OGH 13Os161/11t

OGH13Os161/11t10.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Mai 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wohlmuth als Schriftführerin in der Finanzstrafsache gegen Mohamed S***** wegen Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 FinStrG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 13. Mai 2011, GZ 40 Hv 39/10d-55, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass wird das Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch, demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben, in diesem Umfang eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.

Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen und mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Mohamed S***** - soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung - mehrerer Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 (I/2), nach § 33 Abs 2 lit a (II) und nach § 33 Abs 2 lit b (III), jeweils iVm § 38 Abs 1 FinStrG, schuldig erkannt.

Danach hat er in Wiener Neudorf als für die abgabenrechtlichen Belange der A***** GmbH verantwortlicher Geschäftsführer vorsätzlich Abgaben verkürzt, wobei es ihm jeweils darauf ankam, sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, nämlich

(I/2) von 2005 bis 2008 Kapitalertragsteuer von insgesamt 21.600 Euro unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht „durch Unterlassen der Einbehaltung und fristgerechten Abführung der sich aus den ihm in den Kalenderjahren 2005 bis 2008 zugeflossenen Ausschüttungen ergebenden, selbst zu berechnenden und abzuführenden Kapitalertragsteuer an den jeweiligen gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten“;

(II) von März bis August 2008 Umsatzsteuervorauszahlungen von insgesamt 10.795 Euro unter Verletzung der Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Abgabe von § 21 UStG entsprechenden Voranmeldungen durch die Erfassung von Vorsteuern aus Scheingeschäften in den Umsatzsteuervoranmeldungen für die Zeiträume Februar bis Juni 2008, wobei er dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss hielt;

(III) von April bis Juli 2008 Lohnabgaben (Lohnsteuer und Dienstnehmerbeiträge zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen) von insgesamt 114.284,44 Euro unter Verletzung der Verpflichtung zur Führung von § 76 EStG entsprechenden Lohnkonten „durch Nichtanmeldung bzw. die vorsätzlich unrichtige Dienstnehmeranmeldung zur Sozialversicherung und Zahlung von Schwarzlöhnen“, wobei er dies nicht nur möglich, sondern für gewiss hielt.

Dagegen richtet sich die aus den Gründen des § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und 10 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde:

Zutreffend wendet der Beschwerdeführer zum Schuldspruch I/2 im Rahmen der Mangelrüge offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellungen zur subjektiven Tatseite ein. Der Hinweis auf die „Verantwortlichkeit des Angeklagten als Geschäftsführer“ (US 9) trägt fallbezogen zur Klärung nichts bei, weil die Tatrichter im Zusammenhang mit Punkt I/1 des Freispruchs festhielten, eine Geschäftsführertätigkeit des Beschwerdeführers oder abgabenrechtliche Vertretung der Gesellschaft (§ 80 BAO) durch ihn im Zeitraum 2005 bis „2007“ (gemeint offenbar 2008 [vgl US 4]) nicht feststellen zu können (US 8 und 12). Die - insbesondere im Hinblick auf die subjektive Tatseite - unterschiedliche Bewertung der Verantwortlichkeit des Beschwerdeführers für abgabenrechtliche Belange zu den (jeweils denselben Zeitraum betreffenden) Punkten I/2 des Schuldspruchs einerseits und I/1 des Freispruchs andererseits hätte einer eingehenden Begründung bedurft, zumal die tatrichterlichen Erwägungen im Wesentlichen auf demselben Beweisergebnis, nämlich der Verantwortung des Beschwerdeführers, beruhen (13 Os 160/09t; vgl Lendl, WK-StPO § 258 Rz 32). Aus dem „äußeren Geschehen“ (dem unversteuerten Bezug des Geschäftsführergehalts) kann überdies - ungeachtet der prinzipiellen Zulässigkeit eines derartigen Verweises (vgl RIS-Justiz RS0116882) - vorliegend mit Blick auf die ungeklärte Befassung des Beschwerdeführers mit den abgabenrechtlichen Belangen der (auch) von ihm vertretenen Gesellschaft (die gemäß §§ 95 Abs 1 bis Abs 3, 96 Abs 1 Z 1 lit a und Abs 3 EStG idgF zu Abzug und Abfuhr der Kapitalertragsteuer unter Abgabe einer entsprechenden Anmeldung verpflichtet war [die hier maßgebliche Rechtslage blieb seit dem Tatzeitraum trotz mehrfacher Novellierungen und daraus resultierender unterschiedlicher Gesetzessystematik unverändert]) kein zuverlässiger Schluss auf die subjektive Tatseite gezogen werden. Gleiches gilt übrigens für mit der hier gegenständlichen Geschäftsführertätigkeit offenbar in keinem Zusammenhang stehende finanzstrafrechtliche Vorstrafen (US 5 iVm US 12).

