European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0240DS00020.22H.0426.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte
Spruch:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Dem Disziplinarbeschuldigten fallen die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Disziplinarbeschuldigte * der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt und zu einer Geldbuße von 2.000 Euro verurteilt.
[2] Danach hat er namens der W* Rechtsanwalts GmbH als Verteidigerin von * A* im Verfahren AZ 17 Hv 101/18v des Landesgerichts Feldkirch in der Berufung und Gegenausführung zur Strafberufung der Staatsanwaltschaft vom 2. Dezember 2019 ausgeführt,
a./ auf Seite 2:
„In 60 Jahren als Strafverteidiger (40 Jahre der Erstverteidiger, 20 Jahre der Zweitverteidiger) haben diese noch nie erlebt, was sich der Erstrichter in diesem Verfahren herausgenommen hat. Offenbar stammt [gemeint: stand] seine Entscheidung unter dem Eindruck der Tatsache, dass er wusste, dass er die Justiz verlassen wird und hat deshalb seine offenkundig pflichtwidrige Entscheidung aus Leichtfertigkeit getroffen.“
b./ auf Seite 4:
„Anstatt nur das zu tun, was das Obergericht dem Erstgericht aufgetragen hat, stümperte der Erstrichter zur inneren Tatseite mit folgenden Aussagen [...].“
c./ auf Seite 5:
„Mit anderen Worten, der Erstrichter verschweigt mala fide den ersten Rechtsgang und seinen nach § 293 Abs 2 StPO bindenden Auftrag und ignoriert die Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 1. Oktober 2018, AZ 11 Bs 98/18a, völlig.“
Rechtliche Beurteilung
[3] Gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats richtet sich die Berufung des Beschuldigten wegen des Ausspruchs über die Schuld (RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) und (implizit: § 49 letzter Satz DSt) die Strafe. Sie ist nicht berechtigt.
[4] Entgegen der Mängelrüge (Z 5 fünfter Fall StPO) ist die Begründung des Publiziätserfordernisses als Kriterium des zweiten Falls des § 1 Abs 1 DSt (Lehner in Engelhart et al, RAO11 § 1 DSt Rz 12 ff) mit dem Akteninhalt, der Offenlegung des Inhalts des Rechtsmittels an die eigene Mandantin und der Kenntniserlangung durch mehrere Personen der Justiz (vgl RIS‑Justiz RS0054876 [T12, T14]) schon deshalb nicht aktenwidrig, weil das Erkenntnis keine unrichtige oder unvollständige Wiedergabe betreffend den Inhalt einer Aussage oder Urkunde enthält (vgl Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 § 281 Rz 61).
[5] Soweit sich der Beschuldigte in seiner Rechtsrüge (Z 9 lit a StPO) auf das Recht der freien Meinungsäußerung (Art 10 EMRK) beruft, vernachlässigt er die Aufgabe der Rechtsanwaltschaft im Rahmen der Rechtspflege und die sich daraus ergebenden Grenzen bei der Wahrnehmung der Interessen des Mandanten (§ 9 Abs 1 RAO). Korrespondierend zu Art 10 EMRK, wonach jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung hat, räumt § 9 Abs 1 zweiter Satz RAO dem Rechtsanwalt nicht nur das Recht ein, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen und ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, sondern verpflichtet ihn als Ausfluss der in § 9 Abs 1 erster Satz RAO festgelegten Parteientreue sogar dazu. Deshalb bedarf nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs die Beurteilung einer Äußerung als strafbares Disziplinarvergehen einer besonderen Zurückhaltung (VfSlg 13.122).
[6] Allerdings ist dieses Recht, wie § 9 Abs 1 zweiter Satz letzter Halbsatz RAO zeigt, nicht schrankenlos, unterliegt es doch – neben Auftrag und Gesetz – dem als Maßstab genannten Gewissen als Ausdruck hoher berufsethischer Grundsätze (Lehner in Engelhart et al, RAO11 § 9 RAO Rz 14 mwN; 20 Ds 4/20y; 23 Ds 7/22i). Von einem Rechtsanwalt wird aufgrund seiner hohen Bildung und seiner Tätigkeit im Rahmen der Rechtspflege erwartet, dass er sich stets in Wort und Schrift einer sachlichen Ausdrucksweise bedient und jede unsachliche und beleidigende Äußerung unterlässt (RIS-Justiz RS0055208; 23 Ds 7/22i).
[7] § 9 RAO steht, entgegen dem Berufungsvorbringen, im Einklang mit Art 10 Abs 2 EMRK, der im Hinblick darauf, dass die Ausübung der Meinungsfreiheit auch Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, Einschränkungen erlaubt und auch Strafdrohungen für zulässig erachtet, sofern diese im Sinn einer demokratischen Gesellschaft ua zum Schutz des guten Rufes und der Rechte anderer oder zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sind. Das beinhaltet auch standesrechtliche Disziplinarmaßnahmen gegen Meinungsäußerungen eines Rechtsanwalts (VfGH B 1369/12, VfSlg 18.001; 20 Ds 4/20y).
