OGH 2Ob21/07p

OGH2Ob21/07p17.12.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.‑Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gernot R*, vertreten durch Dr. Hans‑Moritz Pott, Rechtsanwalt in Liezen, gegen die beklagte Partei Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs, Schwarzenbergplatz 7, 1030 Wien, vertreten durch Dr. Norbert Bergmüller, Rechtsanwalt in Schladming, wegen EUR 16.390,07 sA und Feststellung (Streitinteresse: EUR 2.000), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 6. Dezember 2006, GZ 4 R 135/06i‑22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Leoben vom 27. Juli 2006, GZ 4 Cg 47/05a‑18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E86320

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

I. Die Urteile der Vorinstanzen, die im Umfang des Zuspruches von EUR 5.940,15 und der Abweisung von EUR 2.662,02, jeweils samt 4 % Zinsen seit 12. 11. 2004, in Rechtskraft erwachsen sind und von dieser Entscheidung unberührt bleiben, werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung unter Einschluss der bereits rechtskräftigen Teile als Teilurteil wie folgt zu lauten hat:

1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von EUR 7.224,29 samt 4 % Zinsen seit 12. 11. 2004 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

2. Das auf die Zahlung weiterer EUR 7.238,04 samt 4 % Zinsen seit 12. 11. 2004 lautende Mehrbegehren wird abgewiesen.

3. Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei gegenüber für alle künftigen Schäden und Auslagen, welcher Art auch immer, aus dem Verkehrsunfall vom 9. 8. 2004 auf der B 146 auf Höhe des Straßenkilometers 79,63 im Ausmaß von zwei Drittel haftet, dies beschränkt bis zur Höhe der gesetzlichen Mindestdeckungssumme.

4. Das auf die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle künftigen Schäden und Auslagen aus dem Verkehrsunfall vom 9. 8. 2004 im Ausmaß eines weiteren Drittels gerichtete Mehrbegehren wird abgewiesen.

5. Die Entscheidung über die auf dieses Teilbegehren entfallenden Verfahrenskosten aller drei Instanzen bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

II. Im Übrigen, soweit die Klagsforderung in Höhe weiterer EUR 1.927,74 als zu Recht, die eingewendete Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend erkannt und die beklagte Partei zur Zahlung weiterer EUR 1.927,74 samt 4 % Zinsen seit 12. 11. 2004 an die klagende Partei verpflichtet wurde, sowie in den Kostenentscheidungen, werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die hierauf entfallenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Entscheidungsgründe:

 

Am 9. 8. 2004 ereignete sich gegen 12.15 Uhr im Gemeindegebiet von Ardning auf der Bundesstraße 146 bei Straßenkilometer 79,36 in Fahrtrichtung Liezen ein Verkehrsunfall, an welchem der Kläger als Radfahrer und Gerd K* als Lenker eines in Deutschland zugelassenen PKWs mit angekoppeltem Wohnanhänger beteiligt waren. Die Unfallstelle liegt im Freilandgebiet, die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug 70 km/h. Die 5,8 m breite, durch Randlinien begrenzte Fahrbahn wird durch eine Leitlinie in zwei Fahrstreifen geteilt und beschreibt im Unfallbereich ‑ in Fahrtrichtung der Beteiligten ‑ eine langgezogene Linkskurve. Am rechten Fahrbahnrand ist eine Leitschiene angebracht, neben welcher ein dort knapp 2 m breiter, asphaltierter und durch querende „Nebenstraßen" mehrmals unterbrochener Rad‑ und Gehweg verläuft. Dieser wird in beiden Richtungen (ua) von Radfahrgruppen im Rahmen von Radwanderungen benützt, deren Teilnehmer nicht hintereinander fahren, sondern den Radweg in seiner gesamten Breite blockieren.

Der Kläger unternahm am Unfallstag gemeinsam mit seinem Freund Florian M* eine „Trainingsfahrt". Er benützte dabei ein 11 bis 12 kg schweres Mountainbike, das mit Straßenreifen ausgestattet war. Der Felgendurchmesser betrug 26 Zoll (66,4 cm), die Felgenbreite ist nicht mehr feststellbar. Am Mountainbike waren ferner ein „T‑förmiger" Lenker und „MB‑Clic‑Pedale" montiert. Der Kläger trug Sportbekleidung, bestehend aus einem Leibchen, einer Radhose und speziellen Schuhen für die Radclips.

