European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:010OBS00146.14I.0428.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung
Der am 26. 6. 1957 geborene Kläger hat in Bosnien und Herzegowina 1979 eine Abschlussprüfung im Beruf Maurer abgelegt. Aufgrund des Bescheids des Bundesministeriums für Wirtschaft, Familie und Jugend vom 25. 1. 2013 ist diese der österreichischen Lehrabschlussprüfung im Lehrberuf Maurer gemäß § 27a Abs 2 BAG gleichzuhalten. Zum Stichtag 1. 10. 2012 hat der Kläger 301 Versicherungsmonate erworben, davon 266 Beitragsmonate der Pflichtversicherung, 2 Monate Ersatzzeit, 43 Beitragsmonate der Pflichtversicherung - Teilversicherung (APG). Innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag erwarb der Kläger mehr als 120 Beitragsmonate als Maurer.
Aufgrund seines näher festgestellten medizinischen Leistungskalküls ist dem Kläger die Tätigkeit als Maurer in jedem qualifizierten Einsatzbereich sowie eine Tätigkeit als Fachberater in Baumärkten nicht mehr möglich. Für die Tätigkeit des Bauproduktefachberaters in Kombimärkten ist das medizinische Leistungskalkül des Klägers ausreichend. Erforderlich ist jedoch die persönliche, psychische und geistige fachliche Eignung und Umstellbarkeit für bzw auf qualifizierte (fachlich auch anspruchsvollere und komplexere) Fachberatungs‑ und Verkaufstätigkeiten sowie für bzw auf zumindest länger dauernde PC‑unterstützte Arbeiten. Um diese zusätzlichen Qualifikationen zu erreichen, ist eine „Umschulung“ in einem zeitlichen Ausmaß von mehr als einem halben Jahr erforderlich, insbesondere eine Schulung im EDV‑Bereich, im Bereich Kommunikationstraining, Fragetechnik, Gesprächsführung, professionelles Verkaufen und Verhandeln sowie Kosten‑/Leistungsabrechnungen. Dem Kläger wurden von der beklagten Partei bisher keine Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation angeboten.
Mit Bescheid vom 21. 2. 2013 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag des Klägers auf Zuerkennung einer Invaliditätspension ab. Weiters sprach sie aus, dass kein Anspruch auf Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation bestehe, weil eine Invalidität des Klägers auch in absehbarer Zeit nicht eintreten werde.
Das Erstgericht gab dem dagegen erhobenen, auf Zuerkennung der Invaliditätspension in der gesetzlichen Höhe ab dem 1. 10. 2012 gerichteten Klagebegehren statt. Es beurteilte den im Wesentlichen eingangs wiedergegebenen Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht dahin, dass aufgrund des Gleichstellungsbescheids von der Erlernung des Berufs Maurer auszugehen sei. Diese Tätigkeit habe der Kläger in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag im Sinn des § 255 Abs 2 ASVG auch überwiegend ausgeübt, weshalb er Berufsschutz genieße. Da er innerhalb des Berufsfelds des Lehrberufs Maurer nicht mehr verweisbar sei, sei er invalid im Sinn des § 255 Abs 1 und 2 ASVG.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und wies das Klagebegehren ab. Ohne Eingehen auf die geltend gemachten Berufungsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen Tatsachenfeststellung führte es in rechtlicher Hinsicht aus, dass Invalidität erst vorliege, wenn der Versicherte außer Stande sei, irgendeine auf dem Arbeitsmarkt gefragte Teiltätigkeit seines erlernten oder angelernten Berufs auszuüben. In vielen Fällen könnten gelernte Handwerker auf den Beruf eines Fachmarktberaters/Fachmarktverkäufers in der jeweiligen Branche verwiesen werden. Bereits in früheren Entscheidungen habe der Oberste Gerichtshof auf Basis der dort festgestellten erforderlichen Nachschulungsdauer von drei bis sechs Monaten ausdrücklich bejaht, dass es sich bei der Tätigkeit des Kunden‑ und Verkaufsberaters in Baustofffachmärkten um eine Teiltätigkeit des Lehrberufs Maurer handle. Auch das erforderliche Naheverhältnis zwischen dem Beruf des Bauproduktefachberaters in Kombimärkten und dem vom Versicherten bisher ausgeübten Lehrberuf als Maurer sei bejaht worden. Die im vorliegenden Fall festgestellte, nicht näher konkretisierte Umschulungsdauer von mehr als einem halben Jahr sei kein entscheidendes Argument, um von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Es sei davon auszugehen, dass die dem Kläger kalkülsentsprechend mögliche Tätigkeit eines Bauproduktefachberaters in Kombimärkten eine Teiltätigkeit seines erlernten und ausgeübten Berufs eines Maurers sei. Invalidität im Sinne des § 255 Abs 1 und 2 ASVG liege daher nicht vor.
Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht aufgrund der zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs für nicht zulässig.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers mit dem Antrag, die erstinstanzliche Entscheidung wiederherzustellen, in eventu die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das jeweilige Gericht zurückzuverweisen.
Die beklagte Partei beantragte in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und im Sinne des Aufhebungsbegehrens auch berechtigt.
Der Kläger macht in seinen Revisionsausführungen im Wesentlichen geltend, bei der Frage der Verweisbarkeit von gelernten Maurern auf den Beruf des Bauproduktefachberaters in Kombimärkten sei von einer individuellen, in Bezug auf den konkreten Versicherten unterschiedlich lange erforderlichen Umschulungsdauer auszugehen. Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts sei daher dann, wenn in Bezug auf einen konkreten Versicherten aufgrund eines berufskundlichen Sachverständigengutachtens festgestellt werde, dass dieser konkrete Versicherte als gelernter und damit Berufsschutz genießender Maurer für die Umschulung auf den Beruf eines Bauproduktefachberaters in Kombimärkten auf jeden Fall mehr als sechs Monate benötige, eine Verweisung auf diesen (neuen) Beruf des Bauproduktefachberaters in Kombimärkten nicht zulässig. Selbst für den Fall, dass das Berufungsgericht trotz der mehr als sechs Monate erforderlichen Umschulungsdauer die Verweisung des Klägers auf den Beruf des Bauproduktefachberaters in Kombimärkten für grundsätzlich zulässig erachte, hätte es aufgrund der Bestimmung des § 253e ASVG prüfen müssen, ob eine solche mehr als sechs Monate dauernde Umschulung des bereits 56‑jährigen Klägers im Rahmen der beruflichen Rehabilitation überhaupt zweckmäßig und für den Kläger zumutbar sei.
Der erkennende Senat hat dazu Folgendes erwogen:
1. Nach § 255 Abs 1 ASVG gilt der überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig gewesene Versicherte als invalid, wenn seine Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustands auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in jedem dieser Berufe herabgesunken ist. Eine überwiegende Tätigkeit im Sinn des § 255 Abs 1 ASVG liegt vor, wenn innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag in zumindest 90 Pflichtversicherungsmonaten eine Erwerbstätigkeit nach Abs 1 oder als Angestellter ausgeübt wurde (§ 255 Abs 2 ASVG idF BGBl I 2010/111).
2. Unbestritten steht fest, dass der Kläger im Sinn des § 255 Abs 1 ASVG Berufsschutz als Maurer genießt. Von den in Frage kommenden Verweisungstätigkeiten ist ihm im Hinblick auf sein medizinisches Leistungskalkül nur noch die Tätigkeit eines Bauproduktefachberaters in Kombimärkten möglich.
3. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass ein qualifizierter Arbeiter auch auf einen verwandten Angestelltenberuf verwiesen werden kann, wenn eine entsprechende Nahebeziehung zum bisher ausgeübten Beruf besteht. Wie bereits die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben, können daher nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in vielen Fällen gelernte Handwerker auf den Beruf eines Fachmarktberaters/Fachmarktverkäufers in der jeweiligen Branche verwiesen werden (vgl dazu die Judikaturnachweise bei Födermayr in SV‑Komm § 255 ASVG Rz 128 und bei Sonntag in Sonntag [Hrsg], ASVG6 § 255 Rz 95; RIS‑Justiz RS0084541 [T6, T8, T18, T22, T25, T27]). In diesem Sinne wurde in der Rechtsprechung insbesondere auch die Verweisbarkeit eines gelernten Maurers auf die Tätigkeit eines Bauproduktefachberaters in Kombimärkten bejaht (vgl 10 ObS 101/10s, SSV‑NF 25/51 = DRdA 2011/52, 555 [M. Weißensteiner] mwN ua; zuletzt 10 ObS 142/13z, SSV‑NF 27/75). Begründet wurde diese Rechtsauffassung vor allem damit, dass die handwerkliche Ausbildung und die dabei erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten ein Anstellungs‑ und Ausübungskriterium des Verweisungsberufs bilden, die aus der handwerklichen Tätigkeit erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten daher im Verweisungsberuf verwertet werden können und diese qualifizierten Facharbeiter als Kunden‑ und Verkaufsberater auch tatsächlich Verwendung finden. Auch wenn es sich bei der Verweisungstätigkeit um eine Angestelltentätigkeit handelt, wird diese doch wesentlich vom erlernten Handwerksberuf mitbestimmt, sodass es sich dabei um eine qualifizierte Teiltätigkeit des jeweiligen Lehrberufs handelt und es somit zu keinem Verlust des Berufsschutzes kommt.
4. Ist für die Verweisung eines qualifizierten Arbeiters erforderlich, dass er eine Schulungsmaßnahme absolviert, so muss dem Versicherten diese Schulung aus gesundheitlichen Gründen möglich sein und darf gewisse zeitliche Grenzen nicht überschreiten (Födermayr in SV‑Komm § 255 Rz 131 mwN). Es darf dem Facharbeiter im Rahmen einer Verweisung zwar nicht zugemutet werden, durch Umschulung Kenntnisse und Fähigkeiten eines fremden Berufs zu erwerben, da in diesen Fällen mit der Umschulung das Verweisungsfeld verlassen würde und die Maßnahme als berufliche Rehabilitation (mit den dafür notwendigen Voraussetzungen) zu qualifizieren ist. Es ist jedoch nach ständiger Rechtsprechung eine innerbetriebliche Nachschulung zum Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten im eigenen Beruf zur Anpassung an sich ändernde Anforderungen, wie sie von qualifizierten Arbeitern auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise verlangt werden, in einem zeitlichen Ausmaß von bis zu sechs Monaten zulässig. Von einem Facharbeiter, der über alle Kenntnisse und Fähigkeiten in seinem erlernten Beruf verfügt, wird auch verlangt, sich einer innerbetrieblichen Nachschulung im Ausmaß von bis zu sechs Monaten zum Erwerb von Spezialkenntnissen in diesem Beruf zu unterziehen, wenn er diesen nur mehr in dieser spezialisierten Form ausüben kann (Födermayr in SV‑Komm § 255 Rz 131 mwN).
4.1 Innerbetriebliche Nachschulungen hat der Versicherte somit zu dulden bzw in Anspruch zu nehmen. Ebenso kann verlangt werden, dass im Fall der Arbeitslosigkeit entsprechende (kostenlose) Seminare des AMS besucht werden (10 ObS 168/11w, SSV‑NF 26/15). Vom Versicherten kann jedoch nicht verlangt werden, sich auf eigene Kosten die benötigten Kenntnisse in externen Ausbildungsmaßnahmen anzueignen. Für derartige Ausbildungsmaßnahmen hat nämlich nicht der Versicherte zum Zweck der Aufrechterhaltung oder Verbesserung seiner Verweisbarkeit aufzukommen. Vielmehr sind sie ihm im Rahmen der beruflichen Rehabilitation zur Verfügung zu stellen (10 ObS 18/12p, SSV‑NF 26/38 mwN). Bei einem Nachschulungsbedarf ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ ist daher immer genau zu erheben, ob die Ausbildungsmaßnahme innerbetrieblich erfolgt bzw ob bei einem nur außerbetrieblichen Angebot eine kostenlose Absolvierung (zB über das AMS) möglich ist (10 ObS 98/11a, SSV‑NF 25/92).
