European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E133237
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
1./ Der Einspruch wird zurückgewiesen.
2./ In Stattgebung der Berufung wird das angefochtene Erkenntnis das in seinem Freispruch (B./) unberührt bleibt, im Schuldspruch A./ sowie im Strafausspruch aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:
* wird von dem wider ihn erhobenen Vorwurf, er habe in seinen Berufungsschriften im Verfahren AZ * des Landesgerichts * Rechtsanwalt * ein wegen § 146 StGB zu AZ * der Staatsanwaltschaft * geführtes Ermittlungsverfahren vorgeworfen, um dessen Glaubwürdigkeit als Zeuge zu erschüttern, obwohl es keinen sachlichen Zusammenhang zwischen den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen den Genannten und dem Verfahren AZ * des Landesgerichts * gab, wodurch Rechtsanwalt * vor dem Landesgericht * und beim * gegenüber den mit dem Verfahren befassten Richtern sachlich herabgesetzt wurde, gemäß §§ 38 Abs 1, 54 Abs 3 DSt freigesprochen.
Mit seiner Berufung wegen Strafe wird der Beschuldigte auf diese Entscheidung verwiesen.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen, in Abwesenheit des Disziplinarbeschuldigten ergangenen (§ 35 DSt) Erkenntnis, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch von einem weiteren Vorwurf enthält (B./), wurde * zu A./ der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten sowie der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt, weil er „im Verfahren * vor dem Landesgericht * dem Anzeiger Rechtsanwalt * ein wegen § 146 StGB zu * vor der Staatsanwaltschaft * geführtes Strafverfahren vorwarf, um seine Glaubwürdigkeit als Zeuge zu erschüttern, obwohl es keinen sachlichen Zusammenhang zwischen den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft * gegen Rechtsanwalt * und dem Verfahren * des Landesgerichts * gab, wodurch Rechtsanwalt * vor dem Landesgericht * und beim Oberlandesgericht * gegenüber den mit dem Verfahren befassten Richtern sachlich herabgesetzt wurde“.
[2] Über den Disziplinarbeschuldigten wurde eine Geldbuße in Höhe von 1.000 Euro verhängt.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richten sich der Einspruch und die Berufung des Beschuldigten wegen der Aussprüche über die Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen s RIS-Justiz RS0128656 [T1]) und über die Strafe.
[4] Der Einspruch war zurückzuweisen, weil er Gründe im Sinn des § 35 DSt iVm § 427 Abs 3 StPO nicht einmal behauptet.
[5] Der Berufung wegen Schuld kommt dagegen Berechtigung zu.
[6] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zeigt zutreffend auf, dass die Feststellungen den ergangenen Schuldspruch nicht tragen:
[7] Diesen zufolge hatte der Beschuldigte in einem Zivilverfahren für die beklagte Partei * & * Rechtsanwälte GmbH (als deren geschäftsführender Gesellschafter der Disziplinarbeschuldigte gemeinsam mit seinem Vater fungierte) zwei Berufungsschriften (vom 14. Mai 2018 und vom 10. Dezember 2018) verfasst, in denen er jeweils darauf hinwies, dass gegen den in diesem Verfahren als Zeuge vernommenen Rechtsanwalt * bei der Staatsanwaltschaft * ein „Strafverfahren wegen § 146 StGB“ anhängig sei, was „eindeutig“ gegen die „vom Erstgericht unterstellte Glaubwürdigkeit“ des Zeugen spreche.
[8] Das Ermittlungsverfahren sei laut den Benachrichtungen der Staatsanwaltschaft * am 26. Juli 2018 sowie (nach dessen Fortführung aufgrund eines entsprechenden Antrags) am 22. Jänner 2019 eingestellt worden (ES 3 f).
[9] Eine Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt hat zur Voraussetzung, dass der Rechtsanwalt in Ausübung seines Berufs, nicht aber in eigener Sache – in welcher eine Verletzung von Berufspflichten grundsätzlich nicht in Betracht kommt – gehandelt hat (vgl RIS-Justiz RS0054951, RS0056156, RS0054900, RS0118449; Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 1 DSt Rz 9 mwN).
