OGH 14Os98/15s

OGH14Os98/15s17.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. November 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wüstner als Schriftführer in der Strafsache gegen Constantin L***** wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 24. April 2015, GZ 042 Hv 91/14d‑31, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0140OS00098.15S.1117.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Constantin L***** der Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (I) und des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 erster Fall StGB (III) sowie der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (II/1) und der Unterdrückung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 3 StGB (II/2) schuldig erkannt.

Danach hat er in W*****

(I) am 14. September 2014 Milica J***** mit Gewalt gegen deren Person fremde bewegliche Sachen, nämlich ihre Umhängetasche samt Inhalt (darunter ein Mobiltelefon und eine Brieftasche mit 30 Euro Bargeld) im Gesamtwert von 700 Euro, mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen, indem er die Genannte verfolgte, sie beim Passieren mit seinem rechten Arm umfasste, ihr bedeutete, dass sie still sein solle, sie in den Würgegriff nahm und nach unten drückte, ihr gleichzeitig mit dem Knie einen Stoß gegen das Gesicht versetzte, sie anschließend an den Haaren packte und ihren Kopf nach oben riss, ihr dabei die zuvor quer über die linke Schulter getragene Umhängetasche über den Kopf zog, diese an sich nahm und in der Folge flüchtete;

(II) anlässlich der zu Punkt (I) dargestellten Tat

1) Urkunden, über die er nicht verfügen durfte, nämlich drei Sozialversicherungskarten lautend auf Milica J*****, Igor J***** und Sara J*****, den Aufenthaltstitel der Milica J***** sowie deren Jahreskarte der Wiener Linien, mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass diese im Rechtsverkehr zum Beweis der darin zum Ausdruck kommenden Rechte und Tatsachen gebraucht werden;

(2) ein unbares Zahlungsmittel, über das er nicht verfügen durfte, nämlich eine Bankomatkarte der B***** lautend auf Milica J*****, mit dem Vorsatz unterdrückt, deren Verwendung im Rechtsverkehr zu verhindern;

(III) zwischen 15. August und 20. September 2014 in der Absicht, sich durch wiederkehrende Tatbegehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, Gewahrsamsträgern der BI***** AG, der Z***** GmbH und anderer Unternehmen in zumindest drei Angriffen Alkoholika weggenommen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus den Gründen der Z 5, „9“ und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

Entgegen dem Einwand der Mängelrüge (nominell Z 5 zweiter und dritter Fall, der Sache nach Z 5 vierter Fall) ist die Feststellung, wonach der Angeklagte die den Schuldsprüchen (I) und (II) zugrunde liegende Tat nicht in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand beging (US 7), nicht offenbar unzureichend begründet. Deren Ableitung aus der für glaubwürdig erachteten Aussage des Tatopfers, das bei seinem Angreifer keine Anzeichen einer Alkoholisierung wahrnehmen konnte, und dem ‑ das Vorliegen der Voraussetzungen des § 11 StGB auch unter dem Gesichtspunkt einer vollen Berauschung aus psychiatrischer Sicht ausdrücklich verneinenden (ON 26 S 17 ff) ‑ Gutachten des Sachverständigen Prim. Dr. P*****

(US 9) entspricht den Gesetzen folgerichtigen Denkens ebenso wie grundlegenden

Erfahrungssätzen und ist solcherart unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS‑Justiz RS0116732).

Indem die Beschwerde aus den Ausführungen des Experten ‑ unter deren bloß partieller Wiedergabe ‑ für ihren Standpunkt günstigere Schlüsse zieht als jene der Tatrichter bekämpft sie bloß die Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung (RIS

-Justiz

RS0099455).

Den Vorwurf undeutlicher und „nicht nachvollziehbarer“ Feststellungen zu einem jeweiligen Gebrauchsverhinderungsvorsatz (Schuldspruch II)

leitet die Beschwerde (nominell „Z 9“, im Hinblick auf die

idealkonkurrierend verwirklichte strafbare Handlung nach § 142 Abs 1 StGB [I] der Sache nach

Z 10) bloß aus einer

einzelnen Urteilspassage (US 10) ab und verfehlt damit den im festgestellten Sachverhalt gelegenen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 581 RIS‑Justiz RS0099810) sowie ‑ im Übrigen (vgl dazu Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 570 f) ‑ auch jenen der Mängelrüge (RIS‑Justiz RS0116504, RS0119370).

Mit Blick auf § 290 Abs 1 StPO bleibt anzumerken, dass eine Analyse der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (US 7, 9 f) unter Heranziehung des Erkenntnisses (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) zu deren Verdeutlichung (RIS-Justiz RS0114639) den Willen der Tatrichter, die zur vorgenommenen Subsumtion erforderlichen Feststellungen auch zur subjektiven Tatseite zu treffen, hinreichend deutlich erkennen lässt (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 19).

