Spruch:
Das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 18. Juli 2012, AZ 6 Bs 274/12p (ON 32 des HV‑Akts) verletzt § 293 Abs 2 StGB.
Es wird aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:
Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird nicht Folge gegeben.
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 10. Februar 2012, GZ 16 Hv 119/11y‑23, wurde Dorella S***** des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB schuldig erkannt und nach dem ersten Strafsatz des § 148 StGB unter Anwendung des § 43a Abs 2 StGB zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 4 Euro (für den Fall der Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 120 Tagen) und zu einer ‑ unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen ‑ Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt.
Unter einem wurde die Genannte vom Vorwurf, sie hätte am 14. Juni 2011 in F***** ein falsches Beweismittel in einem verwaltungsbehördlichen Verfahren gebraucht, indem sie ein von ihr handschriftlich ausgefülltes Formular betreffend eine „Gewerbeanmeldung für ein Gastgewerbe“ bei der Bezirkshauptmannschaft F***** eingebracht habe, in welchem sie mit ihrer Unterschrift bestätigt habe, dass gegen sie keine ungetilgten gerichtlichen Verurteilungen wegen strafbarer Handlungen vorlägen, wegen derer sie zu einer 180 Tagessätze übersteigenden Geldstrafe verurteilt worden sei, „obwohl sie wusste“, dass sie mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 25. Juni 2002, AZ 24 Hv 1066/01g, wegen §§ 146, 147 Abs 2 StGB zu einer Geldstrafe von 300 Tagessätzen verurteilt worden sei, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Nach den ‑ dem Freispruch zugrunde liegenden - Feststellungen des Erstgerichts (ON 23 S 4 f) „suchte“ die Angeklagte am 14. Juni 2011 bei der Bezirkshauptmannschaft F***** mittels eines persönlich eingebrachten Formblatts „um eine gewerbebehördliche Bewilligung der Verabreichung von Speisen jeder Art und des Ausschanks von Getränken gemäß § 111 Abs 1 Z 2 GewO an“. Das von ihr ausgefüllte Formular enthält auf der letzten Seite eine vorgedruckte Erklärung „betreffend das Nichtvorliegen von Gewerbeausschlussgründen“. Durch ihre Unterschrift erklärte die Angeklagte „an Eides statt“ (unter anderem), dass sie keine ungetilgte Verurteilung wegen einer strafbaren Handlung zu einer drei Monate übersteigenden Freiheitsstrafe oder zu einer Geldstrafe von mehr als 180 Tagessätzen aufweise. Der Angeklagten war bekannt, dass „nicht getilgte Vorstrafen vorhanden waren, die unabhängig von einer allfälligen Nachsicht durch die Behörde geeignet gewesen wären, die Erteilung der Gewerbeberechtigung negativ zu beurteilen“. Feststellungen dahin, von ihrem Vorsatz wäre auch der Umstand umfasst gewesen, dass ihre Erklärung als falsches Beweismittel in einem verwaltungsbehördlichen Verfahren gebraucht werde, enthält das Urteil nicht.
Mit dem ‑ hier angefochtenen ‑ Urteil vom 18. Juli 2012, AZ 6 Bs 274/12p (ON 32 des HV‑Akts), hob das Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht in Stattgebung der Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Nichtigkeit das angefochtene Urteil im freisprechenden Teil sowie im Strafausspruch auf, sprach Dorella S***** - ausschließlich gestützt auf die erstrichterlichen Konstatierungen ‑ (auch) wegen des Vergehens der Fälschung eines Beweismittels nach § 293 Abs 2 StGB schuldig und verhängte über sie unter Einbeziehung des unberührt gebliebenen Schuldspruchs wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB unter Anwendung der §§ 28 Abs 1 und 43a Abs 2 StGB nach dem ersten Strafsatz des § 148 StGB eine Geldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 4 Euro (für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 120 Tagen) sowie eine ‑ unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehene ‑ Freiheitsstrafe von sechs Monaten.
Begründend führte das Berufungsgericht aus, dass der im Anmeldeformular enthaltenen eidesstattlichen Erklärung zur Frage des Bestehens bestimmter ungetilgter gerichtlicher Verurteilungen ‑ entgegen der Meinung des Erstgerichts ‑ ein eigener Beweiswert zukomme, weil Dorella S***** mit dieser das Nichtvorliegen eines darin angeführten Gewerbeausschlussgrundes bestätigt habe.
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, verletzt das genannte Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck das Gesetz:
Nach ständiger Rechtsprechung umfasst der in § 293 StGB verwendete ‑ auf Sachbeweise einzuschränkende - Begriff „Beweismittel“ alles, was dazu dienen kann, ein Gericht oder eine Behörde von der Wahrheit oder Unwahrheit einer Behauptung zu überzeugen (RIS‑Justiz RS0096383; Plöchl/Seidl in WK² StGB § 293 Rz 9;
Leukauf/Steininger, Komm3 § 293 RV 2).
