European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00241.22P.0627.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
I. Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.
II. Der Revision der klagenden Partei wird teilweise Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es wie folgt lautet:
„1. Der zwischen der klagenden und beklagten Partei am 20. 1. 2014 abgeschlossene Kaufvertrag über den Kauf des VW, Sharan Sky BMT, 2,0 l TDI 4Motion (7N146UZ4), FIN *, um brutto 42.270,94 EUR wird aufgehoben.
2. Die Klageforderung besteht mit 42.270,94 EUR zu Recht.
3. Die Gegenforderung besteht mit 20.204,66 EUR zu Recht.
4. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 22.066,28 EUR samt 4 % Zinsen p.a. aus 42.270,94 EUR von 1. 5. 2014 bis 28. 6. 2021 und aus 22.066,28 EUR seit 29. 6. 2021 Zug um Zug gegen Rückgabe des VW, Sharan Sky BMT, 2,0 l TDI 4Motion (7N146UZ4), FIN *, binnen 14 Tagen zu zahlen.
5. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei einen weiteren Betrag von 20.204,66 EUR samt 4 % Zinsen p.a. seit 29. 6. 2021 Zug um Zug gegen Rückgabe des VW, Sharan Sky BMT, 2,0 l TDI 4Motion (7N146UZ4), FIN *, zu zahlen, wird abgewiesen.“
III. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 70,83 EUR (darin enthalten 11,81 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin erwarb am 20. 1. 2014 bei der Beklagten einen mit einem vom „Abgasskandal“ betroffenen Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestatteten, am 10. 4. 2014 erstmals zugelassenen Neuwagen um 42.270,94 EUR. Hauptkriterium für die Auswahl des Fahrzeugs war, dass dieses umweltfreundlich und „abgasreduziert“ war. Der Verkäufer erklärte, dass das Fahrzeug schadstoffarm und „sauber“ sei. Weiters verwies er die Klägerin auf die „Blue‑Motion Technologie“. Im übergebenen Prospekt wurde auf ein umweltbewussteres Handeln verwiesen sowie weiters darauf, dass mit der „Blue‑Motion Technologie“ Maßstäbe gesetzt würden, um ohne Abstriche bei Komfort und Alltagstauglichkeit weniger CO2 auszustoßen, und es sich dabei um verbrauchs- und schadstoffarme Dieselmotoren handle.
[2] Die P* übernahm als Leasinggeberin den ursprünglich zwischen der Klägerin und der Beklagten abgeschlossenen Kaufvertrag im Rahmen der gewählten Leasingkonstruktion samt allen daraus entspringenden Rechten und Pflichten, trat jedoch vorprozessual sämtliche zivilrechtlichen Ansprüche im Zusammenhang mit dem Fahrzeug an die Klägerin ab.
[3] Diese lehnte das von der Beklagten aufgrund des vom deutschen Kraftfahrt‑Bundesamt angeordneten Rückrufs zur Beseitigung der verbauten Abschalteinrichtung angebotene, mit einem „Thermofenster“ verbundene Software-Update ab, weil sie – im Verfahren nicht feststellbare – Verschlechterungen (Haltbarkeit, Verbrauch, Leistung, Klimaanlage) befürchtete und das Vertrauen in die Herstellerin verloren hatte.
[4] Der von der Klägerin gezahlte Kaufpreis ist – ohne Vorliegen der Abschalteinrichtung – marktüblich. Der Händlereinkaufspreis für ein entsprechendes Fahrzeug mit einem Kilometerstand von 119.495 beträgt 10.539 EUR. Aufgrund (wirtschaftlich nicht behebbarer) optischer Mängel ergibt sich ein Minderwert von 3.500 EUR. Die Behebung sonstiger Mängel kostet 918,21 EUR. Die durchschnittliche Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs beträgt 250.000 Kilometer.
