OGH 1Ob626/93

OGH1Ob626/9311.3.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser, Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker und Dr. Rohrer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Franz P*****, geboren am *****, infolge Revisionsrekurses des Minderjährigen, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau als Unterhaltssachwalter, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgericht vom 3. November 1993, GZ 3 R 485/93-86, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Spittal an der Drau vom 27. September 1993, GZ P 253/78-83, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß der Antrag des außerehelichen Vaters Johann S***** ihn mit Wirkung ab 1. September 1993 von seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem minderjährigen Franz P***** zu befreien, abgewiesen wird.

Text

Begründung

Der am ***** geborene Minderjährige ist nach Abschluß der dreijährigen landwirtschaftlichen Fachschule in Litzlhof mit Prüfung (eingeführt 1993) als landwirtschaftlicher Facharbeiter einzustufen und seit dem Schulabschluß im land- und forstwirtschaftlichen Bergbauernbetrieb (Zone IV) seiner außerehelichen Mutter tätig. Der Besitz hat ein Ausmaß von 314 ha und weist einen Einheitswert von 161.000 S auf. Derzeit werden 38 Rinder, vier Schweine und zwei Pferde gehalten. Der als Hofübernehmer vorgesehene Minderjährige verrichtet gemeinsam mit seiner Mutter sämtliche in der Land- und Forstwirtschaft anfallenden Arbeiten und hat auch bereits die Lenkerprüfung für Traktoren abgelegt. Es ist dem Minderjährigen nicht möglich, in einem anderen Betrieb tätig zu sein, weil er im mütterlichen Betrieb dringend benötigt wird; seine Mutter bewirtschaftete bis zur Beendigung des Schulbesuches des Minderjährigen die Landwirtschaft nur mit ihrem nun 67jährigen Vater - der nicht mehr in der Lage ist, sämtliche Arbeiten zu verrichten und am Hof seiner Tochter volle freie Station genießt - alleine. Die Mutter kommt für sämtliche Bedürfnisse des Minderjährigen auf und gewährt ihm das erforderliche Taschengeld in der jeweils benötigten Höhe; ein Gehalt bezahlt sie ihrem Sohn nicht, weil sie sich dazu nicht imstande sieht. Laut Kollektivvertrag für Landarbeiter in bäuerlichen Betrieben Kärntens hat ein Facharbeiter neben freier Station ein monatliches Nettoeinkommen (incl. Sonderzahlungen) von 8.196,25 S. Der außereheliche Vater des Minderjährigen bezog 1991 als Maschinist bei einem Seilbahnunternehmen ein monatliches Durchschnittseinkommen von 14.462,74 S und ist sonst noch für seine nicht berufstätige Gattin und zwei eheliche Kinder (geboren 1980 und 1988) sorgepflichtig. Der außereheliche Vater und seine Gattin sind je Hälfteeigentümer eines Einfamilienhauses.

Der außereheliche Vater wurde mit Beschluß des Erstgerichtes vom 7. Juni 1991 ON 73 zuletzt zu einer monatlichen Unterhaltsleistung an den Minderjährigen von 2.000 S ab 1. Jänner 1991 verpflichtet.

Das Erstgericht stellte über Antrag des außerehelichen Vaters mit Beschluß vom 27. September 1993, ON 83, ausgehend vom oben dargestellten Sachverhalt fest, daß mit Wirkung vom 1. September 1993 Ruhen der Unterhaltsverpflichtung des außerehelichen Vaters gegenüber dem Minderjährigen wegen dessen Selbsterhaltungsfähigkeit eintritt. Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz und vertrat rechtlich im wesentlichen die Auffassung, daß ein Kind auch dann als selbsterhaltungsfähig anzusehen sei, wenn es zwar keine Einkünfte beziehe, dazu aber unter Einsatz seiner Fähigkeiten und Kräfte in der Lage sei. Durch den Abschluß seiner landwirtschaftlichen Facharbeiterausbildung sei dies beim Minderjährigen der Fall. Der in der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz, daß von einem ortsüblichen Einkommen der entsprechenden Berufsgruppe auszugehen sei, wenn sich der Unterhaltspflichtige mit einem geringeren Einkommen im Familienbetrieb begnüge, müsse auch für Unterhaltsberechtigte gelten. Auch die Tatsache, daß der Minderjährige als Hofübernehmer vorgesehen sei und im Betrieb seiner Mutter dringend benötigt werde, könne es nicht rechtfertigen, nicht auf den kollektivvertraglichen Lohnanspruch, sondern auf das tatsächliche, niedrigere Einkommen im Familienbetrieb abzustellen, zumal nach der Aktenlage gar nicht vorhersehbar sei, wann der Betrieb übergeben werde und ein vorgesehener Hofübernehmer mit nur geringem Einkommen im Familienbetrieb es in der Hand hätte, den Eintritt seiner Selbsterhaltungsfähigkeit hinauszuzögern.

