European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0110OS00036.15A.0811.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Shafi S***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.
Demnach hat er am 13. Dezember 2013 in A***** Fehmin O***** vorsätzlich getötet, indem er ihm zwei Stiche mit einem Messer in den Rücken versetzte, wodurch die Hauptschlagader durchtrennt wurde und O***** letztlich an Verbluten nach innen bei gleichzeitiger Einatmung von Mageninhalt verstarb.
Die Geschworenen hatten (nach durchgeführtem Moniturverfahren; § 332 Abs 4 zweite Alternative StPO) die anklagekonform nach dem Verbrechen des Mordes (§ 75 StGB) gestellte Hauptfrage 1./ bejaht und die darauf bezogene Zusatzfrage (fortlaufend 2./) nach Notwehr und Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt verneint, sodass die Beantwortung der Eventualfrage (fortlaufend 3./) auf fahrlässige Tötung entfiel.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die aus § 345 Abs 1 Z 4, 5, 6, 8 und 10 StPO erhobene (nach teilweiser Berichtigung des Protokolls der Hauptverhandlung neu ausgeführte) Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Mit Beschluss vom 6. Februar 2014 (ON 114) berichtigte die Vorsitzende über Antrag der Verteidigerin (ON 112) Schreibfehler und wies unter einem weitere derartige Begehren ab.
Dagegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten (ON 115).
Vorauszuschicken ist, dass jede von der Strafprozessordnung für zulässig erklärte Anfechtung eines nach § 271 Abs 7 zweiter Satz StPO gefassten Beschlusses diesen inhaltlich außer Kraft setzt. Über das in der Hauptverhandlung tatsächlich Vorgefallene entscheidet das jeweils zur Entscheidung über die Urteilsanfechtung berufene Rechtsmittelgericht.
Wäre nämlich aufgrund einer Beschwerde isoliert darüber zu befinden, ob ein als erheblich reklamierter Umstand oder Vorgang zum Erfolg der Urteilsanfechtung führen kann, könnte dem zu Nichtigkeitsbeschwerde oder Berufung berechtigten Beteiligten die Disposition über die Urteilsanfechtungsgründe genommen werden. Andererseits nähme das Beschwerdegericht die Entscheidung über Nichtigkeitsbeschwerde oder Berufung ohne Einhaltung des auf die Erledigung dieser Rechtsmittel bezogenen gesetzlichen Verfahrens in zirkulärer Weise vorweg.
Weil es aber allein dem Rechtsmittelwerber zusteht, darüber zu befinden, was er als erheblichen Umstand oder Vorgang bei der Urteilsanfechtung geltend macht, scheidet inhaltliche Beschwerdeerledigung vor der Entscheidung über die Urteilsanfechtung aus (RIS‑Justiz RS0126057).
Die Verfahrensrüge nach Z 4 behauptet einen nichtigkeitsbegründenden Ausschluss der Öffentlichkeit (§ 228 StPO), weil der Schwurgerichtshof über einen während des Moniturverfahrens gestellten ‑ im Übrigen auch in der Rechtsmittelschrift nicht konkretisieren ‑ Antrag der Verteidigerin auf „Änderung der Fragen“ nicht in öffentlicher Hauptverhandlung entschieden, sondern diesen „abgewiesen“ (nach Inhalt des Protokollberichtigungsantrags: als nicht zulässig erachtet) habe.
Damit verfehlt sie den Bezugspunkt dieses Nichtigkeitsgrundes, weil das Moniturverfahren außerhalb der Hauptverhandlung stattfindet (§§ 319, 340 Abs 1 StPO; RIS‑Justiz RS0116945).
Ein auf entsprechendes Tatsachensubstrat und aufgrund der Ergebnisse der Beratung der Geschworenen im Sinn des § 332 Abs 4 StPO gestützter Antrag des Beschwerdeführers, gemäß § 332 Abs 5 StPO eine bestimmte Änderung oder Ergänzung der Fragen zu begehren, worauf der Schwurgerichtshof die Verhandlung wieder zu eröffnen und nach § 310 Abs 3 und 4 StPO vorzugehen gehabt hätte, ist weder dem bezugnehmenden Amtsvermerk der Berufsrichter (Anhang zu ON 114) noch dem Protokoll über Hauptverhandlung und Moniturverfahren (§ 332 Abs 6 StPO; ON 97) zu entnehmen.
