European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0010OB00035.13Y.0314.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 447,98 EUR (darin 74,66 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Der beklagte Verein betreibt in Niederösterreich ein Tierschutzhaus. Siegfried G***** ist „Tierpate“ des Beklagten und betreute einen damals ca sieben Jahre alten Stafford Terrier mit einer Schulterhöhe von ca 50 cm und kräftiger, bulliger Statur. In den mehreren Monaten, in denen der Hund schon beim Beklagten war, hatte er sich als sehr zutraulich und menschenbezogen erwiesen. Er galt als „Schmuser“. Lediglich bei Begegnung mit anderen Hunden zeigte er sich mitunter nicht so umgänglich. Der Stafford Terrier hörte und sah schlecht; sein Schielen war augenfällig.
Am 17. 5. 2008 kamen die Klägerin und ihr Freund ins Tierschutzhaus, um sich einen Hund auszusuchen. Ihre Wahl fiel auf den Stafford Terrier. Wegen einer Verletzung am Ohr hatte der Hund, für den der Beklagte keine Beißkorbbefreiung erteilte, keinen Maulkorb an. Siegfried G***** teilte der Klägerin und ihrem Freund insbesondere mit, dass der Hund ausgesetzt worden sei, ein Platz für ihn gesucht werde und er schlecht höre und sehe. Der Hund verhielt sich zunächst zurückhaltend, wurde aber gegenüber der Klägerin und ihrem Freund immer zutraulicher, „schmuste“ mit den beiden und schleckte ihre Hände ab. Sie gaben ihm „Leckerlis“, die er völlig ruhig von der Hand nahm, ohne zuzuschnappen, ungestüm oder irgendwie aggressiv zu sein. Der Hund wurde zunächst von G***** an der Leine gehalten und danach vom Freund der Klägerin. Als sich G***** für ca fünf bis zehn Minuten entfernte, spielten die Klägerin und ihr Freund allein mit dem Hund, streichelten ihn, gaben ihm „Leckerlis“ und ließen sich von ihm abschlecken. Er wirkte auf die beiden sehr zutraulich und verspielt, friedlich und unauffällig und wedelte mit dem Schwanz. Auch nachdem der Tierpate wieder zurückgekehrt war, hielt der Freund der Klägerin den Hund weiter an der Leine, während sie sich noch unterhielten. Die Klägerin meinte, dass sie noch überlegen würden, ob sie den Hund nehmen. Um sich von diesem zu verabschieden, beugte sich die Klägerin dann zu ihm hinunter und sprach ihn, als sie ca 25 cm über seinem Kopf war, an, worauf dessen Kopf in die Höhe fuhr, ohne dass dies ein Aggressions‑ oder Verteidigungsverhalten gewesen wäre. Dabei kam es zu einem Kontakt der Zähne des Hundes mit der Nase der Klägerin, was am rechten Nasenflügel zu einer blutenden Verletzung führte, die auch genäht werden musste. Die Verletzung hinterließ eine ca 2,5 cm lange, halbkreisförmig verlaufende Narbe an der Nasenspitze der Klägerin.
Die Vorinstanzen wiesen das Begehren der Klägerin auf Zahlung von 4.000 EUR sA an Schmerzengeld und die mit 1.000 EUR bewertete Feststellung der Haftung des Beklagten für sämtliche zukünftigen kausalen Schäden aus dem Vorfall vom 17. 5. 2008 ab.
Das Berufungsgericht führte rechtlich aus, die interne Anweisung der Leinen‑ und Beißkorbpflicht des Beklagten sei keine hoheitliche Anordnung und schon aus diesem Grund keine Schutznorm im Sinn des § 1311 ABGB. Eine Verletzung der Verwahrungspflicht nach § 1320 ABGB liege nicht vor. Aus dem festgestellten Verhalten des Tieres („Schmuser“; sehr zutrauliches und menschenbezogenes bisheriges Verhalten im Tierschutzhaus; lediglich bei der Begegnung mit anderen Hunden mitunter nicht so umgänglich) könne eine Verpflichtung des Beklagten zur Anlegung eines Beißkorbs beim Publikumskontakt nicht abgeleitet werden, seien doch keine Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Klägerin vorgelegen. Zwar habe der Beklagte intern einen Beißkorb angeordnet, jedoch ergebe sich dadurch, dass der ihm zurechenbare „Tierpate“ dies unterlassen habe, weder ein rechtswidriges noch schuldbegründendes Verhalten. Der Stafford Terrier habe sein in der Vergangenheit gezeigtes „Schmuseverhalten“ im Kontakt mit der Klägerin fortgesetzt. Der Hund habe sich, nachdem er seine Zurückhaltung aufgegeben gehabt habe, zu keinem Zeitpunkt aggressiv, sondern vielmehr zutraulich, verspielt und friedlich gegeben, sodass mit einer Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit der Klägerin nicht zu rechnen gewesen sei. Sie habe sich bis zur Verabschiedung auch nicht so verhalten, dass es korrigierender Maßnahmen durch den Mitarbeiter des Beklagten bedurft hätte. Das Verhalten der Klägerin, sich einem seh‑ und hörbehinderten Hund zur Verabschiedung mit dem Kopf bis auf rund 25 cm zu nähern, sei wenig nachvollziehbar. Ein derartiges Nahekommen sei beim eigenen „Kampfhund“ zu unterlassen, aber noch viel mehr bei einem fremden Hund. Das unberechenbare Verhalten der Klägerin habe den Hund, ohne dass es sich um ein Aggressions‑ oder Verteidigungsverhalten gehandelt habe, erschreckt. Seine tierische Reaktion müsse sich die Klägerin selbst bei einem Biss zurechnen lassen.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige, und erklärte die ordentliche Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO für zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Tierhalterhaftung durch einen Tierschutzverein bestehe.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin, mit der sie allein eine Haftung des Beklagten nach §§ 1311 und 1320 ABGB anstrebt, ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig.
1. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist eine interne Anordnung des beklagten Vereins, dass für einen Hund keine Beißkorbbefreiung besteht, keine Rechtsnorm/Rechtsvorschrift und folglich auch kein Schutzgesetz im Sinn des § 1311 ABGB (dazu Harrer in Schwimann , ABGB³ § 1311 Rz 9; Karner in KBB³ § 1311 ABGB Rz 4, jeweils mwN).
Ergänzend ist festzuhalten, dass auch kein Verstoß gegen den im Zeitpunkt des Vorfalls am 17. 5. 2008 in Geltung stehenden § 1a Abs 4 Nö Polizeistrafgesetz, LGBl 4000‑0 idF 3. Novelle LGBl 4000‑3, vorlag. Abgesehen davon, dass der Stafford Terrier an der Leine geführt wurde, ergab sich aus dieser Bestimmung keine ausdrückliche Leinen‑ oder Maulkorbpflicht für das Verwahren von Hunden auf einem Privatgrundstück (9 Ob 29/06i [Privatpension]). Das Tierschutzhaus des Beklagten zählte nicht zu den in dieser Bestimmung genannten Orten.
2.1. Wie ein Tier im Sinn des § 1320 zweiter Satz ABGB zu verwahren oder zu beaufsichtigen ist, hängt nach ständiger Rechtsprechung von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0030567; RS0030058; RS0030157). Maßgeblich ist die Gefährlichkeit des Tieres, die Möglichkeit der Schädigung und eine Abwägung der betroffenen Interessen (RIS‑Justiz RS0030081 [T16]).
Die Haftung des Tierhalters nach § 1320 ABGB ist grundsätzlich eine Verschuldens‑ und keine Erfolgshaftung (RIS‑Justiz RS0030291). Anerkannt ist, dass die Anforderungen an die Verwahrungs‑ und Beaufsichtigungspflicht nicht überspannt werden dürfen (RIS‑Justiz RS0029999; RS0030365). Sind dem Tierhalter jedoch Eigenschaften eines Tieres bekannt oder hätten sie ihm bei gehöriger Aufmerksamkeit bekannt sein müssen, die zu einer Gefahrenquelle werden können, wie etwa nervöse Reaktionen, unberechenbares Verhalten, Unfolgsamkeit und dergleichen, hat er auch für die Unterlassung der in Anbetracht dieser besonderen Eigenschaften erforderlichen und auch der Verkehrsauffassung vernünftigerweise zu erwartenden Vorkehrungen einzustehen (RIS‑Justiz RS0030472). Stets hat der Tierhalter die Einhaltung der objektiv erforderlichen Sorgfalt bei der Verwahrung und Haltung der Tiere zu beweisen. Misslingt ihm dieser Beweis, haftet er für sein rechtswidriges, wenn auch schuldloses Verhalten (RIS‑Justiz RS0105089).
2.2. Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht nicht in einer Weise abgewichen, die im Interesse der Rechtssicherheit einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte:
Zwar handelt es sich beim „Stafford Terrier“ um einen Hund mit erhöhtem Gefährdungspotential (vgl nunmehr § 2 Abs 2 Nö Hundehaltegesetz, LGBl 4001‑0 idgF, [dort: American Staffordshire Terrier]), jedoch war er in der mehrmonatigen Beobachtung des Beklagten sehr zutraulich, menschenbezogen und galt als „Schmuser“. Im Umgang mit der Klägerin und ihrem Freund (auch in Abwesenheit des Mitarbeiters des Beklagten) zeigte er ein sehr zutrauliches und verspieltes, friedliches und unauffälliges Verhalten. Dass der siebenjährige Hund keinen Maulkorb trug, sah die Klägerin. Ihr wurde vom Mitarbeiter des Beklagten mitgeteilt, dass der „Stafford Terrier“ schlecht hört und sieht. Sein Schielen war auch augenfällig. Wegen seiner Verletzung am Ohr wurde dem Hund an diesem Tag kein Maulkorb angelegt, obwohl für ihn vom Beklagten keine Beißkorbbefreiung bestand. Eine besondere Gefährlichkeit des Menschen gewohnten Hundes war bis zum Vorfall nicht erkennbar. Berücksichtigt man hier, dass sich die Klägerin bei der Verabschiedung selbst in die Gefahrenlage brachte, indem sie sich hinunterbeugte, sich bis auf rund 25 cm über dem Kopf des bekannt seh‑ und hörbehinderten Hundes näherte und ihn ansprach, wodurch dieser aufgrund seines natürlichen Verhaltens in die Höhe fuhr, ist dem Beklagten der Beweis gelungen, dass er für die unter den gegebenen Umständen erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung des Hundes ausreichend Sorge trug. Der beklagte Hundehalter musste nicht damit rechnen, dass die Klägerin gegenüber dem ihr fremden Hund ein solches Verhalten setzt.
3. Da die Klägerin keine erhebliche Rechtsfrage nach § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen vermag, ist ihre Revision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte wies auf die Unzulässigkeit der gegnerischen Revision hin. Der Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 1 lit b ZPO ist für die Bemessungsgrundlage im Sinn der §§ 3 und 4 RATG, § 56 Abs 2 JN unerheblich (vgl 6 Ob 559/87). Der Kostenzuspruch erfolgt daher auf der Grundlage des Gesamtstreitwerts von 5.000 EUR.
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