European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0030OB00152.16Y.0922.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurswird gemäß
(§§ 78, § 402 Abs 4 EO iVm) § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Beide Vorinstanzen gewährten der antragstellenden, in England lebenden Ehefrau einen Prozesskostenvorschuss für in Österreich geführte Scheidungs‑ und Unterhaltsprozesse von insgesamt 456.582 EUR, wobei der Einwand des Ehemanns, die Ehefrau habe ihren Unterhaltsanspruch verwirkt, verneint wurde. Der – wiederholt nicht auf dem Boden des als bescheinigt angenommenen Sachverhalts argumentierende – Revisionsrekurs vermag keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Das liegt vor allem daran, dass die Beurteilung eines in mehrfacher Hinsicht – sowohl wegen der exorbitant gehobenen ehelichen Lebensverhältnisse der Streitteile als auch wegen des Aufwands und der Vehemenz unüblichen Ausmaßes, mit dem die gerichtlichen Auseinandersetzungen der nunmehr in unterschiedlichen Staaten lebenden Ehegatten geführt werden – ganz außergewöhnlichen Einzelfalls notwendig ist, die es ausschließt, allgemeingültige Aussagen zur Lösung der anstehenden Rechtsfragen zu treffen. Der Revisionsrekurs ist daher als nicht zulässig zurückzuweisen, was wie folgt zu begründen ist (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).
Rechtliche Beurteilung
1. Die Vorinstanzen haben das einschlägige englische Recht nicht ermittelt. Im Hinblick auf die Dringlichkeit des Verfahrens (vgl RIS‑Justiz RS0040200; RS0045163 [T8]; RS0005307 [T6, T12]; RS0109416; RS0115011 [T2]) und den Umstand, dass im Rechtsmittel auch nicht ansatzweise dargelegt wird, es wäre im Fall des gegebenenfalls anzuwendenden ausländischen Rechts ein für den Ehemann günstigeres als das vom Rekursgericht erzielte Ergebnis zu erwarten, ist diese Frage hier nicht aufzugreifen und österreichisches Recht anzuwenden (so bereits 7 Ob 53/15b).
2. Selbst wenn man im Sinn des Revisionsrekurses als disloziert bescheinigt unterstellt (RIS‑Justiz RS0116014), dass die Ehefrau bei ihren Kontakten mit Medien und dem Vertreter eines Prozessgegners des Ehemanns böswillig und mit der Absicht handelte, den Ehemann wirtschaftlich zu schädigen, und sie ihm – allerdings in keiner Weise konkretisierte – „Schwierigkeiten in beruflicher Hinsicht“ bereitete, stellt die von den Vorinstanzen verneinte Verwirkung des Unterhaltsanspruchs der Ehefrau keine vom Obersten Gerichtshof zu korrigierende Fehlbeurteilung dar.
2.1. Das Erstgericht ging unbekämpft von der Zerrüttung der Ehe der Streitteile jedenfalls seit 16. Dezember 2011 (Einbringung der Scheidungsklage auch durch die Ehefrau) aus.
2.2. Die Vorinstanzen haben übereinstimmend und zutreffend das Setzen eines Verwirkungstatbestands iSd § 94 ABGB durch die Ehefrau vor dem genannten Zeitpunkt verneint, weshalb auf deren Begründung zu verweisen ist (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO).
2.3. Nach dem als bescheinigt angenommenen Sachverhalt besteht kein Zweifel, dass die Aufnahme einer außerehelichen Beziehung mit seiner nunmehrigen Lebensgefährtin durch den Ehemann im Juli 2011 die Zerrüttung der Ehe mindestens in gleichem Maß herbeigeführt hat, wie allfällige Eheverfehlungen der Ehefrau während aufrechter Ehe. Dass die Ehefrau die ihr weiters vom Ehemann vorgeworfenen Verhaltensweisen zu einem Zeitpunkt setzte, zu dem die Ehe der Parteien bereits unheilbar zerrüttet war, führt daher zur Prüfung, ob die Ehefrau ihre Unterhaltsansprüche unter Berücksichtigung des Maßstabs des § 74 EheG verwirkt hat (6 Ob 108/08p = RIS‑Justiz RS0123713 [T1]; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth EuPR § 94 ABGB Rz 315).
