OGH 1Ob167/24a

OGH1Ob167/24a19.11.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel, Dr. Parzmayr und Dr. Pfurtscheller als weitere Richterinnen und Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S* K*, vertreten durch Mag. Clemens Krabatsch, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagte Partei Gemeinde *, vertreten durch Dr. Aldo Frischenschlager und Mag. Maria Navarro‑Frischenschlager, Rechtsanwälte in Linz, und des Nebenintervenienten auf Seite der beklagten Partei J* H*, vertreten durch die Dr. Mauhart Rechtsanwalts GmbH in Linz, wegen 73.373,38 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 22. Juli 2024, GZ 4 R 37/24z‑30, mit dem das Teil‑Zwischenurteil des Landesgerichts Wels vom 5. Februar 2024, GZ 3 Cg 84/23x‑20, abgeändert wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00167.24A.1119.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Amtshaftung inkl. StEG, Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

I. Das Teilurteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung als Teil‑Zwischenurteil lautet:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 8.460,37 EUR samt 4 % Zinsen seit 7. 4. 2023 zu zahlen, besteht dem Grunde nach zu Recht.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.“

II. Im Übrigen (hinsichtlich des Zahlungsbegehrens von 64.913,01 EUR sA) werden die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

BegründungundEntscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin war bei der beklagten Gemeinde zunächst als Vertragsbedienstete und in weiterer Folge als Beamtin beschäftigt. Ihre Dienstbeurteilung vom Oktober 2014 lautete auf „sehr zufriedenstellend“. Der Gemeinderat der Beklagten bestellte die Klägerin daraufhin beginnend mit 1. 1. 2015 zur Amtsleiterstellvertreterin und ab 1. 5. 2015 zur Amtsleiterin.

[2] Der Nebenintervenient war bis 2015 Gemeinderat und ab seiner Angelobung im November 2015 bis zu seinem Rücktritt im Oktober 2021 Bürgermeister der Beklagten.

[3] Neben weiteren (für das Revisionsverfahren nicht relevanten) Straftaten gegenüber der Klägerin beging der Nebenintervenient auch drei Vergewaltigungen. Er wurde dafür wegen zweier Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB in der Fassung BGBl I 2013/116 und eines solchen Verbrechens nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB in der Fassung BGBl I 2013/116 rechtskräftig verurteilt. Unter Missachtung ihrer Abwehrversuche und trotz ihrer Gegenwehr und unmissverständlichen Ablehnung – insbesondere in Form von mehrfachem Wegstoßen und vergeblichen Versuchen, seine Hände wegzuschlagen und auszuweichen – nötigte er sie in drei Fällen durch Gewalt zur Duldung des Beischlafs, wobei die Taten eine schwere Körperverletzung, nämlich eine rezidivierende Depression verbunden mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit der Klägerin zur Folge hatten.

[4] Die erste Vergewaltigung ereignete sich am 14. 12. 2015 nach der ersten Gemeinderatssitzung, die der Nebenintervenient als Bürgermeister geleitet hatte. Die Klägerin ging nach Ende der Gemeinderatssitzung, als die Gemeindebediensteten und Gemeinderäte bereits das Gebäude des Gemeindeamts verlassen hatten, vom 1. Stock in das Erdgeschoß, wo sie der Nebenintervenient abpasste und danach vergewaltigte.

[5] Der nächste Vorfall ereignete sich am 4. 5. 2016, als der Nebenintervenient und die Klägerin alleine im Gemeindeamt waren, weil am Mittwoch Nachmittag die Mitarbeiter des Gemeindeamts dienstfrei hatten. Die Klägerin war gerade im Begriff, Aktenordner abzulegen, als sie der Nebenintervenient durch Gewalt zur Duldung des Beischlafs nötigte.

[6] Zum letzten Übergriff kam es am 29. 7. 2016. Der Nebenintervenient und die Klägerin waren an diesem Freitag zum Zeitpunkt des Übergriffs wieder allein im Gemeindeamt anwesend. Die Klägerin stand gerade in der Tür, als der Nebenintervenient kam und sie in das Büro hinein und gegen einen Schreibtisch drängte und in weiterer Folge mit Gewalt den Geschlechtsverkehr vollzog.

[7] Ab 6. 11. 2018 befand sich die Klägerin wegen einer depressiven Störung, bedingt durch die sexuellen Übergriffe durch den Nebenintervenienten, im Krankenstand.

[8] Die Klägerin warf dem Nebenintervenienten erstmals in der Gemeinderatssitzung vom 16. 4. 2019 für den Gemeinderat wahrnehmbar vor, sie jahrelang sexuell belästigt zu haben.

[9] Am 7. 5. 2019 erstattete die Beklagte eine Disziplinaranzeige gegen die Klägerin.

