European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00077.23F.1031.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten des Rekurses selbst zu tragen.
Begründung:
[1] Der 1969 geborene Kläger hat den Beruf des Zimmerers erlernt und in mehr als 90 Pflichtversicherungsmonaten vor dem 1. 5. 2016 ausgeübt. Mit Bescheid vom 19. 7. 2016 wurde dem Kläger, beginnend ab dem 1. 5. 2016 Rehabilitationsgeld gewährt. Im Gewährungsbescheid erachtete die Beklagte berufliche Maßnahmen der Rehabilitation nicht als zweckmäßig.
[2] Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 23. 3. 2021 wurde dem Kläger das Rehabilitationsgeld mit Ablauf des 30. 4. 2021 entzogen, weil vorübergehende Invalidität nicht mehr vorliege. Im Vergleich zum Zeitpunkt des Gewährungsbescheids lag im Zeitpunkt der Entziehung des Rehabilitationsgeldes eine wesentliche Besserung des Gesundheitszustandes vor. Der Kläger ist aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht mehr in der Lage, seinen Beruf als gelernter Zimmerer auszuüben. Dem Kläger ist aber ua ein achtstündiger Arbeitstag zumutbar, er kann öffentliche Verkehrsmittel benützen, ihm sind eine Wohnsitzverlegung und Wochenauspendeln medizinisch zumutbar. Bei Einhaltung des Leistungskalküls sind mit hoher Wahrscheinlichkeit bei einer Teilzeitarbeit (vier bis sechs Stunden pro Tag) leidensbedingte Krankenstände im Ausmaß von sechs Wochen pro Jahr zu erwarten. Der Kläger ist noch in der Lage, als Fachmarktberater in den Bereichen Tischlerei‑Holzbedarf, Innenausbauer, Schalungstechnik und Wärmedämmung sowie als Verkäufer im Innendienst und Kundenberater in Sägewerken und im Holzhandel zu arbeiten. Für alle diese Tätigkeiten sind EDV‑Grundkenntnisse und kaufmännische Grundkenntnisse notwendig, die der Kläger nur betriebsextern erwerben kann. Diese Grundkenntnisse werden ua im Rahmen von kostenlos angebotenen Schulungen durch das Arbeitsmarktservice (AMS) angeboten und dauern ein bis vier Wochen (EDV‑Grundkenntnisse) bzw 24 Unterrichtseinheiten (kaufmännische Grundkenntnisse; dies entspricht drei Kurstagen). Am bundesweiten allgemeinen Arbeitsmarkt gibt es mehr als 100 Arbeitsplätze in den genannten Verweisungstätigkeiten, die vorwiegend mit Teilzeitbeschäftigten besetzt werden. Nach Erwerb der EDV‑Grundkenntnisse und der kaufmännischen Grundkenntnisse besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger einen Arbeitsplatz in einer der genannten Verweisungstätigkeiten finden wird. Der Besuch der genannten Schulungen ist für den Kläger zweckmäßig, der Erwerb derartiger Grundkenntnisse ist ihm auch zumutbar. Soweit der Erwerb der EDV‑Grundkenntnisse dem Kläger nicht kostenlos vom AMS angeboten wird, übernimmt die Beklagte diese Kosten.
[3] Das Erstgericht wies das Begehren des Klägers auf Zuerkennung von Rehabilitationsgeld und medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation über den 30. 4. 2021 hinaus ab. Rehabilitationsgeld sei gemäß § 99 Abs 3 Z 1 lit b sublit cc ASVG auch zu entziehen, wenn berufliche Maßnahmen der Rehabilitation zweckmäßig und zumutbar seien, was hier der Fall sei. Seien die erforderlichen Schulungen nicht als berufliche Maßnahmen der Rehabilitation zu qualifizieren, könne der Kläger diese Grundkenntnisse durch kostenlose Seminare beim AMS im Rahmen einer Nachschulung von weniger als sechs Monaten erwerben, sodass kein Verweisungshindernis vorliege.
[4] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, hob das Urteil des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache an dieses zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück. Auf den Entziehungsgrund des § 99 Abs 3 Z 1 lit b sublit cc ASVG könne sich die Beklagte nicht stützen, weil sie nur die Übernahme der Kosten für den Kurs zur Vermittlung der notwendigen EDV‑Kenntnisse, nicht aber die Übernahme der Kosten für den Kurs zur Vermittlung kaufmännischer Grundkenntnisse angeboten habe. Allerdings könne der Entziehungsgrund des § 99 Abs 1 und Abs 3 Z 1 lit b sublit aa ASVG verwirklicht sein. Dazu sei das Verfahren jedoch ergänzungsbedürftig, weil Feststellungen zum Anforderungsprofil der vom Erstgericht genannten Verweisungsberufe fehlten. Dem Kläger sei es möglich, die erforderlichen EDV‑ sowie kaufmännischen Grundkenntnisse im Rahmen kostenloser Schulungsmaßnahmen des AMS in einer deutlich unter der 6‑Monats‑Grenze für Nachschulungen liegenden Dauer zu erwerben, sodass diesbezüglich kein Verweisungshindernis vorliege. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil eine Klarstellung zu Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs indiziert sei, die davon ausgehen, dass ein nicht betriebsintern angebotener Computerkurs vom Pensionsversicherungsträger zu gewähren sei.
