European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0230DS00001.17Z.0612.000
Spruch:
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Beschluss sprach der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Vorarlberg aus, dass kein Grund zur Disziplinarbehandlung des Rechtsanwalts ***** wegen des Vorwurfs bestehe, er habe in einem an die Rechtsanwaltskammer Vorarlberg gerichteten Schreiben vom 8. März 2016 ausgeführt: „Altersvorsorgen werden in der Regel deshalb betrieben, damit sich die damit beschäftigten Funktionäre, Prüfer, Prüfer der Prüfer etc ein Einkommen sichern.
...
Hiebei wird auch zu prüfen sein, ob die Vorarlberger Anwaltskammer in verpönter Weise Finanzdienstleistungen durchführt und wie die Gelder bisher veranlagt bzw verschwendet wurden. “
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene, die Fassung eines Einleitungsbeschlusses begehrende Beschwerde des Kammeranwalts ist nicht im Recht.
Mit Bescheid vom 10. Februar 2016 (ON 1 S 9 f) hatte der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Vorarlberg den Antrag des Beschuldigten auf Befreiung von der Verpflichtung zur Beitragsleistung zur Versorgungseinrichtung der genannten Rechtsanwaltskammer (Zusatzpension gemäß § 12 Abs 6 Satzung Teil B) für das Jahr 2016 abgewiesen, weil freiwillig geleistete Beiträge hiebei nicht zu berücksichtigen seien.
Mit Schreiben vom 8. März 2016 (ON 1 S 1 f) wandte sich Rechtsanwalt ***** – erkennbar unter Bezugnahme auf den genannten Bescheid – betreffend die ***** an die Rechtsanwaltskammer Vorarlberg. Unter Hinweis auf die Tätigkeit seiner Kanzlei am Kapitalmarkt führte er aus, dass sie „ überhaupt keine Altersvorsorge [kennen], welche sich für den Beitragszahler rentiert. Altersvorsorgen werden in der Regel deshalb betrieben, damit sich die damit beschäftigten Funktionäre, Prüfer, Prüfer der Prüfer etc ein Einkommen sichern “. Aus diesem Grund habe er um Befreiung angesucht, wobei es seines Erachtens keinen Unterschied mache, ob Pensionsbeiträge nach dem ASVG verpflichtend oder freiwillig gezahlt werden. Es werde um Änderung der Satzungen ersucht, andernfalls sehe man sich „ gezwungen, die gesamte Konstruktion Altersvorsorge § 12 Abs 6 Teil B genauer zu untersuchen “, wobei auch zu prüfen sein werde, „ ob die Vorarlberger Anwaltskammer in verpönter Weise Finanzdienstleistungen durchführt und wie die Gelder bisher veranlagt bzw verschwendet wurden “. Faktum sei, dass die Erträge der Veranlagung weit hinter denen, die am Markt erzielt werden, zurückbleiben, wobei sich diese Einschätzung zwanglos aus einem Backtest ergebe und bisher niemand habe sagen können, „ wie die Mittel verwendet werden, wer prüft, ob eine Total‑Return‑Analyse des investierten Betrags überhaupt möglich ist etc “.
Im angefochtenen Beschluss ging der Disziplinarrat in tatsächlicher Hinsicht davon aus, dass ***** im inkriminierten Schreiben keine Vorwürfe gegen Funktionäre der Rechtsanwaltskammer Vorarlberg oder Kollegen erhoben habe, sondern letztendlich gegen Altersvorsorgen im Allgemeinen und gegen diejenigen Personen (Funktionäre, Prüfer etc), die diese verwalten, wobei er auch Alternativvorschläge angeboten habe.
In rechtlicher Hinsicht erachtete der Disziplinarrat die vom Vorwurf umfassten Äußerungen als vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt bzw als „bona fide vorgebrachte Beschuldigungen“.
Ein Beschluss des Inhalts, dass kein Grund zur Disziplinarbehandlung vorliegt (Einstellungsbeschluss), darf vom Disziplinarrat gefasst werden, wenn kein Verdacht eines ein Disziplinarvergehen begründenden Verhaltens des angezeigten Rechtsanwalts im Sinn des § 28 Abs 2 DSt vorliegt (vgl RIS‑Justiz RS0056969, Feil/Wennig , Anwaltsrecht 8 § 28 DSt, 932).
Vom Fehlen eines solchen Verdachts ist dann auszugehen, wenn die zur Last gelegte Tat weder eine Berufspflichtenverletzung noch eine Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes begründet, sonst ein Grund vorliegt, der eine Disziplinarverurteilung aus rechtlichen Gründen ausschließt (§ 212 Z 1 StPO, § 77 Abs 3 DSt; vgl RIS‑Justiz RS0056969 [T7], RS0056973 [T4]) oder aber, wenn – im Licht des § 212 Z 2 StPO – das vorliegende Tatsachensubstrat Grund zur Annahme bietet, dass Dringlichkeit und Gewicht des Tatverdachts nicht ausreichen, um eine Verurteilung des Beschuldigten auch nur für möglich zu halten, und von weiteren Ermittlungen eine Intensivierung des Verdachts nicht zu erwarten ist. Diese Beurteilung ist Sache der Beweiswürdigung des Senats gemäß § 28 DSt, während dem erkennenden Senat gemäß § 30 DSt die Prüfung vorbehalten ist, ob sich der Verdacht zum Schuldbeweis verdichtet hat (RIS‑Justiz RS0056973 [T5]; 25 Os 7/14p, 21 Os 7/14h, 24 Os 5/15p, 21 Os 3/16y).
Das Beschwerdevorbringen des Kammeranwalts, die inkriminierten Passagen im Schreiben vom 8. März 2016 „unterstellen … in der Zusammenschau beider Äußerungen, dass sich die (mit der Altersvorsorge betrauten) Funktionäre der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer durch diese Altersvorsorge lediglich ein Einkommen sichern und Gelder verschwenden“, vernachlässigt den Kontext des inkriminierten Schreibens insbesondere zum Bescheid vom 10. Februar 2016 und ignoriert ferner die Stellungnahme des Beschuldigten vom 23. Mai 2016, er habe sich gegen „Altersvorsorgen im Allgemeinen“ und nicht gegen Funktionäre der Rechtsanwaltskammer Vorarlberg gewendet (vgl auch die Passage im Schreiben vom 8. März 2016, wovon „in der Regel“ betriebenen Altersvorsorgen die Rede ist).
Bedenken gegen die Lösung der Tatfrage im Einstellungsbeschluss vermag der Rechtsmittelwerber mit seinen Ausführungen nicht zu wecken.
Die vom Rechtsanwalt ***** gewählten Formulierungen bewegen sich noch im Rahmen der – auch gegenüber der Rechtsanwaltskammer (vgl RIS‑Justiz RS0101400) – zulässigen Kritik und sind vom Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 Abs 1 MRK gedeckt (vgl RIS‑Justiz RS0056168). Die inkriminierten Äußerungen sind als in eigener Sache gegenüber der Rechtsanwaltskammer (noch) zulässige Angriffs‑ bzw Verteidigungsmittel im Sinn der §§ 9 Abs 1, 10 Abs 2 RAO zu werten.
Insoweit der Kammeranwalt ausführt, der Vorwurf, wonach die Funktionäre der Rechtsanwaltskammer sich durch die Altersvorsorgen ein Einkommen sichern und Gelder verschwendet worden seien, stelle keine sachliche Kritik, sondern eine kritikschädigende Äußerung gegen die Kammerfunktionäre dar, geht er nicht vom festgestellten Sachverhalt aus.
Der Beschwerde ist daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – ein Erfolg zu versagen.
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