[10] Am 1. 10. 2019 fasste der Gemeinderat der Beklagten den Beschluss, die Klägerin – mit Ablauf ihrer fünfjährigen Bestelldauer – nicht mehr mit der Funktion der Amtsleiterin zu betrauen. Mit Bescheid vom April 2020 wies ihr der Nebenintervenient als damaliger Bürgermeister der Beklagten ab 1. 5. 2020 die Verwendung als Sachbearbeiterin in der allgemeinen Verwaltung zu (Funktionslaufbahn GD 18, Gehaltsstufe 11). Mit Schreiben vom 6. 10. 2021 wurde die Klägerin mit Wirkung vom selben Tag von ihrer Funktion als Standesbeamtin abberufen.

[11] Mit – in Rechtskraft erwachsenem – Bescheid des (neuen) Bürgermeisters der Beklagten wurde die Klägerin schließlich von Amts wegen mit Wirkung vom 1. 5. 2022 wegen krankheitsbedingter dauernder Dienstunfähigkeit gemäß § 41 Oö Gemeinde‑Dienstrechts‑ und Gehaltsgesetz 2002 (kurz: Oö GDG 2002) in den vorzeitigen Ruhestand versetzt.

[12] Die Klägerin begehrt mit der am 6. 4. 2023 eingebrachten Klage aus dem Titel der Amtshaftung Schadenersatz von 73.373,38 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden. Sie brachte – soweit für das Revisionsverfahren relevant – vor, der Nebenintervenient habe sie mehrfach vergewaltigt, wofür er rechtskräftig verurteilt worden sei. Sie sei seit 1. 5. 2015 befristet für fünf Jahre als Amtsleiterin für die Beklagte tätig gewesen. Das Verhalten des Nebenintervenienten habe zu ihrer psychischen Erkrankung geführt. Es sei ursächlich für ihren Krankenstand und letztlich auch für ihre vorzeitige Versetzung in den Ruhestand gewesen, wofür sie die Differenz des fiktiven Einkommens als Amtsleiterin und ihren Ruhestandsbezügen begehre. Die Beklagte habe für die Handlungen des Bürgermeisters, der mit der Wahrnehmung der Fürsorgepflichten betraut sowie für die Gemeindebediensteten verantwortlich und ihnen gegenüber weisungsbefugt sei, einzustehen.

[13] Die Beklagte wendete – soweit für das Revisionsverfahren noch relevant – ein, sie hafte nicht für die Handlungen des Nebenintervenienten, weil dessen Handlungen in keinem (ausreichenden) Sachzusammenhang mit den Dienstpflichten gestanden hätten. Dieser habe die Taten nicht in Erfüllung seiner Pflichten begangen, sondern nur anlässlich ihrer Ausübung. Allfällige Ansprüche der Klägerin seien bereits verjährt.

[14] Der Klägerin sei selbst die Verletzung von Dienstpflichten vorzuwerfen, weil sie Vorgesetzten und Mitarbeiter nicht mit Achtung begegnet und sich diesen gegenüber unangemessen verhalten habe. Sie wäre ohnehin nicht als Amtsleiterin weiterbestellt worden.

[15] Der Nebenintervenient schloss sich im Wesentlichen dem Vorbringen der Beklagten an und bestritt deren Haftung.

[16] Das Erstgericht erkannte mit Teil‑Zwischenurteil das Leistungsbegehren dem Grunde nach als zu Recht bestehend. Die Entscheidung über dessen Höhe und über das Feststellungsbegehren behielt es dem Endurteil vor. Ausgehend von den in § 83 Oö GDG 2002 normierten Dienstpflichten eines Vorgesetzten hätte der Nebenintervenient als Vorgesetzter der Klägerin sicherstellen müssen, dass sie vor sexuellen Belästigungen im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit als Amtsleiterin im Gemeindeamt geschützt werde. Eine Unterscheidung dahin, ob die Klägerin „nur“ vor sexuellen Belästigungen, nicht aber vom schwerwiegenderen Verbrechen der Vergewaltigung durch den unmittelbaren Vorgesetzten zu schützen gewesen wäre, verbiete sich. Die Handlungen des Nebenintervenienten als Bürgermeister und somit Organ der Beklagten seien dieser unmittelbar zuzurechnen. Die Vergewaltigungen habe der Nebenintervenient nach einer Gemeinderatssitzung, an einem Mittwoch Nachmittag, als die Klägerin Aktenordner ablegen wollte, und an einem Freitag jeweils im Gemeindeamt begangen. Diese stünden im engen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Bürgermeister und jener der Klägerin als Amtsleiterin. Diese – für den Schaden ursächlichen – Handlungen seien der Beklagten aufgrund der Verletzung ihrer Fürsorgepflicht gegenüber der Klägerin auch zurechenbar, sodass sie für deren Folgen hafte. Das Leistungsbegehren bestehe daher dem Grunde nach zu Recht.

