OGH 7Ob526/93

OGH7Ob526/9326.5.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Lukas F*****, wohnhaft beim Vater Dr.Dietmar F*****, vertreten durch diesen, infolge Revisionsrekurses der Mutter Gertrud F*****, vertreten durch Dr.Andreas Brandtner, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen Unterhalts, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Feldkirch als Rekursgericht vom 22.Jänner 1993, GZ 1 a R 28/93-19, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 9.Dezember 1992, GZ P 70/90-16, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern des mj. Lukas wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 30.3.1988 gemäß § 55a EheG geschieden. Dieser Ehe entstammen noch zwei weitere Kinder, und zwar die am 14.9.1981 geborene Magdalena F***** und der am 5.3.1983 geborene Georg Simon F*****. Die Eltern der Kinder schlossen aus Anlaß der Scheidung einen Vergleich, in dem die Obsorge über die drei Kinder der Mutter übertragen wurde und sich der Vater unter anderem zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von je 450,-- sfr pro Kind und von 3.500,-- sfr für die Mutter wertgesichert verpflichtete, wobei die Unterhaltsberechtigten von diesen Beiträgen ihre Kranken- und Unfallversicherung selbst zu tragen haben. (Dieser Vergleich wurde vom fürstlich Liechtensteinschen Landgericht Vaduz zur AZ P 47/88-3 pflegschaftsbehördlich genehmigt). Der mj. Lukas ist zumindest seit 23.11.1988 österreichischer Staatsbürger. Der Vater ist liechtenstein'scher Staatsangehöriger, er wohnt und arbeitet dort als Frauenarzt. Die Mutter zog mit den drei Kindern nach der Scheidung nach Feldkirch. Nachdem der Freund der Mutter gegenüber zwei der Kinder tätlich wurde, stellte der Vater am 28.3.1990 den Antrag, ihm die Obsorge über alle drei Kinder zu übertragen (ON 2). Der mj. Lukas zog im Sommer 1990 zum Vater nach Liechtenstein und lebt seither im Einverständnis beider Elternteile in dessen Haushalt. Der Vater stellte am 26.8.1992 beim Erstgericht den Antrag, die Mutter zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von sfr 400,-- rückwirkend ab 1.7.1990 für den mj. Lukas zu verpflichten (ON 7). Die Mutter sprach sich gegen diesen Antrag aus, da ihr die Obsorge über den mj. Lukas noch zustehe und der Vater für ihn nicht vertretungsberechtigt sei. Im Hinblick auf die außerordentlich guten Einkommensverhältnisse des Vaters sei es ihr auch nicht zumutbar, von ihrem Alimentationsbetrag, den sie unbedingt für die Deckung ihrer Lebensbedürfnisse benötige, für den mj. Lukas Unterhalt zu zahlen. Durch den Auszug des mj. Lukas aus ihrem Haushalt hätten sich ihre Fixkosten nicht reduziert.

Das Erstgericht verpflichtete die Mutter antragsgemäß zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 400,-- sfr. Daß die Mutter mit dem Pflegewechsel des mj. Lukas zum Vater einverstanden sei, könne nicht anders als eine schlüssige Übertragung der Obsorge auf den Vater gewertet werden. Damit sei dieser legitimiert, den Unterhalt für den mj. Lukas geltend zu machen. Der Mutter stehe in Form der Alimentationszahlungen des Vaters ein selbst nach Abzug der erforderlichen Beträge für die Kranken- und Unfallsversicherung überdurchschnittlich gutes Einkommen zur Verfügung, das eine Belastung mit einer 16 %igen Unterhaltsverpflichtung erlaube. Ihr Einwand, die gesamten Zuwendungen des Vaters für die Anschaffung einer Eigentumswohnung zu benötigen, sei unbeachtlich, da die geplante Vermögensbildung nicht zu Lasten des Unterhaltsberechtigten gehen dürfe.

