Spruch:
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden im Umfang der Vollstreckbarerklärung und der Bewilligung der Fahrnis- und Forderungsexekution aufgehoben. Insoweit wird die Exekutionssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Abweisung des Antrags auf Bewilligung der Zwangsversteigerung wird bestätigt.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Kosten des Verfahrens erster Instanz.
Text
Begründung
Die betreibende Partei stellte den Antrag auf Vollstreckbarerklärung eines vom Notar ***** mit dem Amtssitz in Montabaur (Oberlandesgerichtsbezirk Koblenz) am 11. Dezember 1997, URNr 1601/1997, beurkundeten abstrakten Schuldanerkenntnisses des Verpflichteten für Österreich und auf Bewilligung der Exekution zur Hereinbringung einer vollstreckbaren (Teil-)Forderung von 88.661,50 EUR sA durch Zwangsversteigerung zweier Wohnungseigentumsanteile des Verpflichteten, Fahrnis- und Forderungsexekution. Dem Antrag lag eine mit dem Stempelaufdruck „Vollstreckbare Ausfertigung" versehene „erste Ausfertigung" der Urkunde (in Kopie) bei, auf der ein weiterer Notar mit demselben Amtssitz am 2. Jänner 2009 beurkundet hatte, dass die Ausfertigung mit dem Original übereinstimme und der betreibenden Partei zum Zwecke der Zwangsvollstreckung erteilt werde.
Darin hatte der Verpflichtete erklärt, mit Stichtag vom 15. 12. 1997 der Firma ... [betreibende Partei] - die sich in Gründung befindet - 250.000 DM ... zuzüglich 7 % Zinsen pA zu schulden. Die Zinsschuld beginne ab 15. 12. 1997. Er verpflichtete sich, „diese Schuld wie folgt zu tilgen:
2.1. In einer Summe bis 15. 03. 2001.
2.2. Innerhalb einer Frist von vierzehn Tagen nach Kündigung der mit der Firma L***** GmbH abgeschlossenen Vereinbarung mit Darlehensvertrag vom 11. 12. 1997.
2.3. Innerhalb einer Frist von vierzehn Tagen nach Kündigung der [sic!] mit der Firma L***** GmbH bestehenden Darlehensvertrages vom 11. 12. 1997.
3. Die Schuldzinsen sind, beginnend mit dem 15. 12. 1997 jeweils am 3. Werktag des darauffolgenden Monats zur Zahlung fällig.
4. Ist die Rückzahlung der Schuld gem Ziffer 2.1./2.2./2.3. am Tag der Fälligkeit nicht rechtzeitig in bar oder auf ein vom Gläubiger bekanntes Konto (Tag der Gutschrift) erfolgt, so bedarf es keiner gesonderten Mahnung des Gläubigers.
Sollte ich bei der Zahlung der Schuldsumme oder mit dreimonatlichen Zinsbeträgen ganz oder teilweise länger als vierzehn Tage in Verzug geraten, so verpflichte ich mich, den noch offenen Restbetrag der Schuld einschließlich angefallener Zinsen in einer Summe auszugleichen.
5. Wegen der vorstehend angeführten Forderung ... zum Fälligkeitsdatum am 15. 3. 2001 bzw zur Fälligkeit gemäß Ziffer 2.2., 2.3. und 3. der vorliegenden Vereinbarung unterwerfe ich mich der sofortigen Zwangsvollstreckung in mein gesamtes Vermögen.
Der Notar soll berechtigt sein, im Falle des Verzuges auf einseitiges Ersuchen eine vollstreckbare Ausfertigung der Firma ... [betreibende Partei], vertreten d.d. ... ohne Nachweis des Verzuges zu erteilen.
Vorstehendes Protokoll wurde dem Erschienenen vorgelesen, genehmigt und eigenhändig unterschrieben wie folgt."
Das Erstgericht erklärte uno actu das abstrakte Schuldanerkenntnis für Österreich für vollstreckbar und bewilligte die Zwangsversteigerung, die Fahrnis- sowie die Forderungsexekution.