[17] Das Berufungsgericht gab den Berufungen der Beklagten und des Nebenintervenienten Folge und wies das Leistungsbegehren mit Teilurteil ab. Rechtlich führte es aus, der Nebenintervenient sei als Vorgesetzter der Klägerin mit der Wahrung der Fürsorgepflicht auch ihr gegenüber betraut gewesen. Zwar sei nicht zu bezweifeln, dass seine Handlungen letztlich zur Verdrängung der Klägerin aus dem Arbeitsverhältnis geführt hätten, jedoch stünden die Vergewaltigungen nicht in einem hinreichenden Zusammenhang mit der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben, insbesondere mit der Ausübung der Fürsorgepflicht des Dienstgebers. Mangels ausreichender Anknüpfungspunkte zum Dienstverhältnis ließen sich die Vorfälle nicht unter den „Bossing“‑Begriff subsumieren bzw als Verletzung der Fürsorgepflicht werten. Dass die Taten des Nebenintervenienten in zeitlicher und örtlicher Nähe zu seinen und den Amtstätigkeiten der Klägerin stattgefunden hätten, ändere nichts daran, dass insoweit nur ein äußerer Zusammenhang bestehe. Der Nebenintervenient habe nur anlässlich der Ausübung seiner Pflichten als Vorgesetzter gehandelt, nicht aber in deren Ausübung. Es liege kein der Beklagten zurechenbares Organhandeln vor. Die Taten des Nebenintervenienten seien nicht „in Ausübung hoheitlicher Gewalt“ erfolgt und dem Rechtsträger nicht als „Bossing“‑Handlungen zuzurechnen. Maßgeblich sei, „ob die eigentliche Zielsetzung, in deren Sinn eine Person tätig wurde, dem hoheitlichen Bereich zuzurechnen ist und zwischen der Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein so enger Zusammenhang besteht, dass die Handlung ebenfalls noch dem hoheitlichen Handeln angehört“. Davon sei bei den gegenständlichen Taten nicht auszugehen. Anhaltspunkte dafür, dass der Nebenintervenient anders als aus ausschließlich „privaten“ Motiven heraus gehandelt habe, fehlten. Die Beklagte hafte daher nicht für die Vergewaltigungen, für die der Nebenintervenient verurteilt worden sei.

[18] Zu weiteren von der Klägerin behaupteten Handlungen, die vor dem Beginn ihres Krankenstandes stattgefunden haben sollen (unsachliche Kritik an ihrer Tätigkeit, „Instrumentalisierung“ der Mitarbeiter durch den Bürgermeister), sei ihr Vorbringen (abgesehen von einer Disziplinaranzeige, die jedoch erst nach dem Antritt ihres Krankenstandes erfolgt sei) im erstinstanzlichen Verfahren pauschal und vage geblieben. Dazu könnten daher keine näheren Feststellungen getroffen werden.

[19] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil sich der Oberste Gerichtshof noch nicht mit der Frage beschäftigt habe, ob die Vergewaltigungen einen ausreichenden („inneren“) Zusammenhang mit hoheitlichen Tätigkeiten aufweisen oder – auch unter dem Blickwinkel der Fürsorgepflicht eines Dienstgebers – nur als anlässlich des Dienstes begangen anzusehen seien.

[20] Dagegen richtet sich die – von der Beklagten und dem Nebenintervenienten beantwortete – Revision der Klägerin mit dem Begehren, das Ersturteil wiederherzustellen; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

[21] Die Revision der Klägerin ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Allgemeines zur Fürsorgepflicht des öffentlich‑rechtlichen Dienstgebers:

[22] 1.1. Die nach § 1157 ABGB und den in zahlreichen sondergesetzlichen Vorschriften zu Gunsten des Dienstnehmers bestehende Fürsorgepflicht trifft auch den öffentlich‑rechtlichen Dienstgeber nicht nur bei einer vertraglichen Gestaltung des Dienstverhältnisses, sondern auch dann, wenn das Dienstverhältnis durch Ernennungsakt begründet wurde (RS0021507). Die Wahrnehmung dieser Fürsorgepflicht in einem öffentlich‑rechtlichen Dienstverhältnis ist ihrem Wesen nach hoheitlicher Natur, sodass der Beamte, soweit ihm die Durchsetzung seiner Ansprüche nicht nach dienstrechtlichen Vorschriften möglich ist, Amtshaftungansprüche erheben kann, wenn die Fürsorgepflicht des Dienstgebers ihm gegenüber verletzt wurde und die übrigen Voraussetzungen des § 1 Abs 1 AHG vorliegen (RS0021507 [T5, T8]; RS0053007 [T2]; 1 Ob 94/18g [Punkt 1.]; Schragel, AHG3 § 1 Rz 92).

[23] 1.2. Wie der private Arbeitgeber hat auch der öffentlich‑rechtliche Dienstgeber verschiedene immaterielle und materielle Interessen des Arbeitnehmers zu wahren, insbesondere dessen Leben und Gesundheit (RS0021267 [T1, T9]; 1 Ob 94/18g [Punkt 2.]). Der Arbeitgeber hat dafür zu sorgen, dass die geschlechtliche Selbstbestimmung, sexuelle Integrität und Intimsphäre der Arbeitnehmer nicht gefährdet wird (RS0113529 [T1]).

