Spruch:
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß der Vater ab 1.März 1990 von seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber beiden Kindern enthoben wird.
Text
Begründung
Die Eltern der beiden Kinder sind seit 1987 geschieden, die Obsorge steht der in Wien wohnenden Mutter zu. Mit Beschluß des Rekursgerichts vom 20.Dezember 1990 wurde der Vater, ein senegalesischer Staatsangehöriger, bei einem monatlichen Durchschnittseinkommen von 33.400 S zu monatlichen Unterhaltsleistungen von 5.000 S ab 24.Juli 1987 für den mj. Cheikh sowie von 4.300 S ab 24.Juli 1987 und von 5.000 S ab 28.März 1989 für den mj. Abdoulaye verhalten. Der Vater ist seit 1.März 1990 beschäftigungslos und kann sowohl im Inland als auch im Ausland trotz intensiver Bemühungen ohne sein Verschulden keine Anstellung finden (vgl das berufskundliche Gutachten ON 272/II.Band). Vom 1.März 1990 bis 28.August 1990, dem Tag seiner Eheschließung mit einer französischen Staatsangehörigen, bestritt der Vater, den sonst keine weiteren Sorgepflichten treffen, seinen Lebensunterhalt aus der Ausschöpfung des Überziehungsrahmens seines ursprünglichen Gehaltskontos im Gesamtbetrag von rund 40.000 S. Die nunmehrige Gattin des Vaters ist seit 1987 bei der UNRWA beschäftigt, gab jedoch trotz mehrmaligen Aufforderungen des Erstgerichts, ihre Einkommensverhältnisse innerhalb des Entscheidungszeitraums darzulegen, „um den Lebenszuschnitt der Eheleute und somit den Unterhaltsanspruch des Vaters gegenüber seiner Gattin festzustellen“, nicht bekannt.
Das Erstgericht setzte über Antrag des Vaters dessen Unterhaltspflicht gegenüber seinen beiden Kindern - nachdem es ihn in zwei Rechtsgängen ab 1.März 1990 davon enthoben hatte - im dritten Rechtsgang für beide Kinder für die Zeit vom 1.März 1990 bis zum 3.Oktober 1991 auf monatlich je 1.900 S und für die Zeit vom 4.Oktober 1991 bis 28.März 1991 (gemeint: 1993) auf monatlich je 2.000 S herab und wies das Mehrbegehren auf „gänzliche Unterhaltsherabsetzung“ ab 1.März 1990 ab. Es nahm im Rahmen freier Beweiswürdigung ein monatliches Durchschnittseinkommen der nunmehrigen Gattin des Vaters von netto 33.000 S (zwölfmal jährlich) an und folgerte rechtlich, der Vater habe gegenüber seiner Gattin einen Unterhaltsanspruch von 33 % oder 10.890 S, welcher Betrag der Unterhaltsbemessung für die beiden Kinder zugrundegelegt werde.
Die zweite Instanz gab dem Rekurs des Vaters teilweise Folge, enthob den Vater für die Zeit vom 1.März 1990 bis 27.August 1990 (Tag vor seiner neuerlichen Verehelichung) seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber beiden Kindern mangels wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, bestätigte im übrigen den erstinstanzlichen Beschluß und erachtete den ordentlichen Revisionsrekurs als nicht zulässig. Die Beweiswürdigung des Erstgerichts zur Höhe des Einkommens der Gattin des Klägers sei unbedenklich. Neu und nicht bescheinigt sei die Rekursbehauptung, die Gattin des Vaters sei für zwei in ihrem Haushalt lebende, 1978 und 1983 geborene Kinder sorgepflichtig, und es träfen sie Kreditrückzahlungen. Das Erstgericht habe aufgrund des Lebenszuschnitts des Vaters - er bewohne mit seiner Gattin eine 110 m2 große Wohnung in Wien (laufende Monatsmiete 13.771,55 S, Gas- und Stromkosten fünfmal jährlich je 4.416 S) und habe gegenüber seiner zumindest monatlich 33.000 S netto verdienenden Ehefrau einen Unterhaltsanspruch - zutreffend im Sinn des § 140 ABGB angenommen, daß diesem die zugesprochenen Unterhaltsbeträge wirtschaftlich zumutbar seien.
Der Protokollarrekurs des Vaters gegen den bestätigenden Teil des rekursgerichtlichen Beschlusses ist zulässig und berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Auf den vorliegenden Rechtsfall hat österr. Recht Anwendung zu finden, weil die beiden minderjährigen Kinder, deren gesetzlicher Unterhaltsanspruch Verfahrensgegenstand ist, ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich haben (Art 1 des Übereinkommens über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht = „Unterhaltsstatutabkommen“, BGBl 1961/293; 1 Ob 610/94 = ZfRV 1995, 36 mwN).