Das Gericht zweiter Instanz gab dem Rekurs des Verpflichteten dahin Folge, dass es sämtliche Anträge abwies. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Zufolge des Errichtungsdatums des Exekutionstitels unterliege dieser dem Anwendungsbereich des LGVÜ. Das von einem deutschen Notar unterfertigte Schuldanerkenntnis sei grundsätzlich ein nach Art 50 LGVÜ im Inland vollstreckbarer Exekutionstitel. Art 50 Abs 3 LGVÜ verweise ausdrücklich auf die sinngemäße Anwendung der Vorschriften des Titels III dieser „Verordnung". Nach deren Art 47 Z 1 habe die Partei, welche die Zwangsvollstreckung betreiben wolle, die Urkunden vorzulegen, aus denen sich ergibt, dass die Entscheidung nach dem Recht des Ursprungsstaats vollstreckbar ist und zugestellt wurde.
Es könne dahingestellt bleiben, ob die Vorlage einer zum Zwecke der Zwangsvollstreckung erteilten Ausfertigung für den Nachweis der Vollstreckbarkeit genüge oder ob eine besondere Amtsbestätigung beizuschließen gewesen wäre. Die Zustellung des Exekutionstitels habe aber den Sinn, dem Schuldner die Möglichkeit einer freiwilligen Erfüllung zu geben. Eine Verbesserung mangels Vorlage einer Urkunde über die Zustellung sei entbehrlich, weil es der Urkunde an der für die Vollstreckbarerklärung hinreichenden Bestimmtheit mangle.
Dem Verpflichteten sei entgegen der Rekursbeantwortung dahin beizupflichten, dass dem vorgelegten Notariatsakt der Eintritt der Fälligkeit der abstrakt anerkannten Schuld nicht unzweifelhaft zu entnehmen sei, dies besonders angesichts der Textierung des Punktes 5. Überdies stimmten die Firmen der betreibenden GmbH und der in den Punkten 2.2. und 2.3. genannten GmbH nicht überein.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der betreibenden Partei mit dem Antrag auf Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses ist zulässig, weil es an einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage mangelt, ob nach dem LGVÜ bei einer vollstreckbaren Urkunde ein Nachweis für deren Zustellung Voraussetzung der Vollsteckbarerklärung ist. Der Revisionsrekurs ist teilweise berechtigt.
1. Zwar macht die betreibende Partei, wie noch darzulegen sein wird, (zum Teil nur der Sache nach) zu Recht geltend, es fehle dem Schuldanerkenntnis weder an der erforderlichen Bestimmtheit, noch fehle der Nachweis der Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat. Jedoch kann ihr nicht darin gefolgt werden, es bedürfe nach den Art 50, 47 LGVÜ keiner Zustellung einer vollstreckbaren Urkunde wie der vorliegenden. Dazu ist festzuhalten, dass das Rekursgericht richtig - und von den Parteien unbeanstandet - von der Anwendbarkeit des LGVÜ auf die Vollstreckbarerklärung der am 11. Dezember 1997 errichteten Urkunde ausging (Art 66 Abs 1 EuGVVO, Art 54 Nr 1 LGVÜ, dieses für Österreich in Kraft seit 1. September 1996 [RIS-Justiz RS0114005, RS0106679]; EuGVÜ in Österreich in Kraft seit 1. Dezember 1998 [BGBl III 1998/167; RS0111261]). Es ist auch nicht bestritten worden, dass die Forderung in den sachlichen Anwendungsbereich des Übereinkommens fällt, woran angesichts des in der Urkunde enthaltenen Hinweises auf ein Darlehen auch nicht zu zweifeln ist. Forderungen aus solchen Rechtsgeschäften zwischen Privaten gehören zweifellos zu den Zivil- und Handelssachen iSd Art 1 Abs 1 LGVÜ/EuGVÜ. Diese sind als autonomer Begriff zu verstehen, für dessen Auslegung die Ziele und der Aufbau des Übereinkommens zum einen und die sich aus der Gesamtheit der nationalen Rechtssysteme ergebenden allgemeinen Grundsätze zum anderen heranzuziehen sind (EuGH Rs 814/79, Slg 1980, 3807 - Niederlande/Rüffer).