In Annäherung an die Unfallstelle fuhren die Radfahrer mit einer Geschwindigkeit von ca 40 km/h am rechten Fahrbahnrand der Bundesstraße in Richtung Liezen, wobei sich der Kläger mit etwa 2 m Tiefenabstand im Windschatten seines Freundes hielt. Den Radweg benützten sie deshalb nicht, weil sie eine „Trainingsfahrt" mit hoher Geschwindigkeit absolvierten. Gerd K*, der mit dem 2 bis 2,10 m breiten Kraftwagenzug eine Geschwindigkeit von ca 70 km/h einhielt, beabsichtigte, die Radfahrer zu überholen und leitete zu diesem Zweck einen Fahrstreifenwechsel ein. Dabei übersah er, dass sich hinter ihm bereits ein weiterer PKW in Überholposition befand. Als er dieses Fahrzeug bemerkte, lenkte er den Kraftwagenzug wieder nach rechts zurück. Bei diesem Fahrmanöver wurden die Radfahrer zunächst vom rechten Außenspiegel seines PKWs, dann von der rechten Flanke des Wohnwagens gestreift. Beide Radfahrer kamen zu Sturz, wodurch der Kläger diverse Prellungen, Hautabschürfungen, einen Teileinriss des vorderen Kreuzbandes rechts, ein Knochenödem und eine Rissquetschwunde erlitt. Das Fahrrad und die Ausrüstung des Klägers wurden beschädigt. Weiters entstanden ihm Aufwendungen für diverse Fahrten und für die Heilbehandlung. Wegen der Verletzungsfolgen war der allein lebende Kläger bei der Ausübung der Haushaltstätigkeit vorübergehend eingeschränkt; er erlitt ferner einen Verdienstentgang. Infolge des Teileinrisses des Kreuzbandes und des Knochenödems können Spätfolgen auftreten.

Der Kläger begehrte die Zahlung von EUR 16.390,07 sA (Schmerzengeld EUR 10.000; Sachschaden EUR 850; Verdienstentgang EUR 3.476,68; Fahrtkosten EUR 774; fiktive Haushaltskosten EUR 1.000; Heilbehandlungskosten EUR 289,39) und die Feststellung der ‑ auf die Höhe der gesetzlichen Mindestdeckungssumme beschränkten ‑ Haftung der beklagten Partei für alle künftigen Folgen aus dem Verkehrsunfall. Gerd K* habe den Unfall allein verschuldet. Die Nichtbenützung des Radweges sei dem Kläger nicht vorwerfbar, weil er sich auf einer Trainingsfahrt befunden habe, die auf dem Radweg nicht möglich gewesen wäre. Der Unfall hätte sich gleichermaßen ereignet, wenn der Kläger mit einem Rennfahrrad statt mit einem ungerüsteten Mountainbike auf der Fahrbahn der Bundesstraße gefahren wäre.

Die beklagte Partei anerkannte eine Mithaftung nach den Bestimmungen des EKHG im Ausmaß von 50 % und wandte eine Gegenforderung von EUR 1.927,74 aufrechnungsweise ein. Da der Kläger nicht mit einem Rennfahrrad, sondern einem Mountainbike gefahren sei, wäre er zur Benützung des Radweges verpflichtet gewesen. Es treffe ihn daher das Verschulden an dem Verkehrsunfall.

Das Erstgericht gab dem Leistungsbegehren mit EUR 13.728,05 sA sowie dem Feststellungsbegehren zur Gänze statt und wies das auf EUR 2.662,02 sA lautende Mehrbegehren ab. Es stützte sich auf den eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt und vertrat die Rechtsansicht, das Alleinverschulden am Zustandekommen des Verkehrsunfalles treffe den Lenker des Kraftwagenzuges, dem ein Verstoß gegen § 15 StVO vorzuwerfen sei. Dem Kläger sei zwar der Nachweis, ein Rennfahrrad im Sinne der Fahrradverordnung benützt zu haben und gemäß § 68 Abs 1 StVO zum Befahren der Bundesstraße berechtigt gewesen zu sein, nicht gelungen. Der Schutzzweck dieser Bestimmung sei aber nur in der Vermeidung aus einem erheblichen Geschwindigkeitsunterschied zwischen Fahrrad und Kraftfahrzeug resultierender Unfälle zu sehen. Dem Kläger sei daher mangels Rechtswidrigkeitszusammenhanges kein Mitverschulden anzulasten. Dies ergebe sich auch aus dem Rechtsinstitut des rechtmäßigen Alternativverhaltens, weil sich der Unfall auch bei Verwendung eines Rennfahrrades im Sinne der Fahrradverordnung ereignet hätte.

