European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0020OB00098.15Y.0909.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 114,29 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 19,05 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung
Der Bruder des Klägers hatte der Beklagten vorgeschlagen, mit ihm, dem Kläger und weiteren Personen im Auto des Klägers ‑ einem Audi A4 Avant ‑ von einer Umgebungsgemeinde nach Graz zu fahren. Der Kläger war aufgrund von Alkoholkonsum am Vorabend nicht fahrtüchtig, weswegen die Beklagte das Fahrzeug lenkte. Über eine Kaskoversicherung wurde vor dem Fahrtantritt nicht gesprochen. Die Beklagte verfügte seit eineinhalb Jahren über eine Lenkerberechtigung und fuhr regelmäßig mit ihrem eigenen Auto zur Arbeit.
In Graz konsumierte der Kläger weiteren Alkohol. Dann wollte die Beklagte wieder nach Hause fahren, wogegen sich der Kläger nicht aussprach. Kurz danach verursachte die Beklagte aufgrund eines Beobachtungsfehlers einen Unfall, bei dem das Fahrzeug des Klägers beschädigt wurde. Dieser begehrt nun von ihr Schadenersatz.
Mit dem angefochtenen Teilurteil bestätigte das Berufungsgericht einen Zuspruch von 70 EUR an ‑ der Höhe nach unstrittigen ‑ „pauschalen Unkosten“; in Bezug auf den Sachschaden am Pkw hob es das Ersturteil ohne Rechtskraftvorbehalt auf. Infolge eines Abänderungsantrags nach § 508 ZPO ließ es nachträglich die Revision der Beklagten gegen das Teilurteil zu, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob bei Lenken eines fremden Fahrzeugs aus Gefälligkeit eine konkludente Haftungsbeschränkung auf Fälle von grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz anzunehmen sei.
Die Revision ist ungeachtet dieses den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruchs nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
1. Die Beklagte stützt sich in ihrem Rechtsmittel auf deutsche Rechtsprechung, wonach sich aus ergänzender Vertragsauslegung unter gewissen Umständen eine Beschränkung der Haftung des Lenkers eines fremden Fahrzeugs ergeben kann (vgl dazu die Nachweise bei Bacher in Geigel , Haftpflichtprozess 27 [2015] Kap 12 Rz 41 ff). Dabei reicht der Umstand, dass sich jemand aus bloßer Gefälligkeit an das Steuer eines fremden Fahrzeugs setzt und den Eigentümer mitnimmt, nicht aus. Voraussetzung für eine „konkludente“ Haftungsbeschränkung ist vielmehr zunächst das Fehlen von Haftpflichtversicherungsdeckung, woraus sich ein „nicht hinzunehmendes Haftungsrisiko“ ergebe. Weiters müssen „besondere Umstände“ vorliegen, die im konkreten Fall einen Haftungsverzicht als „besonders naheliegend“ erscheinen lassen. Als solcher Umstand gilt insbesondere ein „besonderes Interesse“ des Geschädigten am Lenken des Fahrzeugs durch den Dritten (BGH VI ZR 278/92, NJW 1993, 3067; VI ZR 28/08, NVZ 2009, 279; beide mwN).
2. Der Oberste Gerichtshof hat demgegenüber bereits mehrfach ausgesprochen, dass Handeln aus Gefälligkeit von vornherein (für sich allein) nicht zu einer Haftungsbeschränkung des Handelnden führt (2 Ob 168/70 = RIS‑Justiz RS0014195; 2 Ob 153/98h, ZVR 1999/26; 6 Ob 91/12v, ZVR 2013/125). Davon abzugehen besteht jedenfalls im konkreten Fall kein Anlass:
2.1. Die Annahme einer konkludent vereinbarten Haftungsbeschränkung wäre eine reine Fiktion. Ein Vertrag kommt nur zustande, wenn einer der Vertragspartner auf den objektiven Erklärungswert eines Verhaltens der Gegenseite vertrauen durfte und auch vertraut hat ; einen beidseits unbewussten Vertragsschluss gibt es nicht ( F. Bydlinski , Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts [1967] 38; Rummel in Rummel / Lukas 4 § 863 Rz 14; Riedler in Schwimann / Kodek 4 § 863 Rz 5; Bollenberger in KBB 4 § 863 Rz 3; 2 Ob 225/58, EvBl 1958/331; 1 Ob 137/03h, JBl 2004, 243; 10 Ob 26/08h, immolex 2009, 115 [ Stibi ]; RIS-Justiz RS0014158 [T7]).