Der aufgezeigte Begründungsmangel erfordert die Aufhebung des davon betroffenen Schuldspruchs I/2 schon bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO). Die zu diesem Schuldspruch unter dem Aspekt materieller Nichtigkeit vorgetragenen Argumente bedürfen somit keiner Erörterung.

Bleibt anzumerken, dass selbständige Tat (iSd § 21 Abs 1 FinStrG) im Bereich der Hinterziehung von Kapitalertragsteuer jeweils das Unterlassen der auf einen bestimmten Ertragszufluss bezogenen Kapitalertragsteuerabfuhr unter Verletzung der korrespondierenden Anmeldungspflicht ist; dies auch dann, wenn es ausnahmsweise (vgl § 201 BAO) zu einer (bescheidmäßigen) Festsetzung der Steuer kommt (RIS-Justiz RS0124712 [T1]; zuletzt 13 Os 18/12i). Die Anklage legte dem Beschwerdeführer unter anderem (Punkt I/2) zur Last, „durch Unterlassen der Einbehaltung und fristgerechten Abführung der sich aus den ihm in den Kalenderjahren 2005 bis 2008 zugeflossenen Ausschüttungen ergebenden, selbst zu berechnenden und abzuführenden Kapitalertragsteuer an den jeweiligen gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten“ diese hinterzogen zu haben. Dieser Vorwurf basierte - den Ermittlungsergebnissen der Finanzstrafbehörde folgend - auf der Annahme, der Beschwerdeführer habe im Zusammenhang mit von der Betriebsprüfung nicht anerkannten Aufwendungen der A***** GmbH (für fingierte Fremdleistungen) Beträge aus deren Vermögen entnommen (ON 36 S 3 und 15 iVm ON 31 S 23 und 111 ff). Eine verlässliche Beurteilung, ob der Schuldspruch I/2 tatsächlich denselben Lebenssachverhalt betrifft wie die Anklage (vgl RIS-Justiz RS0113142, RS0121607; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 266 ff), also die identen Verletzungen abgabenrechtlicher Pflichten im Zusammenhang mit denselben wirtschaftlichen Vorgängen (dem jeweiligen Zufließen kapitalertragsteuerpflichtiger Beträge aus dem Gesellschaftsvermögen), lässt das angefochtene Urteil nicht zu (vgl US 6, wonach der Beschwerdeführer „als Geschäftsführer“ von 2005 bis 2008 unversteuert ein „Gehalt in Höhe von 1.800 Euro monatlich“ bezog). Dieser Umstand wird im zweiten Rechtsgang zur Vermeidung weiterer Fehler (vgl § 281 Abs 1 Z 8 StPO) zu beachten sein. Eine im Fall fehlender Identität von Anklage- und Urteilstat vorliegende (unbekämpft gebliebene) Nichterledigung der Anklage (in deren Punkt I/2) hätte die Wirkung eines rechtskräftigen Freispruchs (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 526).

Zudem ist zu prüfen, ob der Beschwerdeführer - was die erstgerichtlichen Feststellungen (ohne nähere Klärung der Umstände) andeuten - die zu I/2 inkriminierten Beträge als Entgelt für seine Tätigkeit als (Gesellschafter-)Geschäftsführer erhalten hat. Sollte diesbezüglich eine Vereinbarung zwischen der A***** GmbH und dem Beschwerdeführer bestehen und einem Fremdvergleich standhalten (zur reichhaltigen Rsp des VwGH: 2003/13/0018 [verst Senat]; 2004/14/0066; 2001/14/0074 uva; vgl Doralt/Ruppe, Steuerrecht I9 Rz 977; Doralt, Einkommensteuergesetz § 22 Rz 166/1; Kirchmayr in Leitner [Hrsg], Handbuch verdeckte Gewinnausschüttung, 79 ff [93 ff und 117 ff]), wäre - auf Basis entsprechender Feststellungen - die abgabenrechtliche Vorfrage zu klären (vgl 13 Os 46/10d), ob diesbezüglich der Kapitalertragsteuer unterliegende Einkünfte vorliegen oder solche aus sonstiger selbständiger Arbeit gemäß § 22 Z 2 zweiter Teilstrich EStG, die der Beschwerdeführer in eine Jahressteuererklärung betreffend Einkommensteuer (vgl § 42 EStG) hätte aufnehmen müssen. In letzterem Fall wäre - abgesehen vom gänzlich anderen Tatbegriff (nochmals RIS-Justiz RS0124712; vgl § 267 StPO) - zu beachten, dass der zu I/2 gegenständliche Vorwurf dann den Beschwerdeführer unabhängig von seiner Funktion als Geschäftsführer der A***** GmbH trifft und gerichtliche Strafbarkeit gemäß § 53 Abs 1 FinStrG die örtliche und sachliche Zuständigkeit derselben Finanzstrafbehörde für alle ihm angelasteten Finanzvergehen voraussetzen würde (vgl § 58 Abs 1 lit f FinStrG; 13 Os 177/08s).

