OGH 9Ob29/06i

OGH9Ob29/06i2.3.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Dr. Kuras als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Katharina L*****, vertreten durch Walch und Zehetbauer Rechtsanwälte OEG, Wien, gegen die beklagte Partei Norbert S*****, vertreten durch Mag. Dr. Peter Sommerer Rechtsanwalts GmbH, Wien, wegen EUR 5.000 sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Berufungsgericht vom 14. Juni 2005, GZ 21 R 129/05a-17, womit das Urteil des Bezirksgerichts Gänserndorf vom 27. Jänner 2005, GZ 4 C 1959/04a-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 399,74 (darin EUR 66,62 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte betreibt gemeinsam mit seiner Tochter in dem von beiden bewohnten Haus *****, eine Privatpension. Der Beklagte ist Eigentümer und Halter eines Hundes (Mischling: Neufundländer/Riesenschnauzer/Rotweiler) von 70 kg Gewicht und 80 cm Schulterhöhe. Dieses Tier ist normalerweise fremden Leuten gegenüber nicht aggressiv und durch den Betrieb der Privatpension auch an fremde Menschen gewöhnt. Er hat bislang noch niemanden gebissen und folgt der Tochter des Beklagten. Der Beklagte legte sich am Unfallstag schlafen und überantwortete den Hund, wie üblich, seiner Tochter zur Aufsicht auf dem gemeinsamen Privatgrundstück. Das Grundstück ist an der Hinterseite nicht eingefriedet, sodass man von dort zugehen und zufahren kann. Dies wusste auch die Klägerin, die bereits zwei oder drei Mal vor dem Unfallstag die Tochter des Beklagten auf diesem Wege besucht hatte, um mit dieser über den Abschluss von Kreditkartenverträgen zu sprechen. Die Klägerin benützte deshalb die hintere Zufahrt, um dann das Auto an der Hinterseite des Gebäudes stehen zu lassen, anstelle den Haupteingang zu benützen oder dort zu klingeln. Die Tochter des Beklagten ließ den Hund zum „Gassi gehen" auf den parkähnlichen Grundstück aus, das Tier ließ sich bei einer Haustür nieder. Die Tochter des Beklagten begab sich mit Pensionsgästen zu einem ca 10 m vom Platz des Hundes entfernten Biotop und plauderte mit den Gästen. Die Klägerin stieg ca 20 m vom Hund entfernt aus ihrem Auto, um zur Türe zu gehen, dabei musste sie den Hund passieren. Als sie ca 2 bis 3 m vor dem Hund war, gab dieser einen Warnlaut von sich. Die Klägerin ignorierte dies und ging weiter. Als sie auf der Höhe des Hundes war, biss sie dieser unvermittelt in das linke Schienbein. Die Tochter des Beklagten rief das Tier zurück, worauf dieses von der Klägerin abließ. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin vom Beklagten Schmerzengeld und Verunstaltungsentschädigung. Dieser sei seiner Tierhalterpflicht nicht ausreichend nachgekommen. Insbesondere liege ein Verstoß nach § 1a Abs 4 des NÖ Polizeistrafgesetzes vor, wonach für Hunde an Zugängen zu Mehrfamilienhäusern Maulkorb- bzw Leinenpflicht bestehe. Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Abgesehen davon, dass im vorliegenden Fall keine Anlein- oder Maulkorbpflicht bestanden habe, habe er das ungefährliche und bisher völlig unauffällige Tier seiner Tochter überantwortet, die das Tier immer ordnungsgemäß beaufsichtigt habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es hat dabei - unter Zugrundelegung der Beweislastumkehr zu Lasten des Beklagten - eine Tierhalterhaftung nach § 1320 ABGB zutreffend verneint. Es kann daher insoweit auf die Richtigkeit der eingehenden Begründung des angefochtenen Urteils verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

Lediglich ergänzend ist den Ausführungen der Revisionswerberin entgegenzuhalten:

Im Hinblick darauf, dass der Hund infolge des Betriebs einer Privatpension an Menschen gewöhnt war, ohne bisher je ein auffälliges oder aggressives Verhalten gezeigt zu haben und bisher der Tochter des Beklagten auch immer gefolgt hatte, bestand, wie schon vom Berufungsgericht zutreffend ausgeführt, keine besondere Veranlassung, an der Eignung dieser Person zur Beaufsichtigung des Tieres irgendwelche Zweifel zu hegen oder aber dieser konkrete Weisungen erteilen zu müssen. Entgegen der Ansicht der Klägerin kann im vorliegenden Fall auch kein Verstoß gegen ein Schutzgesetz, nämlich § 1a NÖ Polizeistrafgesetz, erkannt werden. Diese Bestimmung unterscheidet schon in ihrer Überschrift zwischen „Mitführen" und „Verwahren" von Hunden. Nach der von der Klägerin ins Treffen geführten Bestimmung § 1a Abs 4 NÖ Polizeistrafgesetz müssen an öffentlichen Orten im Ortsbereich, das ist ein baulich oder funktional zusammenhängender Teil eines Siedlungsgebietes, sowie in öffentlichen Verkehrsmitteln, Schulen, Kinderbetreuungseinrichtungen, Parkanlagen, Einkaufszentren, Freizeit- und Vergnügungsparks, Stiegenhäusern und Zugängen zu Mehrfamilienhäusern Hunde an der Leine oder mit Maulkorb geführt (Anm: Hervorhebung durch das Gericht) werden. Schon aus dem Wortlaut ergibt sich daher keine ausdrückliche Leinen- oder Maulkorbpflicht für das Verwahren von Hunden auf einem Privatgrundstück. Wegen des auch im Verwaltungsstrafverfahren geltenden Analogieverbots ist eine über den Wortsinn einer Strafnorm hinausgehende Auslegung verpönt (VwSlg 13848 A/1993; VwGH 96/17/0488). Eine Gesetzeslücke darf auch im Verwaltungsstrafrecht im Hinblick auf die Bestimmung des § 1 Abs 1 VStG 1950 nicht im Wege der Auslegung ausgefüllt werden (stRsp VwGH 0495/69 uva). Gegen diese Grundsätze würde die von der Klägerin gewünschte Auslegung, nämlich das Gleichsetzen einer Privatpension mit Mehrfamilienhäusern bzw des „Führens" eines Hundes mit „Verwahren", verstoßen.

Selbst wenn man sich - mit Koziol - auf den Standpunkt stellen wollte, dass den Tierhalter eine verschärfte Gehilfenhaftung treffe, so hat er maximal für grobes Verschulden des Gehilfen einzustehen (stRsp RIS-Justiz RS0028825). Von einem groben Verschulden der Tochter des Beklagten kann aber hier nicht die Rede sein. Das Tier lag nur ca 10 m von der Aufsichtsperson vor einer Tür und folgte, wie festgestellt, selbst nach dem Biss der Tochter des Beklagten aufs Wort. Wenn diese durch ihr Gespräch mit Pensionsgästen kurz vom Tier abgelenkt war, sodass es geschehen konnte, dass dieses beim Passieren der Klägerin zubiss, kann darin kein grobes Verschulden erkannt werden.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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