OGH 8Ob622/93

OGH8Ob622/9314.10.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon-Prof.Dr.Gunther Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Edgar Huber, Dr.Birgit Jelinek, Dr.Ronald Rohrer und Dr.Ilse Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Daphne-Ariane S*****, vertreten durch Dr.Alexander Kragora, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Verlassenschaft nach Willibald M*****, vertreten durch den Verlassenschaftskurator Dr.Udo Kaiser, Rechtsanwalt in Wien, und den Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei Roman S*****, vertreten durch Dr.Heinrich Rösch, Rechtsanwalt in Wien wegen Aufkündigung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 20.Jänner 1993, GZ 48 R 883/92-32, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Döbling vom 22.Juni 1992, GZ 5 C 125/90-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie lauten:

"Die Aufkündigung vom 3.1.1989 ist rechtswirksam.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die Wohnung Nr.13 im Haus 1190 Wien, Barawitzkagasse 4, binnen 14 Tagen geräumt zu übergeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit insgesamt S 26.983,60 (einschließlich S 3.244,07 Umsatzsteuer und S 7.519,61 Barauslagen) bestimmten Kosten dieses Rechtsstreites binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 27.9.1989 verstorbene Willibald M***** war Mieter einer im Haus der Klägerin gelegenen Wohnung, in der er bis zu seinem Schlaganfall im Dezember 1988 alleine lebte. Aufgrund des Schlaganfalles, der rechtsseitige Lähmungserscheinungen und Sprachstörungen nach sich zog, kam er zunächst in Spitalspflege und wurde anschließend als Pflegefall in der Pflegeabteilung eines Pensionistenheimes aufgenommen. Da er weder zur Aufnahme in das Pensionistenheim noch auf einen Pflegeplatz angemeldet war, hätte er dort ausziehen müssen, sobald er hinreichend gesund geworden oder sein Bett für einen vorgemerkten Interessenten benötigt worden wäre. Die Wartezeit für die Aufnahme in diesem Heim beträgt Jahre. Willibald M***** war auch nicht bei einem anderen Pensionisten- oder Pflegeheim angemeldet.

Noch während seines Spitalsaufenthaltes besprach Willibald M***** mit seiner Tochter und seinem Enkel Roman S*****, daß dieser mit seiner Gattin Franziska in seine Wohnung einziehen solle, um sich während des Spitalsaufenthaltes des Willibald M***** um die Wohnung zu kümmern und dann dort mit ihm gemeinsam zu wohnen. Es war geplant, daß ihn die nicht berufstätige Ehefrau Roman S***** betreuen werde; Franziska S***** hätte für Willibald M***** nach seiner Rückkehr in die Wohnung den Haushalt geführt, gekocht und die Wäsche besorgt. Während seines Heimaufenthaltes wurde Willibald M***** die Wäsche von seiner Tochter betreut. Für seine Rückkehr in die Wohnung wurde zwischen den Familienmitgliedern noch kein fixer Termin vereinbart. Auch die Raumaufteilung in der Wohnung war zwischen den Eheleuten S***** und Willibald M***** noch nicht abgesprochen. Hinsichtlich der Kosten der Wohnung vereinbarten er und sein Enkel, daß Willibald M***** die Betriebskosten und die Miete der Wohnung weiterhin bezahlen werde, während Roman S***** nur Strom, Gas und Telefon zu bezahlen habe. Diese Regelung war bis zu dem Zeitpunkt in Aussicht genommen, zu dem Willibald M***** nach Hause zurückkehren werde. Wie die Kostenaufteilung nach seiner Rückkehr sein sollte, war noch nicht abgesprochen.

Roman S***** lebte zum Zeitpunkt dieser Vereinbarung im 12.Wiener Gemeindebezirk in Untermiete, die er jährlich hätte verlängern können. Aufgrund der Vereinbarung mit dem Großvater kündigte er den Mietvertrag im Februar 1989 auf und nahm dabei in Kauf, daß er aufgrund einer vierteljährlichen Kündigungsfrist noch drei weitere Monatsmieten zu bezahlen hatte; er räumte diese Wohnung im Februar 1989 und zog im März 1989 gemeinsam mit seiner Gattin in die Wohnung des Großvaters Willibald M***** ein. Im Einverständnis mit Willibald M***** entfernte das Ehepaar S***** einen Teil des Geschirrs und altes Gewand.

