OGH 1Ob621/93

OGH1Ob621/9317.11.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser, Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker und Dr. Rohrer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Thomas D*****, geboren am 8. Oktober 1984, infolge Revisionsrekurses der Mutter Cornelia E*****, vertreten durch Dr. Rainer Strickner, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Feldkirch als Rekursgericht vom 23. August 1993, GZ 1a R 385/93-40, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 21. Juli 1993, GZ P 296/89-37, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Obsorge für das Kind ist seit 18.12.1989 der Großmutter mütterlicherseits übertragen. Der Vater kommt seiner vergleichsweise festgelegten Unterhaltspflichtung von monatlich S 2.000,-- nach; die Mutter ist bisher zu Unterhaltsleistungen für ihr Kind nicht verhalten worden.

Der Jugendwohlfahrtsträger beantragte am 17.3.1993 namens des Kindes die Verpflichtung der Mutter zu monatlichen Unterhaltsleistungen von S 1.000,-- ab 1.10.1992.

Die Mutter sprach sich gegen diesen Antrag aus: Sie sei vermögenslos und beziehe von ihrem Ehegatten bloß ein bescheidenes Taschengeld.

Das Erstgericht gab dem Bemessungsantrag statt. Es stellte fest, die Mutter sei seit 11.11.1991 verheiratet und sei am 9.4.1993 von einem Kind entbunden worden. Seit Mai 1993 beziehe sie monatliches Karenzurlaubsgeld von S 5.351,- -. Sie habe vor der Entbindung gearbeitet; das daraus erzielte Einkommen sei nicht feststellbar. Das monatliche Einkommen des Ehegatten sei mit monatlich S 30.000,-- (ausschließlich der Sonderzahlungen) zu schätzen, habe er doch für die Finanzierung eines Hausbaus monatliche Rückzahlungen von rund S 23.000,-- zu leisten und für die Betriebskosten aufzukommen.

Rechtlich meinte das Erstgericht, für die Zeit ab Auszahlung des Karenzurlaubsgelds rechtfertige schon dessen Bezug die begehrten Unterhaltszahlungen. Im übrigen müsse die Mutter angesichts des Karenzurlaubsgeldbezugs vorher zumindest halbtags beschäftigt gewesen sein, sodaß sie die zuerkannten Unterhaltsbeträge daraus zu bestreiten imstande sei.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Es führte aus, grundsätzlich sei jedes Vermögen, das dem Unterhaltspflichtigen als Grundlage seiner Lebensführung diene, der Unterhaltsbemessung zugrundezulegen. Die von der Rechtsprechung bisher wiederholt vertretene Ansicht, der Unterhaltsanspruch des Verpflichteten einem Dritten gegenüber sei grundsätzlich unbeachtlich, soweit nicht reichlich bemessenes Taschengeld zur Verfügung stehe, sei von der Lehre mit überzeugenden Argumenten widerlegt worden. Nach jüngster höchstgerichtlicher Judikatur (7 Ob 526/93) gehörten voreheliche Unterhaltsverpflichtungen eines Ehegatten gleichfalls zu den Lebensverhältnissen im Sinne des § 94 Abs. 1 ABGB. Ein einkommensloser, aber unterhaltsvorbelasteter Ehegatte könne auch „angespannt“, d.h. auf eine zumutbare Berufstätigkeit verwiesen werden, damit er seiner Unterhaltsverpflichtung nachkommen könne. Im vorliegenden Fall müßten daher sowohl das Karenzurlaubsgeld der Mutter wie auch die Lebensverhältnisse ihres Ehegatten zur Beurteilung ihrer Leistungsfähigkeit herangezogen werden. Die Schätzung des Einkommens ihres Ehegatten durch das Erstgericht sei unbedenklich, sodaß ihr der vom Erstgericht auferlegte monatliche Unterhaltsbetrag von S 1.000,-- durchaus zumutbar sei.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter ist zulässig, weil die Rechtsprechung zur Frage der Geldunterhaltspflicht des einkommenslosen Ehegatten dessen vorehelichen Kindern gegenüber uneinheitlich ist (vgl. nur 1 Ob 677/83 = EFSlg. 42.733 und 42.734, 1 Ob 720/83 = EFSlg. 44.652 und 7 Ob 593/85 = EFSlg. 49.939 gegen 7 Ob 526/93); er ist aber nicht berechtigt.

Die behaupteten Verfahrensmängel liegen nicht vor (§ 16 Abs. 3 AußStrG iVm § 510 Abs. 3 ZPO).