Gemäß § 140 Abs 1 ABGB haben die Eltern nach Kräften zur Deckung des Bedarfs des Kindes beizutragen. Sie müssen ihre gesamten persönlichen Möglichkeiten, besonders ihre Leistungskraft unter Berücksichtigung ihrer Ausbildung, ihrer beruflichen Möglichkeiten und ihrer Fähigkeiten ausschöpfen, um ihrer Unterhaltspflicht nachkommen zu können. Mit der Anspannung der Leistungskraft des Unterhaltspflichtigen kann der Unterhalt auf der Grundlage eines zwar tatsächlich nicht erzielten, aber wohl erzielbaren Einkommens bemessen werden (RZ 1991/25; Pichler in Rummel 2, § 140 ABGB Rz 6). Die Anspannung darf nicht zu einer bloßen Fiktion führen, sondern muß immer auf der hypothetischen Feststellung beruhen, welches reale Einkommen der Unterhaltspflichtige in den Zeiträumen, für die die Unterhaltsbemessung erfolgt, unter Berücksichtigung seiner konkreten Fähigkeiten und Möglichkeiten bei der gegebenen Arbeitsmarktlage zu erzielen in der Lage wäre (7 Ob 528/94 = ÖA 1995, 60; EFSlg 67.952; ZfRV 1993, 246). Eine Anspannung auf tatsächlich nicht erzieltes Einkommen darf aber nur erfolgen, wenn den Unterhaltsschuldner ein Verschulden daran trifft, daß er keine Erwerbstätigkeit ausübt (3 Ob 28/94 = JBl 1994, 830; 3 Ob 547/94 = ÖA 1995, 60; 2 Ob 576/94 ua). Da im vorliegenden Fall der Vater unverschuldet keine Anstellung finden kann, kommt seine Anspannung nicht in Frage. Daß die Eltern im Rahmen des Zumutbaren zur Erfüllung ihrer Unterhaltspflichten auch ihr Vermögen angreifen müssen, soweit die erforderlichen Unterhaltsleistungen nicht aus dem laufenden Einkommen bestritten werden können (RZ 1991/70 ua; Purtscheller/Salzmann, Unterhaltsbemessung Rz 260 f), ist hier angesichts der Vermögenslosigkeit des Vaters ohne Bedeutung.
Die überwiegende oberstgerichtliche Rechtsprechung (7 Ob 593/85 = JBl 1987, 715 mit Anm von Schmidt = EFSlg 49.939; 1 Ob 720/83 = ÖA 1984, 102 = EFSlg 44.652; 1 Ob 677/83 = EFSlg 42.733 f) lehnte es ab, den Ehemann zu verpflichten, der Mutter auch die Mittel für den ihrem vorehelichen Kind zu reichenden Unterhalt zur Verfügung zu stellen, und vertrat die Ansicht, daß es nicht zu den vom Ehegatten zu deckenden Bedürfnissen gehöre, dem anderen Ehegatten zusätzliche Mittel bereitzustellen, damit dieser seiner Unterhaltspflicht Dritten gegenüber nachkommen könne. Nur wenn die Mutter reichlich bemessenes Taschengeld zur Verfügung habe bzw darauf Anspruch erheben könne, müsse sie nicht existentielle Bedürfnisse hintanstellen und einen Teil des Taschengelds für den Kindesunterhalt verwenden, sofern der Vater ohne diese Beträge außerstande wäre, seine subsidiäre (Geld-)Unterhaltspflicht nach § 140 Abs 2 zweiter Satz ABGB zu erfüllen. Diese Grundsätze hatten natürlich auch dann zu gelten, wenn der einkommens- und vermögenslose Vater von seiner zweiten Gattin alimentiert wird. Diese Rechtsprechung begegnete im Schrifttum massiver Kritik. So meinte Pichler (Probleme des Unterhalts in ÖA 1987, 91 ff, 93), es erscheine geradezu selbstverständlich, daß der mit Unterhaltspflichten nicht belastete Ehegatte trotz gleichen Einkommens mehr für die Deckung der gemeinsamen Bedürfnisse aufwenden müsse als der andere vorbelastete Ehegatte (ähnlich auch ÖA 1983, 48). Die Dinge lägen aber nicht anders, wenn ein Ehegatte überhaupt kein Einkommen beziehe. In diesem Fall müßte der nicht verdienende, aber unterhaltsvorbelastete Ehegatte „angespannt“, das heißt auf eine zumutbare Berufstätigkeit verwiesen werden, damit er seinen vorehelichen Unterhaltsverpflichtungen nachkommen könne. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte schon vor ihm Leitzenberger (Kann eine einkommenslose Ehefrau zu einer Unterhaltsleistung für ein Kind aus einer früheren Ehe verpflichtet werden ? in ÖA 1984, 73 f). Schmidt kam in seiner Untersuchung (Barunterhaltspflicht der wiederverheirateten einkommens- und vermögenslosen Kindesmutter in RZ 1987, 158 ff, insbesondere 160) zum Ergebnis, es bestehe kein Grund, eine wiederverheiratete, nicht berufstätige Mutter in jedem Fall bereits deshalb als leistungsunfähig anzusehen, weil sie kein Einkommen aus eigener Erwerbstätigkeit beziehe; vielmehr seien auch die vom Ehegatten geschuldeten Unterhaltsleistungen zu berücksichtigen. Es sei zu klären, wie der - während aufrechter Ehe überwiegend in Natur zu leistende - Ehegattenunterhalt zur Deckung des Unterhaltsanspruchs vorehelicher Kinder einzusetzen sei. Wenigstens der in Geld zahlbare, nicht existentielle (Taschengeld-)Anspruch sei sodann insoweit zur Erfüllung ihrer Unterhaltspflicht heranzuziehen, als ihr notwendiger Unterhalt durch den Wert der ihr verbleibenden Natural- und Geldleistungen gedeckt erscheine. Das stehe auch durchaus in Einklang mit der im § 140 Abs 1 ABGB verankerten „Kräfteformel“, nach der der Unterhaltspflichtige alle Möglichkeiten auszuschöpfen habe, um seinen Unterhaltspflichten entsprechen zu können.