Rechtliche Beurteilung
[5] Gegen diesen Beschluss richtet sich der von der Beklagten nicht beantwortete Rekurs des Klägers, mit dem er die Stattgebung der Klage anstrebt. Der Rekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (§ 502 Abs 1 ZPO) nicht zulässig.
[6] 1. Auf das Argument des Rekurswerbers, die Beklagte habe sich nicht auf den Entziehungsgrund des § 99 Abs 3 Z 1 lit b sublit cc ASVG berufen, muss nicht weiter eingegangen werden, weil das Berufungsgericht diesen Entziehungsgrund ohnedies als nicht verwirklicht angesehen hat.
[7] 2. Der Revisionswerber macht geltend, dass der betriebsexterne Erwerb von EDV‑Grundkenntnissen und kaufmännischen Grundkenntnissen nach der Rechtsprechung berufliche Maßnahmen der Rehabilitation seien und nicht bloße Nachschulung. Er habe auch keinen Rechtsanspruch auf die Teilnahme an einem Kurs des AMS zum Erwerb der für ihn erforderlichen Grundkenntnisse.
[8] 2.1 Ist für die Verweisung eines Facharbeiters erforderlich, dass eine Schulungsmaßnahme absolviert wird, so muss dem Versicherten diese Schulung aufgrund seines Leistungskalküls möglich sein und darf gewisse zeitliche Grenzen – jene zwischen Nachschulung und Umschulung – nicht überschreiten (10 ObS 91/21m SSV‑NF 35/48 mwH; Födermayr/Resch in SV‑Komm [252. Lfg] § 255 ASVG Rz 131). Von einem bisher als Facharbeiter tätig gewesenen Versicherten kann verlangt werden, dass er sich einfache kaufmännische Kenntnisse und Fähigkeiten aneignet, um in dem von ihm erlernten Beruf etwa als Verkaufsberater tätig zu sein, sofern bei dieser Tätigkeit eine ausreichende Nahebeziehung zum bisher ausgeübten Beruf besteht (Sonntag in Sonntag, ASVG14 § 255 Rz 94 f mwN). Nachschulungszeiten, die das Ausmaß von sechs Monaten übersteigen, sind nach der Rechtsprechung im Allgemeinen als nicht mehr zumutbar anzusehen (RIS‑Justiz RS0050900 [T22]; RS0050891 [T22]). Die Rechtsfrage der Zumutbarkeit einer notwendigen Nachschulung ist im jeweiligen Einzelfall unter Zugrundelegung der konkreten Situation des betroffenen Versicherten (persönliche, geistige, und psychische Eignung sowie bisherige Berufslaufbahn) individuell zu beurteilen und wirft daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage auf (10 ObS 146/14i SSV‑NF 29/19; RS0130076).
[9] 2.2 Der Kläger zeigt keine Unvertretbarkeit der Rechtsansicht des Berufungsgerichts auf, das diese Rechtsprechung beachtet hat. Mit seinem Argument, die Beklagte habe die Übernahme von Kosten für eine Nachschulung zum Erwerb kaufmännischer Grundkenntnisse nicht angeboten, übergeht er, dass ihm auch in diesem Fall die Möglichkeit offensteht, einen für ihn kostenlosen Kurs des AMS in Anspruch zu nehmen. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die Dauer der hier erforderlichen Nachschulungen dem Kläger nicht unzumutbar ist (vgl RS0050900), wird von ihm in der Revision nicht in Frage gestellt. Auch die Zweckmäßigkeit dieser Kurse stellt der Revisionswerber nicht in Frage.
[10] 2.3 Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass externe Umschulungen, die mit Kosten für den Versicherten verbunden sind und mit denen das Verweisungsfeld verlassen wird, berufliche Maßnahmen der Rehabilitation sind, die vom Pensionsversicherungsträger zu gewähren sind (10 ObS 91/21m SSV‑NF 35/48; 10 ObS 5/16g SSV‑NF 30/61 mwN). Von einer solchen Umschulung ist jedoch die bloße Einschulung (Nachschulung) zu unterscheiden, die grundsätzlich kein Verweisungshindernis ist (10 ObS 18/12p SSV‑NF 26/38). Entgegen den Ausführungen des Rekurswerbers war auch für den Kläger in der Entscheidung 10 ObS 5/16g nicht eine Umschulung, sondern lediglich eine Nachschulung erforderlich, weil das Verweisungsfeld (Maurer) nicht verlassen wurde (Pkt 4.4). Innerbetriebliche Nachschulungen hat der Versicherte nach ständiger Rechtsprechung zu dulden bzw in Anspruch zu nehmen (10 ObS 18/12p). Generell wird vom Versicherten nicht verlangt, sich auf eigene Kosten die benötigten Kenntnisse in externen Ausbildungsmaßnahmen anzueignen, was auch für Nachschulungen gilt (10 ObS 5/16g Pkt 4.4; 4.5). Auch wenn es sich bei einer bloßen Nachschulung nicht um eine berufliche Maßnahme der Rehabilitation im Sinn des Verlassens des Verweisungsfelds handelt (Födermayr in SV‑Komm § 255 ASVG Rz 132), müssen nach der Rechtsprechung die von § 253e ASVG für den Anspruch auf berufliche Rehabilitation aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sein (10 ObS 5/16g mH auf 10 ObS 53/02w SSV‑NF 16/24; 10 ObS 167/04p). Dies ist hier der Fall, weil die für die Verweisung des Klägers erforderlichen Nachschulungen zweckmäßig, ausreichend, möglich und zumutbar sind. Die Nachschulungen sind nach den Feststellungen auch geeignet, mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Wiedereingliederung des Klägers in den Arbeitsmarkt sicherzustellen (vgl § 253e Abs 2 ASVG, 10 ObS 5/16g, Pkt 4.7), sodass ein Verweisungshindernis nicht vorliegt.