[24] 1.3. Der Rechtsträger hat für „Bossing“-Handlungen – Handlungen eines Vorgesetzten gegenüber Untergebenen – der von ihm mit der Wahrnehmung der Fürsorgepflicht betrauten Vorgesetzten einzustehen (1 Ob 106/15t; 1 Ob 56/18v [Punkt 2.]; 1 Ob 202/20t [Rz 5]). Gestützt wird diese Haftung dabei auf entsprechende Bestimmungen als Schutzgesetz zu Gunsten der von („Mobbing“ bzw) „Bossing“ betroffenen Person. Zu ersetzen ist bei Vorliegen der sonstigen Haftungsvoraussetzungen auch der bloße Vermögensschaden (1 Ob 106/15t [Punkt 4.]; 1 Ob 202/20t [Rz 5]). Werden Verletzungshandlungen durch Vorgesetzte des Geschädigten begangen, begründet dies unmittelbar eine Verletzung der in den einschlägigen Schutzgesetzen normierten Fürsorgepflicht des Dienstgebers, ohne dass es auf eine zusätzliche Fürsorgepflichtverletzung durch eine (weitere) übergeordnete Stelle ankäme (1 Ob 56/18v [Punkt 2.]; 1 Ob 202/20t [Rz 5]).

2. Rechtsstellung des Bürgermeisters der beklagten Gemeinde gegenüber der klagenden Amtsleiterin:

[25] 2.1. Die Klägerin war seit 1. 5. 2015 auf die Dauer von fünf Jahren vom Gemeinderat der Beklagten zur Leiterin des Gemeindeamts bestellt worden. Der Nebenintervenient wurde im November 2015 zum Bürgermeister angelobt. Die Vergewaltigungen fanden während seiner Amtszeit als Bürgermeister im Gemeindeamt statt.

[26] 2.2. Die Geschäfte der (oberösterreichischen) Gemeinde werden durch das Gemeindeamt besorgt. Der Gemeinderat hat eine Leiterin (Amtsleiterin) – hier die Klägerin – zu bestellen (§ 37 Abs 1 Oö Gemeindeordnung 1990, LGBl 1990/91 in der geltenden Fassung; kurz Oö GemO 1990). Der Bürgermeister ist Vorstand des Gemeindeamts. In dieser Funktion ist ihm auch die Leiterin des Gemeindeamts unterstellt. Der Leiterin des Gemeindeamts obliegt nach den Weisungen des Bürgermeisters die Leitung des inneren Dienstes sowie die Dienstaufsicht über alle Dienststellen der Gemeinde (§ 37 Abs 2 Oö GemO 1990).

[27] Als Dienstrecht der Gemeindebeamten ist das Oö Gemeinde‑Dienstrechts‑ und Gehaltsgesetz 2002 (LGBl 2002/52 in der geltenden Fassung; kurz: Oö GDG 2002) maßgeblich. Nach § 82 Abs 1 Oö GDG 2002 unterstehen Bedienstete dem ihnen übergeordneten Dienstvorgesetzten. Der Bürgermeister ist Dienstvorgesetzter aller Bediensteten.

[28] 2.3. § 83 Abs 1 Oö GDG 2002 lautet:

Dienstpflichten des (der) Vorgesetzten

(1) Der (Die) Vorgesetzte hat darauf zu achten, dass seine (ihre) Mitarbeiter(innen) ihre dienstlichen Aufgaben gesetzmäßig und in zweckmäßiger, wirtschaftlicher und sparsamer Weise erfüllen. Er (Sie) hat seine (ihre) Mitarbeiter(innen) dabei anzuleiten, ihnen erforderlichenfalls Weisungen zu erteilen, aufgetretene Fehler und Missstände abzustellen und für die Einhaltung der Dienstzeit zu sorgen. Er (Sie) hat das dienstliche Fortkommen seiner (ihrer) Mitarbeiter(innen) nach Maßgabe ihrer Leistungen zu fördern und ihre Verwendung so zu lenken, dass sie ihren Fähigkeiten weitgehend entspricht. Der (Die) Vorgesetzte darf keine gegen strafgesetzliche Bestimmungen verstoßenden Weisungen erteilen. [...]“

[29] Diese Bestimmung regelt die den Vorgesetzten obliegenden besonderen Dienstpflichten. So haben diese die Bediensteten zu fördern, anzuleiten oder entsprechend einzusetzen, Fehler und Missstände abzustellen, auf die Einhaltung der Dienstzeit zu achten sowie für ein geordnetes Zusammenwirken der ihnen unterstehenden Organisationseinheiten zu sorgen (Ausfluss der Fürsorgepflicht; Wildberger, Praxishandbuch zum Oö Gemeinde‑Dienstrechts- und Gehaltsgesetz 2002, 221).

[30] Zu der mit § 83 Abs 1 Satz 3 Oö GDG 2002 inhaltsgleichen Bestimmung des § 45 Abs 1 letzter Satz BDG hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass die dort vorgesehene Verpflichtung des Vorgesetzten, das dienstliche Fortkommen seiner Mitarbeiter (nach Maßgabe ihrer Leistungen) zu fördern, auch den Schutz individueller Interessen des einzelnen Beamten bezweckt (1 Ob 148/23f [Rz 32] = RS0134509).