[8] Der Rechtsanwalt überschreitet danach seine ihm eingeräumten Befugnisse, wenn die Äußerung unter dem Gesichtspunkt des Sachlichkeitsgebots schon per se nicht geeignet ist, dem (berechtigten) Anliegen der Rechtsverfolgung zum Durchbruch zu verhelfen, was bei pauschalierender Polemik sowie beleidigenden und unsachlichen Äußerungen regelmäßig der Fall ist. Auch Äußerungen, die (nur) darauf abzielen, den Adressaten herabzusetzen oder lächerlich zu machen, verfehlen das berechtigte Ziel. Das Gleiche gilt für Äußerungen, die von persönlicher Animosität geprägt sind und inhaltlich nichts für den vertretenen Standpunkt beitragen (Lehner in Engelhart et al RAO11 § 9 RAO Rz 16; Grabenwarter/Pabel EMRK7, § 23 Rz 32; RIS-Justiz RS0072230; RS0117215); bereits Fahrlässigkeit schadet (RIS‑Justiz RS0120395).
[9] Entgegen den Ausführungen des Rechtsmittelwerbers wird die Freiheit des Rechtsanwalts zur Meinungsäußerung nicht erst dann überschritten, wenn er in Rechtsmissbrauchsabsicht handelt oder wenn – bei Werturteilen – jeder Sachbezug fehlt. Da der Rechtsanwalt einen speziellen Status und eine zentrale Position in der Rechtspflege (als Vermittler zwischen Öffentlichkeit und Gerichten) besitzt, kann von ihm vielmehr erwartet werden, dass er zur ordnungsgemäßen Rechtspflege beiträgt und damit das öffentliche Vertrauen in diese aufrecht erhält. Lässt sich der Rechtsanwalt danach zu Äußerungen hinreißen, die keinen Bezug zum legitimen Interesse an der Rechtsverfolgung aufweisen oder die nach dem Disziplinarrecht festgelegte Grenze überschreiten, wird er seiner Aufgabe in der Rechtspflege nicht mehr gerecht (vgl Grabenwarter/Pabel EMRK7 § 23 Rz 30 und 32 [jeweils mwN]; vgl RIS-Justiz RS0107101).
[10] Das von der Berufung ins Treffen geführte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 6. Oktober 2021, AZ UA 2/2021, ist mit einem Disziplinarverfahren nicht vergleichbar. Es ging in diesem Erkenntnis nicht um anwaltliche Standespflichten, sondern darum, inwieweit Kritik an einem Aufsichtsratsmitglied einer staatsnahen GmbH bei der Befragung im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zulässig ist.
[11] Was die in der Rechtsrüge wiedergegebene europäische Rechtsprechung bzw. Entscheidungen deutscher Anwaltsgerichte angeht, verfehlt das Rechtsmittel die prozessförmige Ausführung, weil sie nicht sachverhaltsbezogen deutlich und bestimmt (§§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285a Z 2 StPO) darlegt, weshalb das angefochtene Disziplinarerkenntnis dem Disziplinarrecht widersprechen soll.
[12] Das Rechtsmittel vermag auch nicht darzulegen, weshalb Äußerungen, die ausschließlich darauf gerichtet sind, den Erstrichter herabzusetzen („stümpert“) oder ihm gravierende persönliche Verstöße („mala fide“ bzw im Wissen, dass er die Justiz verlassen würde […] offenkundig pflichtwidrige Entscheidungen aus Leichtfertigkeit“) vorzuwerfen, geeignet sein könnten, der Berufung zu einem Erfolg zu verhelfen. Auch von einer (offenkundigen) Gesetzesverletzung des Richters, dadurch, dass er in seinem Urteil das aufhebende Erkenntnis nicht wiedergegeben habe, kann nicht die Rede sein, ist doch eine solche Verpflichtung aus § 293 Abs 2 StPO nicht abzuleiten (vgl Ratz, WK‑StPO § 293 Rz 2, 11; 11 Os 34/22t).
[13] Auch der Schuldberufung des Disziplinarbeschuldigten ist ein Erfolg zu versagen, hat sich der Disziplinarrat doch im Rahmen seiner empirisch nachvollziehbaren Beweiswürdigung mit allen entscheidungswesentlichen Umständen der Tat auseinandergesetzt und seine Feststellungen überzeugend begründet, wobei er sich insbesondere auf die vorliegenden Urkunden und die vom Disziplinarbeschuldigten zugestandene Urheberschaft stützen konnte.
[14] Nach § 16 Abs 6 DSt ist bei der Verhängung der Strafe auf die Größe des Verschuldens des Beschuldigten aber auch auf die daraus entstandenen Nachteile, einerseits für die rechtssuchende Bevölkerung, andererseits für das Ansehen der Rechtsanwaltschaft und – bei Ausspruch einer Geldbuße – auch auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse Bedacht zu nehmen (Lehner in Engelhart et al, RAO11 § 16 DSt Rz 17 mwN; 27 Ds 1/17d; 20 Ds 13/20x).
[15] Wenn man bedenkt, dass der Beschuldigte seine Äußerungen nicht im Wortüberschwang getätigt hat, sondern die Schriftsätze in seiner Kanzlei verfasst und abgeschickt hat (26 Os 4/16g; 22 Ds 3/19i), und, dass sie aufgrund der persönlichen Angriffe geeignet waren, das Ansehen der Rechtsanwaltschaft im Rahmen der Rechtspflege erheblich zu beeinträchtigen, ist auch die Ausmessung der Geldbuße durch den Disziplinarrat, der die Erschwerungs- und Milderungsgründe zutreffend angeführt und richtig gewichtet hat, nicht zu beanstanden.
[16] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.
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