OGH 1Ob333/97w

OGH1Ob333/97w24.2.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl.Ing.Roland M***** , vertreten durch Dr.Paul Appiano, Dr.Paul Georg Appiano und Dr.Bernhard Kramer, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Irmgard P*****, sowie den Nebenintervenienten Wolfgang M*****, beide vertreten durch Dr.Rainer Cuscoleca, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 25.Juni 1997, GZ 41 R 309/97p-19, womit infolge Berufung der beklagten Partei und des Nebenintervenienten das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 7.März 1997, GZ 54 C 155/96m-14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben. Die Berufungsentscheidung wird dahin abgeändert, daß das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 6.086,40 S (darin 1.014,40 S USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 6.001,25 S (darin 670,21 S USt und 1.980 S Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der klagende Hauseigentümer und Vermieter kündigte der Verlassenschaft nach der am 25.Juli 1995 verstorbenen Hauptmieterin (im folgenden nur Mieterin) - die nunmehrige Beklagte ist ihre Tochter und Alleinerbin, der deren Nachlaß bereits eingeantwortet wurde, der Nebenintervenient, der die Voraussetzungen des Eintritts gemäß § 14 Abs 3 MRG behauptet, deren Sohn und Enkel der verstorbenen Mieterin - eine näher bezeichnete, 90 m2 große Wohnung nach § 30 Abs 2 Z 5 MRG auf.

Der Nebenintervenient wohnte ab Oktober 1992 nach einem schweren Autounfall und einem dadurch bedingten längeren Spitalsaufenthalt in der als Wohnung und Betrieb (Kindergarten) genützten Wohnung seiner Mutter in einem kleinen Zimmer. Damals war die Mieterin auf Grund eines im Oktober 1992 erlittenen Oberschenkelhalsbruchs für etwa drei Wochen in stationärer Spitalsbehandlung; die anschließende Zeit bis Weihnachten 1992 verbrachte sie in einem Pflegeheim und kehrte danach wieder in ihre Wohnung zurück; sie blieb aber weiterhin pflegebedürftig. Zwischen Weihnachten 1992 und März 1993 wechselten einander die Beklagte, deren Arbeitskollegin sowie eine dritte Person in der Pflege der Mieterin ab, wobei anfänglich meist die Beklagte in der Wohnung übernachtete. Im März 1993 waren die Verletzungen des Nebenintervenienten - dem Metallplatten in den Armen und Beinen implantiert worden waren - soweit abgeklungen, daß er wieder selbständig gehen konnte. Ab diesem Zeitpunkt besuchte dieser fallweise seine zusehends pflegebedürftiger werdende Großmutter, übernachtete auch zunächst mitunter in deren Wohnung und zog dort im Sommer 1993 endgültig ein, weil er ein größeres Zimmer für sich haben wollte und sich in der mütterlichen Wohnung durch den Kindergartenbetrieb gestört fühlte. Er bewohnte ebenso wie die Mieterin ein eigenes Zimmer, ein weiteres als Wohnzimmer eingerichtetes Zimmer mit einem Fernsehapparat stand beiden zur Verfügung. Ab April 1993 verfügte der Nebenintervenient über ein monatliches Nettoeinkommen von rund 10.000 S.