[31] 2.4. Aus der dargelegten Bestimmung ergibt sich, dass der Nebenintervenient als Bürgermeister Vorstand des Gemeindeamts war und ihm die Leiterin des Gemeindeamts (die Klägerin) unterstellt war. Der Klägerin oblag nach seinen Weisungen die Leitung des inneren Dienstes sowie die Dienstaufsicht über alle Dienststellen der Gemeinde (§ 37 Abs 2 Oö GemO 1990). Der Nebenintervenient war damit der Vorgesetzte der Klägerin und hatte neben allgemeinen Fürsorgepflichten nach § 83 Abs 1 Satz 3 Oö GDG 2002 auch die Pflicht zur Förderung des dienstlichen Fortkommens der Klägerin.

3. Zurechnung des Verhaltens des Bürgermeisters zur Gemeinde:

[32] 3.1. Ist eine Aufgabe ihrem Wesen nach hoheitlicher Natur, sind auch alle mit ihrer Erfüllung verbundenen Verhaltensweisen als in Vollziehung der Gesetze erfolgt anzusehen, wenn sie nur einen hinreichend engen inneren und äußeren Zusammenhang mit der hoheitlichen Aufgabe aufweisen (RS0049948; vgl auch RS0049987; RS0050075). Besteht ein solcher Zusammenhang mit der hoheitlichen Materie, schadet selbst strafgesetzwidriges oder sonst deliktisches Handeln nicht (RS0103735 [T1]). Ein Organ kann auch dann in Vollziehung der Gesetze tätig sein, wenn es das Gegenteil dessen tut, was seine Dienstpflicht wäre (1 Ob 39/87; 1 Ob 134/20t, jeweils mwN). Selbst der Missbrauch eines Amts zu eigennützigen, schikanösen oder strafbaren Handlungen, eine Pflichtwidrigkeit aus eifersüchtigen oder rein persönlichen Beweggründen beseitigt noch nicht den für ein Handeln in Vollziehung der Gesetze maßgeblichen inneren Zusammenhang (RS0050113 [T3]; RS0103735). Die Handlung bleibt in einem solchen Fall selbst dann hoheitlich, wenn einzelne Teile dieser Aufgaben so erfüllt werden, wie sie für sich genommen nach ihrem äußeren Erscheinungsbild von jedermann vorgenommen werden könnten (RS0049948 [T3]).

[33] 3.2. Die Antwort auf die mitunter schwierige Abgrenzungsfrage, ob ein Organ „bei Erfüllung“ seiner Pflichten oder bloß „gelegentlich“ der Erfüllung handelte, hängt regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl 1 Ob 127/07v). In der Rechtsprechung und Lehre werden zur Zurechnung im gegebenen Zusammenhang folgende Rechtsansichten vertreten:

[34] (a) Nach Reischauer (in Rummel 3 § 1328 ABGB Rz 25) kommt eine Deliktshaftung von Organen und Machthabern der juristischen Personen nur in Frage, wenn das Delikt in einem inneren Zusammenhang mit der zu verrichtenden Tätigkeit stehe, was bei sexueller Belästigung zu verneinen sei. Allerdings bejaht er die Zurechnung unter dem Aspekt der Verletzung der vertraglichen Fürsorgepflicht: Die juristische Person habe für sexuelle Belästigungen durch Organmitglieder oder durch Gehilfen dann einzustehen, wenn es zu deren Aufgabenbereich zähle, vor Übergriffen zu schützen (in der Regel daher auch Abteilungs‑ oder Werkstättenleiter).

[35] (b) Nach dem Sachverhalt der Entscheidung zu 1 Ob 29/14t besuchte der dortige Kläger das von einem Stift betriebene Gymnasium und war im angeschlossenen Internat untergebracht, wo er nach seinen Behauptungen von zwei im Internat tätigen Erziehern sexuell missbraucht wurde. Der Oberste Gerichtshof hielt fest (Punkt 5.3.), sollte sich der Kläger im Zeitpunkt der behaupteten Vorfälle innerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereichs der von ihm besuchten und allenfalls durch einen einheitlichen Erziehungsplan gekennzeichneten höheren Privatschule befunden haben und nach diesem Erziehungsplan unter der aufsichtsweisen Überwachung durch die Schulleitung mit der von den Erziehern ausgehenden Autorität und dementsprechenden Abhängigkeit gestanden sein, so wären die behaupteten Verletzungen durch die Erzieher auch eine Folge der zwar nicht typischen, aber im hinreichenden engen inneren und äußeren Zusammenhang mit hoheitlichen Aufgaben stehenden Gefahrenlage, der er durch die Unterbringung im Schulinternat ausgesetzt war. In diesem Fall stünde der Geltendmachung des Anspruchs des Klägers gegen die als Organe des Bundes zu qualifizierenden Erzieher § 9 Abs 5 AHG entgegen. Der erkennende Senat rechnete in diesem Fall (sollte er sich feststellen lassen) die behaupteten Übergriffe durch die Erzieher der Höheren Internatsschule im Rahmen der Hoheitsverwaltung dem Bund zu, der für seine Organe zu haften hätte.