[5] Die Klägerin begehrt ua gestützt auf Gewährleistung die Wandlung des Kaufvertrags und Rückzahlung des Kaufpreises. Die „Umschaltlogik“ sei eine verbotene Abschalteinrichtung und begründe einen nicht bloß geringfügigen Sachmangel iSd § 922 ABGB. Das angebotene Software-Update führe zu keiner Reduktion der Abgaswerte, habe nachteiligen Einfluss auf andere Fahrzeugkomponenten und sei ihr aufgrund des Vertrauensverlusts in die Herstellerin nicht zumutbar. Benützungsentgelt habe sie im Hinblick auf das arglistige Verhalten der Herstellerin, das sich die Beklagte zurechnen lassen müsse, nicht zu leisten.
[6] Die Beklagte bestritt das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Überdies liege eine technische Maßnahme zur Überarbeitung in Form des Software-Updates vor. Jedenfalls habe die Klägerin im Fall der Rückabwicklung Benützungsentgelt nach der „Händlereinkaufspreismethode“ zu leisten.
[7] Das Erstgericht hob den Fahrzeugkaufvertrag auf (1.), stellte die Klageforderung mit 42.270,94 EUR (2.), die auf die Zahlung von Benützungsentgelt gestützte Gegenforderung mit 29.150,15 EUR als zu Recht bestehend fest (3.), verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 13.120,79 EUR samt 4 % Zinsen daraus seit 1. 5. 2014 Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs (4.) und wies das Mehrbegehren (5.) sowie ein auf Rückzahlung an die Leasinggeberin gerichtetes Eventualbegehren (6.) ab. Rechtlich bejahte es beim verbauten Dieselmotor des Typs EA 189 das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung und eines nicht bloß geringfügigen Sachmangels, dessen Verbesserung der Klägerin aufgrund des eingetretenen Vertrauensverlusts nicht zumutbar sei. Allerdings habe sie ein angemessenes Benützungsentgelt zu leisten, bei dessen Ermittlung dem angemessenen Kaufpreis der Händlereinkaufspreis unter wertmindernder Berücksichtigung der notwendigen Reparaturen und der optischen Mängel gegenüberzustellen sei. Vom Differenzbetrag sei überdies ein Abschlag für die bloß durch den Verlust der Neuheit eingetretene Wertminderung im Ausmaß von 7.000 EUR vorzunehmen.
[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht, jener der Klägerin teilweise, betreffend das Zinsenbegehren, Folge und ließ die ordentliche Revision zu, weil die Beurteilung der Mangelhaftigkeit und der sich daran anknüpfenden Fragen aufgrund der Vielzahl der zum „Abgasskandal“ anhängigen Verfahren über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung habe. Es teilte in der Hauptsache die Rechtsansicht des Erstgerichts. Eine Verbesserung sei der Klägerin schon deshalb nicht zumutbar, weil – nach der (nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz ergangenen) Rechtsprechung des EuGH C‑145/20 und C‑134/20 – auch das Software-Update eine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle. Mit ihrer Nebenforderung mache die Klägerin bereicherungsrechtliche Vergütungszinsen für die Nutzungsmöglichkeit des gezahlten Kaufpreises geltend. Auch bei Redlichkeit des Bereicherungsschuldners werde diese dem Bereicherungsgläubiger zugeordnet, sodass die Beklagte, die ihrerseits auch Nutzungsentgelt für diesen Zeitraum fordere, bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz Vergütungszinsen aus dem Gesamtkaufpreis (und nicht nur aus dem letztlich zugesprochenen Geldbetrag) zu leisten habe.
[9] Gegen die Abweisung ihres Zahlungsbegehrens im Umfang von 29.150,15 EUR wendet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, ihrer Klage vollinhaltlich stattzugeben. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[10] Die Beklagte wendet sich mit ihrer Revision gegen die Vertragsaufhebung und den erfolgten Zuspruch von 13.120,79 EUR wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung und beantragt eine Abänderung im Sinn einer Abweisung der Klage. Hilfsweise wird ebenfalls ein Aufhebungsantrag gestellt.
[11] Die Parteien beantragen, dem Rechtsmittel der Gegenseite jeweils nicht Folge zu geben.
[12] Die Revisionen sind aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig.
Rechtliche Beurteilung
[13] Die Revision der Beklagten ist nicht, jene der Klägerin hingegen teilweise berechtigt.