Der Verfahrensrüge (Z 5) zuwider wurden durch die Abweisung des in der Hauptverhandlung am 9. Dezember 2014 gestellten Antrags auf Vernehmung des Zabiullah Sh***** zum Beweis dafür, dass „der Angeklagte jedenfalls zu keinerlei Aggressionshandlungen und Überreaktionen neigt und ein äußerst friedliches Verhalten im Umgang mit Mitmenschen bisher an den Tag gelegt hat“ (ON 96 S 37 f), Verteidigungsrechte nicht geschmälert, weil schon das Beweisthema keine für die Lösung der Schuld- und Subsumtionsfrage erhebliche Tatsache betraf (RIS‑Justiz RS0116503; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 327 f). Eine Darlegung, aus welchem Grund der Zeuge eine Aussage dazu machen könne, dass der Angeklagte „die ihm vorgeworfene Tat nicht aufgrund seiner aggressiven Persönlichkeit, sondern aus Furcht und Bestürzung infolge des Angriffs durch das Opfer und den Zeugen Armin H*****“ begangen habe, obwohl er kein Tatzeuge war und daher keine Wahrnehmungen zur Frage bloßer Notwehr durch den Angeklagten gemacht haben kann (§ 55 Abs 2 Z 2 StPO), blieb der Antrag schuldig.
Unter Hinweis auf die Einlassung des Angeklagten, er könne sich nicht erinnern, Messerstiche gesetzt zu haben (ON 96 S 6, 12), kritisiert die Fragenrüge (Z 6) das Fehlen einer auf mangelnde Zurechnungsfähigkeit gerichteten Zusatzfrage zur Hauptfrage 1./, unterlässt jedoch die nach der Prozessordnung erforderliche Darlegung, welche Beweisergebnisse das Vorliegen der Voraussetzungen des § 11 StGB indizieren sollten (vgl demgegenüber das ausdrücklich von Zurechnungsfähigkeit ausgehende Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen ON 40 S 27 und ON 96 S 45 ff, 47; siehe Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 23).
Gestützt auf die Behauptung, aus der Aussage des Angeklagten und „den übrigen Umständen“ lasse sich die Frage, „worauf der Vorsatz gerichtet war“, nicht eindeutig ableiten, wird das Unterbleiben von Eventualfragen zur Hauptfrage 1./ nach „Totschlag, Körperverletzung mit tödlichem Ausgang und absichtlich schwerer Körperverletzung mit tödlichem Ausgang“ gerügt.
Gesetzmäßig vorgebrachte Kritik am Unterlassen von Eventualfragen muss sich jedoch auf ein entsprechendes Tatsachensubstrat in der Hauptverhandlung, nämlich ein von jenem der Hauptfrage abweichendes Tatgeschehen, welches die Subsumtion des Prozessgegenstands unter eine (oder mehrere) andere als jene strafbaren Handlungen zur Folge hätte, auf die sich die Hauptfrage bezog, berufen und den Bezug zu der der angestrebten Frage zugrunde liegenden rechtlichen Kategorie methodengerecht herstellen (RIS‑Justiz RS0119418, RS0119417, RS0117447, RS0100860).
Dass die „Affektlage ... Gegenstand der Zusatzfrage“ 2./ war, ersetzt Hinweise auf ein Verfahrensergebnis der Hauptverhandlung, das auf eine allgemein begreifliche heftige Gemütsbewegung zur Tatzeit und auch auf einen währenddessen entstandenen vorsätzlichen Tötungsentschluss des Angeklagten hingewiesen hätte, nicht (vgl Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 23, 43). Darüber hinaus mangelt es dem Vorbringen an jeglicher Fundierung der Rechtsbehauptung allgemeiner Begreiflichkeit eines allfälligen solchen Zustands (RIS‑Justiz RS0100677 [T5]). Mit dem Aufzeigen abstrakt denkbarer Möglichkeiten und Mutmaßungen zu einem bloßen Verletzungsvorsatz verfehlt die Rüge insgesamt den vom Gesetz geforderten Bezugspunkt (RIS‑Justiz RS0102724; RS0100871 [T12], RS0100420, RS0101072).