[36] (c) Nach dem Klagevorbringen zu 7 Ob 25/21h behauptete der Kläger, ein Pfarrer habe ihn unter Missbrauch der kirchlichen Amtsstellung sexuell missbraucht. Der Oberste Gerichtshof sprach dazu aus, solche Handlungen könnten nicht als vorhersehbare Gefahr gesehen werden, mit der beim Einsatz eines Gehilfen im Allgemeinen gerechnet werden müsse. Die Wahrung der sexuellen Integrität Dritter sei eine allgemeine Rechtspflicht, deren Verletzung einer eigenständigen unerlaubten Neigung und Handlung des Täters entspringe und für die ein Geschäftsherr daher nicht nach § 1313a ABGB hafte (Rz 105). Für eine mögliche Haftung für einen als Repräsentanten der Erzdiözese verstandenen Pfarrer gelte Ähnliches: Eine deliktische Haftung einer juristischen Person für Personen mit gehobenem Wirkungskreis und eigenverantwortlicher Entscheidungsbefugnis, die als Repräsentanten auftreten oder eine leitende Stellung mit selbständigem Wirkungsbereich inne hätten, bestehe dann nicht, wenn als deren allein relevantes Verschulden ausschließlich Fehler in Betracht kämen, die – wie die sexuellen Misshandlungen eines Pfarrers – mit ihrer Repräsentantenfunktion in keinem inneren Zusammenhang stünden (Rz 106). Eine besondere Erziehungs‑oder Aufsichtsverantwortung des Täters (Pfarrer) gegenüber dem klagenden Opfer wurde nicht geltend gemacht.

[37] (d) Nach dem Sachverhalt zu 1 Ob 123/20z wurde der Sohn des Klägers, der seinen Präsenzdienst für das Österreichische Bundesheer leistete, während seines Wachdienstes von einem Kollegen, der ebenfalls Wachdienst hatte, durch einen Kopfschuss aus der Dienstwaffe vorsätzlich getötet. Der erkennende Senat führte aus, dass die Tat mit dem Auftrag zur Bewachung der Kaserne und der darin befindlichen Unterkünfte in keinem Zusammenhang gestanden sei. Es habe nicht die geringste dienstliche Veranlassung für ein Einschreiten des Täters in Erfüllung des erhaltenen Wachauftrags bestanden, der Waffengebrauch sei auf rein persönliche („private“) Gründe zurückzuführen. Eine Amtspflicht zum sorgfältigen Umgang mit der Waffe habe der Täter nicht verletzt, wenn er sie aus rein privaten Motiven und losgelöst von ihrer Dienstpflicht missbraucht habe, um eine Vorsatztat zu begehen. Der Mord beruhe auf einem selbständigen Willensentschluss, der ausschließlich außerhalb eines jeden Sachzusammenhangs mit dem Wachauftrag entstanden sei, den der Täter als Organ zu erfüllen gehabt hatte, und sei daher auch nicht in Vollziehung der Gesetze begangen worden (Punkte 4.2 und 4.3). Der Täter habe in Ausnützung seiner hoheitlichen Funktion als Soldat, aber ohne jeden Bezug zu den ihm übertragenen (hoheitlichen) Aufgaben gehandelt, sodass eine Haftung des Bundes zu verneinen sei (Punkt 6.).

[38] 3.3. Für den vorliegenden Fall ergibt sich Folgendes:

[39] Die Handlungen des Nebenintervenienten als Bürgermeister und gemäß § 37 Abs 2 Oö GemO als Vorstand des Gemeindeamts sind der beklagten Gemeinde unmittelbar zuzurechnen. Aufgrund seiner leitenden Organstellung ist er als Vorgesetzter auch oberster Verantwortlicher für die Einhaltung der Fürsorgepflicht gegenüber Dienstnehmern. Diese Pflicht hatte er auch gegenüber der klagenden Amtsleiterin zu erfüllen. Der Bürgermeister hat durch die im Gemeindeamt und daher im zeitlichen und örtlichen (räumlichen) Zusammenhang mit der Tätigkeit der Klägerin als Amtsleiterin durchgeführten Vergewaltigungen nicht nur eine sexuelle Belästigung begangen, sondern darüber hinaus massiv in ihre körperliche Integrität eingegriffen und dadurch jedenfalls auch gegen die ihm obliegende Fürsorgepflicht als Vorgesetzter verstoßen. Der beklagten Gemeinde sind die vom Bürgermeister gegenüber der Amtsleiterin begangenen Vergewaltigungen jedenfalls zuzurechnen, ohne dass es zu ihrer Haftung einer unterlassenen Abhilfe durch andere Organe bedurft hätte. Dass sich die Klägerin nicht einem anderen Organ der Beklagten anvertraut hat (so der Einwand der Beklagten), hat auf die Zurechnung des Verhaltens des Bürgermeisters und damit ihre Haftung keinen Einfluss. Überdies erstattete die Beklagte, nachdem die Klägerin erstmals in der Gemeinderatssitzung vom 16. 4. 2019 dem Bürgermeister vorgeworfen hatte, sie jahrelang sexuell belästigt zu haben, als Reaktion darauf eine Disziplinaranzeige gegen die Klägerin. Wenn die Beklagte in der Revisionsbeantwortung mit ihrer Hilfeleistung für die Klägerin argumentiert, sofern sie sich nur an andere Organe gewendet hätte, verträgt sich diese Einschätzung nicht mit der Erstattung der Disziplinaranzeige.

