OGH 6Ob85/08f

OGH6Ob85/08f26.3.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers Dietmar M*****, vertreten durch Dr. Heimo Jilek und Mag. Robert Lackner, Rechtsanwälte in Leoben, gegen die Antragsgegnerin Christina M*****, wegen Herabsetzung des Unterhalts, über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom 20. Dezember 2007, GZ 2 R 353/07x-35, mit dem über Rekurs der Antragsgegnerin der Beschluss des Bezirksgerichts Bruck an der Mur vom 5. Oktober 2007, GZ 5 Fam 2/07b-25, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Zurückweisung eines ordentlichen Revisionsrekurses wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Die am 22. 11. 1988 geborene Antragsgegnerin ist die Tochter des Antragstellers. Nach Abschluss der Hauptschule besuchte sie kurz eine Höhere Bundeslehranstalt, die sie wegen schlechten Schulerfolgs im ersten Jahr abbrach. Vom 1. 1. bis zum 8. 1. 2004 war sie Angestelltenlehrling beim BFI Steiermark, vom 17. 8. bis zum 27. 8. 2004 Anlernling bei einer Zahnärztin, von der sie während der Probezeit gekündigt wurde. Schließlich war sie vom 11. 4. 2005 bis zum 4. 10. 2006 Anlernling bei einem Zahnarzt, der sie entließ, weil sie sich krank meldete und danach nicht mehr zur Arbeit erschien. In der Zeit dazwischen und seither bezog sie Arbeitslosen- bzw Krankengeld oder eine Beihilfe des Arbeitsmarktservices. Im Frühjahr 2006 begann sie, Drogen zu konsumieren. In der Folge bekam sie Hepatitis C. Anfang 2007 wurde sie schwanger. Der Vater ihres Kindes, mit dem sie zusammen lebt, war von Ende Juni 2005 bis Ende Dezember 2006 in Haft. Sie hat sich einer Drogentherapie unterzogen. Eine Untersuchung im Juli 2007 ergab, dass sie lediglich körperliche Arbeiten bei geringem bis maximal normalem Leistungsdruck ausüben konnte.

Der Vater beantragte am 30. 1. 2007, ihn ab dem 1. 1. 2007 von seiner Unterhaltspflicht für die Antragsgegnerin von monatlich 327,80 EUR zu befreien, weil seine Tochter als selbsterhaltungsfähig anzusehen sei. Das Erstgericht gab dem Begehren des Vaters statt.

Das Rekursgericht änderte den Beschluss des Erstgerichts über Rekurs der Antragsgegnerin dahin ab, dass es den Antragsteller schuldig erkannte, der Antragsgegnerin ab 1. 1. 2007 einen monatlichen Unterhalt von 200 EUR zu zahlen. Die Antragsgegnerin, die eine weiterführende Schulausbildung abgebrochen und danach vom 9. 1. 2004 bis zum 10. 4. 2005 lediglich elf Tage als Anlernling tätig gewesen sei, habe ihren Unterhaltsanspruch gegenüber ihrem Vater verloren. Sie sei in der Folge aber drogenabhängig geworden und an Hepatitis C erkrankt, sodass ihre Arbeitsfähigkeit eingeschränkt gewesen sei. Auch ihre Schwangerschaft sei als Einschränkung der Arbeitsfähigkeit anzusehen. So wie grundsätzlich ein drogenabhängiger Unterhaltspflichtiger nicht auf das von einem Gesunden erzielbare Einkommen angespannt werden könne, wenn er es nicht unterlasse, sich einer zumutbaren Therapie zu unterziehen, könne ein drogenabhängiger Unterhaltsberechtigter nicht angespannt werden. Es sei daher von jenem Einkommen auszugehen, das die Antragsgegnerin aufgrund einer ihr noch zumutbaren Erwerbstätigkeit erzielen könnte. Ein derartiges Einkommen könne mit rund 400 EUR monatlich (einschließlich allfälliger Sonderzahlungen) angenommen werden. Berücksichtige man die ebenfalls bestehende Unterhaltspflicht der Mutter der Antragsgegnerin, dann sei der restliche Unterhaltsanspruch gegenüber dem Antragsteller mit 200 EUR monatlich festzusetzen. Nachträglich (§ 63 AußStrG) ließ das Rekursgericht den ordentlichen Revisionsrekurs mit der Begründung zu, es entspreche herrschender Rechtsprechung, dass eine einmal eingetretene Selbsterhaltungsfähigkeit aus den unterschiedlichsten Gründen wieder wegfallen könne und dies zum Wiederaufleben der Unterhaltspflicht der Eltern führe. Judikatur des Obersten Gerichtshofs zu dieser Frage scheine jedoch nicht veröffentlicht zu sein.

Der Revisionsrekurs des Vaters ist mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG unzulässig. An den Zulässigkeitsausspruch ist der Oberste Gerichtshof nicht gebunden (§ 71 Abs 1 AußStrG).

1. Selbsterhaltungsfähig ist ein Kind dann, wenn es die zur Deckung seines Unterhalts erforderlichen Mittel selbst erwirbt oder aufgrund zumutbarer Beschäftigung zu erwerben im Stande ist (RIS-Justiz RS0047567). Fällt die vom Kind erlangte Selbsterhaltungsfähigkeit weg (etwa infolge längerfristiger Unmöglichkeit der Berufsausübung wegen Krankheit, unverschuldeter Arbeitslosigkeit oder ähnlichen Gründen bei gleichzeitigem Fehlen ausreichender sozialer Absicherung, gerechtfertigter beruflicher Weiterbildung usw), kann es (altersunabhängig) zum Wiederaufleben der elterlichen Unterhaltspflicht kommen (1 Ob 2307/96p SZ 70/8; RIS-Justiz RS0047533). Dies hat das Rekursgericht zutreffend erkannt. Dass ihm die veröffentlichte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu dieser Frage verborgen geblieben ist, kann die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht begründen.