Von einem solchen Vertrauen kann im vorliegenden Fall keine Rede sein: Zwar ist richtig, dass die Haftpflichtversicherung des Klägers die strittigen Schäden (wohl) nicht deckt, weil solche Schäden ungeachtet der Tatsache, dass die Beklagte als befugte Lenkerin mitversicherte Person ist (§ 2 Abs 2 KHVG), nach § 4 Z 1 und Z 2 KHVG von der Versicherung ausgeschlossen werden können und wohl auch ausgeschlossen wurden. Die Beklagte muss daher ‑ bei Bestehen eines Schadenersatzanspruchs ‑ den Schaden selbst tragen. Sie behauptet aber nicht einmal, dass dies ihr oder dem Kläger bei Antritt der Fahrt bewusst gewesen wäre. Damit hatte die Beklagte aber auch keinen Anlass, die (bloße) Duldung ihres Lenkens durch den Kläger ‑ mehr steht entgegen der insofern nicht gesetzmäßig ausgeführten Revision nicht fest ‑ als Zustimmung zu einer Beschränkung ihrer Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu verstehen.
Aus den Feststellungen ergibt sich auch nicht, dass die Beklagte auf Kaskodeckung vertrauen durfte. Das unterscheidet den vorliegenden Fall von der Ermöglichung der Nutzung von (neuwertigen) Kraftfahrzeugen durch ein Unternehmen, etwa im Rahmen einer Probefahrt oder während einer Reparatur (1 Ob 35/03h, SZ 2003/30 = ZVR 2004/67; 2 Ob 289/03v, ZVR 2005/36 [ Hauenschild ]): Hier wird der Lenker regelmäßig annehmen, dass Kaskodeckung besteht und sein Haftungsrisiko daher (abgesehen allenfalls von einem Selbstbehalt) beschränkt ist, und er wird bei Unterbleiben eines gegenteiligen Hinweises das objektiv in diesem Sinn zu verstehende Angebot des Unternehmers auch tatsächlich so verstehen. Damit kommt idR eine entsprechende Vereinbarung zustande. Das trifft nicht zu, wenn ‑ wie hier ‑ kein Grund für die Annahme bestand, dass das Fahrzeug jedenfalls kaskoversichert wäre.
2.2. Eine Haftungsbeschränkung aufgrund ergänzender Vertragsauslegung setzte voraus, dass zwischen den Parteien überhaupt ein Vertrag zustande gekommen wäre, der ergänzend ausgelegt werden könnte. Dafür gibt es im festgestellten Sachverhalt keinen Anhaltspunkt. Bloße Gefälligkeiten, bei denen an eine vertragliche Bindung nicht gedacht wird, begründen kein Vertragsverhältnis (2 Ob 153/98h, ZVR 1999/26).
Abgesehen davon lägen die Voraussetzungen für eine Haftungsbeschränkung auch dann nicht vor, wenn man ergänzende Vertragsauslegung im konkreten Fall für möglich hielte. Denn die Beklagte war entgegen den Ausführungen der Revision weder eine „unerfahrene Fahranfängerin“ noch hatte sie die Fahrt „nur über Ersuchen des Halters“ (dh des Klägers) angetreten. Vielmehr hatte sie im Zeitpunkt des Unfalls schon eineinhalb Jahre Fahrpraxis, die Idee für die Fahrt stammte vom Bruder des Klägers (jener stimmte nur zu), und ab der Rückfahrt war es nach einer (wenngleich dislozierten) Feststellung des Erstgerichts überhaupt „der Wunsch der Beklagten [...], das Fahrzeug wieder zurück nach Hause zu lenken“. Das Erstgericht bezog sich dabei auf Beweisergebnisse, wonach für die Rückfahrt auch ein anderer fahrtüchtiger Lenker zur Verfügung gestanden wäre; aus dem Kontext ergibt sich daher, dass die Beklagte das Fahrzeug ‑ aufgrund von Marke und Modell nachvollziehbar ‑ weiter selbst lenken wollte . Ihr Vorbringen, sie habe dem „Drängen“ des Klägers „widerwillig“ nachgegeben, ist daher nicht erwiesen.
2.3. Diese Umstände ‑ insbesondere das eigene Interesse der Beklagten am Lenken des Fahrzeugs ‑ schließen die Annahme einer Haftungsbeschränkung jedenfalls aus. Handelt der Lenker auch im eigenen Interesse, wäre nicht nachvollziehbar, weshalb der Eigentümer aufgrund ergänzender Vertragsauslegung das Risiko eines vom Lenker verschuldeten Schadens am Fahrzeug tragen sollte. Der auf dieser Basis zu beurteilende Sachverhalt spricht damit entscheidend dagegen, die auf freiwilliger Grundlage erfolgte (Unfall‑)Fahrt durch die Beklagte als auf der Grundlage eines mit wechselseitigen Rechten und Pflichten ausgestalteten (und ergänzender Auslegung bedürfenden) Schuldverhältnisses erbracht anzusehen.
3. Die bloß hypothetische Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen (anderen) Umständen ergänzende Vertragsauslegung zu einer Haftungsbeschränkung führen könnte, kann die Zulässigkeit der Revision nicht begründen. Sie ist daher zurückzuweisen.
4. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Die Beklagte hat ihm daher die Kosten der Rechtsmittelbeantwortung zu ersetzen (§§ 50, 41 ZPO; RIS‑Justiz RS0035979, RS0035962).
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