European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0220DS00006.23M.1108.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte
Spruch:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Der Beschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde *, Rechtsanwältin in *, mehrerer Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt (1 und 2) sowie eines Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt (1) schuldig erkannt.
[2] Danach hat sie
(1) entgegen § 4 RL‑BA 2015 neun in der Zeit vom 8. Juni 2018 bis zum 15. April 2020 gelegte Rechnungen der L* GmbH & Co KG über einen Gesamtbetrag von 1.219,63 Euro erst nach (zu AZ 23 C 57/21m des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien erfolgter) Klags‑ und (zu AZ 62 E 1057/21p des genannten Gerichts erfolgter) Exekutionsführung durch die Gläubigerin bezahlt sowie
(2) entgegen § 26 RL‑BA 2015 dem Ersuchen des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 8. April 2021, zu dem gegen sie (zu AZ 23 C 57/21m des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien am 18. Februar 2021) ergangenen Zahlungsbefehl binnen 14 Tagen Stellung zu nehmen, trotz Urgenz vom 29. April 2021 bis zum 7. Oktober 2021 nicht entsprochen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die dagegen wegen des Vorliegens der Nichtigkeitsgründe (siehe dazu RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) der Z 3, 5, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Berufung der Beschuldigten geht – wie auch die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt – fehl.
[4] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 3) begründet der Umstand, dass die angefochtene Entscheidung die als verwirklicht angesehenen Disziplinarvergehen nicht numerisch bezeichnet, keine Nichtigkeit.
[5] Nach ständiger Judikatur ist nämlich in Bezug auf die allfällige Verletzung der insoweit angesprochenen Bestimmung des § 260 Abs 1 Z 2 StPO (hier iVm § 77 Abs 3 DSt) darauf abzustellen, ob die Norm, nach der subsumiert worden ist, zweifelsfrei erkennbar ist (RIS‑Justiz RS0116669), was hier zu bejahen ist, weil das DSt bloß vier – klar voneinander abgegrenzte – materielle Disziplinar-tatbestände kennt (dazu Lehner in Engelhart/Hoffmann/ Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 1 DSt Rz 1), womit die vom Disziplinarrat vorgenommene Subsumtion als mehrere Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und eines Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes (ES 2) keinen Zweifel an der Einordnung als Disziplinarvergehen nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt lässt.
[6] Der Disziplinarrat legte dar, aufgrund welcher Beweisergebnisse er aus welchen Gründen zu seinen Feststellungen gelangte (ES 5 iVm ES 3). Der damit auch zum Ausdruck gebrachte Schluss vom objektiven Tatgeschehen auf die subjektive Tatseite ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) nicht zu beanstanden (RIS‑Justiz RS0098671 und RS0116882).
[7] Zur Verwirklichung der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt genügt auf der subjektiven Tatseite Fahrlässigkeit (Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/ Rohregger/Vitek, RAO11 § 1 DSt Rz 7/1 mwN). Hievon ausgehend sowie unter Berücksichtigung des Umstands, dass die objektive Sorgfaltswidrigkeit eines Verhaltens dessen subjektive Sorgfaltswidrigkeit indiziert (Burgstaller/Schütz in WK2 StGB § 6 Rz 90), trifft der Einwand fehlender Feststellungen zur subjektiven Tatseite (Z 9 lit a) nicht zu, die insofern erforderliche Feststellungsbasis ergibt sich vielmehr aus der – unter dem Aspekt materieller Nichtigkeit gebotenen (RIS‑Justiz RS0099810) – Gesamtbetrachtung der Entscheidungsgründe (ES 4 f iVm ES 6 f).
[8] Der Subsumtionsrüge (Z 10) zuwider hat der Disziplinarrat hinsichtlich des Schuldspruchs 1 sehr wohl Konstatierungen zu der unter dem Aspekt des § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt erforderlichen Publizität getroffen, indem er festhielt, dass das disziplinarrechtswidrige Verhalten sowohl Mitarbeitern der betreibenden Partei als auch Gerichtspersonen zur Kenntnis gelangt ist (ES 5, vgl dazu RIS‑Justiz RS0054876 [T3 und T12] und RS0055093 [T7] sowie Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 1 DSt Rz 14).
[9] Das im Rahmen der Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe angestrebte Vorgehen nach § 3 DSt (der Sache nach Z 9 lit b) scheitert schon daran, dass das Verschulden (ES 6 f) keineswegs erheblich hinter typischen Fällen der Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflichten zurückbleibt (RIS‑Justiz RS0056585 und RS0089974, vgl auch RIS‑Justiz RS0055194 [T1 bis T3] und RS0056003 sowie Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 1 DSt Rz 7/4 sowie § 3 DSt Rz 5 und 11).
[10] Der Berufung wegen des Vorliegens von Nichtigkeitsgründen war daher ein Erfolg zu versagen.
[11] Der Disziplinarrat verhängte über die Beschuldigte nach § 16 Abs 1 Z 2 DSt eine Geldbuße von 1.000 Euro und wertete dabei die Begehung mehrerer strafbarer Handlungen und den langen Tatzeitraum als erschwerend, den Beitrag zur Wahrheitsfindung, den Umstand „der unverzüglichen Bezahlung der Forderung nach Vorliegen des Exekutionsantrages“ sowie den ordentlichen Lebenswandel als mildernd.
[12] Nach ständiger Judikatur sind die für die Strafbemessung maßgebenden Grundsätze des Strafgesetzbuchs (§§ 32 ff StGB) auch für das anwaltliche Disziplinarverfahren sinngemäß heranzuziehen (RIS‑Justiz RS0054839). Hievon ausgehend sind die besonderen Erschwerungs‑ und Milderungsgründe dahin zu korrigieren, dass das Begleichen rechtskräftig festgestellter Forderungen nach Exekutionsführung nicht mildernd wirkt, weil ja gerade dadurch das Ansehen des Rechtsanwaltsstandes schwerstens beeinträchtigt worden ist (RIS‑Justiz RS0096663).
[13] Auf der Grundlage der Schuld (§ 32 Abs 1 StGB) sowie unter Berücksichtigung der dargestellten Strafbemessungsgründe (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) und des Umstands, dass der Disziplinarrat die Geldbuße ohnedies im untersten Bereich des gesetzlichen Strafrahmens ausgemessen hat, war auch der Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe ein Erfolg zu versagen.
[14] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.
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