2.4. Die Verwirkung soll nur die Folge eines besonders gravierenden Verhaltens des Unterhaltsberechtigten sein, durch das er sich der Unterstützung des Unterhaltspflichtigen unwürdig gemacht hat. Es ist im Einzelfall unter Berücksichtigung aller objektiven und subjektiven Umstände zu prüfen, ob die Verfehlung so schwer wiegt, dass dem Verpflichteten die Unterhaltsleistung für alle Zukunft nicht mehr zumutbar ist (1 Ob 303/00s; 3 Ob 245/05h; RIS‑Justiz RS0078153 [T1 und T4]). Es sind auch die Begleitumstände und das Verhalten des Unterhaltspflichtigen zu berücksichtigen (RIS‑Justiz RS0056716; RS0057392; Gitschthaler EuPR § 74 EheG Rz 2 und 13 mwN). Die Beurteilung im Einzelfall, ob ein derart besonders krasser Fall vorliegt, in welchem die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs (wegen des Verhaltens des betreffenden Ehegattens) grob unbillig erscheinen würde, stellt grundsätzlich keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung dar (RIS‑Justiz RS0009759 [T13]).
2.5. Die Vorinstanzen ließen die Art und Weise, wie der Ehemann die von ihm offensichtlich strategisch geplante, rechtsanwaltlich begleitete und überfallsartig vorgenommene Trennung von der Ehefrau vollzog, seine folgende Weigerung, persönliche Gespräche zu führen und sie auf Anwaltskontakte zu verweisen, also die kompromisslose Neugestaltung seines Lebens mit einer anderen Frau verbunden mit dem Fallenlassen der Ehefrau nicht unberücksichtigt, sondern haben ihr das nicht nur kurzfristige Empfinden von Demütigung, Hintergehung, Enttäuschung und Verrat zugestanden. Auch dies hält sich im Rahmen der dargestellten Judikatur.
2.6. Demgemäß erscheint es – auf der allein maßgeblichen Grundlage des als bescheinigt angenommenen Sachverhalts – jedenfalls vertretbar, die zwar zum Teil groben, aber über den Zeitraum von etwa zweieinhalb Jahren keineswegs zahlenmäßig häufig erfolgten Beleidigungen und Beschimpfungen des Ehemanns durch E-Mails (die nur in zwei Fällen Dritten zugänglich waren und zum Teil auch seine Lebensgefährtin und das gemeinsame Kind betrafen) nicht überzubewerten und darin keinen Grund für den Verlust des Unterhaltsanspruchs zu sehen (vgl 6 Ob 108/08p mwN): Wurde doch dieses Verhalten der Ehefrau durch das Vorgehen des Ehemanns ganz wesentlich gefördert und veranlasst (RIS‑Justiz RS0005529 [T7]).
2.7. Zu den Medienkontakten der Ehefrau und den im Zusammenhang damit vom Ehemann inkriminierten Zeitungsartikeln hat das Rekursgericht – auf der relevanten Basis des bindend festgestellten Sachverhalts – zu Recht darauf hingewiesen, dass jener vom 21. November 2013 nicht einwandfrei der Ehefrau kausal zugeordnet werden kann (arg: „aus dem näheren Umfeld der Antragstellerin“), und dass der Inhalt jenes vom 4. Mai 2014 der festgestellten Aussage der Ehefrau gar nicht entspricht (die eine neutrale Formulierung darstellt und eine gesetzwidrige Erschleichung einer Bewilligung nicht einmal vermuten lässt). Insofern ist sie für die beiden Zeitungsartikel nicht verantwortlich zu machen, sodass sich diesbezügliche Fragen nach ihrer Schädigungsabsicht und nach der Schädigung des Ehemanns dadurch gar nicht stellen.
2.8. Ob es der geschiedenen Ehefrau als schwere Verfehlung anzulasten ist, wenn sie verschiedene ihr aufgrund des seinerzeitigen ehelichen Zusammenlebens bekannte, aber für den anderen Ehegatten sehr nachteilige Umstände dritten Personen eröffnet, hängt einerseits von der Art und Gewichtigkeit der bekanntgegebenen Umstände sowie von der Art ihrer Weitergabe und damit von den Auswirkungen derselben auf die Interessenssphäre des geschiedenen Mannes ab (RIS‑Justiz RS0057374 [T1]).