Willibald M***** machte derartige gesundheitliche Fortschritte, daß eine Entlassung nach Hause realistisch erschien.

Mitte Juni 1989 wurde er von einem Neurologen untersucht, der noch Sprachstörungen feststellte und logopädische Therapie und medikamentöse Behandlung empfahl; im übrigen empfahl er, Willibald M***** sobald wie möglich nach Hause zu nehmen, aber ihm eine ständige Aufsichtsperson beizugeben, weil jederzeit mit einem neuerlichen Schlaganfall gerechnet werden mußte und auch die Medikamenteneinnahme zu überwachen war. Die Rückkehr in die Wohnung wäre für Willbald M***** vom gesundheitlichen Standpunkt bereits im Juni 1989 empfehlenswert gewesen. Er wäre grundsätzlich in der Lage gewesen, sich selbst zu versorgen, auch einen Haushalt führen und sich selbst zu waschen und zu pflegen.

Seine Tochter und Roman S***** planten jedoch, Willibald M***** Ende August wieder in die Wohnung zurückzuholen. Einen früheren Termin faßten sie nicht ins Auge, weil einerseits an Willibald M***** noch eine logopädische Therapie im Heim durchgeführt wurde und andererseits Roman S***** und seine Gattin im Juli und August insgesamt drei Wochen auf Urlaub waren. Willibald M***** konnte jedoch nicht mehr in seine Wohnung zurückkehren, weil sich sein Zustand Ende August, Anfang September 1989 sehr verschlechterte und er schließlich verstarb.

Die Klägerin kündigte der Verlassenschaft nach Willibald M***** die Wohnung aus dem Kündigungsgrund des § 30 Abs.2 Z 5 MRG mit der Behauptung auf, der Mieter sei verstorben, ohne eintrittsberechtigte Personen im Sinn des § 14 Abs.3 MRG zu hinterlassen.

Die beklagte Partei beantragte die Aufhebung der Kündigung und wendete ein, Roman S***** habe mit seiner Frau Franziska und dem Verstorbenen in der aufgekündigten Wohnung im gemeinsamen Haushalt gelebt und sei daher eintrittsberechtigt. Es bestehe ein dringendes Wohnbedürfnis, weil Roman S***** keine andere Wohnmöglichkeit habe.

Der seitens der beklagten Partei als Nebenintervenient beigetretene Roman S***** wendete ein, mit dem Verstorbenen zu dessen Lebzeiten durch Wohnungnahme im Februar 1989 einen gemeinsamen Haushalt begründet zu haben. Die Wohnungnahme sei in der Absicht erfolgt, eine dauernde Hausgemeinschaft zum Zweck der Pflege des Verstorbenen zu begründen. Roman S***** habe seine ursprüngliche Wohnung aufgegeben, sodaß spätestens zum Todeszeitpunkt ein dringender Wohnbedarf vorgelegen sei.

Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf, weil der gemeinsame Haushalt dadurch begründet worden sei, daß der Eintrittsberechtigte zum Zeitpunkt des Einziehens in die aufgekündigte Wohnung die ernstliche Absicht gehabt habe, mit dem Mieter nach dessen Rückkehr in die Wohnung in häuslicher Gemeinschaft zu leben. Das dringende Wohnbedürfnis sei gegeben, weil der Eintrittsberechtigte seine frühere Wohnung aufgegeben habe.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Die Entscheidung des Erstgerichtes entspreche der jüngeren Rechtsprechung, wonach zur Begründung des gemeinsamen Haushaltes die ernstliche und endgültige Absicht genüge, mit dem Mieter, der sich etwa aus gesundheitlichen Gründen vorübergehend nicht in der Wohnung aufhalte, nach dessen Rückkehr die häusliche Gemeinschaft aufzunehmen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Untergerichte zwar die nunmehr herrschende Rechtsprechung richtig wiedergegeben haben, aber unberücksichtigt ließen, daß hier der aufgrund seiner Verwandtschaft Eintrittsberechtigte seine beim Einziehen in die Wohnung vorhandene Absicht, mit dem Mieter die häusliche Gemeinschaft aufzunehmen, trotz ausreichender Gelegenheit hiezu vor dem Tode des Mieters nicht in die Tat umgesetzt hatte. Mit der Frage, wie ein solches Verhalten, das nach der Lebenserfahrung durchaus nicht einzelfallspezifisch ist, zu beurteilen ist, hat sich die Rechtsprechung bisher nicht auseinandergesetzt.

