OGH 13Os160/09t

OGH13Os160/09t4.3.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. März 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fuchs und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart des Rechtspraktikanten Mag. Romstorfer als Schriftführer in der Strafsache gegen Georgi G***** wegen des Verbrechens des als Mitglied einer kriminellen Vereinigung begangenen gewerbsmäßigen schweren Diebstahls nach §§ 12 dritter Fall, 127, 128 Abs 2, 130 zweiter und dritter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 29. September 2009, GZ 28 Hv 118/09k-152, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wachberger, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Laszlo Szabo sowie der Dolmetscherin Chapidze-Morgenroth zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft in seinem freisprechenden Teil und aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden in der Subsumtion nach § 130 zweiter Fall StGB, demzufolge auch im Strafausspruch einschließlich der Vorhaftanrechnung, aufgehoben. In diesem Umfang wird eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird verworfen.

Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf den kassatorischen Teil der Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die auf die Erledigung der Nichtigkeitbeschwerden entfallenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Georgi G***** im zweiten Rechtsgang (vgl zum ersten: 13 Os 69/09k) des Verbrechens des als Mitglied einer kriminellen Vereinigung begangenen gewerbsmäßigen schweren Diebstahls nach §§ 12 dritter Fall, 127, 128 Abs 2, 130 zweiter und dritter Fall StGB schuldig erkannt (1).

Danach hat er am 23. August 2008 in V***** als Mitglied einer kriminellen Vereinigung mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung der Tat eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, zum Versuch der (dafür bereits verurteilten) unmittelbaren Täter, fremde bewegliche Sachen, nämlich Großpackungen von Rasierklingen und Rasierapparaten, im 50.000 Euro übersteigenden Gesamtwert von 86.185,10 Euro, Gewahrsamsträgern der M***** GmbH wegzunehmen, beigetragen.

Hingegen wurde er von dem wider ihn erhobenen Vorwurf, er habe am 2. August 2008 in V***** als Mitglied einer kriminellen Vereinigung mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung der Tat eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter der bereits verurteilten Alexander S*****, Schota M***** und Kia P***** fremde bewegliche Sachen, nämlich Großpackungen von Rasierklingen und Rasierapparaten im Wert von 24.499,57 Euro Gewahrsamsträgern der M***** GmbH weggenommen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen (2).

Rechtliche Beurteilung

Mit ihren Nichtigkeitsbeschwerden bekämpfen der Angeklagte - gestützt auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, (nominell, wenngleich nicht ausgeführt) 5a, 9 lit a, 10 und 11 StPO - den Schuldspruch, die Staatsanwaltschaft - aus den Gründen der Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO - den Freispruch; nur die Letztere ist im Recht.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung des Antrags auf „Durchführung einer Tatrekonstruktion Vorort (M*****-Lager) sowohl unter Be(i)ziehung der drei heute vernommenen Zeugen (gemeint: die unmittelbaren Täter), wie auch der Beamten, die bei der Observation teilgenommen haben, zum Beweis dafür, dass keine Aufpasserdienste geleistet wurden, zumal auch die örtlichen Verhältnisse, insbesondere unter Berücksichtigung der Dreidimensionalität der dortigen Gegend, es dem Angeklagten nicht möglich war, effiziente Aufpasserdienste zu leisten“ (ON 151 S 20 f) Verteidigungsrechte nicht beeinträchtigt. Das Antragsvorbringen ließ nämlich nicht erkennen, inwieweit der begehrte Verfahrensschritt das genannte Beweisthema hätte unter Beweis stellen können und war solcherart auf eine unzulässige Erkundungsbeweisführung gerichtet (RIS-Justiz RS0107040). Das diesbezüglich ergänzende Vorbringen im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde unterliegt dem Neuerungsverbot und war daher unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618).

Weshalb die tatrichterliche Auseinandersetzung (US 10 f) mit den - den Beschwerdeführer entlastenden - Aussagen der Zeugen Alexander S*****, Schota M***** und Kia P***** gegen Gesetze folgerichtigen Denkens oder grundlegende Erfahrungswerte verstoßende Überlegungen enthalten soll (vgl RIS-Justiz RS0116732), sagt die insofern Scheinbegründung monierende Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) nicht.

Die unterlassene ausdrückliche Erwähnung bestimmter Details der mängelfrei als unglaubwürdig verworfenen Aussage des Zeugen Kia P***** (vgl ON 151 S 17) bewirkt angesichts des Gebots zu gedrängter Darstellung der Urteilsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) nicht deren Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall - Ratz, WK-StPO § 281 Rz 394).

