European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0140OS00015.16M.0308.000
Spruch:
Jose B***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Beschluss setzte das Oberlandesgericht Linz die vom Landesgericht Korneuburg am 8. März 2015 verhängte (ON 169) und mehrmals fortgesetzte (ON 200, 242, 326) Untersuchungshaft wegen dringenden Verdachts eines vom Beschwerdegericht als das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 1 und Abs 4 Z 1 und 3 SMG, § 12 dritter Fall und § 15 StGB (A./), das Verbrechen der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 15 StGB, § 28 Abs 1 erster Fall, Abs 2 und 3 SMG (B./), die Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 und Abs 4 Z 1 SMG (D./), das Verbrechen der Aussetzung nach § 82 Abs 1 StGB (E./), das Verbrechen der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 und 2 StGB (F./), das Vergehen der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (G./) und das Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (H./) beurteilten Verhaltens aus den Haftgründen der Flucht-und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a und b StPO fort (ON 555). Gleichzeitig stellte es im Spruch der Entscheidung eine „durch die Anberaumung der Hauptverhandlung erst für den 9. November 2015“ bewirkte Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen (§ 177 Abs 1 StPO) fest und führte in den Gründen aus, dass die Hauptverhandlung vom Erstgericht „nach Einlangen der Anklageschrift am 3. August 2015 erst für den 9. November 2015 anberaumt wurde, noch dazu ohne für diesen Hauptverhandlungstermin auch die von der Staatsanwaltschaft beantragten Zeugen zu laden“. Diese Grundrechtsverletzung sei „vom Beschwerdegericht ausdrücklich festzustellen und es sei dem Erstgericht die konzentrierte Fortsetzung des seit Beginn der Hauptverhandlung ‑ entgegen der Meinung des Beschwerdeführers ‑ wiederum verzögerungsfrei durch-geführten Verfahrens aufzutragen“ gewesen (ON 555 S 11).
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen erhobenen Grundrechtsbeschwerde, die eine Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit ausschließlich daraus ableitet, dass das Beschwerdegericht den Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot nur auf die Anberaumung der Hauptverhandlung für den 9. November 2015, nicht aber auf weitere aus Sicht des Beschwerdeführers ebenfalls verfahrensverzögernde Umstände gestützt hat, kommt keine Berechtigung zu.
Eine Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit liegt ‑ nach Maßgabe des § 2 Abs 1 letzter Fall GRBG ‑ vor, wenn eine haftrelevante Vorschrift in letzter Instanz missachtet oder deren Missachtung durch eine Unterinstanz nicht festgestellt und bereinigt, erforderlichenfalls ausgeglichen wurde (vgl RIS‑Justiz RS0061078 [T2 und T3];
Kirchbacher/Rami, WK‑StPO Vor §§ 170‑189 Rz 24/1 und 25).
Demnach ist auch eine (auf einer ins Gewicht fallenden Säumigkeit in Haftsachen beruhende, die Verhältnismäßigkeit nach § 173 Abs 1 zweiter Satz StPO nicht notwendig in Frage stellende) Verletzung des Beschleunigungsgebots nach §§ 9 Abs 2, 177 Abs 1 StPO ‑ ebenso wie das Unterlassen ihres Aufgriffs oder Ausgleichs durch eine Kontrollinstanz ‑ grundrechtswidrig (vgl RIS‑Justiz RS0120790, RS0117747).
Im vorliegenden Fall hat das Beschwerdegericht durch die Feststellung der Verletzung des § 177 Abs 1 StPO der Sache nach ausgesprochen, dass es zwischen dem Zeitpunkt der Festnahme des Angeklagten und der Entscheidung über die Haftbeschwerde zur die Untersuchungshaft insgesamt unangemessen verlängernder, somit grundrechtsrelevanter Verfahrensverzögerung
gekommen ist (neuerlich RIS‑Justiz RS0117747), wobei es die Feststellung der Missachtung des Beschleunigungsgebots mit der Anordnung zur Verfahrensbeschleunigung („konzentrierte Fortsetzung des […] Verfahrens“) verbunden hat.