I. Revision der Beklagten:
[14] 1. Die Aktivlegitimation der Klägerin ist unstrittig. Mangels Vorliegens einer Rechtsrüge zu dieser (selbstständigen) Einwendung hat eine rechtliche Überprüfung insoweit nicht stattzufinden (RS0043352 [T30]).
[15] 2. „Umschaltlogik“ als nicht bloß geringfügiger Sachmangel
[16] 2.1 Der Oberste Gerichtshof ist in seiner ausführlich begründeten Entscheidung 10 Ob 2/23a (insbes Rz 49 f und Rz 80; dieser folgend: 9 Ob 68/22y) unter Hinweis auf das Urteil des EuGH C‑145/20 zum Ergebnis gelangt, dass das Vorhandensein der – unstrittig auch beim vorliegenden Fahrzeug verbauten – „Umschaltlogik“ einen nicht bloß geringfügigen Sachmangel iSd § 922 ABGB begründet.
[17] 2.2 Wenn die Vorinstanzen schon allein wegen der verbauten „Umschaltlogik“ das Vorliegen eines Sachmangels bejaht haben, entspricht dies daher der mittlerweile bestehenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Diese Rechtsansicht zieht die Beklagte auch nicht mehr in Zweifel, sodass darauf nicht näher einzugehen ist (RS0043352 [T30]).
3. Mangelbehebung durch Software-Update
[18] 3.1 Liegt ein behebbarer Mangel vor, besteht gemäß § 932 Abs 1 ABGB zunächst ein Verbesserungsanspruch. Um diesen Verbesserungsanspruch zum Erlöschen zu bringen, muss der Übergeber als anspruchsvernichtende Tatsache behaupten und beweisen, dass er den Mangel durch Verbesserung beseitigt, also den vertragskonformen Zustand hergestellt hat (10 Ob 2/23a Rz 45).
[19] 3.2 Maßgeblich für die Beurteilung der Vertragskonformität ist der konkrete Veräußerungsvertrag (RS0107680). Als dessen Inhalt gelten grundsätzlich jene Eigenschaften, die üblicherweise bei entsprechenden Geschäften vorausgesetzt werden, außerdem solche, die besonders bedungen wurden. Was bedungen wurde und geschuldet wird, bestimmt sich zunächst nach den öffentlichen Äußerungen des Übergebers, so etwa den Angaben in dem Vertragsabschluss zugrunde liegenden Prospekten und Werbebroschüren, soweit keine davon abweichende individuelle Beratung erfolgt ist (RS0018588 [T5]). Dem Erwerber zur Kenntnis gelangte Angaben des Veräußerers über die Beschaffenheit sind jedenfalls in die Vertragsauslegung miteinzubeziehen (RS0018588 [T8]).
[20] Nach den getroffenen Feststellungen erklärte der Verkäufer der Klägerin, die auf die Umweltfreundlichkeit des Fahrzeugs großen Wert legte, dass das Fahrzeug schadstoffarm und „sauber“ sei. Weiters verwies er sie auf die „Blue-Motion Technologie“. Im übergebenen Prospekt wurde auf ein umweltbewussteres Handeln verwiesen sowie weiters darauf, dass mit der „Blue-Motion Technologie“ Maßstäbe gesetzt würden, um ohne Abstriche bei Komfort und Alltagstauglichkeit weniger CO2 auszustoßen, und es sich dabei um verbrauchs- und schadstoffarme Dieselmotoren handle.
[21] Die Beklagte schuldet daher aus dem Kaufvertrag nicht nur ein nicht mit einer nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EU verbotenen Abschalteinrichtung ausgestattetes (vgl 10 Ob 2/23 Rz 49) sondern – jedenfalls nach den hier im Anlassfall getroffenen Feststellungen des Erstgerichts – ein „abgasreduziertes“, schadstoffarmes und umweltfreundliches Fahrzeug.