Ihre Feststellungen zum Vorsatz mit Bezug auf die Wertqualifikation des § 128 Abs 2 StGB haben die Tatrichter mängelfrei unter anderem auf Art und Umfang der in Aussicht genommenen Beute, die äußeren Tatumstände und die Vermögenslosigkeit des Beschwerdeführers gestützt (US 11 f).

Die fehlende Feststellungen zu den konkreten Beitragshandlungen reklamierende Rechtsrüge (Z 9 lit a) ignoriert die diesbezüglichen Konstatierungen, denen zufolge der Beschwerdeführer mit den unmittelbaren Tätern den gemeinsam durchzuführenden Einbruchsdiebstahl vereinbarte und dabei den Auftrag hatte, den Großraum rund um den Tatort auszuspionieren und vor herannahenden Polizeieinheiten zu warnen, welcher Aufgabe er unter anderem durch mehrmaligen Wechsel seines Standorts und telefonische Kontaktaufnahmen mit einem der unmittelbaren Täter nachkam (US 5 ff), und verfehlt solcherart den gesetzlichen Bezugspunkt (RIS-Justiz RS0099810).

Warum es erforderlich gewesen wäre, Feststellungen darüber zu treffen, „wie die Organisation des Angeklagten mit den anderen drei Tätern zustande kam“, sagt die Subsumtionsrüge (Z 10) nicht; ebenso wenig, welche über die getroffenen Konstatierungen (US 7) hinausgehenden tatsächlichen Annahmen rechtsfehlerfreie Subsumtion des Geschehens nach § 130 dritter Fall StGB erfordert hätte. Zuletzt werden die Urteilsfeststellungen zum die Wertqualifikation des § 128 Abs 2 StGB erfassenden Vorsatz schlankerhand übergangen (US 7 iVm 12).

Aus Z 11 erster Fall übersieht der Beschwerdeführer, dass der Zusammenrechnungsgrundsatz nach § 29 StGB nur bei gemeinsamer Aburteilung, nicht aber für Schuldsprüche zueinander im Verhältnis des § 31 StGB stehender Urteile gilt (RIS-Justiz RS0090848). Warum trotz Bindung des Berufungsgerichts an einen durch Zurückweisung der dagegen gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde rechtskräftig gewordenen Schuldspruch (§ 295 Abs 1 erster Satz StPO) erst das Berufungsgericht die Schuldfrage erledigen, davor mithin nicht von der Klärung dieser für den Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 2 StGB in der Regel entscheidenden Tatsache ausgegangen werden könnte, bleibt unerfindlich.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Die Beschwerdeführerin erblickt Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) der Entscheidungsgründe in der unterlassenen Erörterung einzelner Ergebnisse der Auskunft über Daten einer Nachrichtenübermittlung (§ 134 Z 2 StPO). Tatsächlich setzte sich das Erstgericht - unter ausdrücklichem Hinweis auf den von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführten Ermittlungsbericht (ON 94) - mit dem aus diesem sich ergebenden Umstand auseinander, dass das Mobiltelefon des Angeklagten im Tatzeitraum im Bereich des Tatorts in V***** eingeloggt gewesen sei und der Angeklagte mit einem der unmittelbaren Täter (in nicht näher quantifiziertem Ausmaß) telefoniert habe, erachtete dies als Grundlage für einen Schuldspruch jedoch als nicht ausreichend (US 13).

Mängelfreie Begründung erfordert unter dem Aspekt des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes die beweiswürdigende Auseinandersetzung mit allen erheblichen, in der Hauptverhandlung vorgekommenen Verfahrensergebnissen im Sinn einer vollständigen Auswahl des herangezogenen Beweismaterials als Bezugspunkt der tatrichterlichen Beweiswürdigung (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 421), wobei es - dem Gebot zu gedrängter Darstellung der Urteilsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend - nicht auf eine umfassende und detaillierte, sondern auf eine nach einer Gesamtschau auf das Wesentliche beschränkte Darstellung der herangezogenen Beweismittel ankommt (RIS-Justiz RS0116504, RS0106642). Indem das Erstgericht seine Überlegungen dezidiert auf den - auch von der Beschwerdeführerin für erheblich gehaltenen - Bericht (ON 94) über das Ergebnis der durchgeführten Überwachungsmaßnahmen (Standortpeilung, Rufdatenrückerfassung) stützt, bringt es die geforderte Vollständigkeit der Grundlage seiner beweiswürdigenden Überlegungen zum Ausdruck. Die genaue Anzahl der telefonischen Kontakte (laut Beschwerde 13 mal) und der Umstand, dass das Mobiltelefon des Angeklagten nach der Tat etwa zur selben Zeit im gleichen Senderbereich in Innsbruck eingeloggt war wie jene der bereits verurteilten Täter Schota M***** und Kia P***** (vgl ON 110 S 8 f), waren als Details des ohnehin gewürdigten Verfahrensergebnisses unter dem Aspekt vollständiger Urteilsbegründung (Z 5 zweiter Fall) demnach nicht gesondert erörterungsbedürftig.

