OGH 1Ob38/22b

OGH1Ob38/22b23.3.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofrätin und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U* GmbH, *, vertreten durch die Thurnher Wittwer Pfefferkorn & Partner Rechtsanwälte GmbH, Dornbirn, gegen die beklagte Partei W* S.A., *, Luxemburg, vertreten durch die Schmidtmayr Sorgo Wanke Rechtsanwälte OG, Wien, wegen 19.836 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 25. November 2021, GZ 1 R 164/21h‑43, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 19. August 2021, GZ 8 Cg 31/20s‑37, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00038.22B.0323.000

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.110,45 EUR bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin hat ihren Sitz in Österreich. Bei der Beklagten handelt es sich um eine Gesellschaft mit Sitz in Luxemburg. Am 16. 11. 2016 unterfertigte der Geschäftsführer der Beklagten in den Räumlichkeiten der Klägerin die Auftragsbestätigung vom 25. 8. 2016 zu einem davor gelegten Anbot über die Lieferung diverser Waren, das einen Hinweis auf ihre AGB enthalten hatte. In der Auftragsbestätigung lautete es unter anderem: „Wir bedanken uns für Ihren Auftrag, welchen wir hiermit gemäß unseren AGB bestätigen“. Weder dem Angebot noch der Auftragsbestätigung waren die AGB angeschlossen; sie liegen grundsätzlich in den Geschäftsräumen der Klägerin auf.

[2] Punkt 18.1. der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin lautete (jedenfallsam 22. 7. 2016) wie folgt: „Gerichtsstand ist das für Lochau zuständige Gericht“. An diesem Tag hatte ein Mitarbeiter der Klägerin dem Geschäftsführer der Beklagten ein Angebot für eine Entsalzungsanlage übersendet, dem auch die AGB der Klägerin angeschlossen waren. Der Geschäftsführer der Beklagten war bei diesem Projekt aber lediglich als Vermittler und Dolmetscher tätig geworden, weswegen er diese Unterlagen an den Auftraggeber und Vertragspartner der Klägerin weiterleitete.

[3] Das Erstgericht wies die von der Beklagten erhobene Einrede der internationalen Unzuständigkeit zurück. Sowohl das Angebot als auch die Auftragsbestätigung der Klägerin hätten einen ausdrücklichen Hinweis auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten. Zwar habe die Klägerin nicht unter Beweis stellen können, dass der Geschäftsführer der Beklagten von den AGB tatsächlich Kenntnis gehabt habe, dieser habe jedoch am 22. 7. 2016 per Mail unter anderem die AGB und damit die Möglichkeit erhalten, von deren Inhalt Kenntnis zu erlangen. Da die Angebotsannahme erst am 16. 11. 2016 erfolgt sei, liege eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung vor.

[4] Das Rekursgericht wies die Klage mangels internationaler Zuständigkeit zurück. Eine Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne des Art 25 EuGVVO erfordere, dass die zuständigkeitsbegründende Klausel zum Gegenstand einer deutlich zum Ausdruck gebrachten Willenseinigung zwischen den Parteien gemacht werde. Grundsätzlich werde dem Erfordernis der Schriftlichkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung zwar auch durch eine Bezugnahme auf AGB, in denen eine Gerichtsstandsklausel enthalten ist, entsprochen, sofern diese dem Vertragspartner spätestens im Zeitpunkt des Vertragsschlusses tatsächlich vorliegen. Die bloße Möglichkeit, dass der Geschäftsführer der Beklagten in die ihm als Vermittler mehrere Monate zuvor übersendeten AGB der Klägerin Einsicht nehmen hätte können, genüge dafür nicht. Den Revisionsrekurs erklärte das Rekursgericht über Antrag der Klägerin (§ 528 Abs 2a ZPO iVm § 508 ZPO) nachträglich für zulässig, weil das Höchstgericht – soweit ersichtlich – bislang noch nicht über den Fall entschieden habe, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen mit einer darin enthaltenen Gerichtsstandsklausel dem Organ einer juristischen Person zwar noch vor einem Geschäftsabschluss aber in einer anderen Vertragssache zugegangen seien, in der dieses als Vermittler und Dolmetscher fungiert habe.

[5] Der Revisionsrekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts (§ 526 Abs 2 ZPO) nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[6] 1. Zwischen den Streitteilen ist nicht strittig, dass sich die Frage der Wirksamkeit des Abschlusses einer Gerichtsstandsvereinbarung nach Art 25 EuGVVO 2012 richtet, der weitgehend Art 23 EuGVVO in der Fassung der Verordnung (EG) Nr 44/2001 entspricht. Danach können auch Personen mit (Wohn-)Sitz in Drittstaaten die Zuständigkeit mitgliedstaatlicher Gerichte vereinbaren. Der Begriff der Gerichtsstandsvereinbarung, der autonom auszulegen ist, bedeutet eine übereinstimmende Willenserklärung der Parteien über die Zuständigkeitsbegründung (RIS‑Justiz RS0117156). Das Vorliegen einer solchen übereinstimmenden Willenserklärung ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Nur im Fall einer im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifenden Fehlbeurteilung der zweiten Instanz liegt eine erhebliche Rechtsfrage nach § 528 Abs 1 ZPO vor (RS0117156 [T5]; vgl auch RS0114604 [T8]). Das ist nicht der Fall.

