OGH 3Ob213/08g

OGH3Ob213/08g17.12.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner, Hon.-Prof. Dr. Sailer und Dr. Jensik sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Arno R. Lerchbaumer, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei K***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Helmut Klement und Dr. Annemarie Stipanitz-Schreiner, Rechtsanwälte in Graz, wegen 26.741,49 EUR sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 1. August 2008, GZ 5 R 118/08z-44, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Endurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 15. April 2008, GZ 43 Cg 75/06t-34, in der Fassung des Ergänzungsurteils vom 20. Mai 2008, GZ 43 Cg 75/06t-39, bestätigt wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

  1. 1. Die Revision wegen Nichtigkeit wird verworfen.
  2. 2. Im Übrigen wird der Revision nicht Folge gegeben. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.538,28 EUR (darin 256,38 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei begehrt aus Estricharbeiten bei zwei Bauvorhaben die Zahlung von 20.636,32 EUR und 12.878,23 EUR sA. Die beklagte Partei wendet zuletzt nur noch ein, es sei nur eine Leistungsposition für ein einziges Bauvorhaben (abgerechnet mit 6.772,66 EUR) Gegenstand des Vertrags der Streitteile gewesen. Mit Zwischenurteil vom 2. Oktober 2007 hatte das Berufungsgericht im ersten Rechtsgang das klageabweisende Urteil erster Instanz in ein stattgebendes Zwischenurteil (über den Grund des Anspruchs) abgeändert. Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wies der Oberste Gerichtshof zurück (3 Ob 262/07m).

Nunmehr gab das Erstgericht dem Klagebegehren mit Endurteil zur Gänze statt. Es traf (auch zur Höhe des Anspruchs) keine weiteren Feststellungen. Aus dem bindenden Zwischenurteil sei abzuleiten, dass bei beiden Bauvorhaben die in den klagsgegenständlichen Schlussrechnungen dokumentierten Werke als Hauptleistungen des Werkvertrags vereinbart worden seien. Die beklagte Partei habe weder die Einrede des nicht (vollständig) erfüllten Vertrags erhoben, noch Mängel geltend gemacht. Vielmehr habe sie zuletzt die Ortsüblichkeit des „vereinbarten" [gemeint offenbar: verrechneten] Werklohns außer Streit gestellt, ohne geltend zu machen, es sei ein geringerer Werklohn als jener vereinbart worden. Dem Klagebegehren sei daher stattzugeben.

Während die beklagte Partei in ihrer Berufungsschrift die Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung nicht beantragt hatte, tat dies die klagende Partei zunächst in ihrer Berufungsbeantwortung mit dem Hinweis „Verzicht denkbar". In der Folge erklärte sie einen solchen Verzicht mit Schriftsatz an das Berufungsgericht; die beklagte Partei verweigerte ihre Zustimmung dazu (ON 43).

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der beklagten Partei (aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung) in nichtöffentlicher Sitzung nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Nach der Lehre sei auch ein einseitiger Widerruf des Antrags auf Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung zulässig, weil der Verzicht nach § 492 Abs 1 ZPO einseitig konstruiert sei. Auch werde nach der Rechtsprechung einer Partei die Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln, nur dann entzogen, wenn sie die Anordnung einer mündlichen Berufungsverhandlung selbst beantragt habe oder ohne einen solchen Antrag infolge des vom Gegner gestellten mit dieser Anordnung habe rechnen können. Beides sei hier nicht der Fall. Die Berufungswerberin sei daher nicht beschwert, wenn ihre Gegnerin den in der Berufungsbeantwortung gestellten Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung wieder zurückzieht. In der Sache übersähen Berufungswerberin und Erstgericht die ausdrückliche, von der erstinstanzlichen abweichende, Feststellung im Zwischenurteil zweiter Instanz, wonach im Jänner 2005 eine bestimmte Person als Vertreter der beklagten Partei die klagende Partei bei einem Telefongespräch mit deren Geschäftsführer mit der Vornahme der Estricharbeiten bei beiden Bauvorhaben beauftragte. Damit sei allen Überlegungen der Berufung über den Umfang des Zwischenurteils der Boden entzogen. Es bedürfe somit auch der von der klagenden Partei begehrten ergänzenden Feststellung nicht, weil diese bereits sinngemäß vorliege.

Die ordentliche Revision sei zuzulassen, weil von einem Teil der Rechtsprechung die Auffassung vertreten werde, der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung könne nicht mehr einseitig widerrufen werden. Auch die einzige Entscheidung des Höchstgerichts zu einer Konstellation wie der vorliegenden (6 Ob 251/03k) stelle die Rechtslage nicht im Sinne der der neueren Lehre hinreichend klar.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Die geltend gemachte Nichtigkeit des Urteils zweiter Instanz nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO liegt nicht vor.