Das nur von der beklagten Partei angerufene Berufungsgericht bestätigte das erstinstanzliche Urteil mit der Maßgabe, dass es im Hinblick auf die eingewendete Gegenforderung über das Leistungsbegehren des Klägers mit mehrgliedrigem Spruch entschied. Es sprach ferner aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes insgesamt EUR 20.000 nicht übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und teilte dessen Rechtsansicht, wonach vom Alleinverschulden des Lenkers des Kraftwagenzuges auszugehen sei. Es führte aus, Radfahrer seien auf Straßen mit Radfahranlagen gemäß § 68 Abs 1 StVO grundsätzlich zur Benützung der Radfahranlage verpflichtet. Diese Verpflichtung diene nach ständiger Rechtsprechung nicht nur dem Schutz der übrigen Straßenbenützer, sondern auch der Sicherheit der Radfahrer. Sie bestehe nur dann nicht, wenn der Zustand des Radweges eine gefahrlose Benützung nicht gewährleiste; ein solcher Sachverhalt liege hier nicht vor. Eine weitere Ausnahme von der Benützungspflicht sei seit der 20. StVO‑Novelle, BGBl I 1998/92, für Trainingsfahrten mit Rennfahrrädern gesetzlich vorgesehen. In solchen Fällen dürfe eine Radfahranlage benützt werden, eine Verpflichtung hiezu bestehe jedoch nicht. Als Kriterien für Trainingsfahrten seien insbesondere jene Verhältnisse (wie Ausrüstung oder gefahrene Geschwindigkeit) maßgeblich, die mit jenen bei einer radsportlichen Veranstaltung vergleichbar sind. Ob es sich bei den Teilnehmern um Mitglieder einer Radsportvereinigung oder aber um in ihrer Freizeit trainierende Privatpersonen handle, sei unerheblich. Eine Trainingsfahrt sei eine Fahrt im Rahmen eines systematisch geplanten, pädagogisch fundierten und methodisch zielgerichteten Handlungsverlaufes zur Steigerung und Optimierung sportlicher Leistungen. Ausgehend von den erstinstanzlichen Feststellungen zur Fahrgeschwindigkeit, Fahrweise und Sportbekleidung des Klägers habe sich dieser auf einer Trainingsfahrt im Sinne des § 68 Abs 1 StVO befunden.

Gemäß § 4 Fahrradverordnung, BGBl II 146/2001, gelte als Rennfahrrad ein Fahrrad mit folgenden technischen Merkmalen: 1. Eigengewicht des fahrbereiten Fahrrades höchstens 12 kg; 2. Rennlenker; 3. äußerer Felgendurchmesser mindestens 630 mm; 4. äußere Felgenbreite höchstens 23 mm. Das Fahrrad des Klägers habe Punkt 1. und 3. dieser Kriterien jedenfalls entsprochen. Der Begriff „Rennlenker" sei gesetzlich nicht definiert. Als Rennlenker werde eine im Radsport allgemein übliche Lenkstange, die in der Regel einen nach vorne und unten gekrümmten Griff aufweise, bezeichnet. Allerdings fänden nach allgemeinem Kenntnisstand im Radsport in jüngerer Zeit auch Lenker mit anderen Griffformen Verwendung, wie etwa bei Triathlonbewerben oder beim sogenannten „Down Hill Racing". Bei solchen Sportveranstaltungen seien auch Lenkstangen, die einen geraden oder einen hornförmig nach oben gebogenen Griff sowie auch Vorrichtungen zur Auflage der Unterarme und für eine extrem enge Armhaltung hätten, allgemein üblich. Der vom Kläger verwendete „T‑förmige" Lenker könne daher nach Auffassung des Berufungsgerichtes als „Rennlenker" im Sinne der Fahrradverordnung qualifiziert werden. Zur äußeren Felgenbreite liege hingegen eine negative Feststellung vor. Diese Unklarheit gehe entgegen der Ansicht des Erstgerichtes aber zu Lasten der beklagten Partei, welche für ein allfälliges Mitverschulden des Klägers behauptungs‑ und beweispflichtig sei. Ein Mitverschulden des geschädigten Klägers könne auch aus einer Schutzgesetzverletzung resultieren. Der beklagte Schädiger, der seinen Mitverschuldenseinwand auf eine Schutzgesetzverletzung stütze, habe daher die Übertretung der Schutznorm durch den Kläger zu beweisen. Im konkreten Fall sei der beklagten Partei der Beweis oblegen, dass der Kläger mit dem von ihm verwendeten Fahrrad zwingend die Radfahranlage benützen hätte müssen, weil sein Fahrrad kein Rennfahrrad im Sinne des § 68 Abs 1 StVO iVm der Fahrradverordnung sei und/oder die Voraussetzungen einer Trainingsfahrt nach dieser Gesetzesstelle nicht bestanden hätten. Dieser Beweis sei ihr nicht gelungen.