Von 1993 bis zu ihrem Tod hielt sich die Mieterin wiederholt zur Behandlung für längere Zeit (rund drei bis vier Monate jährlich) in verschiedenen Pflegeheimen und Krankenhäusern auf, wohnte aber die restliche Zeit in ihrer Wohnung. Ihr körperlicher Zustand verschlechterte sich seit 1993 zusehends; sie bedurfte ständiger Pflege und wurde 1994 bettlägrig. Im Rahmen dieser Pflege mußte ihr das Essen zubereitet und mußte sie teilweise „gefüttert“ und gebadet werden. Diese tägliche Pflege verrichteten fast ausschließlich die Beklagte und verschiedene von ihr bezahlte Pfleger, die dabei auch teilweise in der Wohnung nächtigten. Beim Baden der Mieterin waren ausschließlich Pfleger behilflich. Die Mahlzeiten wurden von der Organisation „Essen auf Rädern“ oder von der Beklagten in die Wohnung gebracht und dort, hauptsächlich von Pflegern, nur aufgewärmt. Fallweise erledigte dies auch der Nebenintervenient. Da er unregelmäßige Eßgewohnheiten hat, nahm er seine Mahlzeiten nur fallweise gemeinsam mit seiner Großmutter ein. An den anfallenden Haushaltsarbeiten beteiligte er sich, abgesehen vom Aufräumen seines Zimmers, nicht, die restliche Hausarbeit wurde von bezahlten Helfern erledigt. Der Nebenintervenient besorgte für seine Großmutter fallweise Windeln oder Arzneien und erledigte für sie Behördenwege. Daß er täglich mit seiner Großmutter ferngesehen hätte, konnte nicht festgestellt werden. Auch das Waschen und Bügeln von deren Wäsche besorgte nie der Nebenintervenient, sondern die Beklagte oder ein bezahlter Helfer. Die Aufwendungen für Miete sowie die Kosten für Gas, Strom und Telefon trug allein die Mieterin. Ob bzw mit welchem Betrag sich der Nebenintervenient an sonst anfallenden Lebensmittelkosten beteiligte, konnte ebensowenig festgestellt werden wie die Tatsache, daß dieser Lebensmittel für sich und seine Großmutter eingekauft und diese sodann zur Zubereitung von warmen Mahlzeiten in die Wohnung der Beklagten gebracht hätte.

Die Erstrichterin erkannte, ausgehend von ihrer zusammenfassenden Feststellung, daß der Nebenintervenient zwar seit Sommer 1993 an der aufgekündigten Adresse wohne, jedoch nie im gemeinsamen Haushalt mit seiner Großmutter gelebt habe, die Aufkündigung als rechtswirksam und gab dem Räumungsbegehren statt.

Das Berufungsgericht hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab, weil der Nebenintervenient mit seiner Großmutter im gemeinsamen Haushalt in der aufgekündigten Wohnung gewohnt habe. Die Revision erachtete es als nicht zulässig.

Die außerordentliche Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 14 Abs 2 MRG treten nach dem Tod des Hauptmieters die in Abs 3 dieser Gesetzesstelle genannten Personen in den Mietvertrag ein. Nach § 14 Abs 3 MRG sind Verwandte in gerader Linie des bisherigen Mieters eintrittsberechtigt, sofern diese Personen ein dringendes Wohnbedürfnis haben und schon bisher im gemeinsamen Haushalt mit dem Mieter in der Wohnung gewohnt haben. Bei Wohnungsmieten liegt im Fall des Todes des Mieters, soweit nicht die Sonderrechtsnachfolge nach § 14 Abs 2 und 3 MRG eintritt, der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 5 MRG vor. Eine derartige Aufkündigung ist gegen den Nachlaß des verstorbenen Mieters und nach Rechtskraft der Einantwortung gegen den Erben zu richten.

Bei der Beurteilung der Eintrittsvoraussetzung des gemeinsamen Haushalts iSd § 14 Abs 3 MRG ist auf die faktischen Verhältnisse abzustellen (9 Ob 119/97h; RIS-Justiz RS0107188). Wie die zur Annahme des Bestehens einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft maßgeblichen Kriterien im konkreten Fall zu gewichten sind, hängt zwar nach stRspr wegen der Vielfalt der Gestaltungsmöglichkeiten regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls ab (stRspr, zuletzt 3 Ob 117/95 = RPflE 1996/119; RIS-Justiz RS0043702), dessen Besonderheit eine beispielgebende Entscheidung im allgemeinen ausschließt, oder gilt das dann nicht, wenn die von der Rspr gezogenen Grenzen bei der Beurteilung des Einzelfalls überschritten werden oder wenn dem Berufungsgericht gravierende Entscheidungsfehler unterlaufen. Solche Fehler liegen hier vor, weil beim vorliegenden Sachverhaltsbild nicht von einem gemeinsamen Haushalt der verstorbenen Mieterin und ihres Enkels gesprochen werden kann.