2. Der Verpflichtete machte in seinem Rekurs auch einen Verstoß gegen den (materiellen) ordre public mit der Begründung geltend, dass abstrakte Schuldanerkenntnisse dem österreichischen Recht fremd seien. Abgesehen davon, dass er darauf in seiner ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung nicht mehr zurückkommt, kann er damit das Vorliegen des auch von Amts wegen wahrzunehmenden Versagungsgrundes nach Art 27 Nr 1 LGVÜ nicht begründen. Nach der vorliegenden vollstreckbaren Notariatsurkunde verpflichtete sich der Schuldner zur Zahlung einer bestimmten Geldsumme. Das ist weder für sich noch im Zusammenhang mit der „Abstraktheit" der Verpflichtung für sich allein mit den Grundwertungen des österreichischen Rechts unvereinbar. Dass sich hinter der Abstraktheit rechtlich verpönte Zwecke verbärgen, behauptet er gar nicht. In Wahrheit geht, wie dargelegt, aus dem Anerkenntnis mit noch hinreichender Deutlichkeit hervor, dass ihm ein Darlehen zugrunde liegt. Außerdem entspricht ein abstraktes Schuldanerkenntnis (nach § 781 erster Satz BGB) dem konstitutiven Anerkenntnis (Sprau in Palandt, BGB68 § 780 Rz 1a, 1b, § 781 Rz 2 mwN), das in Österreich zwar im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt ist, aber in Rechtsprechung und Lehre einhellig anerkannt wird (s etwa Neumayr in KBB² § 1375 ABGB Rz 2 ff mwN).
3. Das Rekursgericht versagte dem vorgelegten Exekutionstitel die Vollstreckbarerklärung, weil diesem der Eintritt der Fälligkeit der abstrakt anerkannten Schuld nicht unzweifelhaft zu entnehmen sei. Voraussetzung für die Vollstreckbarerklärung ist auch eine hinreichende Bestimmtheit des Titels. An die Bestimmtheit ausländischer Exekutionstitel dürfen - wie vom Obersten Gerichtshof bereits dargelegt wurde (3 Ob 104/03w; dem offenbar folgend 1 Ob 1/05m = SZ 2005/36) - nicht dieselben Anforderungen wie an inländische Titel gestellt werden (G. Kodek in Czernich/Tiefenthaler/Kodek, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht2 Art 38 Rz 7; Burgstaller/Höllwerth in Burgstaller/Deixler-Hübner, EO § 79 Rz 13 f; vgl auch 3 Ob 160/98w = ZfRV 1999, 75). Besonders an europäischen Titeln darf keine strenge Bestimmtheitsprüfung vorgenommen werden, wenn sie im Heimatstaat vollstreckbar sind (Burgstaller/Höllwerth aaO Rz 14 mwN; G. Kodek aaO). Für das Erfordernis der Fälligkeit kann nicht grundlegend Anderes gelten als für den Gegenstand (vgl § 7 Abs 1 EO: „Gegenstand, Art, Umfang und Zeit der geschuldeten Leistung"). Die zitierten Entscheidungen betrafen ja jeweils deutsche Unterhaltstitel, die nicht auf eine Geldsumme lauteten. Auch bei der Fälligkeit geht es um ein Bestimmtheitserfordernis, eben in zeitlicher Hinsicht und nicht für den Umfang der Leistung. Daher darf auch die Fälligkeitsangabe in einem europäischen Exekutionstitel nicht so streng wie in einem rein innerstaatlichen Fall geprüft werden.
Nach der vom Rekursgericht geteilten Ansicht des Verpflichteten sei dem Exekutionstitel der Eintritt der Fälligkeit der betriebenen Forderung nicht unzweifelhaft zu entnehmen. Entgegen dessen in der ihm freigestellten Revisionsrekursbeantwortung vertretenen Meinung kann aus dem im Exekutionsantrag angegebenen Tag des Beginns der Verzinsung kein Schluss auf die Bestimmtheit der Fälligkeit nach dem Titel rückgeschlossen werden, kann dieser doch (was nahe läge) aus der Anrechnung einer Teilzahlung und/oder der Kapitalisierung von Schuldzinsen resultieren oder auch andere Gründe haben. Es spielt auch keine Rolle, dass die in Punkt 2.2. und 2.3. als Partnerin eines Darlehensvertrags genannte GmbH eine von dem der betreibenden Partei ein wenig abweichende Firma aufweist. Abgesehen davon, dass die in diesen Punkten genannten Fälligkeiten unerheblich sind, wie noch zu zeigen ist, ist weder im Exekutionstitel noch im bisherigen Verfahren davon die Rede, dass das angesprochene Darlehen nicht mit jener GmbH vereinbart worden wäre. Selbstverständlich könnte - etwa infolge einer Zession - die betreibende Partei die anerkannte Forderung von jener erworben haben. Betrachtet man die drei in der vollstreckbaren Urkunde genannten Fälligkeiten, dann ergibt sich daraus, wie die betreibende Partei zu Recht geltend macht, zwanglos, dass der in Punkt 2.1. angegebene Fälligkeitstag absolut vereinbart wurde und - anders als die in den Punkten 2.2. und 2.3. Fälligkeiten - nicht von einer Kündigung abhängig ist (die Fälligkeit der monatlichen Zinsen trat nach Punkt 3. schon ab Anfang 1998 ein). Daraus folgt, dass jedenfalls mit Ablauf des 15. März 2001 das Kapital der betriebenen Forderung fällig wurde. Auf eine Kündigung der weiters genannten Vereinbarung bzw des Darlehensvertrags laut Punkte 2.2. und 2.3. kommt es seit diesem Datum nicht mehr an. Mangelnde Fälligkeit steht somit weder der Vollstreckbarerklärung noch den Exekutionsbewilligungen entgegen.
