OGH 6Ob257/00p

OGH6Ob257/00p23.10.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Fellinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Leopold Specht, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei I***** AG, ***** vertreten durch Dr. Arnold, Rechtsanwaltkommandit-Partnerschaft in Wien, wegen 77.537 S über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 12. Mai 2000, GZ 35 R 166/00x-24, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 26. Juli 2000, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 26. Jänner 2000, GZ 31 C 790/99f-17, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes wird als nichtig aufgehoben und die Rechtssache zur Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Die Klägerin begehrt die Zurückzahlung einer restlichen Anzahlung nach Stornierung eines Vertrages über die Anmietung eines Saales. Die Beklagte wandte ein, ihr stehe die Anzahlung als Stornogebühr zu.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht gab in nichtöffentlicher Sitzung der Berufung der Klägerin Folge und änderte die erstinstanzliche Entscheidung im klagestattgebenden Sinn ab. Das Berufungsgericht sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, änderte diesen Ausspruch aber über Antrag der Beklagten gemäß § 508 Abs 3 ZPO ab und erklärte die ordentliche Revision für zulässig.

Mit ihrer Revision releviert die Beklagte ua eine Nichtigkeit der Berufungsentscheidung, weil das Berufungsgericht trotz des Antrages der Klägerin, eine mündliche Berufungsverhandlung anzuberaumen, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden habe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Die Auffassung des Berufungsgerichtes, die Klägerin habe den in ihrer Berufung enthaltenen Antrag auf Anberaumung einer Berufungsverhandlung (zweifelsfrei) nur hilfsweise gestellt, kann nicht geteilt werden. Der gesamte Berufungsantrag der Klägerin hatte folgenden Wortlaut und folgendes Schriftbild:

"Antrag

das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht möge

1) der Berufung der klagenden Partei Folge geben und das angefochtene Urteil dahingehend abändern, dass dem Klagebegehren vollinhaltlich stattgegeben wird;

in eventu

2) das angefochtene Urteil aufheben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverweisen;

3) eine Berufungsverhandlung anberaumen;

4) jedenfalls die beklagte Partei in die Tragung der Kosten des Vefahrens vor beiden Instanzen binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution verfällen" (S 5 in ON 20).

Das Berufungsgericht legte vor allem das Schriftbild (die Worte "in eventu" finden sich über dem folgenden P 2 und damit auch über den anschließenden weiteren Punkten) dahin aus, dass die unter P 2 und 3 gestellten Anträge hilfsweise gestellt wurden, nicht aber der Kostenantrag unter P 4 wegen der Verwendung des Wortes "jedenfalls". Diese Auslegung ist jedoch nicht zweifelsfrei. Genausogut kann die Überschreibung "in eventu" nur auf den folgenden Punkt 2) bezogen werden, der den neben einem Abänderungsantrag üblicherweise immer nur hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag zur Verfahrensergänzung enthält. Da es beim Verzicht auf eine Berufungsverhandlung (§ 492 Abs 1 ZPO) um den tragenden Verfahrensgrundsatz des Parteigehörs gehört, sind zweifelhafte Parteierklärungen zu Gunsten der Wahrung dieses Grundsatzes auszulegen, allenfalls wäre im Wege eines Verbesserungsverfahrens Klarheit zu schaffen gewesen. Der erkennende Senat ist jedenfalls der Auffassung, dass die Berufungsanträge der Klägerin dahin auszulegen sind, dass die Klägerin nur den Aufhebungsantrag hilfsweise gestellt hat, den Antrag auf Anberaumung einer Berufungsverhandlung aber unbedingt, sodass durch die Berufungsentscheidung in nichtöffentlicher Sitzung der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO verwirklicht wurde (7 Ob 131/00s mwN; RIS-Justiz RS0042208).

Wohl erachtet sich hier die Beklagte als Revisionswerberin, die in ihrer Berufungsbeantwortung selbst keinen Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung gestellt hatte, für beschwert. Da eine Partei ihren Antrag auf Anberaumung einer Berufungsverhandlung nicht mehr einseitig widerrufen kann (EvBl 1959/301) und die Beklagte auch ohne eigene Antragstellung jedenfalls eine Berufungsverhandlung erwarten konnte, ist auch sie durch die Entscheidung in nichtöffentlicher Sitzung beschwert, weil auch ihr die Gelegenheit zur mündlichen Erörterung des Berufungsgegenstandes entzogen wurde (vgl dazu auch 7 Ob 131/00s mwN).

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten, weil kein Zwischenstreit vorliegt und § 51 ZPO auf Beschlüsse, mit denen nur die Entscheidung, nicht aber das vorangehende Verfahren als nichtig aufgehoben wird, keine Anwendung findet (Fucik in Rechberger ZPO2 Rz 1 zu § 51 mwN).

Stichworte