Aber selbst wenn die Felgenbreite den Tatbestand des § 4 Abs 1 Z 4 Fahrradverordnung nicht erfüllt und auch die Form des Lenkers nicht den Erfordernissen eines Rennlenkers entsprochen haben sollte, der Kläger demnach nicht mit einem Rennfahrrad im Sinne der Fahrradverordnung gefahren sei und er gemäß § 68 Abs 1 StVO daher zur Benützung des Radweges verpflichtet gewesen wäre, sei für die beklagte Partei im Ergebnis nichts gewonnen. Ein derartiger Verstoß gegen § 68 Abs 1 StVO und die daraus dem Kläger zur Last fallende Sorglosigkeit gegenüber eigenen Gütern träte nämlich gegenüber der feststehenden krassen Verkehrswidrigkeit des die beiden Radfahrer überholenden PKW‑Lenkers derart in den Hintergrund, dass er bei der Schadensteilung zu vernachlässigen sei. Sinn und Zweck des § 68 Abs 1 StVO sei ganz offensichtlich, Teilnehmern von Trainingsfahrten mit Fahrrädern, mit denen im Vergleich zu sonstigen Fahrrädern aufgrund ihrer Bauart hohe Fahrgeschwindigkeiten erreicht werden könnten, wegen der damit für andere Benützer von Radfahranlagen verbundenen Gefahren zur sinnvollen Ausübung ihres Sports und zur Erreichung des gewünschten Trainingszieles die Benützung der auch für den übrigen Verkehr bestehenden Fahrbahn zu gestatten und damit von der Verpflichtung des § 68 Abs 1 StVO auszunehmen. Unter Bedachtnahme auf diesen Gesetzeszweck könne in der Teilnahme des Klägers am Verkehr auf der Bundesstraße unter den festgestellten Umständen ein ins Gewicht fallendes Mitverschulden nicht erblickt werden.

Das Erstgericht sei somit zu Recht vom Alleinverschulden des PKW‑Lenkers ausgegangen. Feststellungen zur Höhe der Gegenforderungen seien zur abschließenden rechtlichen Beurteilung des Falles nicht erforderlich.

Zur Begründung der Zulässigkeit der ordentlichen Revision führte das Berufungsgericht aus, es fehle an höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu der gesetzlich normierten Ausnahme von der Pflicht zur Benützung vorhandener Radfahranlagen mit Rennfahrrädern.

Gegen dieses Berufungsurteil, soweit das Berufungsgericht nicht von gleichteiligem Verschulden der am Unfall beteiligten Lenker ausgegangen ist, richtet sich die Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass die Klagsforderung als mit EUR 6.864,03 und die Gegenforderung als mit EUR 923,87 zu Recht bestehend erkannt, die beklagte Partei daher zur Zahlung eines Betrages von EUR 5.940,15 sA an den Kläger verpflichtet, das (weitere) Zahlungsmehrbegehren von EUR 7.787,90 sA abgewiesen und dem Feststellungsbegehren unter gleichzeitiger Abweisung des Mehrbegehrens im Sinne des Ausspruches der ‑ auf die gesetzliche Mindestdeckungssumme beschränkten ‑ Haftung der beklagten Partei im Umfang von 50 % für alle künftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der zu demselben Unfallgeschehen mittlerweile ergangenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 2 Ob 183/06k in wesentlichen Punkten abgewichen ist; sie ist auch teilweise berechtigt.