Gemäß § 14 Abs.2 MRG treten nach dem Tod des Hauptmieters die in Abs.3 dieser Gesetzesstelle genannten Personen in den Mietvertrag ein. Nach § 14 Abs.3 MRG sind der Ehegatte, der Lebensgefährte, Verwandte in gerader Linie einschließlich der Wahlkinder und die Geschwister des bisherigen Mieters eintrittsberechtigt, sofern diese Personen ein dringendes Wohnbedürfnis haben und schon bisher im gemeinsamen Haushalt mit dem Mieter in der Wohnung gewohnt haben. Bei Wohnungsmieten liegt im Fall des Todes des Mieters, soweit nicht die Sonderrechtsnachfolge nach § 14 Abs.2 und 3 MRG eintritt, der Kündigungsgrund des § 30 Abs.2 Z 5 MRG vor.

Während in den älteren, zu § 19 Abs.2 Z 11 MG ergangenen Entscheidungen überwiegend betont wurde, daß vom Erfordernis des Wohnens im gemeinsamen Haushalt nicht abgesehen werden dürfe (ImmZ 1950, 28; MietSlg. 18.460, 21.485, 21.487, 21.518, 24.303 ua - gegenteilig etwa MietSlg. 20.454), genügt nach nunmehr ständiger Rechtsprechung - trotz teilweiser Kritik der Lehre (Medwed in ÖJZ 1971, 373 f; Schimetschek in ImmZ 1980, 285 f) - die ernste und endgültige Absicht zur Aufnahme der Haushaltsgemeinschaft (so etwa MietSlg 29.350, 31.407, 39.300). Ungeachtet dieser grundsätzlichen Aussage ist jedoch bei der Beurteilung der für den Begriff des gemeinsamen Haushaltes maßgebenden Kriterien immer auf die sich aus dem gesamten Beweisverfahren ergebenden Umstände des zu behandelnden Falles abzustellen (MietSlg. 39.345, 31.401; MietSlg. 39.300 = 4 Ob 580/87).

Es kann hier zwar nicht zweifelhaft sein, daß Roman S***** im Zeitpunkt der festgestellten Absprache mit Willibald M***** und des darauf folgenden Einzuges in dessen Wohnung sowie auch noch im Zeitpunkt dessen Todes die ernste und endgültige Absicht hatte, in dessen Wohnung zu bleiben. Aufgrund der im Ersturteil im Rahmen der rechtlichen Beurteilung enthaltenen Feststellung, daß Roman S***** zum Zeitpunkt der Wohnungnahme in der aufgekündigten Wohnung die Absicht hatte, mit dem zurückkehrenden Wohnungsmieter eine Hausgemeinschaft zu führen, in der er betreut werden sollte, lag auch, allerdings nur zum Zeitpunkt der Wohnungsnahme, diese weitere Voraussetzung vor.

Nach ständiger Rechtsprechung kommt es jedoch darauf an, ob alle für die Eintrittsberechtigung erforderlichen Voraussetzungen, die derjenige zu beweisen hat, der sich auf das Eintrittsrecht beruft (Würth in Rummel2 II, Rz 4 zu § 14 MRG mwN), auch im Zeitpunkt des Todes des Mieters vorlagen. Für die Absicht des gemeinsamen Wohnens und der gemeinsamen Wirtschaftsführung gilt insofern nichts anderes als für die Frage des Wohnbedürfnisses (vgl. hiezu ImmZ 1986, 330 = MietSlg. 38.316/19) des Angehörigen. Der Tod des Mieters ist auch der maßgebende Zeitpunkt für die Beurteilung des Vorliegens eines gemeinsamen Haushaltes (Würth aaO; 4 Ob 580/87= MietSlg. 39.300). Die Absicht muß, wie alle sie genügen lassende Entscheidungen ausführen, endgültig sein. Diese Voraussetzung ist daher nicht erfüllt, wenn die Absicht der gemeinsamen Haushaltsführung zwar im Zeitpunkt des Einziehens des Angehörigen in die Wohnung vorlag, in der Folge aber nicht mehr ernsthaft aufrecht erhalten wurde.