Das Rekursgericht hob diesen Beschluß auf und trug dem Erstgericht eine nach Verfahrensergänzung zu treffende neue Entscheidung auf. Es erklärte den Revisionsrekurs für zulässig. Rechtlich folgerte es, daß ein Kollisionsfall im Sinne des § 145 ABGB vorliege, der die Mutter nicht mehr zur Geltendmachung des Unterhaltes für den mj. Lukas berechtige. Die Betreuungsaufgaben der Mutter seien durch den Wegfall der Sorge für den mj. Lukas gemindert worden, was allerdings nicht zu einer Minderung der Fixkosten, die die Mutter habe, führen müsse. Die der Mutter vom Vater bezahlte zweifellos überdurchschnittlich gute Alimentation könne nicht Erwerbseinkünften im üblichen Sinn gleichgehalten werden. Es sei daher in erster Linie zu überprüfen, ob die Eltern bei Abschluß des Scheidungsvergleiches eine derartige Situation, wie sie sich derzeit ergeben habe, mitbedacht hätten. Sollte der Ausmittlung der Alimentation der Mutter der Gedanke zugrundegelegt worden sein, daß davon auch etwas dem mj. Lukas zugutekommen sollte, so wäre dies sehr wohl dem Wegfall einer Sorgepflicht entsprechend in Form eines von der Mutter zu zahlenden Unterhaltsbetrags für dieses Kind zu berücksichtigen. Letztlich seien aber auch die Einkommensverhältnisse des Vaters näher zu erforschen, da allenfalls auch er im Sinne des § 140 Abs.2 ABGB zur Deckung der über die Betreuung des Kindes hinausgehenden sonstigen Bedürfnisse beizutragen habe. Für das Ausmaß des von der Mutter nach ihren Lebensverhältnissen allenfalls zu verlangenden Unterhaltsbetrages für den mj. Lukas sei eine Gegenüberstellung ihrer wirtschaftlichen Situation mit jener des Vaters erforderlich.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung erhobene Revisionsrekurs der Mutter ist nicht berechtigt.

Trotz der noch ausstehenden Entscheidung über den Antrag des Vaters auf Obsorgezuweisung ist dieser aus folgenden Gründen für den mj.

Lukas antragslegitimiert: Ausgehend von der Tatsache, daß die Mutter keinerlei Einwände gegen den Verbleib des mj. Lukas beim Vater seit Sommer 1990 erhebt, sondern nur den väterlichen Antrag auf Obsorgeübertragung abgewiesen haben will, war das Erstgericht, wenn es schon die Sachgrundlagen für die Entscheidung über den Obsorgeantrag als noch nicht ausreichend erachtete, gemäß § 176 ff ABGB zu einer vorangehenden Unterhaltsentscheidung verpflichtet. Die Rekurswerberin übersieht, daß das Recht auf Unterhalt ihrem Kind und nicht ihrem geschiedenen Gatten zusteht, daß aber dieser, wenn das Kind mit ihrer Zustimmung offensichtlich auf Dauer bei ihm lebt, dessen Unterhaltsanspruch geltend zu machen hat. Dem Unterhaltsantrag des Vaters liegt ein Antrag auf Bestellung zum besonderen Sachwalter im Antragsumfang zugrunde, dem das Erstgericht mit seiner Entscheidung konkludent stattgegeben hat (vgl EFSlg. 53.843). Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die die Antragslegitimation des Vates bejahten, müssen daher im Sinne des § 176 b ABGB als zumindest zeitlicher Entzug der Vertretungsbefugnis der Mutter in Unterhaltssachen gewertet werden (vgl. EFSlg. 62.912). Die darüber hinausgehende Rechtsmeinung des Rekursgerichtes, das Erstgericht habe konkludent dem Antrag auf Übertragung der Obsorge über den mj. Lukas stattgegeben, ist daher unzutreffend. Um eine Vertretung des Kindes in Unterhaltssachen durch einen Elternteil gegenüber dem anderen Elternteil zu ermöglichen, bedarf es nicht einer Entziehung des Elternrechts gegenüber diesem Elternteil (EFSlg. 59.609, vgl auch EFSlg. 48.242).