Das Rekursgericht vertrat in Erledigung der Rechtsrüge die Auffassung, bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit der unterhaltspflichtigen Mutter seien sowohl das Karenzurlaubsgeld wie auch die Lebensverhältnisse ihres Ehegatten zu berücksichtigen, weil auch eine voreheliche Unterhaltsverpflichtung eines Ehegatten zu den Lebensverhältnissen im Sinne des § 94 Abs. 1 ABGB zu rechnen sei. Nun hatte es die bisherige oberstgerichtliche Rechtsprechung (etwa ÖA 1984, 102 = EFSlg. 44.652 ua) abgelehnt, den Ehemann zu verpflichten, der Mutter auch die Mittel für den ihrem vorehelichen Kind zu reichenden Unterhalt zur Verfügung zu stellen, und die Ansicht vertreten, daß es nicht zu den vom Ehegatten zu deckenden Bedürfnissen gehöre, dem anderen Ehegatten zusätzliche Mittel bereitzustellen, damit dieser seiner Unterhaltspflicht Dritten gegenüber nachkommen könne. Nur wenn die Mutter reichlich bemessenes Taschengeld zur Verfügung habe bzw. darauf Anspruch erheben könne, müsse sie nicht existentielle Bedürfnisse hintanstellen und einen Teil des Taschengelds für den Kindesunterhalt verwenden, sofern der Vater ohne diese Beträge außerstande wäre, seine subsidiäre (Geld-)Unterhaltspflicht nach § 140 Abs. 2 zweiter Satz ABGB zu erfüllen.

Diese Rechtsprechung begegnete im Schrifttum massiver Kritik. So meinte Pichler (in ÖA 1987, 93), es erscheine geradezu selbstverständlich, daß der mit Unterhaltspflichten nicht belastete Ehegatte trotz gleichen Einkommens mehr für die Deckung der gemeinsamen Bedürfnisse aufwenden müsse als der andere, vorbelastete Ehegatte (ähnlich auch ÖA 1983, 48). Die Dinge lägen aber nicht anders, wenn ein Ehegatte überhaupt kein Einkommen beziehe. In diesem Fall müßte der nicht verdienende, aber unterhaltsvorbelastete Ehegatte „angespannt“, d.h. auf eine zumutbare Berufstätigkeit verwiesen werden, damit er seinen vorehelichen Unterhaltsverpflichtungen nachkommen könne. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte schon vor ihm Leitzenberger (in ÖA 1984, 73 f). Schmidt kam in seiner Untersuchung (in RZ 1987, 158, insbesondere 160) zum Ergebnis, es bestehe kein Grund, eine wiederverheiratete, nicht berufstätige Mutter in jedem Fall bereits deshalb als leistungsunfähig anzusehen, weil sie kein Einkommen aus eigener Erwerbstätigkeit beziehe; vielmehr seien auch die vom Ehegatten geschuldeten Unterhaltsleistungen zu berücksichtigen. Es sei zu klären, wie der - während aufrechter Ehe überwiegend in Natur zu leistende - Ehegattenunterhalt zur Deckung des Unterhaltsanspruchs vorehelicher Kinder einzusetzen sei. Wenigstens der in Geld zahlbare, nicht existentielle (Taschengeld-)Anspruch sei sodann insoweit zur Erfüllung ihrer Unterhaltspflicht heranzuziehen, als ihr notwendiger Unterhalt durch den Wert der ihr verbleibenden Natural- und Geldleistungen gedeckt erscheine. Das stehe auch durchaus in Einklang mit der im § 140 Abs. 1 ABGB verankerten „Kräfteformel“, nach der der Unterhaltspflichtige alle Möglichkeiten auszuschöpfen hatte, um seinen Unterhaltspflichten entsprechen zu können.

Namentlich unter Berufung auf Pichler (in Rummel, ABGB2 § 140 Rz 4a und in ÖA 1987, 92 ff) vertrat der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 26.5.1993, 7 Ob 526/93, auf die sich auch das Rekursgericht stützt, die Ansicht, die Tatsache vorehelicher Unterhaltsverpflichtungen eines Ehegatten gehöre „sehr wohl“ zu den Lebensverhältnissen im Sinne des § 94 Abs. 1 ABGB; auch die von Pichler (ÖA 1987, 93) verfochtene These, die Leistungsfähigkeit des unterhaltsvorbelasteten Ehegatten dürfe angespannt werden, wurde in dieser Entscheidung geteilt, sodaß der Oberste Gerichtshof dort zum Schluß gelangte, die (in Anspruch genommene) Mutter treffe mit Rücksicht auf „ihre überdurchschnittlich gute Alimentation“ grundsätzlich die Verpflichtung zu Unterhaltsleistungen für ein nicht in ihrem Haushalt lebendes voreheliches Kind.