Die gesamte Aktenlage läßt nicht den Schluß zu, daß Roman S***** bis zum Tode seines Großvaters Willibald M***** die fortdauernde ernstliche Absicht hatte, eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft aufzunehmen.

Nicht nur, daß die Wäsche des Großvaters Willibald M***** während seines Aufenthaltes im Heim nicht vom Ehepaar S*****, sondern von seiner Tochter besorgt wurde und das Ehepaar S***** - wenn dies auch im Einvernehmen mit Willibald M***** geschehen sein mag - einen Teil der in der Wohnung des Großvaters befindlichen Sachen entfernte, sondern auch und vor allem der Umstand, daß Roman S***** es unterließ, seinen Großvater aus dem Heim nach Hause zu holen, obwohl dies sein Gesundheitszustand erlaubte, seine Rückkehr in die eigene Wohnung sogar aus medizinischer Sicht angezeigt und vom Neurologen deshalb auch empfohlen worden war. Obwohl Willibald M***** in der Lage gewesen wäre, sich selbst zu versorgen, zu waschen und zu pflegen und einen Haushalt zu führen, scheiterte seine bereits im Juni 1989 mögliche und ärztlich empfohlene Heimkehr an der mangelnden Bereitschaft des Ehepaares S*****, das andere eigennützige Pläne verfolgte und Urlaub nahm.

Dieses Verhalten des Ehepaares S***** kann weder mit dem bereits vorgesehenen Urlaub im Gesamtausmaß von drei Wochen noch mit dem Umstand gerechtfertigt werden, daß Willibald M***** weiterhin einer logopädischen Therapie unterzogen werden sollte, denn diese hätte durchaus auch ambulant durchgeführt werden können. Da die damalige Ehefrau Roman S***** ohnehin keiner Berufstätigkeit nachging, hätte sie, soll ihre Bereitschaft, ihn zu pflegen, ernst genommen werden, Willibald M*****, soweit dies überhaupt erforderlich gewesen wäre, zu den Therapien begleiten können. Die Urlaubsdauer von drei Wochen erklärt nicht, warum Willibald M***** von Juni an noch bis Ende August, also über zwei Monate, im Heim hätte bleiben sollen. Im übrigen hätte sich das Urlaubsproblem nicht nur im Sommer 1989 gestellt. Dem Ehepaar S***** hätte vielmehr klar sein müssen, daß in Hinkunft generell in Zeiten ihrer Abwesenheit von der Wohnung eine entsprechende Vorsorge zu treffen gewesen wäre. Nach den Feststellungen wurde ja eine ständige Aufsichtsperson empfohlen, um die Medikamenteneinnahme durch Willibald M***** zu überwachen und bei einem neuerlichen Schlaganfall einschreiten zu können.

So wie vom Mieter zu verlangen ist, daß er die Rückkehrmöglichkeit nach auswärtigem Aufenthalt ehestmöglich wahrzunehmen hat, damit der gemeinsame Haushalt nicht als beendet angesehen wird (Würth im Rummel2 aaO, Rz 9 zu § 14 MRG; SZ 58/126), muß auch vom Angehörigen verlangt werden, daß er dem wegen Krankheit hospitalisierten Mieter, wenn dieser auf die Pflege durch die in seiner Wohnung lebenden Angehörigen angewiesen ist, die umgehende Rückkehr ermöglicht, sobald es dessen Gesundheitszustand erlaubt und jedenfalls dann, wenn dies sogar therapeutisch empfohlen ist. Das gegenteilige Verhalten Roman S***** läßt sich nur mit dem Mangel an der Ernsthaftigkeit und Beständigkeit seiner vorgegebenen Absicht, einen gemeinsamen Haushalt mit dem Großvater aufzunehmen, erklären.

Die Auslegung des Begriffes des gemeinsamen Haushaltes im Sinne des § 14 Abs 2 MRG derart, daß die Absicht zur gemeinsamen Haushaltsführung allein im Zeitpunkt des Einziehens des Angehörigen in die Wohnung des Mieters genügen solle, widerspricht der aufgezeigten Rechtsprechung und würde den von der außerordentlichen Revision mit gutem Grund befürchteten Rechtsmißbrauch nur fördern.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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