OGH 13Os104/20y

OGH13Os104/20y14.4.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. April 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Pauritsch in der Strafsache gegen Radisa J***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 8. Juni 2020, GZ 61 Hv 106/19g‑150, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0130OS00104.20Y.0414.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil, das auch unbekämpft gebliebene Freisprüche enthält, wurde Radisa J***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 (richtig) Abs 3, 148 zweiter Fall StGB (I) und des Vergehens der kriminellen Vereinigung nach § 278 Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in W***** (US 12) und andernorts

(I) im einverständlichen Zusammenwirken mit im Urteil namentlich genannten Mitgliedern der kriminellen Vereinigung (II; US 10) mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und (unter Verwirklichung der Kriterien des § 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB) in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von schwerem Betrug (§ 147 Abs 2 StGB) längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, nachgenannte Personen durch Täuschung über Tatsachen zu Handlungen verleitet, die diese in einem jeweils 5.000 Euro und insgesamt 300.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen schädigten, indem er unter Verwendung falscher Identitäten vorgab, ein zahlungswilliger, zahlungsfähiger und redlicher Vertragspartner zu sein und lukrative Bargeldwechselgeschäfte durchzuführen (1 und 5 [sogenannte „Rip Deals“]) sowie Darlehen zu gewähren (2), zur Übergabe von Bargeld, und zwar

1) vom 8. April 2015 bis zum 30. Mai 2015 Ruth M***** zur Übergabe von 30.000 Euro im vermeintlichen Tausch gegen 50.000 Euro, bei denen es sich tatsächlich um Falschgeld handelte,

2) vom 24. April 2015 bis zum 26. April 2015 Klemens H***** zur Übergabe von 260.000 Euro als Abdeckung für Zinsen und Kosten einer vorgeblichen Darlehensgewährung, wobei er mit dem Geld flüchtete, und

5) vom 28. September 2015 bis zum 16. Dezember 2015 Christoph R***** zur Übergabe von 13.000 Euro im vermeintlichen Tausch gegen 16.000 Euro (US 19 f), wobei der Mittäter mit dem Geld flüchtete, sowie

(II) sich vom Februar oder März 2015 bis zum Dezember 2015 als Mitglied an einer im angefochtenen Urteil näher beschriebenen kriminellen Vereinigung beteiligt, indem er die zu I geschilderten Taten beging, Vorbereitungshandlungen für weitere intendierte Betrugshandlungen setzte (US 12) und zum Zweck der Ausführung solcher Handlungen laufend telefonischen und persönlichen Kontakt zu anderen Mitgliedern hielt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen wendet sich die auf Z 4, 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung (ON 112 S 24, ON 134 S 7 f, ON 149 S 21 und 24) mehrerer in der Hauptverhandlung gestellter Beweisanträge des Angeklagten Verteidigungsrechte aus folgenden Gründen nicht geschmälert:

[5] Der (wiederholt gestellte) Antrag auf Zulassung des Vortrags eines von der Verteidigung eingeholten „Privatgutachtens“ zur Begründung eines Beweisantrags (ON 112 S 23 und ON 149 S 21) entsprach den – für solche Anträge sinngemäß geltenden (vgl RIS-Justiz RS0130796 sowie Danek/Mann , WK-StPO § 238 Rz 7/1) – Begründungserfordernissen des § 55 Abs 1 StPO nicht. Ausgehend von der jeweils ausführlich dargelegten Begründung des in Rede stehenden Beweisantrags (ON 112 S 22 bis 29 und ON 149 S 14 bis 21) wird nämlich nicht klar, warum der begehrte Vortrag geeignet gewesen wäre, die diesbezügliche Entscheidungsbasis zu verbreitern. Sofern der Antrag als auf ein Vorkommen in der Hauptverhandlung (§ 258 Abs 1 StPO) gerichtet zu verstehen ist, sei hinzugefügt, dass „Privatgutachten“ keine Beweismittel im Sinn der Strafprozessordnung sind (RIS‑Justiz RS0118421 [T1] und RS0115646 [T1]; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 351 mwN; Danek/Mann , WK-StPO § 222 Rz 5/2).

[6] Eine Beweisführung über die Beweiskraft von Beweisen, etwa zur Glaubwürdigkeit von Zeugen, ist grundsätzlich zulässig. Sollen dabei (nicht bloß eigene Wahrnehmungen wiedergegeben, sondern) Schlüsse gezogen werden, ist im Hauptverfahren das Gutachten eines gerichtlich bestellten Sachverständigen (§§ 125 Z 1, 126 Abs 3 erster Satz StPO) das einzig zulässige Beweismittel. Zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit kommt jedoch die Hilfestellung durch einen Sachverständigen nur in (hier nicht gegebenen) Ausnahmefällen, etwa bei Entwicklungsstörungen oder geistigen Defekten unmündiger oder jugendlicher Zeugen, in Betracht (RIS-Justiz RS0120634; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 350).

