OGH 23Ds2/23f

OGH23Ds2/23f11.7.2023

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 11. Juli 2023 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Lovrek als weitere Richterin sowie die Rechtsanwälte Mag. Brunar und Mag. Stolz als Anwaltsrichter in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwältin in *, wegen Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt und des Suspensionsbruchs nach § 17 zweiter Fall DSt über die Beschwerde der Beschuldigten gegen den Beschluss des Disziplinarrats der * Rechtsanwaltskammer vom 7. Dezember 2022, GZ D 24/21, D 60/22, D 61/22, D 71/22‑64, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0230DS00002.23F.0711.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

 

Gründe:

[1] Mit – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Abwesenheit der Beschuldigten (ON 54) gefälltem – Erkenntnis des Disziplinarrats der * Rechtsanwaltskammer vom 1. Dezember 2022, GZ D 24/21, D 60/22, D 61/22, D 71/22‑67, wurde Rechtsanwältin * der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt (1./) und des Suspensionsbruchs nach § 17 zweiter Fall DSt (2./) schuldig erkannt und hiefür gemäß § 16 Abs 1 Z 4 DSt zur Disziplinarstrafe der Streichung aus der Liste der * Rechtsanwaltskammer verurteilt.

[2] Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat sie

1./ durch im Erkenntnis detailliert angeführte Äußerungen in jeweils an das Landesgericht * zu AZ 16 Hv 105/18s gerichteten Schriftsätzen vom 25. Mai 2021 und vom 1. März 2022 gegen das Sachlichkeitsgebot und damit gegen § 9 RAO verstoßen und

2./ in den Verfahren zu AZ 21 HR 171/22v, AZ 16 Hv 105/18s und AZ 20 HR 30/22a, jeweils des Landesgerichts *, am 14. April 2022 und 8. August 2022 (zu AZ 16 Hv 105/18s durch Einbringung eines Schriftsatzes, in dem sie unter Berufung auf eine ihr nach § 8 RAO erteilte Vollmacht bekanntgab, den dort Angeklagten zu vertreten, und gleichzeitig Urkunden vorlegte, sowie durch Einbringung einer weiteren „Mitteilung“ als ausgewiesene Vertreterin des Angeklagten), am 25. Mai 2022 (zu AZ 21 HR 171/22v durch Einbringung einer schriftlichen Stellungnahme als „ausgewiesene Vertreterin“ des dort Beschuldigten unter Berufung auf das Vollmachtsverhältnis) sowie am 22. Juli 2022 und 3. August 2022 (zu AZ 20 HR 30/22a durch Einbringung von zwei als „Antrag auf Mitteilung“ und „Äußerung“ [„Antrag auf Ablehnung der zuständigen Haft- und Rechtsschutzrichterin“] bezeichneten Schriftsätzen als ausgewiesene Vertreterin des dort Beschuldigten) Vertretungshandlungen gesetzt, obwohl ihr mit – im Tatzeitraum nicht rechtskräftigem – Beschluss des Disziplinarrats der * Rechtsanwaltskammer vom 15. März 2022, GZ D 20/22-8 (vgl dazu AZ 22 Ds 10/22y), als einstweilige Maßnahme aus dem Grund des § 19 Abs 1 Z 1 DSt das Vertretungsrecht vor dem Landesgericht * und der Staatsanwaltschaft * entzogen worden (§ 19 Abs 3 Z 1 lit b DSt) und diese Maßnahme noch nicht aufgehoben war.

Rechtliche Beurteilung

[3] Über die dagegen erhobene Berufung der Beschuldigten hat der Oberste Gerichtshof noch nicht entschieden.

[4] Mit dem angefochtenen Beschluss wurde der Beschuldigten als einstweilige Maßnahme aus dem Grund des § 19 Abs 1 Z 3 DSt die Ausübung der Rechtsanwaltschaft vorläufig untersagt (§ 19 Abs 3 Z 1 lit d DSt).

[5] Ihrer dagegen erhobenen Beschwerde kommt keine Berechtigung zu.

[6] Aus welchem Grund die Zustellung des gegenständlichen Beschlusses gemeinsam mit einem – nicht näher bezeichneten – „Bescheid der * Rechtsanwaltskammer Plenum“ und vor der Übermittlung des Protokolls über die mündliche Disziplinarverhandlung einen „gravierenden Fehler“ darstellen soll, bleibt unklar.

[7] Die Behauptung einer Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter, die die Beschwerdeführerin daraus ableitet, dass der „hier gehörige“ Disziplinarrat– ausschließlich auf Grundlage von Anzeigen von Richtern und Rechtsanwälten – eine Vielzahl von Disziplinarverfahren gegen sie eingeleitet und nicht „von sich aus unverzüglich“ eine Delegierung veranlasst habe, obwohl dies „normalerweise bei mehr als fünf Disziplinarverfahren“ geboten sei, zumal die Anzeigen „alle im engen Konnex und Zusammenhang“ mit der Aufdeckung eines „Netzwerks“ durch die Beschuldigte stünden und „Objektivität, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit“ schon „durch die Besetzung des Präsidiums mit dem Vizepräsidenten *“ nicht mehr gegeben sei, entzieht sich mangels jeglichen fassbaren Substrats einer inhaltlichen Erwiderung (vgl im Übrigen die Zurückweisung der in diesem Verfahren gestellten Delegierungsanträge der Beschuldigten mit Beschlüssen des Disziplinarrats zu GZ D 24/21-45 sowie des Obersten Gerichtshofs vom 14. März 2023, GZ 21 Ns 4/22h-6 [AZ D 71/22, ON 57]). Gleiches gilt für unspezifizierte Vorwürfe der Fassung nicht „rechtskonformer“, undatierter Beschlüsse und der „Ignorierung“ von Rechtsmitteln der Beschuldigten durch den Disziplinarrat sowie den Hinweis darauf, dass „bei der Abstimmung über die einstweiligen Maßnahmen nur Insolvenzverwalter tätig“ gewesen seien.

[8] Soweit mit Einwänden gegen die Durchführung der Disziplinarverhandlung in Abwesenheit der Beschuldigten eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör geltend gemacht werden soll, lässt die Beschwerdeführerin außer Acht, dass ihr vor der Beschlussfassung über die einstweilige Maßnahme gemäß § 19 Abs 2 erster Satz DSt Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wurde (ON 55), die sie auch nützte (ON 58). Im Übrigen erschien sie nach dem Akteninhalt unentschuldigt nicht zur am 1. Dezember 2022 durchgeführten Verhandlung, obwohl die Zustellung der Ladung am 14. November 2022 erfolgte und Abberaumungsanträge vom 24. November 2022 (ON 42), 30. November 2022 (ON 48) und 1. Dezember 2022 (ON 52) abgewiesen worden waren (ON 44, 49 und 53). Zur Durchführung einer (weiteren) mündlichen Verhandlung iSd § 19 Abs 2 erster Satz zweiter Satzteil DSt war der Disziplinarrat – wie der Vollständigkeit halber anzumerken bleibt – schon mit Blick auf die Dringlichkeit, die zu einer Entscheidungsfindung binnen sechs Tagen führte, nicht verpflichtet (vgl EGMR 5. 4. 2016, Bsw 33060/10, Blum/Österreich; 27 Ds 3/18z; 24 Ds 2/18f).

[9] Die Kritik an der Dauer der Disziplinarverhandlung am 1. Dezember 2022, der „nicht einmal viertelstündigen“ Beratungszeit und der Senatszusammensetzung (vgl im Übrigen § 15 Abs 1, 2 und 6 DSt) bezieht sich auf das oben dargestellte Erkenntnis des Disziplinarrats vom 1. Dezember 2022 und nicht auf den gegenständlichen Beschluss und ist daher hier unbeachtlich. Das trifft auch auf die Behauptung, „die Abstimmung bei diesem Strafausmaß“ sei „missbräuchlich ausgeübt“ worden und auf Argumente, die aus Sicht der Beschwerdeführerin die im Disziplinarverfahren gegen sie erhobenen Vorwürfe des Suspensionsbruchs entkräften,zu.

[10] Grundvoraussetzung für eine einstweilige Maßnahme nach § 19 Abs 1 Z 3 DSt ist nämlich der – wenn auch (wie hier) nicht rechtskräftige – Ausspruch der Disziplinarstrafe der Streichung von der Liste (§ 16 Abs 1 Z 4 DSt; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 19 DSt Rz 16; Gartner in Csoklich/Scheuba, Standesrecht der Rechtsanwälte³ 119). Einer näheren Begründung zur – schon durch den erstinstanzlichen Schuldspruch determinierten – Verdachtslage (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 19 DSt Rz 10 ff) bedarf es in solchen Fällen nicht (vgl dazu RIS-Justiz RS0061107).

[11] Nach § 19 Abs 1 letzter Halbsatz DSt kann eine einstweilige Maßnahme darüber hinaus grundsätzlich nur beschlossen werden, wenn sie mit Rücksicht auf die Art und das Gewicht des dem Rechtsanwalt zur Last gelegten Disziplinarvergehens wegen zu besorgender schwerer Nachteile, besonders für die Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung oder das Ansehen des Standes, erforderlich ist, wobei dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung zu tragen ist. Zwar ist demgemäß unter mehreren zur Auswahl stehenden Zwangsmaßnahmen das gelindeste zum Ziel führende Mittel zu ergreifen (§ 5 Abs 1 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt; RIS-Justiz RS0117087 [T1]; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 19 DSt Rz 3 und 10), doch kommt als Maßnahme aus dem Grunde des § 19 Abs 1 Z 3 DSt definitionsgemäß vor allem die vorläufige Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft (§ 19 Abs 3 Z 1 lit d DSt) in Betracht.

[12] Der Disziplinarrat hat sich in der angefochtenen Entscheidung ausführlich auch mit diesen Voraussetzungen auseinandergesetzt und eine begründete Besorgnis im dargestellten Sinn – trotz Erwähnung auch hier nicht verfahrensgegenständlicher Sachverhalte – mit hinreichender Deutlichkeit schon aus der besonderen Schwere des der Beschuldigten mehrfach zur Last liegenden Suspensionsbruchs (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 17 DSt Rz 2; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 17 DSt, 904) und ihrem Verhalten im gegenständlichen Verfahren abgeleitet (BS 2 ff).

[13] Indem die Beschwerdeführerin ihre gegenteilige Ansicht zur Darstellung bringt und einen einzelnen Aspekt der Begründung kritisiert, der ersichtlich keine notwendige Bedingung für die Verhängung der einstweiligen Maßnahme war, setzt sie den nicht zu beanstandenden Erwägungen des Disziplinarrats nichts Substantielles entgegen.

[14] Der Beschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – ein Erfolg zu versagen.

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