Namentlich unter Berufung auf Pichler (in Rummel 2 § 140 ABGB Rz 4a und in ÖA 1987, 92 ff) vertrat der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 7 Ob 526/93 = ZfRV 1993, 255 (mit in anderer Richtung krit Anm von Hoyer) die Ansicht, die Tatsache vorehelicher Unterhaltsverpflichtungen eines Ehegatten gehöre „sehr wohl“ zu den Lebensverhältnissen im Sinne des § 94 Abs 1 ABGB; auch die von Pichler (in ÖA 1987, 93) verfochtene These, die Leistungsfähigkeit des unterhaltsvorbelasteten Ehegatten dürfe angespannt werden, wurde in dieser Entscheidung geteilt, sodaß der Oberste Gerichtshof dort zum Schluß gelangte, die (in Anspruch genommene) Mutter treffe mit Rücksicht auf „ihre überdurchschnittlich gute Alimentation“ grundsätzlich die Verpflichtung zu Unterhaltsleistungen für ein nicht in ihrem Haushalt lebendes voreheliches Kind. Der erkennende Senat hatte schon vorher mit seiner Entscheidung 1 Ob 595/91 (teilweise veröffentlicht in EFSlg 65.242), ausgesprochen, daß die Unterhaltsansprüche von Kindern aus zwei oder mehreren Ehen einander grundsätzlich gleichrangig seien. Je umfangreicher die Sorgepflichten seien, desto strengere Anforderungen seien an die Anspannung des Unterhaltspflichtigen zu stellen. Erfülle dieser den Kindern aus erster Ehe - welchen uneheliche Kinder gleichzuhalten seien (§ 166 ABGB) - zum Geldunterhalt verpflichtete Elternteil seine Unterhaltsverpflichtung den Kindern aus seiner (bestehenden) Ehe durch deren vollständige Betreuung im Haushalt, müsse er seine Lebensverhältnisse derart gestalten, daß er sowohl seiner Geldalimentations- wie auch seinen Betreuungspflichten angemessen nachkommen könne. Es liefe dem Gleichbehandlungsgebot zuwider, ließe er den Kindern aus der (bestehenden) Ehe die vollen Unterhaltsleistungen in Form der häuslichen Betreuung zuteil werden, wogegen er den vorehelichen Kindern den Geldunterhalt unter Berufung auf seine Einkommenslosigkeit verwehrte. Könne dem Elternteil angesichts der gegenwärtigen Umstände eine Erwerbstätigkeit zugemutet werden, so sei - nehme er von einer solchen Abstand - jenes fiktive Einkommen zugrundezulegen, das dieser Elternteil seiner Berufsausbildung und den Arbeitsmarktverhältnissen entsprechend erzielen könnte. An diesen Grundsätzen, die auch den Entscheidungen 3 Ob 528/92 = JBl 1993, 243 = EFSlg 67.899 = EFSlg 68.017, 1 Ob 621/93 = NZ 1994, 132, und 4 Ob 556/94 zugrunde gelegt wurden, ist weiter festgehalten (vgl dazu auch Schlemmer-Schwimann in Schwimann, § 140 ABGB Rz 58 mwN; Purtscheller/Salzmann aaO Rz 257).
Eine „mittelbare“ Verpflichtung des Ehegatten, den Unterhalt auch jener Personen zu decken, für die sein Ehegatte gesetzlich unterhaltspflichtig ist, läßt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Durch solche Pflichten wird der vom Ehegatten gemäß § 94 Abs 2 erster Satz ABGB zu leistende Unterhalt nicht erhöht. Von dem mit vorehelichen gesetzlichen Unterhaltspflichten belasteten Ehegatten muß zwar im Sinne der „Anspannungstheorie“ verlangt werden, seine ehelichen Lebensverhältnisse so zu gestalten, daß ihm auch die Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflichten - gegenüber seinen beiden Kindern aus erster Ehe - möglich gemacht wird, da im vorliegenden Fall aber, wie bereits dargestellt, eine Anspannung des Vaters nicht in Betracht kommt, ist er ab 1.März 1990 seiner Unterhaltspflicht zu entheben.
Auf die Tatsache, daß Sorgepflichten der nunmehrigen Gattin des Vaters gegenüber zwei Kindern bereits aktenkundig sind, muß nicht mehr eingegangen werden. Dem Revisionsrekurs ist Folge zu geben.
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