Rechtliche Beurteilung

Der (von der zweiten Instanz zugelassene) Revisionsrekurs des durch die zuständige Bezirkshauptmannschaft als Unterhaltssachwalter vertretenen Minderjährigen ist iS des § 14 Abs 1 AußStrG zulässig und gerechtfertigt.

Gemäß § 140 Abs 3 ABGB mindert sich der Anspruch auf Unterhalt des Kindes insoweit, als es eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist. Der Unterhaltsanspruch des Kindes endet demnach mit seiner Selbsterhaltungsfähigkeit; diese kann nach ständiger Rechtsprechung auch schon vor Eintritt der Volljährigkeit eintreten (EFSlg 65.798 ua), wenn es imstande ist, die Mittel zur Deckung des eigenen Unterhalts durch eigene Arbeit selbst zu verdienen (1 Ob 524/93 = Jus extra 1993, 1400; EFSlg. 68.474, 65.809 ua; Purtscheller-Salzmann, Unterhaltsbemessung, Rz 265 E 3; Schlemmer/Schwimann in Schwimann, Rz 99 zu § 40 ABGB).

Der jetzt 17jährige Unterhaltspflichtige hat seine dreijährige Berufsausbildung zum landwirtschaftlichen Facharbeiter abgeschlossen und würde demnach die Voraussetzungen für die Annahme der Selbsterhaltungsfähigkeit erfüllen (Schlemmer/Schwimann aaO Rz 105, 110 zu § 140 ABGB). Er arbeitet aber (seiner Berufsausbildung entsprechend) im landwirtschaftlichen - einmal von ihm zu übernehmenden - Betrieb seiner Mutter zu einem weit geringeren Entgelt als einem landwirtschaftlichen Facharbeiter nach dem Kollektivvertrag für die Landarbeiter in den bäuerlichen Betrieben Kärntens zusteht. Nach diesem Kollektivvertrag besteht neben freier Station Anspruch auf ein Entgelt von 8.196 S netto, das den Richtsatz nach § 293 Abs 1 ASVG von (im maßgeblichen Zeitpunkt) 8.167 S übersteigt. Dieser Richtsatz kann jedenfalls bei Beurteilung einfacher Lebensverhältnisse wie hier als tauglicher Anhaltspunkt für die Annahme eines durchschnittlichen Bedarfes herangezogen werden (EvBl 1993/12; EFSlg 68.480, 65.802 ff ua; Schlemmer-Schwimann aaO Rz 101 mwN). Der diesen Richtsatz übersteigende kollektivvertragliche Entgeltsanspruch ist hier entgegen der Auffassung der Vorinstanzen aber keine taugliche Grundlage für die Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit, weil der Unterhaltsberechtigte nicht auf einem fremden Hof, sondern als familieneigene Arbeitskraft auf dem Hof, den er einmal übernehmen soll, arbeitet und dort nicht nach dem Kollektivvertrag entlohnt wird. Die auf familienrechtlicher Grundlage erfolgende Mitarbeit des Minderjährigen am Hof ermöglicht eine familienrechtliche Entgeltbestimmung, die über dem Arbeitsvertragsrecht steht (Floretta, Die familieneigenen Arbeitskräfte im österreichischen Recht, insbesondere im Arbeitsrecht, DRdA 1979, 257, 259, 260). Es entspricht auch bäuerlichen Lebensverhältnissen, im bäuerlichen Betrieb eines Familienangehörigen zu einem (oft weit) geringeren als dem kollektivvertraglich bestimmten Entgelt zu arbeiten, namentlich wenn man den Hof einmal übernehmen soll. Das Gesetz sieht auch nicht die Anspannung der Leistungsfähigkeit des Kindes in der Weise vor, daß dieses den Unterhaltspflichtigen nach Kräften zu entlasten habe (1 Ob 524/93 = Jus extra 1993, 1400; EFSlg 68.494; vgl. auch Pichler in Rummel 2, Rz 12 zu § 140 ABGB). Es kommt daher auch nicht darauf an, ob der Minderjährige in seiner engeren Heimat zu einem Kollektivvertragslohn Arbeit auf einem fremden Hof finden könnte.

Mangels ausreichenden Eigeneinkommens ist daher der Minderjährige iS des § 140 Abs 3 ABGB noch nicht als selbsterhaltungsfähig anzusehen. Demnach muß in Stattgebung des Revisionsrekurses der Antrag des außerehelichen Vaters abgewiesen werden.

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