Zur amtswegigen Maßnahme:

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof vom Vorliegen nicht geltend gemachter Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO), die zu Gunsten des Angeklagten von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

Die Tatbestände des § 33 Abs 2 lit a und b FinStrG verlangen in subjektiver Hinsicht Wissentlichkeit in Bezug auf das Bewirken einer Abgabenverkürzung, während die Verletzung der jeweiligen abgabenrechtlichen Pflichten von bedingtem Vorsatz umfasst sein muss (RIS-Justiz RS0087051). Ersteres hat das Erstgericht mit den Formulierungen (US 7), „der Angeklagte wusste, dass die Angaben, welche der Finanzbehörde für die Festsetzung der zu entrichtenden Umsatzsteuer“ übermittelt wurden, „unrichtig waren“ (zum Schuldspruch II) sowie (zu III), er habe „vorsätzlich, indem er seine Verpflichtung zur Führung von Lohnkonten“, „insbesondere durch Nichtanmeldung bzw. vorsätzliche unrichtige Dienstnehmeranmeldung zur Sozialversicherung und Zahlung von Schwarzlöhnen“ verletzt, „wobei er dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss hielt“, nicht festgestellt. Erwähnung der verba legalia im Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) vermag dieses Konstatierungsdefizit nicht auszugleichen (RIS-Justiz RS0114639).

Zudem erfassen die Tatbestände des § 33 Abs 2 lit a und b FinStrG jeweils die Hinterziehung von (im Sinn des Abs 3 lit b) selbst zu berechnenden Abgaben. Wesentliches (ungeschriebenes) Element der pönalisierten (vorsätzlichen) Verletzung der ansonsten näher umschriebenen abgabenrechtlichen Pflichten ist demnach das Unterlassen einer Entrichtung der Abgaben zu den gesetzlich festgelegten Fälligkeitszeitpunkten (vgl § 79 Abs 1 EStG und § 21 Abs 1 vierter Satz UStG). Derartiges wurde in Bezug auf den Vorwurf der Hinterziehung lohnabhängiger Abgaben (III) auch in objektiver Hinsicht nicht (unmissverständlich) festgestellt.

Die aufgezeigten Konstatierungsdefizite machen eine Aufhebung der Schuldsprüche II und III unumgänglich. Mit dem darauf bezogenen Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde war der Angeklagte auf das amtswegige Vorgehen zu verweisen.

Im zweiten Rechtsgang werden (im Fall eines neuerlichen Schuldspruchs) Feststellungen zum strafbestimmenden Wertbetrag - unter dem Aspekt des § 281 Abs 1 Z 5 (iVm Z 11 erster Fall) StPO - mängelfrei zu begründen sein (13 Os 26/11i, EvBl 2011/159, 1095; 13 Os 66/11x). Der (konkrete) Verweis auf Berechnungen des Finanzamts (oder eines Sachverständigen) reicht zur Fundierung der Konstatierungen nur dann, wenn die bezughabenden Fundstellen im Akt ihrerseits eine schlüssige und nachvollziehbare Berechnung enthalten (vgl RIS-Justiz RS0119301; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 396). Diesen Anforderungen wird der Urteilsverweis „auf den unbedenklichen Abschlussbericht des Finanzamts Baden Mödling“ und dessen „e-mails vom 3. und 6. Mai 2011“ (US 12) nicht gerecht. Der Abschlussbericht enthält nämlich gänzlich andere Verkürzungsbeträge und Tatzeiträume als das Urteil (ON 31 S 23); in den zitierten E-Mails (ON 52) wiederum finden sich bloß dem Urteil entsprechende Summen von Verkürzungsbeträgen, ohne dass die Grundlagen dieser Neuberechnung auch nur ansatzweise dargestellt wurden (vgl 13 Os 18/12i).

Schließlich gebietet der von § 4 Abs 2 FinStrG angeordnete Günstigkeitsvergleich - anders als übrigens § 61 StGB - die Anwendung des im Urteilszeitpunkt geltenden Rechts nur dann, wenn es günstiger als das im Tatzeitpunkt geltende ist. Gemäß § 265 Abs 1p zweiter Satz FinStrG ist zudem § 38 FinStrG idF vor der FinStrG-Novelle 2010, BGBl I 2010/104, auf vor deren Inkrafttreten begangene Finanzvergehen weiterhin anzuwenden (vgl 13 Os 17/12t).

Die Kassation des Strafausspruchs war Folge der Aufhebung der Schuldsprüche; darauf war der Angeklagte mit seiner Berufung zu verweisen. Aus diesem Grund konnte auch die Kostenentscheidung keinen Bestand haben.

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