Die in der Instruktionsrüge (Z 8) behauptete Irreführungseignung der Information der Geschworenen im Zusammenhang mit der aus „Ja“ oder „Nein“ bestehenden Antwortmöglichkeit (ON 97 S 19 [Rechtsbelehrung S 1]) und den allgemeinen Ausführungen zu Zusatzfragen (ON 97 S 20 [Rechtsbelehrung S 2 unten]) lässt angesichts der Abgrenzung zwischen Haupt- und Zusatzfragen (ON 97 S 20) und der klaren Formulierung („Die Bejahung der Zusatzfrage hat bei Verneinung der dazugehörigen Eventualfrage zur Zusatzfrage zur Folge, dass Shafi S***** von der Tat freizusprechen ist“ ‑ ON 97 S 25) offen, worüber Unklarheit geherrscht haben könnte. Zudem ist die Rechtsbelehrung von den Geschworenen als Ganzes (samt mündlicher Instruktion [§ 323 Abs 1 StPO]) zur Kenntnis zu nehmen (RIS‑Justiz RS0100804; RS0100695; RS0125434).
Der Moniturrüge (Z 10) gebricht es bereits an der Voraussetzung des Widerspruchs des Beschwerdeführers. Dessen Verteidigerin begehrte im Protokollsberichtigungs-antrag (ON 112 S 9) die Streichung „des Abs 7“ im Hauptverhandlungsprotokoll vom 10. Dezember 2014 (ON 97 S 3), ließ den abweislichen Beschluss (ON 114 S 7 in Verbindung mit dem integrierten Amtsvermerk der Mitglieder des Schwurgerichtshofs S 1) insoweit unangefochten (ON 115). Demnach ist vom Protokoll über das Moniturverfahren auszugehen, wonach nicht nur kein Widerspruch (zum Inhaltserfordernis vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 314), sondern vielmehr (im Sinn einer Zustimmung) „kein Einwand“ dagegen erhoben wurde (ON 97 S 3). In der Beschwerde wird die Richtigkeit der Protokollierung auch gar nicht in Frage gestellt, sondern bloß ein ‑ unbeachtlicher ‑ Irrtum der Verteidigerin anlässlich der tatsächlich abgegebenen Prozesserklärung behauptet.
Im Übrigen übersieht die Beschwerde, dass die Behauptung eines Missverständnisses weder von einem Geschworenen aufgestellt werden, noch der Niederschrift (zumal die Erwägungen nicht die Entscheidungsgründe des Urteils darstellen) zu entnehmen sein muss, sondern die Vorsitzende im Rahmen ihrer Verpflichtung zur Prozessleitung und Manuduktion (§ 302 Abs 2 StPO) die Geschworenen wenn erforderlich zu ergänzenden Angaben über ihre Erwägungen zu verhalten hat (RIS‑Justiz RS0100762), um insbesondere die Notwendigkeit einer Monitur abzuklären.
Die gegen die Abweisung des Protokollberichtigungsantrags erhobene Beschwerde (ON 115) bezieht sich nicht auf Vorgänge oder Umstände, welche für die prozessordnungsgemäße Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde herangezogen werden können und mit denen darin großteils auch gar nicht zur Untermauerung eines Vorbringens argumentiert wurde (RIS‑Justiz RS0126057 [T2], RS0120683). Demnach ist sie ‑ ohne einer inhaltlichen Erwiderung zu bedürfen ‑ als erledigt zu erachten (RIS‑Justiz RS0126057, RS0120683).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung der Verteidigerin ‑ bei nichtöffentlicher Beratung gemäß §§ 285d Abs 1, 344 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§§ 285i, 344 StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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