[22] 3.3 Dass das Erstgericht nähere Feststellungen zur Funktionsweise des mit dem Software-Update verbundenen Thermofensters (dazu Pkt 3.3.1) und den in Österreich vorherrschenden Temperaturverhältnissen (dazu Pkt 3.3.2) nicht getroffen hat, ist aus folgenden Erwägungen unschädlich:
[23] 3.3.1 Tatsachen, die der Prozessgegner iSd §§ 266, 267 ZPO ausdrücklich oder schlüssig zugestanden hat, bedürfen keines Beweises. Sie sind der Entscheidung – auch im Rechtsmittelverfahren – ohne weiteres zugrunde zu legen. Eine unterbliebene Bestreitung ist dann als Zugeständnis zu werten, wenn gewichtige Indizien dafür sprechen (RS0039941 [T3, T4]), etwa, weil eine Behauptung offenbar leicht widerlegbar wäre (vgl 10 Ob 2/23a Rz 65 mwN).
[24] Die Beklagte hat auf das Vorbringen der Klägerin, es sei (schon ohne Software‑Update) ein unzulässiges „Thermofenster“ programmiert, das die Abgasrückführung bei (Außen‑)Temperaturen unter 15 Grad Celsius und über 33 Grad Celsius reduziere, repliziert (ON 53), dieses sei mit dem Software‑Update „appliziert“, von der Umgebungs- (und nicht etwa Ladeluft‑)temperatur abhängig und vom KBA als zulässig eingestuft worden. Nach dem Software-Update finde eine volle Abgasrückführung zwar lediglich zwischen 15 und 33 Grad Celsius statt, während außerhalb dieser Temperaturbedingungen eine „Korrektur“ der Abgasrückführung „über die Frischluftzufuhr“ vorgenommen werde. Dies diene aber dem Schutz „bestimmter Bauteile von Motor und Abgasanlage unter- oder oberhalb festgelegter Temperaturen“. Dies sei vom KBA in den jeweiligen Freigabebescheinigungen bestätigt worden; zudem würden Thermofenster durch alle Hersteller von Dieselmotoren zum Bauteilschutz verwendet.
[25] Die Beklagte hat damit zum auf die (außen- bzw umgebungs-)temperaturabhängige Programmierung des „Thermofensters“ abstellenden Vorbringen der Klägerin konkret Stellung genommen und dieses auch gar nicht bestritten, sondern lediglich auf den Bauteilschutz verwiesen, obwohl ein Vorbringen zur Maßgeblichkeit der Ladelufttemperatur leicht erstattet werden hätte können. Die Abhängigkeit des Software-Updates von der Außen‑(Umgebungs‑)temperatur und die Temperaturbandbreite des Thermofensters gelten daher als zugestanden.
[26] 3.3.2 Auch offenkundige Tatsachen sind der Entscheidung ohne weiteres zu Grunde zu legen (RS0040240; RS0037536; RS0040219). Einer Erörterung bedarf es zur Vermeidung eines Verfahrensverstoßes dann, wenn der Gegenbeweis der Unrichtigkeit nicht geradezu aussichtslos erscheint (RS0040219 [T2, T3]). In Anbetracht der in Österreich vorherrschenden, vom Berufungsgericht insoweit ungerügt als offenkundig angenommenen Temperaturver-hältnisse (vgl die Nachweise bei 10 Ob 2/23a Rz 69) ist die Abschalteinrichtung unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres aktiviert.
[27] 3.3.3 Damit begründet die Berücksichtigung der vom Erstgericht nicht festgestellten, aber unstrittigen Funktionsweise des Thermofensters und der Temperaturverhältnisse in Österreich durch das Berufungsgericht ohne unmittelbare Beweisaufnahme keinen Verfahrensverstoß. Soweit die Beklagte meint, die Parteien hätten dazu auch kein Vorbringen erstattet, ignoriert sie ihre eigenen Prozessbehauptungen.
[28] 3.3.4 Da es im Anlassfall auch nicht darauf ankommt, ob das Software-Update eine gemäß Art 5 Abs 2 Satz 2 VO 715/2007/EU verbotene Abschalteinrichtung darstellt (vgl dazu unten Pkt 3.5), begründet die in diesem Zusammenhang behauptete Verletzung der Erörterungspflicht schon mangels abstrakter Eignung, eine unrichtige Entscheidung herbeizuführen, den Revisionsgrund des § 503 Z 2 ZPO nicht (RS0043027).