Hingegen ist das angefochtene Urteil - was die Beschwerdeführerin ebenfalls deutlich genug einwendet - offenbar unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall). Die Tatrichter hätten nämlich - ungeachtet des Grundsatzes freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) - im Einklang mit Denkgesetzen und grundlegenden Erfahrungswerten (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 446 ff) sehr wohl darlegen müssen, weshalb sie das im Zusammenhang mit Freispruch und Schuldspruch gleichermaßen vorliegende Beweisergebnis, dass es jeweils im relevanten Zeitraum zwischen dem im Senderbereich des Tatorts eingeloggten Mobiltelefon des Angeklagten und jenem eines der unmittelbaren Täter zu zahlreichen Kontakten gekommen war (ON 94 S 9 und 33), einerseits als Grundlage für die den Schuldspruch tragenden Feststellungen heranzogen (US 5 und 10), während sie diesem Umstand - trotz in diesem Fall doppelt so häufiger telefonischer Kontakte - im Zusammenhang mit dem Freispruch keine ausreichend belastende Bedeutung beimaßen. Dem aus der solcherart unterschiedlichen Bewertung weitgehend übereinstimmender Verfahrensergebnisse resultierenden Begründungsaufwand (vgl Lendl, WK-StPO § 258 Rz 32) wird die lapidare Erwägung, der Angeklagte sei am 2. August 2008 nicht am Tatort beobachtet worden (vgl US 13), in keiner Weise gerecht, zumal damals noch keine Observation durchgeführt (vgl ON 4) und ihm - im Gegensatz zu den unmittelbaren Tätern Schota M***** und Kia P***** - ein Betreten des Warenlagers, in welchem eine Überwachungskamera installiert war (ON 5 S 14), gar nicht zur Last gelegt wurde (vgl ON 85 S 4 f).

Der aufgezeigte Begründungsmangel erfordert die Aufhebung des Urteils in seinem freisprechenden Teil, demzufolge auch im Strafausspruch einschließlich der Vorhaftanrechnung und in diesem Umfang die Neudurchführung des Verfahrens.

Ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen (Z 9 lit a) erübrigt sich somit.

Mit ihren Berufungen waren die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte (dessen als Beschwerde gegen die Vorhaftanrechnung bezeichnetes Vorbringen sich inhaltlich als Berufung erweist; § 283 Abs 2 zweiter Satz StPO) auf den kassatorischen Teil der Entscheidung zu verweisen.

Zur amtswegigen Maßnahme:

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden überzeugte sich der Oberste Gerichtshof von Amts wegen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) vom Vorliegen einer dem Angeklagten zum Nachteil gereichenden Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) in Ansehung der Diebstahlsqualifikation nach § 130 zweiter Fall StGB.

Gemäß § 278 Abs 2 StGB setzt eine kriminelle Vereinigung unter anderem voraus, dass der Zusammenschluss auf längere Zeit angelegt und auf Begehung zumindest einer der näher definierten strafbaren Handlungen, vorliegend etwa nicht nur geringfügiger Diebstähle, durch eines oder mehrere Mitglieder ausgerichtet ist (RIS-Justiz RS0125232; Plöchl in WK² § 278 Rz 8 und 19). Die - ausschließlich im Rahmen der rechtlichen Beurteilung getroffene (US 13) - Urteilsannahme, „dass die Täter zu viert zusammen arbeiteten und anhand der Feststellungen ersichtlich ist, dass diese die Absicht hatten, gemeinsame Diebstähle zu begehen und der Angeklagte durch die Beitragshandlungen helfend und unterstützend eingreifen wollte“, trägt daher schon mit Blick auf das zeitliche Element die Deliktsqualifikation des § 130 zweiter Fall StGB nicht. Der Rechtsfehler mangels Feststellungen führte zur Aufhebung dieser rechtlichen Unterstellung und auch in diesem Umfang zur Zurückverweisung zu neuer Verhandlung und Entscheidung.

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO, weil diese Vorschrift am - unberührt gebliebenen - Ausspruch des Erstgerichts, den Angeklagten „gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens zu verpflichten“, anknüpft und eine allfällige Kostenseperation nach § 389 Abs 2 StPO erst nach rechtskräftiger Entscheidung in der Schuldfrage durch gesonderten Beschluss zu erfolgen hat (treffend: Lendl, WK-StPO § 389 Rz 14; vgl auch ders, § 390a Rz 4, 7 f).

Die Kostenersatzpflicht erstreckt sich jedoch nicht auf das amtswegige Vorgehen (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12).

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