4. Entgegen der Ansicht des Verpflichteten fehlt es auch nicht an einer Urkunde, aus der sich ergibt, dass die vollstreckbare öffentliche Urkunde im Ursprungsstaat vollstreckbar ist. Nach Art 50 Abs 3 LGVÜ sind auf die Vollstreckbarerklärung von Urkunden die Vorschriften des 3. Abschnitts des Titels III „sinngemäß" anzuwenden, wozu ua auch Art 47 Nr 1 LGVÜ zählt. Demnach hat die Partei, die Zwangsvollstreckung betreiben will, die Urkunden vorzulegen, aus denen sich ergibt, dass die Entscheidung vollstreckbar ist und dass sie zugestellt worden ist.
Sinngemäß bedeutet nun unzweifelhaft, dass statt „Entscheidung" „öffentliche Urkunde" zu lesen ist. Fraglich könnte aber sein, ob und in welcher Form die beiden genannten (Beweis-)Urkunden auch nach Art 50 dem Gericht vorzulegen sind. Näheres zur Auslegung des Art 50 iVm Art 47 Nr 1 LGVÜ ist weder den Berichten von Schlosser (Rn 226) und Jenard (56) zu diesem Übereinkommen noch der Rechtsprechung des EuGH zum EuGVÜ zu entnehmen.
4.1. Entgegen der Meinung des Verpflichteten fehlt es hier nicht an einer die Vollstreckbarkeit in Deutschland nachweisenden Urkunde. Diese muss nicht unbedingt auf einem separaten Schriftstück vorliegen (so schon der Jenard -Bericht zu Art 47 LGVÜ 55 [abgedruckt ua bei Lechner/Mayr, Das Übereinkommen von Lugano 279]; G. Kodek aaO Art 53 Rz 8). Nach § 56 dAVAG in der noch geltenden Fassung (zur EuGVVO) iVm § 797 dZPO ist der Notar, der die Urkunde verwahrt, auch zur Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung befugt. Darin ist nach deutschem Recht die Ausstellung der Urkunde zu sehen, die die Vollstreckbarkeit im Sinn des Art 47 Z 1 LGVÜ bestätigt.
4.2. Zur Vollstreckbarerklärung von Entscheidungen nach dem EuGVÜ entschied der EuGH (Rs C-275/94 , Slg 1996 I, 1393 - Van der Linden/Feinmechanik = IPRax 1997, 186 Stadler 171), es könne der Nachweis der Zustellung derselben, wenn die nationalen Verfahrensvorschriften es gestatten, nach Einreichung des Antrags, auch während eines Rechtsbehelfsverfahrens, erbracht werden, sofern der Schuldner über eine angemessene Frist verfüge, um dem Urteil freiwillig nachzukommen. Im vorliegenden Verfahren wird nun von der betreibenden Partei gar nicht geltend gemacht, dass eine nachträgliche Zustellung erfolgt wäre; nach Auskunft des Erstgerichts wurde von diesem der Titel dem Verpflichteten nicht zugestellt. Dass vorher eine solche Zustellung nicht erfolgte, ist nicht strittig. Fraglich könnte nun sein, ob der Charakter der öffentlichen Urkunde, nämlich eines Schuldanerkenntnisses, bei dem die absolute Fälligkeit der Forderung dem Schuldner - anders als bei gerichtlichen Entscheidungen - von Anfang an bekannt war, eine Auslegung (bzw teleologische Reduktion) des Art 50 Abs 3 iVm Art 47 Nr 1 LGVÜ dahin ermöglicht, es könne in sinngemäßer Anwendung der letztgenannten Norm auf den Nachweis der Zustellung der den Titel bildenden öffentlichen Urkunde an den Verpflichteten verzichtet werden. Nach dem Jenard -Bericht zu Art 47 (55) muss vor dem Antrag die Gegenpartei Kenntnis von dem gegen sie ergangenen Urteil und Gelegenheit gehabt haben, diesem freiwillig nachzukommen. Diesen beiden Äußerungen könnte man unter Umständen die Auffassung entnehmen, die Zustellung diene allein dem Zweck, den Mangel der Kenntnis der Zahlungspflicht zu beheben, was für die Entbehrlichkeit der Zustellung bei öffentlichen Urkunden, die ein Schuldanerkenntnis enthalten, sprechen könnte. Dagegen sprechen jedoch nach Ansicht des erkennenden Senats die folgenden Erwägungen:
