OGH 15Os56/16y

OGH15Os56/16y9.6.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Juni 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fritsche als Schriftführerin im Verfahren zur Unterbringung des Andreas D***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB, AZ 35 Hv 60/15s des Landesgerichts Innsbruck, über die Grundrechtsbeschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 22. April 2016, AZ 7 Bs 112/16b (ON 58 des Hv‑Akts), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0150OS00056.16Y.0609.000

 

Spruch:

 

Andreas D***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

 

Gründe:

Andreas D***** liegt nach dem Antrag der Staatsanwaltschaft Innsbruck vom 14. März 2016 auf Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB zur Last, er habe unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, nämlich einer paranoiden Schizophrenie, verbunden mit einer Störung durch Alkohol und einer kombinierten Persönlichkeitsstörung,

1./ in F***** Mag. Claudia H***** durch die in einer am 25. August 2014 an seinen Rechtsvertreter gesendeten E-Mail, welche dieser an die Genannte weiterleitete, enthaltenen Äußerung: „Sehe mich deshalb als strafrechtlich immun und schwöre zuerst die Richterin zu ermorden, bevor ich mich selbst umbringe“ gefährlich mit dem Tod bedroht, um diese in Furcht und Unruhe zu versetzen, und

2./ am 12. Juli 2014 in W***** einen Beamten mit Gewalt an einer Amtshandlung zu hindern versucht, indem er dem Polizeibeamten Johannes R*****, der ihn aufgefordert hatte, sich auszuweisen und eine Rechtfertigung zum Sachverhalt abzugeben, einen Stoß gegen die rechte Brust versetzte,

und dadurch Taten begangen, die als Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB (1./) und des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (2./) jeweils mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind (ON 48).

Unter einem beantragte die Staatsanwaltschaft die Erlassung einer Festnahmeanordnung wegen Tatbegehungs- und Tatausführungsgefahr (§ 170 Abs 1 Z 4 StPO) und die vorläufige Anhaltung des Betroffenen gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit a und d, § 429 Abs 4 StPO (ON 49).

Mit Beschluss vom 24. März 2016 wies der Vorsitzende des Schöffensenats des Landesgerichts Innsbruck den Antrag auf Erlassung einer Festnahmeanordnung mit der Begründung ab, es würden die Voraussetzungen des § 170 Abs 1 Z 4 StPO nicht vorliegen (ON 51).

Der dagegen gerichteten Beschwerde der Staatsanwaltschaft (ON 54) gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit dem angefochtenen Beschluss (ON 58) Folge und trug dem Landesgericht Innsbruck die Erlassung einer Festnahmeanordnung aus dem Grund der Tatbegehungsgefahr nach § 170 Abs 1 Z 4 erste Alternative StPO auf. Nach Umsetzung dieses Auftrags (ON 60) wurde der Betroffene am 13. Mai 2016 festgenommen (ON 64) und mit Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 14. Mai 2016 seine (auf § 173 Abs 2 Z 3 lit a und d iVm § 429 Abs 4 StPO gestützte) vorläufige Anhaltung angeordnet (ON 67).

Rechtliche Beurteilung

Gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts richtet sich die (fristgerecht erhobene) Grundrechtsbeschwerde des Betroffenen, die sich ausschließlich gegen die Annahme des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 170 Abs 1 Z 4 erste Alternative StPO richtet.

Diese ist zulässig, weil sie sich gegen eine funktionell grundrechtsrelevante (§ 1 Abs 1 GRBG) Entscheidung, nämlich die durch den Beschluss des Oberlandesgerichts abschließend geklärte Frage der Festnahme und – bis zur Entscheidung über die Anordnung der vorläufigen Anhaltung nach § 429 Abs 4 StPO währende – Anhaltung des Betroffenen, somit gegen eine strafgerichtlich angeordnete und effektuierte Freiheitsentziehung richtet (vgl RIS‑Justiz RS0060991, RS0114093,

RS0106274; Kier in WK2 GRBG § 1 Rz 7 f und 25; Kirchbacher/Rami in WK‑StPO Vor §§ 170‑189 Rz 24/2; Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 21 Rz 2 und 6; zu aufgrund einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft ergangenen Beschlüssen des Oberlandesgerichts auf Fortsetzung der Untersuchungshaft siehe RIS‑Justiz RS0116263, RS0124827). Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichts nur vorübergehend ursächlich für die Freiheitsentziehung war und letztere mittlerweile auf einer anderen Rechtsgrundlage (§ 429 Abs 4 StPO) basiert, würde doch die (hier nicht zu prüfende) Rechtmäßigkeit der Anordnung der vorläufigen Anhaltung nicht ausschließen, dass durch die vorangegangene Festnahme das Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt wurde (anders noch RIS‑Justiz RS0099613).

Die Grundrechtsbeschwerde ist aber nicht im Recht.

Der Oberste Gerichtshof überprüft im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens

(hier:) die

rechtliche Annahme einer der in § 170 Abs 1 Z 2 bis 4 StPO genannten Gefahren (nur) dahin, ob sie aus den vom Oberlandesgericht in Anschlag gebrachten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als willkürlich (mit anderen Worten als nicht oder nur offenbar unzureichend begründet) angesehen werden müsste (vgl RIS‑Justiz RS0117806).

Indem die Grundrechtsbeschwerde behauptet, das Beschwerdegericht habe die Prognose des Sachverständigen, wonach strafbare Handlungen mit schweren Folgen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten seien, unzulässig als bestimmte Tatsache im Sinn des § 170 Abs 1 Z 4 StPO angenommen und damit seine eigene Prognoseentscheidung „nicht beziehungsweise nur unzureichend begründet“, lässt sie außer Acht, dass das Oberlandesgericht die Tatbegehungsgefahr aus der diagnostizierten psychischen Störung, dem Fehlen von Krankheits‑ und Problemeinsicht, dem weiterhin impulsiven Handlungsstil des Betroffenen, sowie aus dem Verdacht der Begehung einer Körperverletzung am 1. Jänner 2015 abgeleitet hat (ON 58 S 8 f).

Mit der Kritik am psychiatrischen Sachverständigengutachten, dem Hinweis auf das längere Zurückliegen der Anlasstaten und eigenen Erwägungen zur Gefährlichkeit und Problemeinsicht des Betroffenen zeigt die Beschwerde eine willkürliche Entscheidung nicht auf, weil Vergleichsbasis des Willkürverbots nur die der Prognoseentscheidung tatsächlich zugrunde gelegten Tatsachen sind (RIS‑Justiz RS0120458).

Andreas D***** wurde somit durch den angefochtenen Beschluss im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb die Grundrechtsbeschwerde ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.

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