[11] 3.1 Schließlich macht der Kläger geltend, dass die Beklagte die Übernahme der Kosten eines EDV‑Kurses erst in der Verhandlung vom 1. 3. 2023 angeboten habe. Bis zu diesem Zeitpunkt und darüber hinaus noch einige Monate weiter, jedenfalls aber hier bis zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz bestehe Invalidität weiter, weil dem Kläger eine angemessene Frist für den Erwerb dieser Kenntnisse zur Verfügung stehen müsse.
[12] 3.2 Der Kläger bezieht sich für diese Argumentation auf die Entscheidung 10 ObS 18/12p SSV‑NF 26/38, die jedoch noch zur Rechtslage vor dem SRÄG 2012 erging und die Zuerkennung einer befristeten Invaliditätspension zum Gegenstand hatte. Nach der alten Rechtslage konnte der Pensionsversicherungsträger, wenn er nicht im Verwaltungsverfahren eine Maßnahme der Rehabilitation angeboten hatte, im sozialgerichtlichen Verfahren nicht mehr den Einwand erheben, der Pensionswerber sei rehabilitierbar (vgl 10 ObS 53/02w).
[13] 3.3 Hier bestand jedoch bereits im Zeitpunkt der Gewährung des Rehabilitationsgelds ein Anspruch auf Invaliditätspension nach § 254 Abs 1 ASVG – bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen – nur mehr dann, wenn Invalidität (§ 255 ASVG) aufgrund des körperlichen oder geistigen Zustands voraussichtlich dauerhaft vorlag und berufliche Maßnahmen der Rehabilitation bezogen auf das Berufsfeld nicht zweckmäßig oder nicht zumutbar waren (§ 254 Abs 1 Z 2 ASVG idF vor dem SVÄG 2016, BGBl I 2017/29). Bezogen auf den Entziehungszeitpunkt änderte sich an dieser Rechtslage nur, dass es nach § 254 Abs 1 Z 2 ASVG idF SVÄG 2016 (in Geltung seit 1. 1. 2017) darauf ankommt, dass kein Rechtsanspruch auf zumutbare und zweckmäßige berufliche Maßnahmen der Rehabilitation im Sinn des § 253e ASVG besteht. Stellt sich erst im sozialgerichtlichen Verfahren die dauernde Invalidität heraus, muss das Sozialgericht von Amts wegen das Vorliegen der negativen Anspruchsvoraussetzung nach § 254 Abs 1 Z 2 ASVG prüfen, sofern die übrigen Anspruchsvoraussetzungen für die begehrte Invaliditätspension erfüllt sind (10 ObS 107/12a, SSV‑NF 27/9; RS0113667 [T5] ua). Durch das SVÄG 2017, BGBl I 2017/38, wurde klargestellt, dass § 253e ASVG auch für vorübergehend invalide Personen gilt (Sonntag in Sonntag, ASVG14 § 253e Rz 7). Hat sich daher wie im vorliegenden Fall der Zustand des Klägers wieder soweit gebessert, dass er – erforderlichenfalls nach einer zumutbaren, zweckmäßigen und für ihn mit keinen Kosten verbundenen Nachschulung – innerhalb seines Verweisungsfeldes noch verweisbar ist, so fehlt es an den Anspruchsvoraussetzungen für die Zuerkennung einer Invaliditätspension oder – wie hier – für die Feststellung des Bestehens eines Anspruchs auf Rehabilitationsgeld (§ 255b ASVG iVm § 253e ASVG).
[14] 4. Das Berufungsgericht erachtete das Verfahren als ergänzungsbedürftig, weil nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht beurteilt werden könne, ob dem Kläger die Ausübung der festgestellten Verweisungsberufe aufgrund seiner Leistungseinschränkungen möglich ist. Ist die dem Aufhebungsbeschluss zugrunde liegende Rechtsansicht nicht zu beanstanden, so kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht überprüfen, ob sich die vom Berufungsgericht angeordnete Ergänzung des Verfahrens oder der Feststellungen tatsächlich als notwendig erweist (RS0042179; RS0043414).
[15] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht dargetan und sind auch aus den Akten nicht ersichtlich.
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