Die beklagte Partei macht geltend, das Berufungsgericht habe die Frage der Beweislastverteilung unrichtig gelöst. Da sich der Kläger auf eine Ausnahme zur Benützungspflicht von Radfahranlagen stütze, gingen die auf Tatsachenebene verbliebenen Unklarheiten über das Vorliegen der Kriterien eines Rennfahrrades zu seinen Lasten. Bei einem Mountainbike mit einem „T‑förmigen" Lenker handle es sich keinesfalls um ein Rennfahrrad, sondern um ein Fahrrad, welches primär außerhalb von Straßen zu verwenden sei. § 68 Abs 1 StVO diene vorrangig dem Schutz der Radfahrer selbst, da die Trennung des Radverkehrs vom übrigen Straßenverkehr die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer zu erhöhen geeignet sei. Durch das Verhalten des Klägers sei jener Sachverhalt verwirklicht worden, den die Schutznorm verhindern solle. Die eingetretenen Schäden seien daher von ihrem Schutzzweck erfasst.

Hiezu wurde erwogen:

Der erkennende Senat hat die Rechtslage in der Entscheidung 2 Ob 183/06k = EvBl 2007/69 = ZVR 2007/150 (Kathrein), welche die Ansprüche des bei dem Unfall ebenfalls verletzten Trainingspartners des Klägers zum Gegenstand hatte, bereits ausführlich dargestellt. Die Begründung des Berufungsgerichtes stimmt, soweit sie sich auf die Wiedergabe der normativen Grundlagen (§ 68 Abs 1 StVO bzw § 4 Fahrradverordnung) und der Kriterien für „Trainingsfahrten" beschränkt, mit diesen Rechtsausführungen überein, sodass in diesen Punkten auf ihre Richtigkeit verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO).

Daran anknüpfend ist für die Lösung der strittigen Frage der Beweislastverteilung davon auszugehen, dass § 68 Abs 1 StVO eine Schutznorm im Sinne des § 1311 ABGB ist, die in ihrem Satz 1 die Benützungspflicht vorhandener Radfahranlagen als grundsätzliche Regel statuiert. Das in Satz 2 (ua) den Benützern von Rennfahrrädern eingeräumte Wahlrecht, Trainingsfahrten entweder auf der Fahrbahn oder der Radfahranlage zu absolvieren, ist dagegen als Ausnahmetatbestand normiert.

Die allgemeine Beweislastregel, wonach jede Partei die Beweislast für das Vorliegen aller tatsächlichen Voraussetzungen der ihr günstigen Rechtsnorm trägt (RIS‑Justiz RS0039939; Rechberger in Rechberger, ZPO³ vor § 266 Rz 11), gelangt auch bei Schutznormverletzungen zur Anwendung (vgl 2 Ob 129/05t mwN). Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes trifft bei einer Schutzgesetzverletzung den Geschädigten die Beweislast für den Schadenseintritt und die Verletzung des Schutzgesetzes, wobei der Nachweis der Tatsache ausreichend ist, dass die Schutznorm objektiv übertreten wurde. Der Schädiger hat dagegen zu beweisen, dass ihm die objektive Übertretung der Schutznorm nicht als schutzgesetzbezogenes Verhaltensunrecht anzulasten ist (2 Ob 123/06m mwN; RIS‑Justiz RS0112234). Es obliegt ihm daher ua auch der Beweis für seine Behauptung, dass er sich trotz der objektiven Verletzung der Schutznorm vorschriftsmäßig verhalten hat (RIS‑Justiz RS0112234 [T5]).

Im vorliegenden Fall steht fest, dass der Kläger mit seinem Fahrrad trotz einer vorhandenen Radfahranlage, deren Befahren in der von ihm beabsichtigten Fahrtrichtung gestattet war (§ 68 Abs 1 Satz 1 StVO), auf der Fahrbahn der Bundesstraße fuhr. Damit hat die beklagte Partei den ihr obliegenden Beweis der objektiven Übertretung der Schutznorm des § 68 Abs 1 Satz 1 StVO bereits erbracht. Den Beweis für den zugunsten der Benützer von Rennfahrrädern in § 68 Abs 1 Satz 2 StVO normierten Ausnahmetatbestand, bei dessen Vorliegen er sich dennoch vorschriftsmäßig verhalten hätte, hatte hingegen der Kläger zu erbringen (zur Beweislast im „Regel‑Ausnahme‑Verhältnis" vgl auch 4 Ob 112/01a mwN).