2. Der Revisionswerber geht nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, wenn er meint, seine Tochter sei erst nach Wegfall seiner Unterhaltsverpflichtung drogenabhängig geworden, und daraus den Schluss zieht, dies könnte nicht zu einem Aufleben der Unterhaltsverpflichtung führen:

Selbst wenn die Berufsausbildung der Antragsgegnerin am 27. 8. 2004 aus ihrem Verschulden gescheitert wäre und sie sich deshalb wie eine Selbsterhaltungsfähige behandeln lassen müsste (RIS-Justiz RS0047605), wäre es mit der Aufnahme der neuerlichen Berufsausbildung am 11. 4. 2005 zum Wiederaufleben der Unterhaltspflicht des Vaters gekommen. Wie der Oberste Gerichtshof ausgesprochen hat, dürfen bei „Entscheidungen" eines in Berufsausbildung oder am Beginn der Berufsausübung stehenden Kindes für eine geänderte (weitere) Berufsausbildung Schuldzuweisungen mit der Rechtsfolge der bleibenden, hypothetischen Selbsterhaltungsfähigkeit keine entscheidende Bedeutung haben. Vielmehr ist immer auch am Kindeswohl zu messen, ob solche Veränderungen in der Ausbildung oder am Beginn des Berufslebens eines Kindes dessen Lebensverhältnisse entscheidend verbessern können, und erst danach ist zu prüfen, ob dem - diesem Vorhaben widersprechenden - Unterhaltspflichtigen die Verlängerung oder das Wiederaufleben seiner Unterhaltsverpflichtung nach seinen Lebensverhältnissen zumutbar ist (2 Ob 97/97x). Es entsprach dem Wohl der Antragsgegnerin, im April 2005 neuerlich die Ausbildung bei einem Zahnarzt zu beginnen, konnten sich doch nach gewöhnlichem Lauf der Dinge die Lebensverhältnisse der noch nicht einmal 17-jährigen Antragsgegnerin durch eine abgeschlossene Ausbildung entscheidend verbessern. Dass diese Ausbildung nicht ihren Fähigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten entsprochen hätte und von vornherein nicht damit zu rechnen gewesen wäre, dass die Antragsgegnerin die Ausbildung nicht mit Erfolg bewältigen werde (s 2 Ob 97/97x), wurde nicht behauptet. Hiefür gibt es auch keinen Anhaltspunkt im Akt. Drogenabhängig wurde die Antragsgegnerin aber nach den Feststellungen erst während der Ausbildung.

3. Das Rekursgericht hat festgestellt, dass die eingeschränkte, die Selbsterhaltungsfähigkeit nicht mehr gewährleistende Arbeitsfähigkeit der Antragsgegnerin auf ihre Drogenabhängigkeit zurückzuführen ist. Von dieser den Obersten Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, bindenden Feststellung weicht der Rechtsmittelwerber ab, wenn er behauptet, dass das schulische und berufliche Verhalten der Antragsgegnerin zur Berufsunfähigkeit oder Einschränkung der Arbeitsfähigkeit geführt habe und die Drogenabhängigkeit nicht dafür ursächlich sei, dass die Antragsgegnerin kein oder nur ein unzureichendes Einkommen beziehe. Die vom Revisionsrekurswerber im Zusammenhang mit diesen Behauptungen für erheblich gehaltenen Rechtsfragen stellen sich daher nicht.

Dass sich die Antragsgegnerin einer Drogentherapie unterzieht, haben die Vorinstanzen ohnehin festgestellt.

4. Der Oberste Gerichtshof hat ausgesprochen, dass trotz eines aus bloßem Leichtsinn begonnenen Drogenkonsums, der zur Hinderung der Selbsterhaltungsfähigkeit führt, die Unterhaltspflicht der Eltern zu bejahen ist. Diese besteht auch in jenen Fällen weiter, in denen der Unterhaltsberechtigte durch von ihm selbst zu vertretende Aktionen krank und außer Stande gesetzt wurde, eine Berufsausbildung in angemessener Zeit abzuschließen oder einem Erwerb nachzugehen, außer es wäre ihm zu unterstellen, dass er diese Handlungen eben deshalb setzte, um weiterhin Unterhaltszahlungen zu erhalten (7 Ob 577/94). Dass die Antragsgegnerin gerade deshalb Drogen genommen hätte, um ihre Leistungsfähigkeit auszuschalten oder einzuschränken, damit ihr Vater möglichst lange Unterhalt zu zahlen hat, kann nicht unterstellt werden (vgl 7 Ob 577/94). Hiefür gibt es keinen Anhaltspunkt im Akt. Dass nicht festgestellt wurde, weshalb die Antragsgegnerin drogenabhängig wurde, vermag daher einen Feststellungsmangel aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung nicht zu begründen.

5. Die Frage, welche Fortzahlungen die Antragsgegnerin im Fall einer als Krankheit anzusehenden Drogenabhängigkeit erhalten hätte, wenn sie ihre Berufsausbildung nicht abgebrochen, sondern zu Ende geführt hätte, hat keine Relevanz für die Entscheidung. Das Erstgericht stellte nämlich fest, dass die Antragsgegnerin nicht in der Lage ist, in einer Arztordination zu arbeiten. Von der Antragsgegnerin kann nicht verlangt werden, dass sie eine ihr Leistungskalkül übersteigende Berufsausbildung zu Ende bringt.

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