4.3. Ganz allgemein ist bei der Auslegung von Verfahrensvorschriften zu berücksichtigen, dass dem Aspekt der Rechtssicherheit und der Gleichförmigkeit des Vorgehens hohes Gewicht beizumessen ist. Die (potentiellen) Verfahrensparteien sollen sich auf den in der Norm vorgezeichneten Ablauf verlassen können und nicht durch nicht völlig auf der Hand liegende Auslegungen der Vorschriften, schon gar nicht aber durch das Weginterpretieren einer Regel überrascht werden. Überhaupt scheint nach dem LGVÜ der Zwangsvollstreckung im Ausland der Überraschungseffekt genommen zu werden (krit dazu Schlosser, EU-Zivilprozessrecht³ Art 53 EuGVVO Rz 5). Für den Anwendungsbereich des LGVÜ bedeutet das, dass sich ein Schuldner darauf verlassen können soll, er werde vor Einleitung der Zwangsvollstreckung den Exekutionstitel (allenfalls noch einmal) übermittelt bekommen und dann noch eine angemessene Frist zur freiwilligen Erfüllung zur Verfügung haben (wie der EuGH in der Entscheidung Rs C-275/94 darlegte). Dass die Argumentation mit der Kenntnis von Inhalt und Fälligkeit allein aus dem Titel im Einzelfall ohnehin durchaus fragwürdig sein kann, zeigt der vorliegende Fall, in dem um Vollstreckbarerklärung für Österreich erst etwa acht Jahre nach Fälligkeit und über elf Jahre nach Errichtung der Urkunde angesucht wurde.
Dass eine solche Zustellung nach der EuGVVO nicht erforderlich ist, kann für die Auslegung des älteren Übereinkommens nicht entscheidend sein, gilt die Verordnung eben nur für nach ihrem Inkrafttreten geschaffene öffentliche Urkunden (Art 66 Abs 1).
4.4. Auch in der Literatur zum europäischen Vollstreckungsrecht finden sich (mit der Ausnahme der Berner Dissertation von Witschi, Die vollstreckbare öffentliche Urkunde nach Art 50 Lugano-Übereinkommen in der Schweiz [1999] 127, ohne nähere Begründung) keine Stellungnahmen, die die Rechtsansicht der betreibenden Partei stützen würde. Nach Geimer/Schütze (Europäisches Zivilverfahrensrecht² Art 57 Rz 50) sei nach der EuGVVO, anders als nach EuGVÜ/LGVÜ, die Zustellung der vollstreckbaren Urkunde an den Schuldner nicht mehr erforderlich (in welchem Sinn die 1. Aufl [Art 50 Rz 20], auf die sich die betreibende Partei zu Unrecht beruft, demnach zu verstehen ist). Nach Naegeli in Dasser/Oberhammer (Kommentar zum Lugano-Übereinkommen Art 50 Rz 56 mwN) sei der Nachweis der Zustellung nur entbehrlich, wenn das Recht des Ursprungsstaats keine Zustellung der Urkunde erfordere (was hier nicht der Fall ist, wie unten auszuführen ist). In der letzten Auflage seines einschlägigen Werks, das sich hauptsächlich mit dem EuGVÜ befasste (Europäisches Zivilprozessrecht6 Art 50 Rz 9) verlangt Kropholler vom Gläubiger ua, die Urkunden vorzulegen, aus denen sich ergibt, dass die öffentliche Urkunde „zugestellt worden ist (Art 47 Nr. 1)". Dasselbe vertraten Czernich/Tiefenthaler (Die Übereinkommen von Lugano und Brüssel Art 50 Rz 9) und Neumayr (EuGVÜ LGVÜ 90). Auch im Revisionsrekurs kann die betreibende Partei in Wahrheit keine ihre Ansicht stützende Literaturstelle anführen.