Seine diesbezügliche Überzeugung stützte das Erstgericht ‑ gleichfalls deutlich genug ‑ logisch und empirisch einwandfrei auf das objektive Täterverhalten im Verein mit allgemeiner Lebenserfahrung (US 8 ff), womit auch der in diesem Zusammenhang erhobene Vorwurf offenbar unzureichender Begründung (der Sache nach Z 5 vierter Fall) ins Leere geht.

Soweit

zum Schuldspruch (II) tätige Reue (§§ 229 Abs 2, 241g Abs 1 StGB) auf Basis der urteilsfremden Sachverhaltsannahme, der Angeklagte habe die Handtasche des Raubopfers nach der Tat „in deren unmittelbarer Nähe“ „zurückgelassen“, damit also die Urkunden und die Bankomatkarte „freiwillig, bevor diese im Rechtsverkehr gebraucht werden sollten, rückgängig gemacht“, reklamiert wird, orientiert sich die Beschwerde (der Sache nach Z 10 [im Hinblick auf Schuldspruch I]) erneut prozessordnungswidrig nicht an den (gegenteiligen) Feststellungen der Tatrichter, nach denen der Beschwerdeführer die Brieftasche (samt Urkunden und Bankomatkarte) nach dem Raub wegwarf (US 7). In der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse (§ 258 Abs 1 StPO), welche das behauptete Reueverhalten indiziert hätten, werden im Übrigen nicht genannt (RIS‑Justiz RS0116735).

Die Subsumtionsrüge

(Z 10), die (zu I) einen Schuldspruch nach der privilegierenden Norm des §

142 Abs 2 StGB anstrebt, stellt den Einsatz erheblicher Gewalt in Frage und behauptet ‑ unter Außerachtlassung der konstatierten Verletzungen des Tatopfers (US 6) und mit dem (wiederum urteilsfremden) Hinweis auf die Schadensgutmachung durch „Rückstellung“ der Raubbeute und eine Zahlung durch die Versicherung des Tatopfers ‑ unbedeutende Folgen der Tat. Solcherart argumentiert sie einerseits ein weiteres Mal nicht auf Basis der Entscheidungsgründe und lässt andererseits eine methodisch vertretbare Ableitung der rechtlichen Konsequenz aus dem Gesetz vermissen. Sie erklärt nämlich nicht, weshalb der ‑ wenn auch kurzfristige ‑ Verlust wichtiger Dokumente

(Sozialversicherungskarten, Aufenthaltskarten, Jahreskarte der Wiener Linien), einer Bankomatkarte sowie des ‑ nicht aufgefundenen ‑ Mobiltelefons als bloß unbedeutende Folgen der Tat zu beurteilen sein sollten (vgl dazu aber

RIS-Justiz

RS0094494) und inwiefern dem Beschwerdeführer die Privilegierung ungeachtet der ‑ unbekämpft gebliebenen ‑ Feststellung zu einem Gesamtwert der geraubten Gegenstände von 700 Euro (US 6 iVm US 2; vgl dazu

RIS‑Justiz RS0120079) zu Gute kommen soll.

Mit dem Vorwurf unterlassener Erörterung (nominell Z 10, der Sache nach Z 5 zweiter Fall) von ausschließlich die Schwere der eingesetzten Gewalt betreffenden Widersprüchen in den Aussagen der Zeugin Milica J***** (nämlich in Bezug darauf, ob der Angeklagte der Genannten zusätzlich dazu, dass er sie ‑ insoweit von der Beschwerde unbestritten ‑ im Würgegriff hielt und ihren Kopf an den Haaren nach oben riss, Faustschläge oder einen Kniestoß gegen den Kopf versetzte) spricht die Rüge demzufolge keine entscheidende Tatsache an. Ausschließlich eine solche wäre aber tauglicher Bezugspunkt des Einwands der Unvollständigkeit bei der Beurteilung der Überzeugungskraft dieser Aussage (RIS‑Justiz RS0119422 [T4]).

Die gegen die Qualifikation des § 130 StGB (Schuldspruch III) gerichtete Subsumtionsrüge (Z 10) geht mit ihrem Vorwurf „nicht ordnungsgemäß getroffener Feststellungen“ gleichfalls nicht von der Gesamtheit der Urteilsannahmen aus, denen ‑ bei gebotener Gesamtbetrachtung - zu entnehmen ist, dass der Angeklagte in der Absicht handelte, sich durch die wiederkehrende Begehung von Diebstählen für einen längeren, mehrere Wochen umfassenden (vgl den Tatzeitraum von 15. August bis 20. September 2014; US 3) Zeitraum eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (US 6 iVm US 7 und US 10). Aus welchem Grund diese Konstatierungen die vorgenommene rechtliche Beurteilung nicht tragen sollten und welche weiteren Feststellungen zur rechtsrichtigen Subsumtion erforderlich gewesen wären, erklärt sie nicht. Der in diesem Zusammenhang zitierten

Kommentarstelle (

Rainer

SbgK § 70 Rz 5) lässt sich nichts für den Beschwerdestandpunkt entnehmen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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