OGH 1Ob610/94

OGH1Ob610/9411.10.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser, Dr. Schiemer, Dr .Gerstenecker und Dr. Rohrer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Elizabet M*****, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie für den 10. Bezirk, als besonderer Sachwalter, infolge Revisionsrekurses der Minderjährigen gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 5. August 1994, GZ 44 R 531/94-91, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Favoriten vom 4. Mai 1994, GZ 2 P 60/85-86, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Die mj. Elizabet M***** befindet sich in Pflege und Erziehung ihrer Mutter. Der Vater Miodrag M***** verpflichtete sich am 26.3.1985 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 1.500,-- ab 1.4.1984. Seinen Angaben nach arbeitete er damals an einer Tankstelle und erzielte ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen von S 7.000,- -. Er ist für ein weiteres, 1975 geborenes Kind sorgepflichtig (AS 45 f). Im Jahre 1987 gab er im Rahmen eines Strafverfahrens an, zu studieren, kein Vermögen zu haben und kein Einkommen zu beziehen, er lebe von seinen Ersparnissen (AS 43).

Am 15.4.1991 bzw am 14.10.1992 beantragte der Sachwalter des Kindes, den Vater zur Bezahlung eines monatlichen Unterhalts von S 2.000,-- ab 1.5.1991 und von S 2.200,-- ab 1.7.1992 zu verpflichten. Die Bedürfnisse des Kindes seien gestiegen, das monatliche Nettoeinkommen des Vaters habe sich seit der Unterhaltsvereinbarung vom März 1985 erheblich erhöht. Es sei dem Vater zumindest möglich, ein monatliches Einkommen von S 11.000,-- zu erzielen (ON 27 und 49).

Das Erstgericht wies die Unterhaltserhöhungsanträge ab. Der Vater sei jugoslawischer Staatsbürger, seit dem Jahre 1987 in Österreich nicht mehr gemeldet, er gehe keiner versicherungspflichtigen Beschäftigung nach und sei unbekannten Aufenthaltes. Die Anspannung auf ein in Österreich fiktiv erzielbares Einkommen dürfe nicht erfolgen, weil ein Aufenthalt des Vaters in Österreich nicht nachgewiesen sei. Hinweise auf einen ständigen Aufenthalt des Unterhaltspflichtigen in Deutschland fehlten.

Das Rekursgericht gab dem vom besonderen Sachwalter namens des Kindes wider diesen Beschluß erhobenen Rekurs nicht Folge und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für unzulässig. Es könne einem Unterhaltspflichtigen mit ausländischer Staatsbürgerschaft nicht verwehrt werden, in seine Heimat zurückzukehren. In einem solchen Fall dürfe eine Anspannung auf ein in Österreich fiktiv erzielbares Einkommen nicht erfolgen. Hinweise auf einen inländischen Aufenthalt des Vaters bestünden nicht, ein ständiger Aufenthalt des Vater in Deutschland sei nicht nachgewiesen. Die Unterhaltsberechtigte habe die Voraussetzungen für die Anwendung der Anspannungstheorie zu behaupten und zu beweisen. Dieser Verpflichtung sei sie nicht nachgekommen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Vorauszuschicken ist, daß auf den vorliegenden Fall österreichisches Recht Anwendung zu finden hat, weil das mj. Kind, das einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch geltend macht, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat (Art 1 des Übereinkommens über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht = „Unterhaltsstatutabkommen“, BGBl 1961/293; Schwimann, IPR 87; IPRE 2/159).

Die Frage, ob bei unbekanntem Aufenthalt eines Unterhaltspflichtigen dessen Anspannung auf ein in Österreich erzielbares Einkommen möglich ist, kann dahingestellt bleiben. Nach Fassung des erstinstanzlichen Beschlusses, aber noch vor der Entscheidung des Rekursgerichtes langte beim Erstgericht eine Auskunft des Bundesverwaltungsamtes K***** vom 7.6.1994 ein, wonach der Vater in O*****, O***** Straße *****, wohnhaft sei. Aus einem im Akt erliegenden Schreiben des Vaters, gerichtet an den besonderen Sachwalter, ergibt sich, das dies tatsächlich der Fall ist (AS 197 ff). Der Umstand, daß der Aufenthaltsort des Vaters nunmehr ausfindig gemacht werden konnte, muß zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen führen, zumal das im Rekursverfahren grundsätzlich herrschende Neuerungsverbot jedenfalls dann nicht gilt, wenn Neuerungen wegen geänderter Verhältnisse im Interesse des Kindes zu beachten sind (EF 64593; vgl EvBl 1992/54), und im Interesse des Kindeswohles auf Änderungen selbst dann Rücksicht zu nehmen ist, wenn sich diese erst nach der Beschlußfassung ergeben haben (EF 67376). Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren die Einkommens- und Vermögenssituation des Vaters sowie alle Verhältnisse in dessen Bereich, die für die Bemessung des Unterhalts von Bedeutung sind, zu erheben und sodann neuerlich zu entscheiden haben.

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