Der betreibenden Partei mit Sitz in Deutschland ist auch noch entgegen zu halten, dass nach ihrem Heimatrecht (§ 798 dZPO) die Zwangsvollstreckung auch aus einer Notariatsurkunde (§ 794 Abs 1 Nr 5 leg cit) nur beginnen darf, wenn der Schuldtitel mindestens zwei Wochen vorher zugestellt ist. Auf einen diese Zustellung allenfalls überflüssig machenden Zustellungsverzicht hat sich die betreibende Partei nicht berufen, ein solcher geht auch aus dem vorliegenden Titel nicht hervor. Als Zweck der Wartefrist - der durchaus mit dem der Regeln des LGVÜ übereinzustimmen scheint - ab (neuerlicher) Zustellung des Titels wird angeführt, dass der Schuldner von der Vollstreckung nicht überrascht werden solle (Stöber in Zöller, ZPO27 § 798 Rn 1).
4.5. Die vereinzelte Meinung von Witschi (aaO, der diese überdies nur für den hier nicht vorliegenden Fall vertritt, dass, wie etwa in Österreich, für die Vollstreckung aus einem vollstreckbaren Notariatsakt [§ 54 Abs 2 EO], keine „Vollstreckungsklausel" erforderlich sei) ist schon mangels näherer Erläuterung, aber auch, weil sie ohnehin deutsche vollstreckbare Urkunden nicht betrifft (s § 724 iVm § 797 Abs 2 dZPO), die ja nur nach Erteilung der Vollstreckungsklausel vollstreckbar sind, nicht geeignet, die eingangs des Punktes 4.2. dargestellten Erwägungen zur Rechtssicherheit einerseits und zum Zweck des Art 50 Abs 3 iVm Art 47 Nr 1 LGVÜ andererseits zu entkräften. Demnach hätte die betreibende Partei schon mit dem Antrag eine die Zustellung der vollstreckbaren Notariatsurkunde nachweisende Urkunde vorlegen müssen.
5. Dieser dem vorliegenden Antrag anhaftende Fehler führt jedoch nicht zur sofortigen Abweisung der Anträge der betreibenden Partei auf Vollstreckbarerklärung und sämtlicher Anträge auf Exekutionsbewilligung. Auch die unterbliebene Vorlage von urkundlichen Nachweisen der [Vollstreckbarkeit und] Zustellung iSd Art 47 Nr 1 EuGVÜ/LGVÜ ist ein verbesserungsfähiger Mangel iSd § 54 Abs 3 EO (so schon 3 Ob 145/03z). Daher wird das Erstgericht gemäß der zuletzt genannten Norm, die gemäß § 83 Abs 2 EO auch im Verfahren über die Vollstreckbarerklärung sinngemäß anzuwenden ist (3 Ob 347/99x), die Anträge zur Verbesserung des im Fehlen eines urkundlichen Nachweises der Zustellung der Notariatsurkunde liegenden Formmangels zurückzustellen haben.
6. Ausgenommen ist nur jener auf Bewilligung der Zwangsversteigerung, die hier beim (mit dem Exekutionsgericht identischen) Buchgericht beantragt wurde. Nach bisher ständiger Rechtsprechung können Mängel des Exekutionsantrags nicht iSd § 54 Abs 3 EO zum Gegenstand eines Verbesserungsverfahrens gemacht werden, wenn die Möglichkeit einer Rangverschiebung besteht (3 Ob 137/75 = SZ 48/6; 3 Ob 119/95 = SZ 69/151; 3 Ob 98/06t = SZ 2006/81 ua; RIS-Justiz RS0002312; RS0105081; Angst in Angst, EO² § 133 Rz 10 und § 138 Rz 1 f; Neumayr in Burgstaller/Deixler-Hübner, EO § 133 Rz 32). Dies ist aber hier der Fall. Auch wenn der Formmangel (das Fehlen einer Urkunde) an sich nur das Vollstreckbarerklärungsverfahren betrifft, muss der Ausschluss der Verbesserung auch für einen gleichzeitig eingebrachten Antrag auf Bewilligung der Zwangsversteigerung gelten, weil sich die Aufhebung der Vollstreckbarerklärung derart auswirkt, dass grundsätzlich die zugleich erteilten Exekutionsbewilligungen ebenfalls aufzuheben sind (3 Ob 167/07s). Die bloße Aufhebung der Bewilligung der Zwangsversteigerung ginge sonst zu Lasten allfälliger anderer Antragsteller, weil der Rang der betreibenden Partei auf unbestimmte Zeit gewahrt bliebe. Dem betreibenden Gläubiger ist ja grundsätzlich für die Verbesserung des nicht befristeten Antrags auf Vollstreckbarerklärung keine Frist zu setzen (§ 85 Abs 2 ZPO e contrario).