Die Anwendbarkeit der Sonderregeln für die Lenker von Rennfahrrädern setzt das kumulative Vorliegen zweier Tatbestandsmerkmale, nämlich die Absolvierung einer Trainingsfahrt und die Benützung eines Rennfahrrades voraus (2 Ob 183/06k). Die Vorinstanzen haben richtig erkannt, dass für die Auslegung des Begriffes „Rennfahrrad" in § 68 Abs 1 Satz 2 StVO die vier technische Merkmale umfassende Definition eines solchen Fahrrades in § 4 Abs 1 Fahrradverordnung maßgeblich ist. Dem Kläger oblag nach den dargelegten Grundsätzen der Beweis, dass er sich im Zeitpunkt des Unfalles mit einem Rennfahrrad auf einer Trainingsfahrt befand. Die Negativfeststellung zum Merkmal der äußeren Felgenbreite fällt somit dem Kläger zur Last, dem der Beweis, ein Rennfahrrad benützt zu haben, schon aus diesem Grund nicht gelungen ist.

Davon abgesehen, hält der erkennende Senat trotz der kritischen Anmerkung Kathreins (in ZVR 2007, 268 f) auch an seiner in der Entscheidung 2 Ob 183/06k vertretenen Auffassung fest, wonach ein „gerader" oder ‑ wie das Erstgericht hier feststellte ‑ „T‑förmiger" Lenker nicht das Kriterium des technischen Merkmals „Rennlenker" erfüllt. Bedingt doch ein „Rennlenker" im Gegensatz zu einem „geraden" oder „T‑förmigen" Lenker typischerweise schon durch seine - an die „klassische" Variante nicht zwingend gebundene - besondere Konstruktion eine bestimmte, in der Regel tief geduckte Körperhaltung des Radfahrers, die der Erzielung im Rennsport üblicher hoher Geschwindigkeiten förderlich sein soll.

Auch aus der fehlenden Ausstattung mit einem „Rennlenker" folgt, dass das vom Kläger verwendete Fahrrad nicht als Rennfahrrad im Sinne des § 4 Abs 1 Fahrradverordnung zu qualifizieren ist. Darauf aber, ob das Mountainbike ungeachtet der technischen Merkmale eines Rennfahrrades für Trainingsfahrten auf der Straße geeignet war, kommt es nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 68 Abs 1 Satz 1 StVO nicht an. Mangels Gesetzeslücke kommt eine analoge Anwendung der auf Rennfahrräder beschränkten Sonderregel auf andere Fahrräder nicht in Betracht.

Dies entspricht auch dem Schutzzweck dieser Bestimmung, die ‑ wie der Oberste Gerichtshof schon mehrfach ausgesprochen hat ‑ nicht nur dem Schutz der übrigen Straßenbenützer, sondern auch der eigenen Sicherheit des Radfahrers dient (ZVR 1984/224; 2 Ob 135/04y; 2 Ob 183/06k; RIS‑Justiz RS0027587; Dittrich/Stolzlechner, StVO³ § 68 Rz 5). In der Entscheidung 2 Ob 183/06k wurde auch bereits der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Verletzung der Schutznorm des § 68 Abs 1 Satz 1 StVO mit den beim Überholen eines Radfahrers durch ein Kraftfahrzeug entstandenen Schäden bejaht. Sei doch der aus dem Inhalt der Norm hervorleuchtende Zweck klar darauf ausgerichtet, auf Straßen mit Radfahranlagen Konfliktsituationen aller Art zwischen den Lenkern von Kraftfahrzeugen und Radfahrern und daraus erwachsende Schäden zu vermeiden.

Kathrein (aaO 269) führte gegen diese Auslegung ins Treffen, sie übersehe, dass die Erlaubnis zur Benützung der Fahrbahn für Trainingsfahrten auch zu einer „Entflechtung des Radverkehrs" auf der Radfahranlage beitragen soll. Dies möge zwar nicht im Vordergrund der Überlegungen des Gesetzgebers gestanden sein, sollte bei der Prüfung des Schutzzweckes der Norm aber nicht vernachlässigt werden.