[29] 3.4 Zum mit dem Software-Update verbundenen „Thermofenster“ hat der Oberste Gerichtshof (10 Ob 2/23a Rz 72) schon klargestellt, dass eine solche Abschalteinrichtung selbst dann nicht nach dem Ausnahmetatbestand des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU zulässig ist, wenn sie erforderlich wäre, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten, sie aber unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres aktiviert ist. Ob dabei – wie von der Revision argumentiert – auf die tatsächlich herrschenden Fahrbedingungen im Unionsgebiet und nicht nur in Österreich im überwiegenden Teil des Jahres abzustellen ist (so im Ergebnis 10 Ob 2/23a), muss im Anlassfall nicht geklärt werden. Dies aus folgenden Gründen:
[30] 3.5 Gegenstand des Kaufvertrags war – wie bereits dargelegt (Pkt 3.2) – nicht nur ein nicht mit einer nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EU verbotenen Abschalteinrichtung ausgestattetes, sondern – nach den Kaufvertragsverhandlungen – „abgasreduziertes“, schadstoffarmes und umweltfreundliches Fahrzeug. Die Klägerin konnte daher vernünftigerweise erwarten, dass dessen Abgasverhalten auch in der kalten Jahreszeit einwandfrei funktioniert. Da das allein zur Verbesserung angebotene Software-Update in Österreich den überwiegenden Teil des Jahres dazu führt, dass es zu keiner oder allenfalls reduzierter Abgasrückführung kommt, ist es schon deshalb nicht geeignet, die Vertragskonformität wiederherzustellen (vgl Kathrein, Glosse zu 10 Ob 2/23a, ZVR 2023, 237).
[31] Das Fahrzeug wäre daher unabhängig vom erneuten Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung auch nach der allein angebotenen Verbesserung durch Installierung eines Software-Updates weiterhin mangelhaft iSd § 922 ABGB.
[32] 3.6 Die von der Beklagten in der Revision weiters angesprochene Rechtsfrage, ob der Klägerin die Verbesserung (auch) aus triftigen, in der Person des Übergebers liegenden Gründen unzumutbar ist, stellt sich aufgrund obiger Erwägungen nicht.
4. Vergütungszinsen
[33] 4.1 Nach ständiger Rechtsprechung hat selbst der redliche Bereicherungsschuldner – außer bei Vorliegen einer Gegenleistung – die mit dem gesetzlichen Zinssatz pauschalierten Nutzungen eines vom ihm zu erstattenden Geldbetrags unabhängig vom Eintritt des Verzugs herauszugeben („Vergütungszinsen“). Auch bei Redlichkeit des Bereicherten ist die Nutzungsmöglichkeit des Kapitals inter partes dem Bereicherungsgläubiger zugeordnet. Es wäre daher nicht zu rechtfertigen, wenn der Schuldner den Nutzungsvorteil bis zum Einlangen eines Rückzahlungsbegehrens behalten könnte; § 1000 ABGB ist in diesem Zusammenhang ganz generell als Pauschalierung des gewöhnlichen Nutzungsentgelts für Geld zu verstehen (10 Ob 2/23a Rz 124 mwN).
[34] Die Wirkung der Aufrechnung wird zwar auf den Zeitpunkt zurückbezogen, in welchem sich die Forderungen zuerst aufrechenbar gegenüberstanden (RS0033904). Die von der Beklagten erklärte gerichtliche Aufrechnung richtet sich auf eine Aufrechnung erst im Urteil, sodass ihre Tilgungswirkung erst mit dem Zeitpunkt der Rechtskraft der darüber gefällten Entscheidung feststeht. In der darüber zu fällenden Entscheidung ist aber ungeachtet dessen auf die (mit Eintritt der Rechtskraft erfolgende) Rückwirkung (auch) der (gerichtlichen) Aufrechnung Bedacht zu nehmen (10 Ob 2/23a Rz 126 mwN). Dem Akteninhalt lässt sich jedoch nur der Kilometerstand bei Schluss der mündlichen Verhandlung und die Geltendmachung dieser Benützungsentgeltforderung durch die Beklagte letztlich in der Tagsatzung am 28. 6. 2021 entnehmen. Dass und wann die Aufrechnungslage vor diesem Zeitpunkt entstanden wäre, lässt sich dem Vorbringen der Beklagten nicht entnehmen.