Zufolge des Einlangens des Antrags beim Erstgericht am 11. Februar 2009 ist aber auf die Auswirkungen der Schaffung der Verbesserungsmöglichkeit nach dem seit 1. Jänner 2009 geltenden § 82a GBG durch die GBNov 2008, BGBl I 2008/100, auf das Liegenschaftsexekutionsverfahren einzugehen. Demnach kann im Grundbuchsverfahren eine rangwahrende Verbesserung erfolgen, wenn der Antrag ein Formgebrechen aufweist, das die ordnungsgemäße Behandlung zu hindern geeignet ist (Abs 1 leg cit). Nach § 82a Abs 2 GBG ist es als verbesserbares Formgebrechen insbesondere anzusehen, wenn dem Antrag eine für die Erledigung erforderliche Urkunde nicht oder, falls dies vorgeschrieben ist, nicht in Urschrift angeschlossen ist. „Urkunden können nur nachgereicht werden, wenn sie bereits im Zeitpunkt des ersten Einlangens des Antrags in der Form errichtet waren, die für die besondere Eintragung erforderlich ist." Diese Norm ist nunmehr nach Angst/Jakusch/Pimmer, EO15 173, in diesen Verfahren, soweit es um die oben dargelegte Rangproblematik geht, analog anzuwenden. Grundsätzlich ist jedenfalls Mohr (Die Verbesserung von Zwangsversteigerungsanträgen, ecolex 2009, 471) dahin zu folgen, dass die Gefahr von Rangverschiebungen allein auch im Zwangsversteigerungsverfahren den Ausschluss der Verbesserung nicht mehr rechtfertigen kann, weil eben der Gesetzgeber mit der Schaffung des § 82a GBG für das Grundbuchsverfahren bewusst diese Gefahr in Kauf nahm. Nach § 82a Abs 2 zweiter Satz GBG können allerdings Urkunden nur nachgereicht werden, wenn sie bereits im Zeitpunkt des ersten Einlangens des Antrags in der Form errichtet waren, die für die begehrte Eintragung erforderlich ist. Das muss daher - analog - auch im Exekutionsverfahren gelten, weil auch hier verhindert werden muss, dass sich der Gläubiger ohne Vorliegen einer Vollstreckbarkeitsbestätigung einen Rang sichert und die Bestätigung erst während des Verbesserungsverfahrens einholt (zutr Mohr aaO 472). Im vorliegenden Fall behauptet die betreibende Partei, die auch im Rekursverfahren Gehör hatte, auch in dritter Instanz nicht, es sei eine Zustellung des Titels an den Verpflichteten erfolgt (sondern bestreitet deren Notwendigkeit), weshalb auch nicht davon ausgegangen werden kann, es liege darüber schon eine Urkunde vor (die kurzfristig beigebracht werden könnte). Der Gesetzgeber nahm aber, wie die zwingend kurze Befristung des Verbesserungsauftrags nach § 82a Abs 1 erster Satz GBG zeigt, eine Rangverbesserung durch ein mit einem Formmangel behaftetes Grundbuchsgesuch nur für eine kurze Frist und bei fehlenden Urkunden nur für den Fall deren Existierens beim Anbringen in Kauf, nicht aber für den Fall, dass eine solche Urkunde erst geschaffen werden müsste, wie es hier der Fall ist. Demnach kann auch die neue Verbesserungsmöglichkeit im Grundbuchsverfahren eine Verbesserung in Ansehung des Zwangsversteigerungsantrags nicht rechtfertigen, weshalb insoweit der bisherigen Rechtsprechung weiter zu folgen ist. Dies führt zur Abweisung des Antrags auf Bewilligung der Zwangsversteigerung.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 78 EO iVm § 52 ZPO.
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