[7] 2.1 Auch noch im Revisionsrekursverfahren vertritt die Klägerin – zusammengefasst – den Standpunkt, die Voraussetzungen für das wirksame Zustandekommen einer Gerichtsstandsvereinbarung im Sinn des Art 25 EuGVVO seien erfüllt, weil sie in ihrem Anbot sowie in der Auftragsbestätigung deutlich auf die Verwendung von AGB hingewiesen habe, und diese der Beklagten auch tatsächlich zugekommen und ihr damit bei Vertragsabschluss vorgelegen seien. Dabei bezieht sie sich auf den festgestellten Umstand, dass dem Geschäftsführer der Beklagten – in seiner Funktion als Vermittler und Dolmetsch – mit Mail vom 22. 7. 2016 im Zusammenhang mit einem fremden Projekt unter anderem ihre AGB übermittelt worden sind.

[8] 2.2 Richtig ist, dass nach der Rechtsprechung dem Erfordernis der Schriftlichkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung nach Art 25 EuGVVO entsprochen ist, wenn der Vertragstext ausdrücklich auf die AGB Bezug nimmt (RS0111715; RS0109865 [T1]). Zusätzlich muss aber auch feststehen, dass der Partei die eine Gerichtsstandsklausel enthaltenden AGB tatsächlich zugegangen sind (EuGH 14. 12. 1976, Rs 24/76 [Estasis Salotti] Slg 1976, 1831; RS0111716; RS0109865 [T4]; RS0115079 [T2]; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht9 Art 23 EuGVO Rz 36). Der Oberste Gerichtshof vertritt dazu in ständiger Rechtsprechung, dass die AGB, die eine Gerichtsstandsvereinbarung enthalten, den Vertragspartnern spätestens im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorliegen müssen, damit eine Vereinbarung nach Art 25 EuGVVO zustande kommt (RS0109865 [T4; T5]). Es besteht für den anderen Vertragspartner keine Pflicht, sich die Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu verschaffen (Simotta in Fasching/Konecny² Art 23 EuGVVO Rz 149 f; Tiefenthaler/Czernich in Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht4, Art 25, Rz 70). Der Oberste Gerichtshof hat an dieser Ansicht ungeachtet gegenteiliger Stimmen in der Literatur, nach welchen bereits die Möglichkeit, dass sich der andere Vertragsteil den Text der Allgemeinen Geschäftsbedingungen durch Rückfragen unschwer und prompt verschaffen kann, ausreichen soll, ausdrücklich festgehalten (vgl nur 4 Ob 161/14a). Das entspricht auch dem Gedanken, dass diejenige Vertragspartei die eine Vereinbarung über eine besondere Gerichtszuständigkeit erreichen will, dies der anderen Partei klar und deutlich offenzulegen hat (vgl nur RS0113571 [T1; T9]).

[9] 2.3 Die Entscheidung des Rekursgerichts entspricht diesen Grundsätzen. Demgegenüber übergeht die Klägerin in ihrer Argumentation den festgestellten Sachverhalt, nach dem der Geschäftsführer der Beklagten die AGB am 22. 7. 2016 nicht in organschaftlicher Vertretung der Beklagten als möglicher Vertragspartnerin der Klägerin erhalten hat, weil die ihm übermittelten Unterlagen ein anderes Geschäftsverhältnis betrafen, in dem dieser lediglich als Vermittler bzw Dolmetscher aufgetreten war. Auch in der von der Klägerin als Belegstelle für ihren Standpunkt angeführten Entscheidung zu 6 Ob 120/19v hat der Oberste Gerichtshof betont, dass das Zustandekommen einer Gerichtsstandsvereinbarung iSd Art 25 EuGVVO die deutliche Willenseinigung zwischen den Parteien über die zuständigkeitsbegründende Klausel erfordert. Davon kann aber keine Rede sein, wenn der Geschäftsführer der Beklagten die die Gerichtsstandsvereinbarung enthaltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen als Vermittler eines Geschäfts zugesendet bekommen (und an den Vertragspartner der Klägerin weitergeleitet) hat, an dem die Beklagte selbst gar nicht beteiligt war. Die Beklagte hat die Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht im Zusammenhang mit der Anbahnung eines Vertragsverhältnisses mit der Klägerin erhalten. Wenn das Rekursgericht angenommen hat, dassbei dieser Sachlage die geforderte tatsächliche Zustimmung der Beklagten zu einer Klausel, die von den Allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften abweicht (dazu RS0113571 [T1]), nicht vorlag, ist dies nicht korrekturbedürftig. Es wäre für die Klägerin zudem ein Leichtes gewesen, beim Geschäftsführer der Beklagten anlässlich der Vertragsunterfertigung nachzufragen, ob er noch im Besitz der bei der seinerzeitigen Vermittlungstätigkeit übersendeten AGB ist und ihm gegebenenfalls ein Exemplar auszuhändigen.

[10] 2.4 Soweit die Klägerin auf Czernich/Tiefenthaler (in Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht4, Art 25, Rz 69) Bezug nimmt, wonach es für die Einbeziehung einer Gerichtsstandsvereinbarung in den AGB nach Art 25 EuGVVO auch genügen soll, wenn es sich um solche handelt, die schon bei früheren Geschäften der Parteien in Verwendung waren, lässt sie erneut außer Acht, dass die in Rede stehenden Bedingungen dem Geschäftsführer der Beklagten nicht in Anbahnung eines Geschäfts zwischen den Streitteilen übermittelt wurden. Warum es von Bedeutung sein soll, ob der Geschäftsführer vor Weiterleitung der am 22. 7. 2016 erhaltenen Unterlagen an den Vertragspartner der Klägerin in die AGB Einsicht genommen hat, ist nicht zu erkennen. Dass abgesehen davon zuvor geschäftliche Kontakte zur Beklagten bestanden hätten, aus denen ihr die AGB bekannt gewesen wären, behauptet die Klägerin nicht.

[11] 3. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 528a ZPO iVm § 510 Abs 3 ZPO).

[12] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 40 iVm § 50 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsrekursbeantwortung darauf hingewiesen, dass das Rechtsmittel der Klägerin nicht zulässig ist.

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