Eine solche Nichtigkeit begründet es, wenn ungeachtet eines Antrags auf Anordnung einer mündlichen Berufungsverhandlung über die Berufung in nichtöffentlicher Sitzung entschieden wird (stRsp, SZ 7/388 uva, RIS-Justiz RS0042245; 10 ObS 85/93 = SSV-NF 7/53 uva; RIS-Justiz RS0042118). Wie ebenfalls schon vom Gericht zweiter Instanz zutreffend dargelegt wurde, wird einer Partei die Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln, durch eine Entscheidung über die Berufung in nichtöffentlicher Sitzung nur dann entzogen, wenn sie die Anordnung einer mündlichen Berufungsverhandlung selbst beantragt habe oder ohne einen solchen Antrag infolge des vom Gegner gestellten mit dieser Anordnung rechnen konnte (5 Ob 668/80 ua, RIS-Justiz RS0042212). An sich richtig weist die Revisionswerberin darauf hin, dass der Oberste Gerichtshof, wie schon vom Berufungsgericht zitiert, zu 3 Ob 209/59 = EvBl 1959/301 und 6 Ob 257/00p = RdW 2001, 286 aussprach, ein bloß einseitiger (nachträglicher) Verzicht ändere am Vorliegen des Nichtigkeitsgrunds nichts, wenn der Berufungswerber eine mündliche Berufungsverhandlung ausdrücklich beantragt und damit deren Gegner auch ohne eigenen Antrag kraft Gesetzes ein Recht auf eine solche Verhandlung erworben habe bzw eine solche habe erwarten können. Abgesehen davon, dass in beiden Fällen ein solcher nachträglicher Verzicht nicht vorlag, ist es wesentlich, dass jeweils die Berufungswerber die Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung begehrt hatten. Der Oberste Gerichtshof erachtete auch deren Gegner als durch das Unterbleiben der Verhandlung beschwert. Auch diesen sei die Gelegenheit zur Erörterung des Berufungsgegenstands entzogen worden (ausdrücklich 6 Ob 257/00p). Daraus ist abzuleiten, dass die Schutzwürdigkeit des Berufungsgegners daraus resultieren soll, dass er sich auf das Stattfinden der mündlichen Berufungsverhandlung zufolge des schon in der Berufung gestellten Antrags verlassen darf. Ob daran auch nach der Kritik der Lehre, die einen nachträglichen einseitigen Verzicht generell für zulässig hält (Pimmer in Fasching/Konecny² § 492 ZPO Rz 17; Fasching, ZPR² Rz 1799) und daher wohl auch die Nichtigkeit verneinen muss, weiter festzuhalten sein wird, bedarf hier - ebenso wie zu 2 Ob 25/07a - keiner Prüfung. In der älteren Entscheidung ZBl 1930/236 hatte der Oberste Gerichtshof im Übrigen noch einen einseitigen Verzicht für wirksam erachtet.

Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich nämlich deswegen grundlegend von jenen, in denen der Berufungswerber einen bereits gestellten Antrag auf Anordnung einer mündlichen Berufungsverhandlung nachträglich zurückzieht. Hier hatte die beklagte Partei selbst in ihrer Berufung keinen solchen Antrag gestellt, was nach § 492 ZPO als Verzicht gilt. Ein Vertrauen darauf, es werde schon der Gegner einen solchen Antrag stellen und damit müsse mündlich über die Berufung verhandelt werden, begründet dieses Verhalten klarerweise nicht. Die Erwartung, es werde mündlich verhandelt werden, mag durch den - allerdings ohnehin schon einen späteren Verzicht in Aussicht stellenden - Antrag in der Berufungsbeantwortung entstanden sein. Diese bloße Erwartung verdient aber auch bei Zugrundelegung der dargestellten jüngeren Judikatur nicht den Schutz, der demjenigen zugebilligt wird, der im Vertrauen auf einen schon vorliegenden Antrag einen eigenen in der Berufungsbeantwortung als überflüssig unterlässt. Hier unterließ die klagende Partei diesen Antrag als Berufungswerberin und damit ganz auf eigenes Risiko. Eine gesetzliche Regel, dass ein einseitiger nachträglicher Verzicht auf eine einmal beantragte mündliche Berufungsverhandlung generell nicht zulässig bzw wirksam wäre, existiert nicht. Zu Recht hat daher das Berufungsgericht den Verzicht der beklagten Partei für wirksam erachtet:

Beantragt nur der Berufungsgegner die Anordnung einer mündlichen Berufungsverhandlung, begründet es nicht den Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO, wenn das Berufungsgericht nach nachträglichem Verzicht allein des Berufungsgegners auf die Durchführung dieser Verhandlung über die Berufung in nichtöffentlicher Sitzung entscheidet.

Auf die Beschwer der klagenden Partei dadurch, dass nicht auf Antrag ihrer Prozessgegnerin eine mündliche Berufungsverhandlung durchgeführt wurde (vgl dazu SZ 7/388; 7 Ob 131/00s; 6 Ob 257/00p; 8 ObA 8/07w ua, RIS-Justiz RS0042208), kommt es somit hier nicht an. Das Berufungsgericht hat daher seine Verpflichtung, (mangels eines Verzichts) iSd § 480 Abs 1 ZPO eine mündliche Berufungsverhandlung anzuberaumen, nicht verletzt, weshalb seiner Entscheidung auch die geltend gemachte Nichtigkeit nicht anhaftet. Die Revision aus diesem Titel ist daher zu verwerfen.

Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung versucht die beklagte Partei, die Feststellungen der zweiten Instanz in ihrem Zwischenurteil zu bekämpfen. Das ist nicht nur deshalb unzulässig, weil jenes Urteil ja längst rechtskräftig ist, sondern auch, weil der Oberste Gerichtshof - sieht man von der hier nicht geltend gemachten Aktenwidrigkeit ab - nicht Tatsacheninstanz ist, wie sich aus den taxativ aufgezählten Revisionsgründen des § 503 ZPO ergibt. Einer Überprüfung zugängliche Ausführungen zum materiellen Recht sind der Revision nicht zu entnehmen, weil diese nicht vom für den Obersten Gerichtshof bindend festgestellten Sachverhalt ausgehen. Der Revision ist daher in der Sache nicht Folge zu geben. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO.

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