European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0130OS00074.14B.1218.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Der Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Isabella H***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, 148 zweiter Fall und § 15 StGB schuldig erkannt.
Danach hat sie
(vgl US 2, 3 und 6) von Oktober 2009 bis Oktober 2012 in G***** und F*****
in zumindest 105 Angriffen gewerbsmäßig mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Apothekenangestellte durch Täuschung über Tatsachen unter Verwendung falscher Urkunden, nämlich durch die Vorlage falscher ärztlicher Suchtgiftrezepte und die Vorgabe, die auf den Rezepten genannten Personen seien krankenversichert und „zum Bezug von Suchtgift“ berechtigt, zur Ausfolgung „von psychotropen Stoffen (Tramal und Gewacalm)“ verleitet und zu verleiten versucht, wodurch die Steiermärkische Gebietskrankenkasse in einem Betrag von 464,29 Euro am Vermögen geschädigt wurde (I).
Von der weiteren Anklage, Isabella H***** habe vorschriftswidrig psychotrope Stoffe in einer die Grenzmenge (§ 31b SMG) übersteigenden Menge mit dem Vorsatz erworben und besessen, dass sie in Verkehr gesetzt werden, indem sie in Apotheken in G***** und F***** in zumindest 105 Angriffen (wobei es in zwei Angriffen beim Versuch geblieben sein soll) „insgesamt 840 Stück Tramaltabletten, 840 ml Tramaltropfen und 3.950 Stück Gewacalmtabletten“ ankaufte (II), wurde sie nach § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Rechtliche Beurteilung
Sowohl die aus § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 9 lit c StPO gegen den Schuldspruch erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten als auch die gegen den Freispruch aus § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft verfehlen ihr Ziel.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten:
Die
Mängelrüge (Z 5) unterzieht einzelne Beweisergebnisse, darunter die Verantwortung der Angeklagten, einer eigenständigen Bewertung und behauptet, mit Ausnahme der Zeugin P***** ‑ die sich „ganz offensichtlich auf die einmal von ihr 'einzementierte Meinung' festgelegt“ hätte ‑ habe kein weiterer Zeuge „die Angeklagte mit Tramal- bzw. Gewacalm‑Rezepten in Verbindung gebracht“ und es sei nach dem Schriftgutachten „die Handschrift der Angeklagten nicht mit dem auf den Rezepten befindlichen Schriftbild in Einklang zu bringen“, sodass es „aus Sicht der Angeklagten sehr viele sie entlastenden Argumente bzw. Tatsachen“ gebe, die Mitwirkung eines Dritten feststehe und die Verantwortung der Angeklagten der Wahrheit entspreche. Damit wendet sie sich ‑ nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung ‑ in unzulässiger Weise gegen die
Beweiswürdigung der Tatrichter (§ 258 Abs 2 StPO) und bringt solcherart den herangezogenen Nichtigkeitsgrund nicht prozessordnungskonform zur Darstellung.
Die
Tatsachenrüge (Z 5a) bezieht sich mit der ‑ unter Vernachlässigung des erforderlichen Aktenbezugs und der Gesamtheit der Beweiswürdigung (RIS‑Justiz RS0117446,
RS0117961) aufgestellten ‑ Behauptung, die Angeklagte habe als Angestellte der HNO‑Abteilung der medizinischen Universitätsklinik G***** keinen leichten Zugang zu den Rezepten und Stempeln der Abteilung für Hämatologie gehabt, auf keine Feststellung entscheidender Tatsachen und bewegt sich damit außerhalb des Anfechtungsrahmens dieses Nichtigkeitsgrundes (RIS‑Justiz RS0117499). Durch eigene beweiswürdigende Erwägungen und die Berufung auf den Zweifelsgrundsatz (§ 14 StPO) wird Nichtigkeit aus Z 5a ebenfalls nicht aufgezeigt (RIS‑Justiz RS0102162).