Der erkennende Senat hatte schon vorher mit seiner insoweit in EFSlg. 65.242 teilweise veröffentlichten Entscheidung vom 18.9.1991, 1 Ob 595/91, ausgesprochen, daß die Unterhaltsansprüche von Kindern aus zwei oder mehreren Ehen einander grundsätzlich gleichrangig seien. Je umfangreicher die Sorgepflichten seien, desto strengere Anforderungen seien an die Anspannung des Unterhaltspflichtigen zu stellen. Erfülle dieser den Kindern aus erster Ehe - welchen uneheliche Kinder gleichzuhalten sind (§ 166 ABGB) - zum Geldunterhalt verpflichtete Elternteil seine Unterhaltsverpflichtung den Kindern aus seiner (bestehenden) Ehe durch deren vollständige Betreuung im Haushalt, müsse er seine Lebensverhältnisse derart gestalten, daß er sowohl seiner Geldalimentations- wie auch seinen Betreuungspflichten angemessen nachkommen könne. Es liefe dem Gleichbehandlungsgebot zuwider, ließe er den Kindern aus der (bestehenden) Ehe die vollen Unterhaltsleistungen in Form der häuslichen Betreuung zuteil werden, wogegen er den vorehelichen Kindern den Geldunterhalt unter Berufung auf seine Einkommenslosigkeit verwehrte. Könne dem Elternteil angesichts der gegenwärtigen Umstände eine Erwerbstätigkeit zugemutet werden, so sei - nehme er von einer solchen Abstand - jenes fiktive Einkommen zugrundezulegen, das dieser Elternteil seiner Berufsausbildung und den Arbeitsmarktverhältnissen entsprechend erzielen könnte.

An diesen Ausführungen ist festzuhalten, doch sind die hier vorgezeichneten Voraussetzungen einer Anspannung der Leistungsfähigkeit der Mutter gerade im vorliegenden Fall zu verneinen, steht doch fest, daß die Mutter am 9.4.1993 von einem Kind entbunden wurde und ihr wohl auch für die Zeit der fortgeschrittenen Schwangerschaft eine entsprechende Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden konnte.

Die von den genannten Autoren bejahte Frage, ob die von der Mutter im Rahmen der Ehe bezogenen bzw. ihr ihrem Ehegatten gegenüber doch zustehenden Unterhaltsleistungen bzw. unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang diese Leistungen in die Grundlage für die Bemessung des Unterhaltsanspruchs ihres Kindes einzubeziehen sind, muß diesmal nicht abschließend geprüft werden, weil die der Mutter von den Vorinstanzen auferlegten Unterhaltsleistungen schon mit Rücksicht auf das von ihr bezogene Karenzurlaubsgeld gerechtfertigt sind:

Soweit die Mutter auf ihrem Standpunkt beharrt, das von ihr bezogene Karenzurlaubsgeld sei nicht in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen, übersieht sie, daß grundsätzlich jedes Vermögen, das dem Unterhaltspflichtigen als Grundlage seiner Lebensführung dient, bei der Unterhaltsbemessung zu berücksichtigen ist, sodaß auch das Karenzurlaubsgeld ungeachtet seiner Unpfändbarkeit der Unterhaltsbemessungsgrundlage zugrundezulegen ist (1 Ob 614/92; vgl. Pichler in ÖA 1987, 93). Nun mag zwar der von den Vorinstanzen ermittelte monatliche Unterhaltsbetrag etwas über den von den Gerichten üblicherweise als Orientierungshilfe herangezogenen Hundertsätzen liegen, es ist aber Pichler (ÖA 1987, 93) jedenfalls insoweit beizupflichten, als die Tatsache vorehelicher Unterhaltspflichten eines Ehegatten den nach § 94 Abs. 1 ABGB für die Deckung deren angemessenen Bedürfnisse bestimmenden Lebensverhältnissen beider Ehegatten zuzurechnen ist. Dann aber erscheint es folgerichtig, daß der von vorehelicher Unterhaltspflicht betroffene Ehegatte trotz eigenen Einkommens entsprechend weniger für die Bestreitung der gemeinsamen Bedürfnisse aufzuwenden hat, als wenn er von dieser Unterhaltspflicht nicht betroffen wäre. Demnach erscheint es gerechtfertigt, das Kind in einem etwas über dem Durchschnitt liegenden Ausmaß am Einkommen seiner Mutter teilhaben zu lassen.

Dem Revisionsrekurs ist deshalb ein Erfolg zu versagen.

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