4.2 Schließlich kann nach ständiger Rechtsprechung auch von einem bisher als Facharbeiter manuell tätig gewesenen Versicherten verlangt werden, dass er sich einfache kaufmännische Kenntnisse und Fähigkeiten aneignet, um in dem von ihm erlernten Beruf als Verkaufsberater tätig zu sein, sofern bei dieser Tätigkeit ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ eine ausreichende Nahebeziehung zum bisher ausgeübten Beruf besteht (10 ObS 194/02f mwN ua).
4.3 Eine notwendige Nachschulung wird in der Rechtsprechung in der Regel auch dann noch als zumutbar angesehen, wenn sie eine längere Zeit in Anspruch nimmt (10 ObS 18/12p, SSV‑NF 26/38 mwN). So wurde beispielsweise eine durchschnittlich dreimonatige Einweisung (10 ObS 20/98h, SSV‑NF 12/25), eine Zusatzausbildung in Form einer innerbetrieblichen Einschulung in der Dauer von vier Monaten (10 ObS 306/99v), eine Zusatzausbildung von maximal 20 Wochen (10 ObS 2341/96d), von drei bis vier Monaten (10 ObS 13/01m) sowie eine Zusatzausbildung bis zu sechs Monaten (10 ObS 76/98v; 10 ObS 140/98f, SSV‑NF 12/70) als im Rahmen dessen beurteilt, was einem Versicherten als Nachschulung zugemutet werden kann. Nachschulungszeiten, die das Ausmaß von sechs Monaten übersteigen, sind im Allgemeinen jedoch nicht mehr als zumutbar anzusehen (vgl etwa 10 ObS 69/07f, SSV‑NF 21/45: ein Jahr; vgl in diesem Sinne auch die Judikaturnachweise in RIS‑Justiz RS0050900; RS0050891). Es besteht im vorliegenden Fall kein Anlass für ein Abgehen von dieser ständigen Rechtsprechung.
4.4 Bei der Frage, in welchem zeitlichen Ausmaß eine Schulung des Versicherten für die Erlangung der zur Ausübung einer Verweisungstätigkeit benötigten weiteren Kenntnisse und Fähigkeiten notwendig ist, handelt es sich um eine Tatsachenfrage, welche die Grundlage für die Beurteilung der Rechtsfrage, ob es sich dabei um eine für den Versicherten zumutbare Nachschulung handelt, bildet.
5. Im vorliegenden Fall wurde vom Erstgericht im Wesentlichen festgestellt, dass für die Ausübung der dem Kläger aufgrund seines medizinischen Leistungskalküls noch möglichen Verweisungstätigkeit eines Bauprodukte-fachberaters in Kombimärkten eine Schulung in den Bereichen EDV, Kommunikationstraining, Fragetechnik, Gesprächsführung, professionelles Verkaufen und Verhandeln sowie Kosten‑/Leistungsabrechnungen „in einem zeitlichen Ausmaß von mehr als einem halben Jahr“ erforderlich sei. Das Berufungsgericht hat sich mit der diesbezüglichen Beweisrüge in der Berufung der beklagten Partei inhaltlich nicht auseinandergesetzt, weil es eine Verweisbarkeit des Klägers unabhängig von der Dauer einer notwendigen Nachschulung bejahte. Dabei hat es aber nicht berücksichtigt, dass den von ihm für seinen Rechtsstandpunkt zitierten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs jeweils Feststellungen der Tatsacheninstanzen über eine kürzere Dauer der erforderlichen Nachschulungen (bis zu sechs Monaten) zugrunde lagen. Auch in der Entscheidung 10 ObS 18/12p, SSV‑NF 26/38, in der allgemein ausgeführt wurde, dass die Notwendigkeit einer Nachschulung grundsätzlich kein Verweisungshindernis ist, auch wenn sie längere Zeit in Anspruch nimmt, wird nur auf Vorentscheidungen verwiesen, die Nachschulungen bis zu einer Dauer von sechs Monaten betrafen.