[40] Mit den Vergewaltigungen, die der Bürgermeister der Beklagten in den Amtsräumen verübt hat, tat er genau das Gegenteil dessen, was als Teil der Fürsorgepflicht seine Dienstpflicht gegenüber der Klägerin gewesen wäre. Dass diese Tathandlungen auf sexuellen und damit notwendigerweise persönlichen/„privaten“ Motiven beruhten, ändert vor dem Hintergrund seiner Verpflichtung als leitendes Organ der beklagten Gemeinde nichts am gegebenen massiven Verstoß gegen die Fürsorgepflicht, für die sie als Dienstgeberin einzustehen hat.

[41] Die Vergewaltigungen standen im ausreichenden inneren und äußeren Zusammenhang mit dem hoheitlichen Aufgabenbereich, nämlich der dem Bürgermeister und Leiter des Gemeindeamts übertragenen Fürsorgepflicht der Beklagten als öffentlich-rechtlicher Dienstgeberin gegenüber der klagenden Amtsleiterin.

4. Zur Verjährung:

[42] 4.1. Amtshaftungsansprüche verjähren gemäß § 6 Abs 1 AHG in drei Jahren nach Ablauf des Tages, an dem der Schaden dem Geschädigten bekannt geworden ist, keinesfalls aber vor einem Jahr nach Rechtskraft einer rechtsverletzenden Entscheidung oder Verfügung. Ist dem Geschädigten der Schaden nicht bekannt geworden oder ist der Schaden aus einer gerichtlich strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, entstanden, so verjährt der Ersatzanspruch erst nach zehn Jahren nach der Entstehung des Schadens.

[43] 4.2. Die Vergewaltigungen nach § 201 StGB wurden vorsätzlich begangen und sind auch mit einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe bedroht, sodass nach § 6 Abs 1 Satz 2 zweiter Fall AHG die zehnjährige Verjährungsfrist zur Anwendung gelangt. Die Klage wurde innerhalb dieser Frist am 6. 4. 2023 eingebracht, sodass die eingewendete Verjährung nicht vorliegt.

5. Kausalität und allfälliges Mitverschulden:

[44] 5.1. Nach den Feststellungen waren die Vergewaltigungen zumindest mitursächlich für die Gesundheitsbeeinträchtigung der Klägerin, die zu ihrem Krankenstand ab 6. 11. 2018 führte. Für den Zeitraum Dezember 2018 bis einschließlich April 2020 begehrt sie die monatliche Differenz des Gehalts im Aktivstand als Amtsleiterin zu dem während ihres Krankenstandes bezogenen. Dieser Teil des Klagebegehrens von 8.460,37 EUR sA besteht dem Grunde nach zu Recht, was mit Teil‑Zwischenurteil auszusprechen ist. Über die Berechtigung dessen Höhe wird das Erstgericht im fortzusetzenden Verfahren zu entscheiden haben.

[45] 5.2. Ab 1. 5. 2020 macht die Klägerin die monatliche Differenz des Verdienstes als (unterstellt) wiederbestellte Amtsleiterin zum tatsächlich von ihr bezogenen Verdienst geltend. Bislang steht nicht fest, ob die Klägerin aufgrund des durch die Vergewaltigungen verursachten Gesundheitszustands nicht mehr mit der Leitung des Gemeindeamts ab 1. 5. 2020 bestellt wurde oder – was die Beklagte behauptet – infolge ihres unangemessenen Verhaltens (unabhängig vom Krankenstand) nicht mehr als Amtsleiterin weiterbestellt wurde. Damit steht nicht fest, ob die Nichtverlängerung der Klägerin als Amtsleiterin durch die Vergewaltigungen verursacht wurde, sodass noch nicht beurteilt werden kann, ob die Klägerin ab 1. 5. 2020 den von ihr eingeklagten Verdienstentgang erlitten hat.

[46] Ein Ereignis ist ursächlich für einen Erfolg, wenn es nicht weggedacht werden kann, ohne dass dann auch der Erfolg entfiele (conditio sine qua non; 2 Ob 24/12m [Punkt 1.] und 2 Ob 115/18b [Punkt 1.] jeweils mwN; RS0128162). Ob das zutrifft, ist eine Tatfrage (RS0022582), wobei die Beweislast den Geschädigten trifft (RS0022686). Das Erstgericht wird daher festzustellen haben, ob die Klägerin als Amtsleiterin weiterbestellt worden wäre, wenn es die Vergewaltigungen und den dadurch verursachten Krankenstand nicht gegeben hätte. In diesem Fall wären die der Beklagten zuzurechnenden Vergewaltigungen kausal für den in der Nichtweiterbestellung liegenden Schaden, sonst nicht.