[35] 4.2 Wenn das Berufungsgericht daher zum Ergebnis gelangt ist, dass die Beklagte erst ab 29. 6. 2021 Vergütungszinsen nur noch aus dem der Klägerin zuzusprechenden Betrag schuldet, entspricht dies der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.
[36] 5. Der Revision der Beklagten war daher im Ergebnis nicht Folge zu geben.
II. Revision der Klägerin:
[37] 1. Der Oberste Gerichtshof hatte sich zu 10 Ob 2/23a – mangels insoweit erfolgter Bestreitung – zwar nicht mit dem Anspruch auf Benützungsentgelt dem Grunde nach auseinanderzusetzen. Dennoch hielt er fest (10 Ob 2/23a Rz 122), dass die vor der Rückabwicklung des Kaufvertrags stattgefundene Nutzung durch den Verbraucher auch im Lichte der Verbrauchsgüterkauf-RL eine Minderung der an den Verbraucher zu leistenden Erstattung rechtfertigt und Bedenken, dass die (lineare) Ausmessung des Benützungsentgelts dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz zuwider laufen könnte, nicht bestünden.
[38] Weshalb die Zugehörigkeit der Beklagten zum Konzern der Herstellerin und der Umstand, dass – nach Behauptung der Klägerin – eine großangelegte Abgasmanipulation stattgefunden hat, zu einem anderen Ergebnis führen soll, ist nicht ersichtlich, geht es doch bei der Festsetzung des Benützungsentgelts darum, dass das Entgelt dem verschafften Nutzen angemessen sein muss (RS0019850). Dass die behaupteten Umstände den verschafften, im Gebrauch des Fahrzeugs liegenden Nutzen verringert hätten, ist nicht ersichtlich.
[39] 2. Allerdings weist die Klägerin zutreffend darauf hin, dass nach der neueren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RS0134263 = 10 Ob 2/23a; so auch 2 Ob 82/23g) der Gebrauchsnutzen des Käufers eines Kfz, der die Rückabwicklung nicht zu vertreten hat, grundsätzlich in Abhängigkeit von den gefahrenen Kilometern linear zu berechnen ist. Er ist ausgehend vom Kaufpreis anhand eines Vergleichs zwischen tatsächlichem Gebrauch (gefahrene Kilometer) und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer (erwartete Gesamtlaufleistung bei Neufahrzeugen und erwartete Restlaufleistung bei Gebrauchtwagen) zu bestimmen.
[40] Auf die Kritik von Riautschnig (Lineare Berechnung der Benützungsvergütung für Fahrzeuge, Zak 2023/6, 106) an der Verwendung des vereinbarten Gebrauchtwagenkaufpreises und nicht des Neupreises bei Ermittlung des Benützungsentgelts für einen Gebrauchtwagen muss im vorliegenden Fall nicht eingegangen werden, weil es sich ohnehin um einen Neuwagen handelt.
[41] Ausgehend von der erwarteten Gesamtlaufleistung im Erwerbszeitpunkt von 250.000 km und dem damals vereinbarten, marktüblichen Kaufpreis von 42.270,94 EUR, sowie ausgehend davon, dass die Klägerin das Fahrzeug auch nach Geltendmachung der Wandlung weiter nutzte und bis zum Beurteilungszeitpunkt (§ 193 ZPO) damit 119.495 km zurücklegte, schuldet sie ein – im Wege der prozessualen Aufrechnung zu berücksichtigendes (vgl 10 Ob 2/23a Rz 85 mwN) – Benützungsentgelt von 20.204,66 EUR.
[42] 3. Fraglich ist, ob und wie die in der Nutzungsphase eingetretenen, wertmindernden (optischen und sonstigen) Schäden über insgesamt 4.418,21 EUR zu berücksichtigen sind.
