OGH 2Ob126/10h

OGH2Ob126/10h17.2.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin Nora H*****, vertreten durch Mag. Robert Stadler, Rechtsanwalt in Gallneukirchen, gegen den Antragsgegner Dr. Rainer H*****, vertreten durch Dr. Harald W. Jesser, Rechtsanwalt in Leoben, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 21. April 2010, GZ 21 R 98/10a-27, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Wels vom 8. Februar 2010, GZ 4 Fam 32/09a-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Zurückweisung eines ordentlichen Revisionsrekurses wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 Satz 4 AußStrG).

Die einzige vom Rekursgericht als erheblich erachtete Rechtsfrage, auf die der Antragsgegner in seinem Rechtsmittel auch eingeht, lautet, „ob überhaupt und bejahendenfalls unter welchen Voraussetzungen die Absolvierung eines WIFI-Ausbildungslehrgangs vor verspäteter Ablegung der Matura an einer BHS dem Abschluss einer grundsätzlich zur Selbsterhaltungsfähigkeit führenden Berufsausbildung gleich gehalten werden kann“.

Damit wird jedoch keine Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG dargetan. Dies gilt auch für die Ausführungen im Revisionsrekurs:

1. Das Vorliegen eines in der Unterlassung der Parteienvernehmung des Antragsgegners gelegenen Mangel des Verfahrens erster Instanz wurde schon durch das Rekursgericht verneint und kann im Revisionsrekurs nicht mehr geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0050037). Besondere Umstände, die eine Durchbrechung dieses Grundsatzes im vorliegenden Unterhaltsverfahren angezeigt erscheinen ließen, liegen nach den konkreten Umständen des zu beurteilenden Einzelfalls nicht vor (vgl RIS-Justiz RS0030748 [T7]).

2. Der Antragsgegner hat in seinem Rekurs eine Urkunde vorgelegt und dazu Vorbringen erstattet, welches vom Rekursgericht als gemäß § 49 Abs 2 AußStrG unbeachtliche Neuerung qualifiziert wurde. Die Beantwortung der Frage, ob eine im Rechtsmittelverfahren unbeachtliche Neuerung vorliegt, geht in ihrer Bedeutung nicht über den Einzelfall hinaus und begründet - von krasser Fehlbeurteilung abgesehen - keine erhebliche Rechtsfrage (4 Ob 97/10h mwN).

Mit seiner Behauptung, die Urkundenvorlage habe sich auf die Darlegung der Rechtsmittelgründe bezogen, vermag der Antragsgegner eine derartige Fehlbeurteilung nicht aufzuzeigen; sollte doch die Urkunde nach ihrem (insoweit eindeutigen) Inhalt lediglich dem Nachweis des Tatsachenvorbringens dienen, dass sich die Antragstellerin zum Eintritt in das Erwerbsleben als Rezeptionistin entschlossen gehabt habe.

3. Ein Kind ist selbsterhaltungsfähig, wenn es die zur Deckung seines Unterhalts erforderlichen Mittel selbst erwirbt oder aufgrund zumutbarer Beschäftigung zu erwerben imstande ist (6 Ob 85/08f; 3 Ob 226/09w; RIS-Justiz RS0047567). Die Beurteilung der Frage, ob dies zutrifft, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (6 Ob 87/99h).

Im Allgemeinen wird die Zumutbarkeit eigener Erwerbstätigkeit des Kindes nach Abschluss einer Berufsausbildung bejaht (3 Ob 7/97v; 6 Ob 87/99h; RIS-Justiz RS0047621). Die Ablegung der Reifeprüfung allein bedeutet noch keine bestimmte Berufsausbildung (6 Ob 87/99h; RIS-Justiz RS0047527), wobei es nicht darauf ankommt, ob das Kind eine allgemeinbildende höhere Schule (AHS) oder eine berufsbildende höhere Schule (BHS) absolvierte (3 Ob 116/02h; 3 Ob 139/07y; RIS-Justiz RS0047625 [T2 und T3]). Auch die verspätete Ablegung der Reifeprüfung als solche führt noch nicht zur Annahme der Selbsterhaltungsfähigkeit (6 Ob 122/06v; vgl auch 5 Ob 5/09k; RIS-Justiz RS0047716).

4. Der Antragsgegner sieht die „abgeschlossene Berufsausbildung“ seiner Tochter allein darin, dass diese - noch vor Ablegung der Reifeprüfung - einen vom Wirtschaftsförderungsinstitut (WIFI) Oberösterreich angebotenen, knapp einmonatigen Ausbildungslehrgang zur „geprüften Rezeptionistin“ absolvierte.

Das Rekursgericht hat - im Revisionsrekurs unwidersprochen - dargelegt, dass in der unterhaltsrechtlichen Judikatur etwa ein Lehrabschluss (1 Ob 595/91 uva), eine Ausbildung zum landwirtschaftlichen Facharbeiter (1 Ob 626/93), ein Handelsschulabschluss (RIS-Justiz RS0047530), eine Lehramtsprüfung (3 Ob 30/84 = EFSlg 45.636) oder ein Hochschulabschluss (vgl RIS-Justiz RS0083694) als „abgeschlossene Berufsausbildung“ angesehen wird.

Inwieweit Ausbildungslehrgänge beim WIFI mit solchen Berufsausbildungen vergleichbar sein können, ist im Wesentlichen eine Tatsachenfrage, hängt somit wieder von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich daher einer allgemeinen Aussage des Obersten Gerichtshofs.

5. Wirtschaftsförderungsinstitute leisten in Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrags einen Beitrag zur Förderung der Wirtschaft, indem sie Interessierten ein breites Angebot an Kursen und Lehrgängen für die Aus- und Weiterbildung zur Verfügung stellen (vgl § 19 Abs 1 Z 4 Wirtschaftskammergesetz). Diese führen aber nicht zu Lehr-, Facharbeiter- oder Hochschulabschlüssen, wie dies im Regelfall den dargestellten Anforderungen an eine „abgeschlossene Berufsausbildung“ entspricht. Auch der Beruf einer Hotelrezeptionistin ist kein Lehrberuf (vgl dagegen die Ausbildungsvorschriften für den mit einer Lehrzeit von drei Jahren eingerichteten Lehrberuf „Hotel- und Gastgewerbeassistent/Hotel- und Gastgewerbeassistentin“, BGBl II 2004/9).

Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, der von der Antragstellerin absolvierte Ausbildungslehrgang zur „geprüften Rezeptionistin“ könne schon angesichts seiner Dauer von nur knapp einem Monat mit der - generell zumindest zweijährigen (vgl § 5 Abs 1 lit c Berufsausbildungsgesetz) - Ausbildung in einem Lehrberuf nicht gleichgehalten werden, weshalb die (hypothetische) Selbsterhaltungsfähigkeit der Antragstellerin nicht eingetreten sei, ist vor diesem Hintergrund jedenfalls vertretbar und wirft keine erhebliche Rechtsfrage auf. Den vermissten Feststellungen zum Inhalt des Lehrgangsprogramms kommt keine für die Entscheidung erhebliche Bedeutung zu.

6. Da es der Beantwortung von Rechtsfragen iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht bedarf, ist der Revisionsrekurs zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 78 AußStrG, weil die Ausnahmebestimmung des § 101 Abs 2 AußStrG hier nicht anwendbar ist. Die Antragstellerin hat zwar beantragt, den Revisionsrekurs (wegen dessen - unbegründet - als möglich erachteten Verspätung) „allenfalls“ zurückzuweisen, nicht aber auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen. Ihr Schriftsatz diente daher nicht der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.

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