Wer sich auf das Eintrittsrecht beruft, muß alle dafür erforderlichen Voraussetzungen beweisen (WoBl 1991/9; 8 Ob 622/93 = MietSlg 45.262 ua; Würth in Rummel 2, § 14 MRG Rz 4 mwN). Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung des Vorliegens eines gemeinsamen Haushalts ist der Zeitpunkt des Todes des Mieters (MietSlg 39.300 ua; Würth aaO § 14 MRG Rz 4). Von den Voraussetzungen des § 14 Abs 3 MRG sind hier das Hauptmietverhältnis, die Eigenschaft des Nebenintervenienten als naher Angehöriger und sein dringendes Wohnbedürfnis unbestrittenermaßen ebenso gegeben wie die Tatsache, daß die alters- und krankheitsbedingten Aufenthalte der Mieterin in Spitälern und Pflegeheimen in der Dauer von rund drei bis vier Monate im Jahr auf das Bestehen des gemeinsamen Haushalts keinen Einfluß hatten.

Gemeinsamer Haushalt ist gemeinsames, auf Dauer berechnetes Wohnen und Wirtschaften. Auch der Lebensschwerpunkt des nach einem Autounfall körperbehinderten (Metallimplantate in Armen und Beinen) und offenbar weitgehend beschäftigungslosen Nebenintervenienten lag jedenfalls vom Sommer 1993 bis zum Tod seiner Großmutter am 25.Juli 1995 in der aufgekündigten Wohnung; beide befriedigten somit in der nun aufgekündigten Wohnung ihr Wohnbedürfnis. Gemeinsames Wirtschaften setzt voraus, daß die Bedürfnisse des täglichen Lebens auf gemeinsame Rechnung befriedigt werden, wobei Art und Intensität jeweils von den Umständen des Einzelfalls abhängen (Würth aaO, § 14 MRG Rz 8 mwN aus der Rspr). Die Annahme gemeinsamer Wirtschaftsführung wird an sich nicht dadurch ausgeschlossen, daß insbesondere bei großen Einkommens- oder Altersunterschieden ein Teil die gesamten Kosten trägt und der andere nichts beiträgt (WoBl 1991/9; RIS-Justiz RS0069759; Würth/Zingher, Miet- und Wohnrecht20, § 30 MRG Rz 15 mwN). Zwar bestand im vorliegenden Fall ein großer Altersunterschied (die Großmutter ist 1911 geboren, ihr Enkel 1966), nach den Ergebnissen des Verlassenschaftsverfahrens war aber offenbar keine große Einkommensdifferenz gegeben. Der Nebenintervenient beteiligte sich trotz eines monatlichen Nettoeinkommens von rund 10.000 S an den Kosten von Miete, Gas, Strom und Telefon nicht. Von der Rspr (vgl die Nachweise bei Würth/Zingher aaO) wurde die Annahme gemeinsamen Wohnens und Wirtschaftens bei gelegentlichem Übernachten oder beim Aufenthalt in der Wohnung zur Pflege des kranken Mieters verneint. Der vorliegende Fall ist insofern vergleichbar, als sich der Nebenintervenient, dessen Tagesablauf von dem seiner Großmutter vollkommen verschieden war, nicht nur nicht an den Wohnungskosten beteiligte, sondern sich auch kaum um seine kranke, bettlägrige und ständig pflegebedürftige, von der Beklagten gepflegte und versorgte Großmutter kümmerte, sieht man vom fallweisen Aufwärmen von Mahlzeiten sowie der fallweisen Besorgung von Arzneien, Windeln und Behördengängen ab; abgesehen vom Aufräumen seines eigenen Zimmers trug er auch nichts zur gemeinsamen Haushaltsführung in natura bei. Angesichts der von der zweiten Instanz gebilligten erstinstanzlichen Feststellungen und unter Einbeziehung der erstrichterlichen Ausführungen zur Beweiswürdigung kann ungeachtet des großen Altersunterschieds von einem gemeinsamen Wohnen und Wirtschaften iS eines Miteinanders der Mieterin und des Nebenintervenienten, auch wenn dessen gesundheitliche Beeinträchtigung ebenso wie den Gesundheitszustand der Mieterin in Rechnung gestellt und auch kein allzu strenger Maßstab angelegt wird, nicht gesprochen werden.

Demnach ist dem Rechtsmittel Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen. Die Kostenentscheidung fußt auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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