[43] Bei der einer Begrenzung des Benützungsentgelts nach oben dienenden (vgl 10 Ob 2/23a Rz 97) „Händlereinkaufspreismethode“ finden derartige Schäden bei Ermittlung des Händlereinkaufspreises Berücksichtigung.
[44] Pfeffer/Wegrath (Benützungsentgelt bei Wandlung, in FS Danzl [2017] 737 [743]) schlagen für die „lineare Berechnung“ vor, die aus in der Nutzungsphase eingetretenen Schäden resultierende Wertminderung dem Benützungsentgelt hinzuzurechnen.
[45] In der Sache geht es aber bei der Frage, ob und in welchem Ausmaß Schäden am zurückzustellenden Fahrzeug – soweit sie sich nicht ohnehin als bloß übliche Gebrauchsspuren darstellen – zu berücksichtigen sind, nicht um die Bemessung des Benützungsentgelts (Gebrauchsnutzens), sondern darum, ob die Klägerin als Bereicherungsschuldnerin für Schäden am zurückzustellenden Fahrzeug einzustehen hat (vgl bereits 2 Ob 83/23g Rz 16). Die Voraussetzungen für einen derartigen Schadenersatzanspruch hat die Beklagte aber nicht dargelegt, sondern lediglich Benützungsentgelt gefordert, sodass schon deshalb keine Berücksichtigung der Wertminderung des Fahrzeugs aufgrund vorhandener Schäden erfolgen kann.
[46] Einer Erörterung bedarf es insoweit nicht, weil die Anleitungs- bzw Erörterungspflicht nicht so weit geht, jenseits des konkret behaupteten Anspruchs beratend auf eine Partei einzuwirken (RS0037052 [T7, T15]). Eine allfällige Anleitungspflicht hat sich vielmehr im Rahmen des behaupteten Anspruchs (hier: Benützungsentgelt) zu bewegen (RS0108818).
[47] 4. Die Berechtigung der Klägerin, Zahlung an sich zu begehren, ist unstrittig. Damit erübrigt sich eine Entscheidung über das lediglich für den Fall der Verneinung dieser Frage gestellte, auf Zahlung an die Leasinggeberin gerichtete Eventualbegehren (RS0037625), mag ihr Hauptklagebegehren auch nur teilweise berechtigt sein. Aufgrund der Bekämpfung der stattgebenden Entscheidung über das Hauptklagebegehren konnte die – unbekämpft gebliebene – Entscheidung über das Eventualklagebegehren nicht in Rechtskraft erwachsen, weil eine Entscheidung über dieses die Abweisung des Hauptbegehrens voraussetzt (vgl 4 Ob 59/13z Pkt 1. mwN).
III. Kostenentscheidung:
[48] 1. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz gründet sich auf § 43 Abs 1 ZPO. Die Klägerin obsiegte mit rund 52 % der Klageforderung, sodass die Vertretungskosten sowie die verzeichneten Fahrtkosten mangels Nennung in der taxativen Aufzählung des § 43 Abs 1 Satz 3 ZPO (vgl 9 Ob 50/10h Pkt 5.; Obermaier, Kostenhandbuch3 Rz 1.187) gegeneinander aufzuheben sind und jede Partei die Hälfte der von ihr getragenen Barauslagen (Klägerin: 1.885,30 EUR; Beklagte: 3.270 EUR) ersetzt erhält.
[49] 2. Im Berufungs- und Revisionsverfahren unterlag die Beklagte zur Gänze, sodass sie gemäß §§ 41, 50 ZPO der Klägerin jeweils die Rechtsmittelbeantwortungskosten zu ersetzen hat.
[50] Die Klägerin hingegen obsiegte mit ihren Rechtsmitteln im Umfang von lediglich 30 %, sodass sie der Beklagten 40 % ihrer Rechtsmittelbeantwortungskosten zu ersetzen hat, während sie von der Beklagten 30 % ihrer Barauslagen ersetzt erhält.
[51] Insgesamt errechnet sich nach der gebotenen Saldierung der wechselseitigen Kostenersatzansprüche (vgl RS0035877; 2 Ob 111/21v Rz 33) daher ein Kostenersatzanspruch der Klägerin über 70,83 EUR (darin enthalten 11,81 EUR USt).
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