Die auf die Ausschaltung der Qualifikation nach § 148 zweiter Fall StGB abzielende Rüge (nominell Z 9 lit c, der Sache nach Z 10) leitet nicht methodisch vertretbar (vgl RIS‑Justiz RS0116565; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 588) aus dem Gesetz ab, weshalb für die Annahme gewerbsmäßiger Begehung schwerer Betrugshandlungen „auch der Wille zur Weitergabe und Veräußerung der angeeigneten Sachen“ rechtlich von Bedeutung sein soll (
vgl hiezu RIS‑Justiz
RS0092421, RS0092381; Jerabek in WK 2 StGB § 70 Rz 10).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:
Zutreffend moniert zwar die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall), dass das Gericht im Zusammenhang mit der (dem Freispruch zugrunde liegenden) Negativfeststellung, wonach nicht festgestellt werden könne, „dass Isabella H***** vorschriftswidrig psychotrope Stoffe in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge mit dem Vorsatz erworben und besessen hat, dass sie in Verkehr gesetzt werden“, erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse mit Stillschweigen übergangen hat. Denn die bloße Begründung, es fehle „allgemein ein Hinweis“, dass die Angeklagte die Medikamente weitergeben wollte und zu diesem Zweck erlangt hat, und es ließen sich über deren Verbleib keine Feststellungen treffen (US 6), ließ die ‑ im Urteil lediglich zu I erörterten (US 4) - Verfahrensergebnisse zur Gesamtmenge der (den erstrichterlichen Konstatierungen zufolge) erlangten Medikamente unberücksichtigt (RIS‑Justiz RS0118316).
Gründet das Gericht jedoch einen Freispruch auf die Verneinung einzelner Tatbestandselemente, ohne eine (positive) Aussage zu sämtlichen Tatbestandsmerkmalen zu treffen, setzt der Erfolg einer gegen den Freispruch erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde voraus, dass nicht nur in Ansehung aller der Subsumtion entgegenstehenden Urteilsannahmen Begründungsmängel aufgezeigt werden, sondern in Bezug auf all jene Tatbestandsmerkmale, zu denen das Urteil keine Konstatierungen enthält, unter Berufung auf derartige Feststellungen indizierende und in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse (fehlen die dafür nötigen Indizien, bedarf es der Geltendmachung darauf bezogener Anträge aus Z 4) Feststellungsmängel (Z 9 lit a) geltend gemacht werden (RIS‑Justiz
Diesen Anforderungen entspricht die Rechtsrüge (Z 9 lit a) ‑ die Konstatierungen für ein § 31 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG, in eventu § 30 Abs 1 oder 2 SMG subsumierbares Verhalten anstrebt ‑ nicht.
Strafrechtlich relevantes Verhalten nach dem Suchtmittelgesetz bezieht sich nur auf konkrete, in der Suchtgiftverordnung oder der Psychotropenverordnung erfasste Wirkstoffe, weshalb Feststellungen zur Wirkstoffart tatverfangener Substanzen unabdingbar sind. Die bloße Nennung der Marken‑ oder Handelsnamen von (ein Suchtgift oder einen psychotropen Stoff enthaltenden) Medikamenten genügt diesen Feststellungserfordernissen nicht (RIS‑Justiz RS0114428). Dass die Inhaltsstoffe dieser Arzneimittel allenfalls gerichtsnotorisch sind, ändert daran nichts, weil es für notorische Tatsachen zwar keiner Beweisaufnahme, wohl aber deren Feststellung bedarf (RIS‑Justiz RS0098570 [T19 und T20]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 600).
Indem die Rüge Konstatierungen zum Vorsatz der Angeklagten auf Erwerb und Besitz von insgesamt 840 Stück Tramaltabletten und 3.950 Stück Gewacalmtabletten vermisst, ist ihr ein Erfolg schon deshalb zu versagen, weil sie es verabsäumt, Feststellungen in Bezug auf die in den Medikamenten enthaltenen Wirkstoffe zu verlangen. Hinsichtlich der genannten „Tramaltropfen“ werden keine in der Hauptverhandlung vorgekommenen Verfahrensergebnisse aufgezeigt, welche die begehrte Feststellung, wonach diese Tropfen 84 g Reinsubstanz an „Tramadol Hcl“ enthielten, indizieren würden.
Beide Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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