Falsch im Sinn dieser Gesetzesstelle ist ein Beweismittel dann, wenn es bei seinem Gebrauch geeignet ist, die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen in eine falsche Richtung zu lenken, weil es (formell) unecht ist (den Anschein anderen Ursprungs erweckt) oder einen unrichtigen Inhalt hat (vgl RIS‑Justiz RS0104980, RS0096383 [T1]; 13 Os 81/93; Plöchl/Seidl in WK² StGB § 293 Rz 17; Kirchbacher in WK² StGB § 147 Rz 38). Eine schriftliche Lüge ist jedoch nur tatbildlich, wenn ihr ein über die bloße Behauptung des Vorliegens der dem jeweiligen Verfahren zugrunde liegenden Anspruchsvoraussetzungen oder das bloße Vorbringen des eigenen Verfahrensstandpunktes hinausgehender Beweiswert zukommt (vgl RIS‑Justiz RS0103663 [T5, T6, T7, T9, T13, T15, T16]; Plöchl/Seidl in WK² StGB § 293 Rz 18). Diesen Kriterien entsprechen unwahre schriftliche Erklärungen von Verfahrensparteien, die der Sache nach nicht über unrichtige Vorbringen oder Behauptungen hinausgehen, nicht, mögen sie auch als „Erklärungen an Eides statt“ tituliert oder von der abschließenden Bekräftigung getragen sein, dass die getätigten Angaben „richtig und vollständig“ (vgl 15 Os 168/13i) gemacht wurden (vgl RIS‑Justiz RS0117739; 12 Os 24/08h).
Im vorliegenden Fall ist die im Formblatt enthaltene, von Dorella S***** unterfertigte „Erklärung an Eides statt“ zu Tatsachen, deren Vorliegen einer Eintragung in das Gewerberegister entgegenstehen kann, (gleich einer mündlichen Lüge) bloß die (unrichtige) Behauptung der Gewerbeanmelderin, dass die ‑ von der Behörde zu prüfenden (§ 340 Abs 1 GewO) ‑ gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Gastgewerbes vorliegen, ohne dass ihr ein darüber hinausgehender Beweiswert zukommt oder diesem „schriftlichen Eidessurrogat“ rechtliche Bedeutung beizumessen ist.
Demgemäß hat das Oberlandesgericht Innsbruck die Eingabe dieses Formulars bei der Bezirkshauptmannschaft F***** zu Unrecht unter den Tatbestand der Fälschung eines Beweismittels nach § 293 Abs 2 StGB subsumiert.
Da sich die aufgezeigte Gesetzesverletzung - aufgrund des zusätzlichen Schuldspruchs durch das Oberlandesgericht Innsbruck unter Verhängung einer höheren Freiheitsstrafe - zum Nachteil der Verurteilten auswirkte, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihrer Feststellung wie aus dem Spruch ersichtlich konkrete Wirkung zuzuerkennen.
Beginn und Lauf der mit Rechtskraft des Urteils des Oberlandesgerichts Innsbruck in Gang gesetzten Probezeit für die bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe bleiben durch die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Strafausspruchs unberührt (vgl RIS‑Justiz RS0092039 [T2], RS0118011; Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 55).
Bleibt anzumerken, dass das angefochtene Urteil ‑ indem es sich (ersichtlich) ausschließlich auf die erstgerichtlichen Konstatierungen stützte ‑ das Gesetz zum Nachteil der Angeklagten auch insoweit verletzt, als dem Schuldspruch nach § 293 Abs 2 StGB in Bezug auf die subjektive Tatseite keine Feststellungen zu einem (zumindest bedingten) Vorsatz auf den Gebrauch eines falschen Beweismittels in einem verwaltungsbehördlichen Verfahren zugrunde liegen (vgl Plöchl/Seidl in WK2 StGB § 293 Rz 31). Zu einem
amtswegigen Vorgehen (§ 292 iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) ‑ das im Hinblick auf die Unterlassung der Geltendmachung eines Feststellungsmangels zur subjektiven Tatseite (vgl ON 24) ebenfalls zu einer Verwerfung der gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 10. Februar 2012 ergriffenen Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Nichtigkeit führen hätte müssen (vgl RIS‑Justiz RS0127315, RS0118580 [T17 und T20]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 607 f und § 288 Rz 1 iVm § 464 Rz 8) - bestand aufgrund der bereits aus den von der Generalprokuratur geltend gemachten Gründen erforderlichen Urteilskassation kein Anlass.
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