[7] Zu Recht erfolgte daher die Abweisung der teils wiederholt gestellten Anträge (ON 112 S 28 f sowie ON 149 S 14 ff und S 22 f) auf

‑ Einholung eines Sachverständigengutachtens aus den Fachbereichen der Psychologie und der Psychiatrie sowie

‑ Vernehmung des „Experten in Fragen der Beweiskraft von Wiedererkennungsaussagen“ Prof. em. Dr. Günther K***** als Zeugen

jeweils zum Beweis dafür, dass die Wiedererkennungsaussagen der (im Antrag namentlich genannten) Zeugen auf „individuell subjektiven Wahrnehmungen, sowie individuell angelegten kognitiven mnestischen Fähigkeiten basieren, die durch diverse Risikofaktoren beeinflusst und verfälscht wurden, sodass letztlich von Falschaussagen durch unbeabsichtigte Irrtümer auszugehen ist“, „die Zuverlässigkeit und damit die Beweiskraft der Wiedererkennungsaussagen […] ohne profunde Kenntnisse aus den medizinischen Fachgebieten der Psychologie und Psychiatrie nicht abschließend gewürdigt werden kann“ und diese Aussagen „keine Beweiskraft haben und nicht glaubwürdig sind", und „um die Prozedur‑ und Strukturfehler bei den vorgenommenen Wahllichtbildvorlagen und letztlich die mangelnde Beweiskraft der Wiedererkennungsaussagen zu beweisen“ sowie auf

‑ Verlesung des Befundes des „Privatgutachters“ Prof. Dr. K***** „gemäß § 252 Abs 2 StPO“ und „§ 3 StPO“ zum Beweis dafür, dass die „Beweiskraft von Wiedererkennungsaussagen“ aufgrund „der im Gutachten [...] aufgezeigten Prozedur und Strukturfehler“ erheblich gemindert sei.

[8] Die Anträge auf zeugenschaftliche Vernehmung von mehreren namentlich genannten, im deutschen Ermittlungsverfahren tätig gewordenen Beamten (ON 112 S 31 f und ON 149 S 23 f) über den genauen Ablauf der Wahllichtbildvorlagen sowie über deren „Wahrnehmungen im Rahmen der durchgeführten Erkundigungen“ ließen nicht erkennen, welche für die Lösung der Schuldfrage oder der Subsumtionsfrage erhebliche Tatsache damit hätte bewiesen werden sollen (siehe aber § 55 Abs 2 Z 2 StPO, RIS-Justiz RS0118319 [T1]). Soweit die Anträge auf Schlussfolgerungen oder Wertungen gerichtet waren, entfernten sie sich vom Wesen des Zeugenbeweises (RIS-Justiz RS0097540; Kirchbacher , WK-StPO § 154 Rz 7 f).

[9] Widersprüchlich im Sinn der Z 5 dritter Fall sind zwei Urteilsaussagen dann, wenn sie nach den Denkgesetzen oder grundlegenden Erfahrungsätzen nicht nebeneinander bestehen können ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 438).

[10] Indem die Mängelrüge (Z 5) – überdies nicht auf die Gesamtheit der diesbezüglichen Urteilsargumente bezogen (US 32 bis 52, siehe aber RIS-Justiz RS0119370) – reklamiert, das Erstgericht habe einerseits bei den vom Schuldspruch umfassten Fakten trotz „Nichtwiedererkennung und Ausschluss der Täterschaft des Angeklagten bei der Wahlgegenüberstellung in der Hauptverhandlung“ hinsichtlich einiger Zeugen der Wahllichtbildvorlage im Ermittlungsverfahren „generell einen wesentlichen Beweiswert“ zugemessen, andererseits aber „genau umgekehrt“ bei den vom Freispruch umfassten Fakten trotz der „ähnlich gelagerten“ Wahllichtbildvorlage an andere Zeugen die Täterschaft des Angeklagten ausgeschlossen, zeigt sie keinen solchen inneren Widerspruch des Urteils auf.

[11] Soweit sie auf der Basis dieses Vorbringens eigene Beweiswerterwägungen anstellt, wendet sie sich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

[12] Mit dem Einwand (der Sache nach nur Z 5 fünfter Fall), die Aussage des Zeugen Klemens H***** in der Hauptverhandlung betreffend eine Bargeldübergabe von 250.000 Euro (ON 93a S 14 ff) sei in den Entscheidungsgründen unrichtig mit 240.000 Euro wiedergegeben worden (US 38), wird keine Aktenwidrigkeit im Sinn des angesprochenen Nichtigkeitsgrundes aufgezeigt. Diese erfordert nämlich die unrichtige Wiedergabe eines Beweisergebnisses, das zur Begründung einer Feststellung herangezogen wird (RIS-Justiz RS0099431 [T4]), was vorliegend – konkret hinsichtlich der Feststellung der vom Schuldspruch I 2 umfassten Schadenssumme von 260.000 Euro – gerade nicht der Fall ist (US 16 f und 38).

[13] Zutreffend weist die Subsumtionsrüge (Z 10) zum Schuldspruch I darauf hin, dass der Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 2 StPO die strafbare Handlung insofern fehlerhaft als Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 „Abs 2 und Abs 3“, 148 zweiter Fall StGB bezeichnet (US 5), obwohl die Qualifikation des § 147 Abs 3 StGB jene des Abs 2 zufolge Spezialität verdrängt (RIS-Justiz RS0132779).

[14] Eine Betrachtung von Urteilstenor und Entscheidungsgründen lässt jedoch zweifelsfrei erkennen, dass das Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§  146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB als durch die als erwiesen angenommenen Tatsachen begründet angesehen wurde (siehe US 57 und 61). Somit liegt kein – gegebenenfalls Nichtigkeit nach Z 10 begründender – Subsumtionsirrtum, sondern bloß ein Anlass zu – oben bereits erfolgter – Klarstellung vor (RIS-Justiz RS0116669; Lendl , WK‑StPO § 260 Rz 32; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 622 f).

[15] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[16] Über die Berufung hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§ 285i StPO).

[17] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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