend, wobei auf das Empfinden eines Durchschnittsmenschen in der Lage des Gestörten abzustellen ist (RS0010607). Für diese Lästigkeit sind vor allem die Tonhöhe, die Dauer und die Eigenart der Geräusche entscheidend (RS0010557; RS0010607; 4 Ob 64/20w). Die Frage, ob die vom Nachbargrund einwirkenden Belästigungen das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß übersteigen und die ortsübliche Nutzung der Liegenschaft wesentlich beeinträchtigen, ist grundsätzlich nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RS0033674 [T4]; RS0010583 [T2]).
[17] 3.3 Das Erstgericht bejahte das Vorliegen unzulässiger Immissionen iSd § 364 Abs 2 ABGB, weil ausgehend von den Feststellungen (dicht besiedeltes Gebiet in Wien; deutliches Übersteigen der Umgebungsgeräusche durch das Krähen in der Nacht und untertags; deutliche Wahrnehmbarkeit des täglichen Krähens in der Wohnung des Klägers in der Nacht [mitunter fast stündlich und auch für ein paar Minuten] und tagsüber [teilweise eine halbe Stunde durchgehend] mit Beeinträchtigung des Schlafs sowie beim Lesen und Entspannen; Empfinden der Störung auch für andere Bewohner) die Voraussetzungen sowohl der objektiven Lautstärke als auch der subjektiven Lästigkeit gegeben seien. Warum der Hinweis des Berufungsgerichts auf die Entscheidung zu 4 Ob 64/20w und seine Beurteilung, dass die dargelegte Wertung des Erstgerichts diesen Grundsätzen entspreche, unhaltbar sein soll, vermag die Revision nicht nachvollziehbar zu argumentieren. Aus der wesentlichen Beeinträchtigung der ortsüblichen Nutzung der Wohnung des Klägers nach dem Empfinden eines durchschnittlichen Bewohners folgt auch die Unzumutbarkeit der Beeinträchtigung.
[18] 3.4 Auch der Hinweis der Beklagten auf die Entscheidung zu 2 Ob 12/19g ist nicht zielführend. Diese betrifft einen völlig anders gelagerten Sachverhalt, nämlich ein Begehren auf Schmerzengeld und Heilbehandlungskosten auf der Grundlage von § 364a ABGB bei einem behördlich genehmigten Flughafen aufgrund eines ganz bestimmten einzelnen Landeanflugs.
[19] 4. Die von den Beklagten behaupteten sekundären Feststellungsmängel zur Frage der Beeinträchtigungen durch die vom Kläger beanstandeten Lärmentwicklungen liegen ebenfalls nicht vor. Wie schon das Berufungsgericht ausführlich dargelegt hat, beziehen sich die Feststellungen zu den vom Hahn‑Krähen auf den Liegenschaften der Beklagten ausgehenden Lärmeinwirkungen auf die Situation in der Wohnung des Klägers. Dementsprechend hat das Erstgericht auch die Auswirkungen dieser Immissionen auf den Kläger und auf andere Bewohner der Wohnanlage bezogen. Die Beklagten bekämpfen im gegebenen Zusammenhang in Wirklichkeit die Vorgangsweise des gerichtlichen Sachverständigen bei Durchführung der Lärmmessungen, was aber der Beweiswürdigung zuzuordnen ist (vgl RS0066223) und in dritter Instanz nicht mehr bekämpft werden kann.
[20] 5. Zusammenfassend gelingt es den Beklagten mit ihren Ausführungen nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die Revision war daher zurückzuweisen.
[21] Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO; der Kläger hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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