2.9. Zum Artikel aus dem Jahr 2013, in dem von der Ehefrau gegen den Willen des Ehemanns zur Verfügung gestellte private Lichtbilder und von ihr gegebene Informationen Verwendung fanden, konnte das Erstgericht nicht feststellen, dass die vom Rechtsmittelwerber behauptete Sicherheitsgefährdung seiner Familie eingetreten ist. Auch eine konkrete massive Gefährdung seines wirtschaftlichen Fortkommens durch diesen Artikel (vgl 3 Ob 90/07t) ist weder erkennbar noch festgestellt. Selbst wenn der Artikel, der den Gegner der gefährdeten Partei namentlich gar nicht nannte, dessen Geheimhaltungsinteressen verletzt und die Ehefrau die Informationen in Schädigungsabsicht weitergegeben haben sollte, wurde ihr diesbezügliches Fehlverhalten im Licht seiner angesprochenen, inakzeptablen Vorgangsweise somit vertretbar vernachlässigt.
2.10. Im Vorgehen der Ehefrau, dem Vertreter eines Prozessgegners des Ehemanns Informationen, die diesem in dem Prozess nachteilig sein könnten, zukommen zu lassen und ihm auch die Verwertung von im Scheidungsverfahren der Streitteile gewonnenen Erkenntnissen „böswillig“ zu erlauben, ist zwar an sich eine schwere Verfehlung der Ehefrau zu erblicken; da weder die Art oder Gewichtigkeit der bekanntgegebenen Umstände noch die konkreten kausalen Auswirkungen auf die Interessensphäre des Ehemanns (und den von ihm geführten Prozess) festgestellt wurden, ist auch in diesem Zusammenhang die Verneinung der Verwirklichung des Verwirkungstatbestands durch die Vorinstanzen nicht korrekturbedürftig.
2.11. Zusammenfassend ist auch das im Rahmen einer Gesamtbetrachtung des Verhaltens beider Ehegatten von den Vorinstanzen erzielte Ergebnis, die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen durch die Ehefrau stelle (noch) keinen Rechtsmissbrauch dar, weshalb dem Ehemann die weitere Unterhaltsleistung nicht unzumutbar sei, durchaus vertretbar und bedarf keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof.
3. Notwendige Prozess‑ und Anwaltskosten sind grundsätzlich aus dem Anspruch nach § 94 ABGB zu decken und nicht als gesonderter Vorschuss zuzusprechen. Die Zuerkennung eines Prozesskostenvorschusses setzt eine Abwägung der beiderseitigen Interessen voraus: Einerseits ist darauf zu achten, ob und inwieweit der den Vorschuss begehrende Ehegatte unter Bedachtnahme auf seine sonstigen Bedürfnisse die Verfahrenskosten aus eigenen Einkünften einschließlich des monatlichen Unterhalts decken kann; andererseits ist zu berücksichtigen, ob und inwieweit dem Unterhaltspflichtigen diese zusätzliche Leistung unter Bedachtnahme auf seine sonstigen Zahlungen und Verpflichtungen zugemutet werden kann (RIS‑Justiz RS0013486, RS0047386; Hopf/Kathrein Eherecht³ § 382 EO Rz 16). Die Notwendigkeit der einzelnen Maßnahmen ist im Einzelfall zu prüfen und vor allem darauf Bedacht zu nehmen, ob auch der Gegner anwaltlich vertreten ist; maßgeblich ist, ob auch andere vernünftige und sorgfältige Personen in der Lage der gefährdeten Partei ein ähnliches kostenverursachendes Verhalten gesetzt hätten, dieses also als vernünftige und zweckentsprechende Rechtsverfolgungsmaßnahme anzusehen ist. Unbilligkeiten sind zu vermeiden (1 Ob 67/05t = SZ 2005/55; 9 Ob 121/06v; Gitschthaler EuPR § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO Rz 54). Ziel des Unterhalts ist ua die Möglichkeit, Streitfragen unter angemessenen Rahmenbedingungen klären zu können (König Einstweilige Verfügungen im Zivilverfahren4 Rz 4/17), also auch eine Waffengleichheit zwischen den prozessierenden Ehegatten herzustellen.