Grundsätzlich ist jedes Vermögen, das dem Unterhaltspflichtigen als Grundlage für seine Lebensführung dient, bei der Unterhaltsbemessung zu berücksichtigen. Die in der Judikatur mehrmals vertretene Auffassung (EFSlg. 42.733, EFSlg. 44.652, JBl. 1987, 715), daß ein Unterhaltsanspruch des Verpflichteten gegenüber einem Dritten grundsätzlich unbeachtlich sei und nur dann zu seinen Lebensverhältnissen im Sinne des § 140 ABGB zähle, wenn "reichlich bemessenes Taschengeld" zur Verfügung stehe, wurde von der Lehre (vgl. Pichler in Rummel ABGB2 § 140 Rz 4a mwN) überzeugend widerlegt. Wie Pichler (ÖA 1987, 92 ff) zutreffend ausführt, können die in den Entscheidungen 1 Ob 677/83 (= EFSlg. 42.733 und EFSlg. 44.652) herangezogenen deutschen Lehrmeinungen wegen der differenten deutschen Gesetzeslage nicht ohneweiteres auf den österreichischen Bereich herangezogen werden. Pichler ist auch darin zu folgen, daß die Tatsache vorehelicher Unterhaltsverpflichtungen eines Ehegatten sehr wohl zu den Lebensverhältnissen im Sinne des § 94 Abs.1 ABGB gehören. Zutreffend ist auch sein Gedanke, daß ein nicht verdienender, aber unterhaltsvorbelasteter Ehegatte sogar "angespannt" werden kann, das heißt auf eine zumutbare Berufstätigkeit verwiesen werden darf, damit er seinen vorehelichen Unterhaltsverpflichtungen nachkommen kann. Diese Überlegungen haben jedoch auch für den Unterhaltsanspruch eines ehelichen Kindes, das sich mit Zustimmung der Mutter in Pflege und Erziehung des Vaters befindet, gegenüber der Mutter Berücksichtigung zu finden. Die Mutter trifft daher auf Grund ihrer überdurchschnittlich guten Alimentation grundsätzlich die Verpflichtung zur Zahlung eines Unterhaltsbetrages für den nicht in ihrem Haushalt lebenden mj. Lukas. Ihre Erwägungen im Revisionsrekurs, in einem solchen Falle nicht mehr angemessen an den Lebensverhältnissen ihres geschiedenen Gatten teilhaben zu können, könnten Gegenstand eines Unterhaltserhöhungsantrages sein, haben aber auf die hier zu treffende Entscheidung keinen Einfluß. Die Überlegungen des Rekursgerichtes, daß allfällige dem Scheidungsvergleich zugrundeliegende Verabredungen über die Alimentationsquote der Mutter auch hinsichtlich der Unterhaltsausmessung des mj. Lukas zu berücksichtigen wären, sind verfehlt. Gegenstand der Entscheidung kann nur der Unterhaltsanspruch des mj. Lukas sein. Abmachungen der Eltern darüber im Scheidungsvergleich dürfen nicht zu Lasten des Kindes gehen; selbst wenn solche in der Richtung, wie es das Rekursgericht meint, getroffen worden sein sollten, wären sie für das Kind vor pflegschaftsbehördlicher Genehmigung für das Kind nicht maßgeblich.

Dennoch erweist sich der Aufhebungsbeschluß im Ergebnis als gerechtfertigt. Gemäß § 140 Abs 1 ABGB haben beide Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedüfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten nach ihren Kräften anteilig beizutragen. "Nach ihren Kräften" bedeutet, daß der Unterhaltspflichtige im Interesse seiner Kinder alle persönlichen Fähigkeiten so gut wie möglich einzusetzen hat (1 Ob 599/90 = EFSlg 62.022). Dazu gehört eine Lebenshaltung, der zur Folge sich der unterhaltspflichtige Elternteil im Falle der Notwendigkeit hiezu auch strengsten finanziellen Einschränkungen zu unterziehen hat. Verfügt allerdings der das Kind betreuende Vater über ein im Vergleich zur Mutter beträchtlich höheres Einkommen, aus dem der Unterhalt desselben zur Gänze oder zum Großteil geleistet wird oder geleistet werden kann, so kann dies zu einer billigen Berücksichtigung bei der Ausmittlung des der Mutter aufzuerlegenden Unterhaltsbetrages in der Form führen, daß ihr weniger als die üblicherweise von den Gerichten als Orientierungshilfe herangezogenen Prozentsätze auferlegt wird (EFSlg. 64.966). Eine Herabsetzung auf Null kommt jedoch im vorliegenden Fall mit Rücksicht auf die der Mutter zur Verfügung stehenden Mitteln nicht in Frage.

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