Damit hat das Oberlandesgericht dem Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers aber hinreichend Rechnung getragen, hat es doch die in der Beschwerde behauptete Grundrechtsverletzung ‑ wenn auch nicht unter Berücksichtigung aller als das Beschleunigungsgebot verletzend reklamierter Umstände -ohnedies anerkannt.
Indem die Grundrechtsbeschwerde vermeint, das Oberlandesgericht hätte auch zu weiteren, in der Haftbeschwerde kritisierten Vorgängen im Verfahren des Landesgerichts Linz „einen Verstoß gegen das besondere Beschleunigungsgebot feststellen müssen“, richtet sie sich nur gegen die Begründung der ohnehin konstatierten Grundrechtsverletzung und spricht damit weder eine unrichtige Gesetzesanwendung an, die eine Auswirkung auf die kritisierte Haftentscheidung gehabt hätte (vgl Kier in WK2 GRBG § 2 Rz 82 und 93), noch zeigt sie die Missachtung anderer haftrelevanter Vorschriften auf.
Dass das Oberlandesgericht ‑ der Beschwerde zuwider ‑ die Vertagung der Hauptverhandlung am 9. November auf den 17. November 2015 (infolge Ausdehnung der Anklage und zur Gewährung ausreichender Vorbereitungszeit), die Vertagung am 17. November auf den 15. Dezember 2015 und danach auf unbestimmte Zeit, sowie die Anberaumung eines (weiteren) Hauptverhandlungstermins (erst) für den 11. Februar 2016 (wiederum ohne Ladung sämtlicher in der Anklageschrift beantragter Zeugen) nicht als maßgeblich für den (ohnehin) festgestellten Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot angenommen hat, sondern davon ausging, das Verfahren sei „seit Beginn der Hauptverhandlung (…) verzögerungsfrei durchgeführt“ worden, kann daher mit Blick auf die Zielrichtung des Grundrechts-beschwerdeverfahrens (vgl § 2 Abs 1 und 2 sowie § 3 Abs 1 GRBG) mangels Einfluss auf die Entscheidung nicht relveviert werden (vgl zur Behandlung bloß einzelner Argumente im Grundrechtsbeschwerdeverfahren 14 Os 149/09g, 14 Os 9/10w, 14 Os 24/10a).
Den weiteren Argumenten der Beschwerde, die Staatsanwaltschaft habe die Anklage nicht „umgehend“ erhoben und das Landesgericht Linz habe zur Hauptverhandlung am 15. Dezember 2015 vier in der Anklageschrift als Zeugen geführte Personen nicht geladen, steht schon die mangelnde Erschöpfung des Instanzenzugs (§ 1 Abs 1 GRBG) entgegen, weil diese Umstände in der Haftbeschwerde nicht geltend gemacht wurden (RIS‑Justiz RS0114487).
Mit der Behauptung, die im Strafverfahren tätigen Behörden hätten nicht alles Mögliche unternommen, um die Untersuchungshaft zu verkürzen, übergeht die Grundrechtsbeschwerde die an das Erstgericht gerichtete Anordnung zur „konzentrierte(n) Fortsetzung des (…) Verfahrens“ und legt nicht deutlich und bestimmt dar, welche darüber hinausgehenden Anordnungen das Oberlandesgericht zur Bereinigung der festgestellten Verletzung des Beschleunigungsgebots treffen hätte sollen.
Da somit nach Maßgabe des § 2 Abs 1 GRBG dem Rechtsschutzinteresse des Angeklagten durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts umfassend Rechnung getragen wurde und die Grundrechtsbeschwerde weder eine unmittelbare Verletzung haftrelevanter Vorschriften durch das Oberlandesgericht, noch das Fehlen eines tauglichen Ausgleichs der festgestellten Grundrechtsverletzung rügt, wurde der Angeklagte durch die Beschwerdeentscheidung in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Beschwerde war daher ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.
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