5.1 Die Rechtsfrage der Zumutbarkeit einer notwendigen Nachschulung ist im jeweiligen Einzelfall unter Zugrundelegung der konkreten Situation des betroffenen Versicherten (persönliche, geistige und psychische Eignung sowie bisherige Berufslaufbahn) individuell zu beurteilen und kann nicht abstrakt durch Gegenüberstellung der Berufsbilder des bisher ausgeübten Berufs und des Verweisungsberufs beurteilt werden. So wurde bereits ausgesprochen, dass bei Beurteilung des Anspruchs auf Berufsunfähigkeitspension fehlende Kenntnisse und Fähigkeiten, die aktuell am Arbeitsmarkt erwartet und vorausgesetzt werden, nicht an Hand von Ausbildungsnormen gemessen werden dürfen, die in jenen Zeiträumen, in denen der Versicherte seine Berufsausbildung absolviert hat, noch nicht in Geltung gestanden sind und nicht Bestandteil des Ausbildungsinhalts waren. Für die Frage der Verweisbarkeit ist demnach nicht auf das aktuelle Berufsbild und die nunmehr am Arbeitsmarkt erwarteten Kenntnisse und Fähigkeiten abzustellen, sondern auf die beim Versicherten konkret vorhandenen, individuellen Grundkenntnisse (10 ObS 168/11w, SSV‑NF 26/15 mwN). Andererseits macht es auch für die Frage der Verweisbarkeit keinen Unterschied, ob der Versicherte die für die Verrichtung der Verweisungstätigkeit erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten im Rahmen einer allfälligen Nachschulung seiner unselbständigen Erwerbstätigkeit im erlernten Beruf oder im Rahmen der Vorbereitung zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit im erlernten Beruf erworben hat. In beiden Fällen kann er erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten im Rahmen seines weiteren Berufslebens nutzen (10 ObS 15/01f, SSV‑NF 15/31).
5.2 Das Erfordernis und der zeitliche Umfang einer notwendigen Nachschulung sind daher zwar ausgehend von den aufgrund der konkreten Ausbildung des Versicherten zu erwartenden Grundkenntnissen des erlernten Berufs, aber dessen ungeachtet auch unter Berücksichtigung der bisherigen Berufslaufbahn und der damit einhergehenden Kenntnisse und Fähigkeiten des Versicherten jeweils individuell zu beurteilen. Es kommt dabei im Wesentlichen auf die beim jeweiligen Versicherten derzeit tatsächlich vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten an, da es der allgemeinen Erfahrung entspricht, dass rein theoretisch erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten wieder verloren gehen (können), wenn sie jahrzehntelang weder angewandt noch aufgefrischt werden. Überschreitet die danach beim jeweiligen Versicherten konkret erforderliche Nachschulung die Dauer von sechs Monaten und damit das einem Versicherten allgemein zumutbare Ausmaß, wäre eine Verweisbarkeit im Sinne der bisherigen Rechtsprechung zu verneinen.
5.3 Im vorliegenden Fall ist weiters darauf hinzuweisen, dass bei der Feststellung der Dauer einer erforderlichen Nachschulung des Klägers für die Verweisungstätigkeit als Bauproduktefachberater in Kombimärkten eine mangelnde Beherrschung der deutschen Sprache durch den Kläger nicht berücksichtigt werden kann (vgl 10 ObS 20/98h, SSV‑NF 12/25 ua).
6. Da das Erstgericht die Frage der notwendigen Dauer einer Nachschulung des Klägers unter Berücksichtigung der dargelegten Grundsätze mit den Parteien bisher nicht erörtert und dazu keine ausreichenden Feststellungen getroffen hat, waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Sozialrechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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