3.1. Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung kann die einvernehmliche Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse während aufrechter Ehe nicht unberücksichtigt bleiben (vgl RIS‑Justiz RS0009710; § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB), wovon auch das Rekursgericht durch den Hinweis auf den exklusiven Lebensstil der Ehegatten und die „sonstigen Lebensverhältnisse der Streitteile“ zutreffend ausgegangen ist. Dazu ist den Feststellungen zu entnehmen, dass sich die privaten Ausgaben des Ehepaars im Jahr 2010 in Höhe von ca 10,3 Mio USD (= etwa 7,74 Mio EUR) bewegten und für das Jahr 2011 mit ca 8,6 Mio USD (= etwa 6,18 Mio EUR) veranschlagt wurden; der Ehefrau standen ausschließlich zur Deckung ihrer persönlichen Bedürfnisse monatlich etwa 98.000 EUR zur Verfügung. Nunmehr steht der Ehefrau dafür (neben den vom Ehemann weiterhin bezahlten Kosten ua für die [und im Zusammenhang mit der] luxuriöse[n] Ehewohnung in England) „nur mehr“ der vom Ehemann geleistete Geldunterhalt von ca 24.600 EUR monatlich zur Verfügung, was ungeachtet der absoluten Höhe des Betrags eine massive Reduktion gegenüber den Verhältnissen bei aufrechter Lebensgemeinschaft bedeutet. Eigene Einkünfte der Ehefrau aus Liegenschaftseigentum sind nicht bescheinigt.
Die Ehefrau ist in der vom Ehemann herbeigeführten Situation mit einem Scheidungsprozess und einer massiven Kürzung der ihr überlassenen Mittel konfrontiert. Es wäre daher in Anbetracht der außergewöhnlichen finanziellen Ausstattung des Ehemanns und deren Ausnutzung durch außerordentlich aufwändige Prozessführung grob unbillig, müsste sie jenen Aufwand, der entsteht, um dem Gegner auf möglichst gleicher juristischer Ebene (in den aus der Sicht der Ehefrau fremdsprachigen Prozessen, deren materielle Rechtsgrundlagen noch gar nicht abschließend geklärt sind) entgegentreten zu können, aus dem ohnehin schon massiv gekürzten Unterhalt finanzieren; dies unabhängig davon, ob das rechnerisch überhaupt möglich wäre. Die ohnehin in diesem Sinn zu verstehende Rechtsansicht der Vorinstanzen, die Ehefrau könne die vom Erstgericht als notwendig angesehenen Kosten von insgesamt 456.582 EUR nicht aus dem laufenden Geldunterhalt bezahlen, erweist sich daher im vorliegenden – durch ganz außergewöhnliche Verhältnisse gekennzeichneten – Einzelfall als vertretbar.
3.2. Festgestellt ist, dass der Ehemann beim Honorar seiner mindestens zwei österreichischen Anwälte Stundensätze vereinbarte, also zweifellos eine Entlohnung über jener nach RATG gewährt.
Schon deshalb wäre es hier unbillig, den auf Anwaltskosten entfallenden Bedarf der Ehefrau auf eine Berechnung nach RATG zu beschränken: Wäre es doch – wie die Vorinstanzen unbeanstandet ausführten – der Ehefrau sonst unmöglich, die Verfahren in ähnlich sorgfältiger Weise vorzubereiten, wie es für den Ehemann selbstverständlich ist. Auch die Bemessung der Kosten des österreichischen Anwalts nach den der Höhe nach unbeanstandet gebliebenen Stundensätzen erweist sich daher als nicht korrekturbedürftig.
3.3. Dass es sich bei der Pauschalgebühr nach GGG um „Prozesskosten“ handelt, die grundsätzlich bei der Bemessung des Prozesskostenvorschusses zu berücksichtigen sind, bedarf keiner näheren Begründung. Der vom Ehemann erblickten Gefahr, die Unterhaltsberechtigte könnte die Höhe der Pauschalgebühr durch ein überhöhtes Begehren willkürlich zu Lasten des Unterhaltspflichtigen gestalten, steht die Beschränkung des Vorschusses auf die notwendigen Kosten entgegen, wodurch eine Wahrnehmung offensichtlicher Überklagungen bei der Bemessung des Vorschusses gewährleistet ist.
Hier ist eine „hoffnungslose Überklagung“ im Unterhaltsverfahren nach den Feststellungen im Provisorialverfahren jedoch nicht bescheinigt; vielmehr ergibt sich aus dem maßgebenden Sachverhalt, dass die (allerdings noch nicht näher erforschte) Einkommens‑ und Vermögenssituation des Ehemanns einen außergewöhnlich hohen Zuspruch an Unterhalt während aufrechter Ehe rechtfertigen könnte.
Daher ist auch die Pauschalgebühr für die Unterhaltsklage vertretbar berücksichtigt worden.
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