[47] 5.3. Im Zusammenhang mit der von der Beklagten behaupteten Nichtverlängerung der Bestellung der Klägerin zur Amtsleiterin wegen ihres nicht zufriedenstellenden Führungsstils und ihres Umgangs mit den Mitarbeitern erhob dieseden Einwand des „Allein‑ oder zumindest Mitverschuldens“ der Klägerin. Sollte die Klägerin tatsächlich ein solches – ihr vorwerfbares – Verhalten gesetzt haben, wäre zu prüfen, ob es ebenfalls kausal für die Nichtverlängerung ihrer Amtsstellung war. Auch dazu fehlen Feststellungen.

[48] 5.3.1. Mitverschulden bedeutet, dass der Geschädigte ein ihm vorwerfbares Verhalten gesetzt hat, das ebenfalls kausal für den Schaden ist (vgl RS0022831). Sollte im fortzusetzenden Verfahren festgestellt werden, dass sowohl die vom Nebenintervenienten verursachte Gesundheitsbeeinträchtigung der Klägerin als auch ihr (behaupteter) Führungsstil als Amtsleiterin und ihr Umgang mit den Mitarbeitern gemeinsam (im „Zusammenwirken“) dazu geführt haben, dass die Klägerin als Amtsleiterin nicht wiederbestellt wurde, haben beide Ursachen den Verdienstentgang (Schaden) nicht jeweils selbständig herbeigeführt. In diesem Fall – ein vorwerfbares Verhalten der Klägerin und ihre Gesundheitsbeeinträchtigung durch die Vergewaltigungen führten nur gemeinsam zur Nichtweiterbestellung und waren damit kausal – läge ein Fall des § 1304 ABGB vor, sodass eine Verschuldensabwägung vorzunehmen wäre. Es wäre also das Gewicht der jeweiligen Zurechnungsgründe gegeneinander abzuwägen.

[49] 5.3.2. Sollte im fortzusetzenden Verfahren feststehen, dass die vom Nebenintervenienten verursachte Gesundheitsbeeinträchtigung der Klägerin und das ihr vorgeworfene Verhalten jeweils für sich allein zur Nichtweiterbestellung geführt hätten, hätte jede der beiden Ursachen für sich allein den gesamten Schaden herbeigeführt. Hat in einem solchen Fall kumulativer Kausalität der Geschädigte (hier: die Klägerin) selbst eine Ursache gesetzt, die gleichermaßen wie die vom Schädiger gesetzte Ursache geeignet war, allein den Verdienstentgang als Amtsleiterin herbeizuführen, haben beide gemeinsam für den Schaden einzustehen, was in diesem Fall bedeutet, dass der Schaden zwischen ihnen zu teilen ist. Das Verhältnis der jeweils zu vertretenden Teile bestimmt sich wiederum im Sinn des § 1304 ABGB nach den zu gewichtenden Zurechnungsmomenten auf Schädiger‑ und Geschädigtenseite, vor allem nach dem jeweiligen Grad von Sorglosigkeit und Vorwerfbarkeit (6 Ob 163/05x [Punkt 2.]; 2 Ob 50/19w [Punkt 2.2.2], jeweils mwN; vgl Koziol, Haftpflichtrecht I4 C/9/28).

[50] 5.4. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind daher hinsichtlich des Verdienstentgangsbegehrens für den Zeitraum 1. 5. 2020 bis einschließlich Februar 2023 von 64.913,01 EUR sA aufzuheben und dem Erstgericht ist insofern eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

[51] 6. Das weitere Vorbringen der Revision ist nicht berechtigt: Die Klägerin hält der Kritik des Berufungsgerichts, wonach ihr Vorbringen zu weiteren „Bossing“‑Handlungen des Bürgermeisters (unsachliche Kritik an ihrer Tätigkeit, „Instrumentalisierung“ weiterer Mitarbeiter durch ihn) pauschal und vage geblieben sei, sodass dazu keine Feststellungen getroffen werden könnten, keine Argumente entgegen. Zudem wären solche Fehlhandlungen des Nebenintervenienten nur dann kausal für den (jahrelangen) Krankenstand der Klägerin gewesen, wenn sie vor dem 6. 11. 2018 gesetzt worden wären. Da diese Vorfälle erstmals mit der Klage vom 6. 4. 2023 gegenüber der Beklagten geltend gemacht wurden und damit außerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist des § 6 Abs 1 Satz 1 AHG, sind die daraus resultierenden Ansprüche auch verjährt.

[52] 7. Der Revision ist aus den im Punkt 5. genannten Gründen Folge zu geben. In Bezug auf den krankheitsbedingten Verdienstentgang ist mit Teil-Zwischenurteil die Haftung dem Grunde nach auszusprechen. Im Übrigen sind die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben, wobei sich das fortgesetzte Verfahren auf die in den Punkten 5.2. und 5.3. genannten Fragen sowie gegebenenfalls auf die Höhe des Anspruchs zu beschränken hat. Alle anderen Streitpunkte zum Grund des Anspruchs sind abschließend erledigt.

[53] 8. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO, hinsichtlich des Teil‑Zwischenurteils in Verbindung mit § 393 Abs 4 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte