European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0220DS00010.22Y.1003.000
Spruch:
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Der Antrag, die Durchführung des Disziplinarverfahrens einem anderen Disziplinarrat zu übertragen, wird abgewiesen.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Beschluss wurde der Beschuldigten als einstweilige Maßnahme aus dem Grund des § 19 Abs 1 Z 1 DSt das Vertretungsrecht vor dem Landesgericht für Strafsachen Graz und der Staatsanwaltschaft Graz entzogen (§ 19 Abs 3 Z 1 lit b DSt), weil gegen sie von Letzterer wegen des Verdachts der Begehung einer dem Verbrechen der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Strafsatz StGB unterstellten Tat zunächst ein Ermittlungsverfahren eingeleitet (§ 1 Abs 2 StPO iVm §§ 91 ff StPO) und in der Folge beim genannten Gericht Anklage eingebracht (§ 210 Abs 1 StPO) worden war.
Rechtliche Beurteilung
[2] Die dagegen erhobene Beschwerde der Beschuldigten geht fehl.
[3] Soweit darin Vorbringen zur Disziplinarsache AZ D 19/22 des Disziplinarrats der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer erstattet wird, ist dieses Gegenstand des beim Obersten Gerichtshof zu AZ 21 Ds 6/22b anhängigen Rechtsmittelverfahrens und solcherart hier unbeachtlich.
[4] Zum hier gegenständlichen Beschluss des Disziplinarrats der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer erschöpft sich die Beschwerde darin, Argumente vorzutragen, die aus ihrer Sicht den im Strafantrag der Staatsanwaltschaft Graz inkriminierten Vorwurf entkräften.
[5] Dabei übersieht sie, dass Grundvoraussetzung für eine einstweilige Maßnahme nach § 19 Abs 1 Z 1 DSt die Anhängigkeit eines Strafverfahrens nach der StPO, nicht aber der Nachweis einer gerichtlich strafbaren Handlung ist (RIS‑Justiz RS0102722 [T3]).
[6] Ist diese Voraussetzung – wie hier – erfüllt, bedarf es keiner näheren Begründung, dass schwere Nachteile für das Ansehen des Standes im Sinn des letzten Satzteils § 19 Abs 1 DSt zu besorgen seien, wenn ein Rechtsanwalt bei dem Gericht, bei dem das Verfahren gegen ihn geführt wird, als Parteienvertreter einschreitet (VfGH B 902/96 VfSlg 14.567, RIS‑Justiz RS0056748 [T2]). Die Anhängigkeit eines gerichtlichen Strafverfahrens bringt nämlich zumindest die Möglichkeit mit sich, dass der vom Rechtsanwalt seinen Mandanten geschuldete umfassende Einsatz vor Strafgerichten und Strafverfolgungsbehörden nicht mehr gewährleistet ist, wenn sich der Rechtsanwalt selbst als Beschuldigter oder Angeklagter zu verantworten hat (RIS‑Justiz RS0104960 [T2]).
[7] Hievon ausgehend ist einem Rechtsanwalt, gegen den als Beschuldigter oder Angeklagter ein Strafverfahren nach der StPO geführt wird, das Vertretungsrecht iSd § 19 Abs 3 Z 1 lit b DSt jedenfalls vor dem Gericht, vor dem er unter Anklage steht, und vor der Staatsanwaltschaft, die eben diese Anklage vertritt, zu entziehen (RIS‑Justiz RS0056735; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek,RAO10 § 19 DSt Rz 21).
[8] Da die Beschuldigte auch von der Möglichkeit einer entsprechenden Selbstverpflichtungserklärung keinen Gebrauch gemacht hat (vgl dazu RIS‑Justiz RS0125185), ist die vom Disziplinarrat beschlossene einstweilige Maßnahme insgesamt nicht zu beanstanden.
[9] Die Übertragung der Durchführung des Disziplinarverfahrens an einen anderen Disziplinarrat aus dem Grund der Befangenheit (§ 25 Abs 1 DSt) ist nur dann statthaft, wenn entweder der gesamte Disziplinarrat oder so viele seiner Mitglieder befangen sind, dass dieser nicht mehr beschlussfähig ist (RIS‑Justiz RS0083346; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek,RAO10 § 25 DSt Rz 2).
[10] Da dies in dem mit der Beschwerde verbundenen Antrag auf Delegierung nicht substantiiert vorgebracht wird, war diesem ein Erfolg zu versagen.
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