[10] Nach den zitierten Feststellungen handelte der Beschuldigte bei Verfassen der Berufungsschriften zwecks Abwehr des gegen die * & * Rechtsanwälte GmbH gerichteten Unterlassungsbegehrens nicht im Auftrag eines Mandanten, demnach nicht in Ausübung seines Berufs als Rechtsanwalt und Parteienvertreter, sondern in eigener Sache (vgl [zur Beurteilung einer aus Anlass der Klagsführung gegen eine Rechtsanwalts GmbH von deren Geschäftsführer erstatteten Disziplinaranzeige gegen den Klagsvertreter als Tätigkeit „in eigener Sache“] 24 Ds 2/20h), worauf der Berufungswerber mit dem Vorbringen, dass „die angefochtene Entscheidung […] die Parteienrechte des Beschuldigten als in eigener Sache tätige[m] Rechtsanwalt einschränken würde“, (noch) hinreichend deutlich hinweist.
[11] Auch die Beurteilung des in Rede stehenden Verhaltens als Verletzung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt ist verfehlt:
[12] Dem Rechtsanwalt steht auch in eigener Sache das Recht auf freie Meinungsäußerung zu, welches besondere Zurückhaltung bei der Beurteilung einer Äußerung als strafbares Disziplinarvergehen fordert (RIS-Justiz RS0056168, RS0055904 [T2]). Nach § 17 RL‑BA 2015 darf der Rechtsanwalt nur solche Mittel anwenden, die mit Gesetz, Ehre und Ansehen des Standes vereinbar sind. Insbesondere darf er keine nicht sachbezogenen Maßnahmen ankündigen oder anwenden. Diesen Anforderungen hat ein Rechtsanwalt auch zu entsprechen, wenn er in eigener Sache auftritt (vgl RIS-Justiz RS0055904; vgl auch § 10 Abs 2 RAO).
[13] Der Beklagte im Zivilverfahren handelt bei Abwehr einer gegen ihn geltend gemachten zivilrechtlichen Forderung in Ausübung des Rechts, alle für seinen Standpunkt sprechenden sachlichen und rechtlichen Argumente vollständig vorzubringen. Dies ergibt sich bereits aus dem aus Art 6 Abs 1 MRK ableitbaren Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs und ist auch aus der in § 178 ZPO für die Parteien des Zivilverfahrens normierten Pflicht, „alle ... zur Begründung ihrer Anträge erforderlichen tatsächlichen Umstände der Wahrheit gemäß vollständig und bestimmt anzugeben“, ableitbar. Ihm steht daher jedes Vorbringen zu, das – ohne Anlegen eines strengen Maßstabs aus der Sicht eines verständigen Beobachters in der Rolle der Prozesspartei – der Aufklärung der Sache dienlich und zur Durchsetzung seines Rechtsstandpunkts zweckmäßig sein kann, wobei von einer ex‑ante-Betrachtung auszugehen und unmaßgeblich ist, ob sich das Vorbringen ex post tatsächlich als notwendig erweist (vgl RIS-Justiz RS0130930 [zu den entsprechenden Rechten eines Klägers im Zivilverfahren], RS0122921).
[14] Davon ausgehend ist das (nach den Feststellungen; ES 4) den Tatsachen entsprechende Vorbringen in den Rechtsmittelschriften, dass gegen einen Zeugen – wenn auch wegen eines anderen Sachverhalts (ES 5) – ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugs anhängig ist (vgl hingegen [für den Fall der unrichtigen Behauptung eines anhängigen Strafverfahrens] RIS-Justiz RS0055338), um damit die vom Erstgericht attestierte Glaubwürdigkeit der (den Standpunkt der Gegenseite im Zivilprozess stützenden) Aussage dieser Beweisperson in Zweifel zu ziehen, nicht (von Vornherein) gänzlich ungeeignet (vgl RIS-Justiz RS0112557; RS0120109), dem eigenen Verfahrensstandpunkt zum Durchbruch zu verhelfen, wobei es keinen Unterschied macht, dass dieser Zeuge selbst Rechtsanwalt ist (vgl hingegen [betreffend Angriffe gegen einen Rechtsanwalt als Vertreter der anderen Partei] § 21 Abs 1 RL-BA 2015).
[15] Da demnach kein unrichtiges Vorbringen erstattet wurde und sich die angewendete Maßnahme als (noch) sachbezogen erweist, liegt auch keine Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes vor.
[16] In Stattgebung der Berufung wegen Schuld war daher der Schuldspruch aufzuheben und mit Freispruch vorzugehen.
[17] Mit seiner Berufung wegen Strafe war der Beschuldigte auf diese Entscheidung zu verweisen.
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