Dazu genügt es festzuhalten, dass die von Kathrein als bedenklich empfundene Auslegung des Senates einem durch umfassende Abwägung der unterschiedlichen Interessenlagen unter dem Aspekt der Verkehrssicherheit gewonnenen Ergebnis entspricht. Von einem „Übersehen" oder „Vernachlässigen" gesetzgeberischer Überlegungen kann daher keine Rede sein.

Dem Kläger ist somit als Mitverschulden vorzuwerfen, dass er mit seinem Mountainbike nicht den Radweg benützte, sondern auf der Fahrbahn der Bundesstraße fuhr. Dieser Verstoß gegen eine Schutznorm ist entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes von solchem Gewicht, dass er bei der Verschuldensabwägung nicht vernachlässigt werden kann; er rechtfertigt aber auch nicht die von der beklagten Partei angestrebte Verschuldensteilung im Verhältnis 1 : 1, weil der einen Verstoß gegen das für die Sicherheit des Verkehrs besonders bedeutsame Überholverbot des § 16 Abs 1 lit a StVO auslösende Aufmerksamkeitsmangel des Lenkers des Kraftwagenzuges schwerer wiegt als das Fehlverhalten des Klägers. Dessen Verschuldensanteil ist daher mit einem Drittel zu bemessen (vgl auch 2 Ob 183/06k).

Daraus ergäbe sich eine berechtigte Forderung des Klägers von EUR 9.152,03 (zwei Drittel von EUR 13.728,05), welcher die beklagte Partei allerdings eine Gegenforderung von EUR 1.927,74 entgegenhielt. Zu dieser Gegenforderung liegen noch keine Feststellungen des Erstgerichtes vor. Es kann daher vorerst nur mit Teilurteil über das Feststellungsbegehren und über einen Teil des Leistungsbegehrens entschieden werden. Wegen des rechtlichen Zusammenhanges wechselseitiger Schadenersatzforderungen aus einem Verkehrsunfall im Sinne des § 391 Abs 3 ZPO (SZ 35/112 Ob 339/00t2 Ob 109/05a; RIS‑Justiz RS0040672) sind dabei folgende Grundsätze zu beachten:

Besteht Konnexität, dann ist die Fällung eines die beklagte Partei zu einer Zahlung verhaltenden Teilurteiles grundsätzlich unzulässig (RIS‑Justiz RS0040878). Lediglich ein als nicht berechtigt erkannter Teil des Klagebegehrens kann stets mit Teilurteil abgewiesen werden (1 Ob 6/05x; 2 Ob 109/05a ua). Ein Teilurteil kann aber auch gefällt werden, wenn einer (berechtigten) Klagsforderung lediglich eine konnexe Gegenforderung in einer sie nicht erreichenden Höhe entgegengehalten wird, weil dann eben dem die Gegenforderung übersteigenden Teil der - spruchreifen ‑ Klagsforderung keine Gegenforderung entgegensteht (4 Ob 1581/94; 10 Ob 2113/96x; 7 Ob 235/02p; 1 Ob 6/05x).

Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus, dass ein stattgebendes Teilurteil über das Zahlungsbegehren nur in jenem Umfang zulässig und möglich ist, in welchem die berechtigte Klagsforderung (EUR 9.152,03) die eingewendete Gegenforderung (EUR 1.927,74) übersteigt, also hinsichtlich eines Betrages von EUR 7.224,29. Auch wenn bei der als gerechtfertigt erkannten ‑ und die Vorinstanzen bindenden ‑ Verschuldensteilung die Gegenforderung höchstens mit EUR 642,58 (ein Drittel von EUR 1.927,74) berechtigt sein kann, bleibt zur Hintanhaltung „unlösbarer Schwierigkeiten" (Fasching, Zivilprozessrecht² Rz 1298) im Umfang des von der Aufhebung erfassten Teilbegehrens die Fassung eines dreigliedrigen Spruches dem Erstgericht vorbehalten.

Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht die eingewendete Gegenforderung mit den Parteien zu erörtern und Feststellungen zu ihrem Bestand und ihrer Höhe zu treffen haben. Dabei wird auch der Umstand einzubeziehen sein, dass die beklagte Partei bereits im Verfahren des zweiten unfallbeteiligten Radfahrers eine Gegenforderung in gleicher Höhe eingewendet hatte, die teilweise zur Aufrechnung mit der dort als zu Recht bestehend erachteten Klagsforderung herangezogen worden ist.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1, in Ansehung des Teilurteiles auf § 52 Abs 2 ZPO.

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